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England
Die verschiedenen Entwicklungsphasen des Feudalismus und des Absolutismus, die die konstitutionell regierten Staaten des festländischen Europas durchzumachen hatten, hat England im wesentlichen auch durchgemacht, aber indem es seine bürgerliche Revolution nahezu anderthalb Jahrhunderte früher als Frankreich durchkämpfte, hat es diese Phasen erheblich abgekürzt. Die große englische Revolution von 1648, die ihr stolzes Vorbild in dem Aufstande der Niederländer gegen die Spanier hatte, darf man überdies nicht mit jeder beliebigen früheren oder späteren Volksbewegung auf eine Stufe stellen. Es gilt von ihr, und zwar in demselben Umfange, was von der großen französischen Revolution des Jahres 1789 gilt: diese beiden Revolutionen sind die bedeutsamsten und umwälzendsten historischen Ereignisse der gesamten europäischen Staatengeschichte seit dem Ausgange des Altertumes.
Die Revolutionen von 1648 und 1789 waren keine englischen und französischen, sie waren Revolutionen europäischen Stils. Sie waren nicht der Sieg einer bestimmten Klasse der Gesellschaft über die alte politische Ordnung, sie waren die Proklamation der politischen Ordnung für die neue europäische Gesellschaft. Die Bourgeoisie siegte in ihnen; aber der Sieg der Bourgeoisie war damals der Sieg einer neuen Gesellschaftsordnung, der Sieg des bürgerlichen Eigentumes über das Feudale, der Nationalität über den Provinzialismus, der Konkurrenz über die Zunft, der Teilung über das Majorat, der Herrschaft des Eigentümers des Bodens über die Beherrschung des Eigentümers durch den Boden, der Aufklärung über den Aberglauben, der Familie über den Familiennamen, der Industrie über die heroische Faulheit, des bürgerlichen Rechtes über die mittelalterlichen Privilegien« (»Neue Rheinische Zeitung« vom 15. Dezember 1848).
Diese Bedeutung der englischen Revolution – die nirgends und niemals mehr so glänzend und so knapp analysiert wurde, wie in dem eben angeführten Zitat aus dem Hauptorgane der deutschen Demokratie des Jahres 1848 –, ist an erster Stelle zu konstatieren. An die Seite zu stellen ist aber auch noch eine zweite, ebenso wichtige Tatsache: England hat seine bürgerliche Revolution in den Hauptpunkten siegreich bis zu Ende durchgeführt, was andererseits in Frankreich später nicht im selben Maße der Fall war, geschweige denn bei der deutschen bürgerlichen Revolution des Jahres 1848.
Daß England seine bürgerliche Revolution in den Hauptpunkten siegreich bis zu Ende durchgeführt hat, darauf ist immer zu verweisen, und es ist immer an die Spitze einer jeden historischen Untersuchung zu stellen, die sich mit der Eigenart des englischen Lebens zu befassen hat. Denn dieser Umstand ist es in erster Linie, der der gesamten englischen Kultur ein von der festländischen völlig verschiedenes Gepräge verliehen hat: den einzigartigen Selbständigkeitscharakter des ganzen Volkes. Diese Folgeerscheinung rückt auch alles, selbst das, was sich scheinbar mit anderen Ländern deckt, von vornherein unter einen anderen Gesichtswinkel. Das gilt z. B. von der unglaublich starken Sinnlichkeit, die im 17. und 18. Jahrhundert auch in England herrschte, und ebenso von den erotischen Karikaturen dieser Zeit, die ein wichtiges Zeugnis dieser starken Sinnlichkeit sind.
Wie sich der Aufbau der neuen, mit dem Jahre 1648 in England ins Leben tretenden Gesellschaft vollzog, ist von uns bereits im ersten Bande der »Karikatur der europäischen Völker« so eingehend, als es unseres Erachtens der Gegenstand erfordert, dargelegt, es genügt also, hier in der Hauptsache auf das dort Gesagte zu verweisen. Da dort auch ziemlich eingehend die allgemeinen sittlichen Zustände, die in England im Zeitalter der Restauration und im 18. Jahrhundert geherrscht haben, geschildert sind, so erübrigt sich auch in dieser Richtung ein ähnlich intimes Eingehen, wie es uns z. B. beim französischen Absolutismus nötig erschien, und wir können uns mit einer allgemeinen summarischen Kennzeichnung des Hauptcharakters der Zeit begnügen …
Die vorhin konstatierte Herrschaft einer überaus starken Sinnlichkeit im damaligen England war gleichbedeutend mit einem ungeheuren Maße von Ausschweifung, und es ist nur noch hinzuzusetzen, daß die robuste Kraft, welche wirkend war, sich so ruppig und so flegelhaft wie nur möglich gebärdete. Man könnte durch hundert Beispiele nachweisen, daß kaum ein anderes Land so derb, so roh und so knotig in seinen Genüssen war, so brutal in seinen Ausschweifungen, und vornehmlich in denen der Liebe, wie England im 17. und 18. Jahrhundert. Und ebenso überzeugend könnte man belegen, daß sich das in England über ungleich größere Teile des Volkes erstreckte als wie in Frankreich und Deutschland, und zwar infolge des demokratischen Grundzuges, der die ganze Entwicklung charakterisierte. Überall dominierte das wilde Gebaren derer, die Muskeln hatten und sich etwas darauf zugute taten, sie gebrauchen zu dürfen, ohne nach Gott und der Welt auch nur das geringste fragen zu müssen. Die Liebe zeugt in England stets von einem urgesunden Rückenmark, sie sieht sich fast wie eine wilde Rauferei an, ähnlich dem Werben und Kämpfen brünstiger Hirsche. Das ist nun freilich keine neue Errungenschaft gewesen, sondern einfach eine teilweise Rückkehr zu der derben Ursprünglichkeit früherer Zeiten, die durch das dazwischenliegende Zeitalter des Puritanismus nur scheinbar überwunden worden war. Welche handfeste Formen der Zärtlichkeit und Liebe ehedem herrschten, das erkennt man am deutlichsten, wenn man die älteren Fassungen von Shakespeares »Der Widerbellerin Zähmung« sich ansieht. In dieser Zeit sind die erotischen Gefühle in keinen Harnisch der Konvenienz geschnürt. Weder Er noch Sie waren Zierpuppen, die unter Schmachten und Seufzen in zierlich gedrechselten Redensarten ihre Gefühle darbrachten, sondern beide griffen derb und keck zu. Der Schönen, die ihm gefiel, griff der Liebhaber lachend nach den blanken Brüsten. Und war ihr der Werber nach dem Geschmack, dann ließ sie ihn sicher schmunzelnd gewähren Stand ihr aber ein anderer zu Sinn, dann prügelte sie ebenso derb und mit eigenen Händen den allzu Kecken zum Hause hinaus. – Erotik und Obszönität reichen sich in der gesamten Literatur dieser Zeit brüderlich die Hand. Am einen Begriff dieser eindeutigen Derbheit zu bekommen, lese man nur in dem »Prologe des Weibes von Bath« in »Canterbury Tales« von Geoffrey Chaucer, einem der Vorläufer von Shakespeare, die folgende Stelle, in der eine Frau, die bereits fünf Männer begraben hat, ebenso naiv wie deutlich ihr starkes Liebesbedürfnis schildert (zitiert nach Dühren):
As halpe me God, I was a lusty on
And faire, and riche, and jonge, and wel begon:
And trewely, as min husbondes tolden me,
I had the beste queint that migthe be.
For certes I am all venerian
In feling, and my herte is marcian:
Venus me yave my lust and likerousnesse,
And Mars yave me my sturdy hardinesse.
I folwed ay min inclination
By vertue of my constellation:
That made me that I conde nat withdraw
My chambre of Venus from a good felaw.
Yet have I Martes merke upon my face,
And also in another privee place.
For God so wisly be my salvation,
I loved, never by no discretion,
But ever folwed min appetit,
All were he shorte, longe, blake, or white,
I toke no kepe, so that he liked me,
Hom poure he was, ne eke of what degree …
And I was jonge and ful of ragerie,
Stibborne and strong, and joly as a pie.
Tho coude I dancen to an harpe smale,
And sing ywis as any nightingale,
Whan I had dronke a draught of swete winx.
Ne shuld he nat have daunted nie fro drinke:
And after wine of venus most I thinke.
For al so siker as cold engendreht hayl,
A likerous mouth most han a likerous tayl.
In woman vinolent is no defence,
This knowen lechours ley experience …
Bei der Schilderung ihrer Erlebnisse im Ehebett ist die anspruchsvolle Dame ebenso deutlich:
Bud in our bed he was fresh and gay,
And therwithal he coude so well me glose,
Whan that he wolde han my belle chose,
That, though he had me bet on every bon,
He coude win agen my love anon.
Dieses urwüchsige Behagen am handfesten Genießen lebte nach der Überwindung des Puritanismus wieder auf und wirkte entsprechend dem starken wirtschaftlichen Aufschwung Englands fort durch das ganze 18. Jahrhundert. Natürlich nicht als eitel bewundernswürdige Urkraft, sondern stets überwuchert vom ausschweifenden Mißbrauch. Der Schönheit der Frau huldigte man auf die deutlichste Weise. Ohne Poesie und Umschweife ging man auf das Ziel, den physischen Besitz, zu. Dementsprechend waren alle Gesellschaftsformen, alle Manieren im persönlichen Verkehr.
Welcherart z. B. die Lebensformen am Hofe Karls II. gewesen sind, davon bekommen wir durch eine ursprünglich englische Publikation »Leben und Taten derer berühmtesten englischen Coquetten und Maitressen« (London 1721) einen netten Begriff. Über die blindwütige Brunst, die die liebesbedürftige Herzogin von Cleveland in dem Wüstling Karl II. entfachte, heißt es in diesen sittengeschichtlich sehr wertvollen Aufzeichnungen:
Der Glanz ihrer Augen und die hellen Strahlen ihrer schönen Gestalt hatten ihn dermaßen verblendet, daß er sich's nicht einbilden kunnte, möglich zu sein, daß sie falsch gegen ihn wäre; ungeachtet er den Fähnderich Churchill im Bette bei ihr ertappte. Und ohne Zweifel pflog sie auch eine größere Familiarität, als der Wohlstand zulässet, mit Godam, dem Komödianten: denn als die Königin Katharina einst abends den Schauplatz in Bridgestreet besuchte, um ihn die Person des großen Alexanders agieren zu sehen, und die Courtinen, sobald sich die Majestät in deren Logen begeben hatten, ausgezogen wurden, befahl er solche wiederum niederzulassen, maßen die Herzogin von Cleveland noch nicht kommen wäre, und schwure, daß, wenn gleich das Kommödienhaus von oben bis unten mit Königinnen angefüllet wäre, er dennoch das Theatrum eher nicht betreten wollte, bis Ihre Gnaden angelanget. Und weil dieselbe sich alsbald einfande, wurde die Komödie denselben Augenblick angefangen.
Über die drastische Art, in der die Schauspielerin Nelly Gwyn, die berühmteste Maitresse Karls II., sich mit ihren herzoglichen und anderen Konkurrentinnen um die Alleinherrschaft im königlichen Bett herumschlug, ist das folgende Vorkommnis bezeichnend:
Als sie einmals mit der Herzogin von Portsmouth über einer Raillerie, so zwischen ihnen vorfiel, uneins wurde, so gar, daß sie einander in die Haare gerieten, und Helena oben, Squintabella (oder die schöne Schielende, wie man die gnädige Frau wegen einiger Verstellung ihrer Augen nennete) aber unten zu liegen kam, hob sie ihr den Rock auf und verbrannte ihr das Gebräme, so demjenigen Centro, das mich die Ehrbarkeit zu verschweigen zwinget, zu einer beliebten Schattierung verliehen ist, über und über.
Noch hanebüchener – in der Tatsache, wie in der Schilderung – aber gerade darum um so bezeichnender für die Derbheit der damaligen höfischen Lebensformen ist das folgende Konkurrenzmanöver, mit dem die schöne und wagemutige Gwyn eine Madame Davis, die in der königlichen Gunst bereits große Avancen gemacht hatte, aus dem Bette des Königs wieder zu verdrängen verstand. Man liest:
Zu einer anderen Zeit bekam Helena Gwyn Luft davon, daß Madame Davis bei dem König in seinem Schlafzimmer eine vergnügte Nacht haben sollte. Da invitierte sie diese Dame aus eine Collation von Confekt zu sich, welcher mit medizinischen Ingredienten ziemlich stark zubereitet war, davon die Wirkungen einen solchen Nachdruck hatten, daß, als der Hahn gescharret, die Henne sich gebücket, ich will sagen, der König im größten Caressieren ihr den Schoß voll Liebeszucker zu schütten begriffen war, sie eine so plötzliche und unumgängliche Notwendigkeit überfiele, welche dieses ehrbare Fräulein zwangen, ihre ganze Artillerie auf einmal loszulassen, und sowohl sich selbsten als auch den König mit einer höchst erbärmlichen Brühe zu begießen. Dieses verursachte Seine Majestät, daß sie diesen Bettschatz abdankten, und ihr in Betrachtung ihrer vorigen Ritterdienste, in punkte punkti, jährlich eine Pension von 1000 Pfund bestimmten; nach welcher Zeit sie niemals wieder bei Hof erschiene.
Man vergesse keinen Augenblick, daß es sich hier nicht um wüste Bauernlümmeleien handelt, sondern um Hofsitten!
Die Männer dieser Zeit fanden ein besonderes Vergnügen, sich untereinander laut der körperlichen Vorzüge ihrer Frauen und Maitressen zu rühmen: was Mylady so begehrenswert macht, welcherart ihre Launen im Ehebette sind usw. Und die Frauen? – nun sie taten dasselbe: die Intimitäten der verschiedenen Ehebetten, des eigenen und fremden Liebeslebens, bildeten auch unter ihnen den hauptsächlichsten Gesprächsstoff. Darüber hatte man immer etwas Neues zu erzählen, sei es um neidisch zu machen, sei es um zu verlästern, oder um zu intrigieren. Der schmutzige Skandal florierte bei Hof und in jedem Salon. Man schätzte die Männer unverblümt nach ihren physischen Eigenschaften ein. Wer in einem vorteilhaften Rufe stand, durfte des leichten Erfolges bei der Mehrzahl der Frauen sicher sein. Ein zeitgenössischer Franzose hat diese rein sinnliche Auffassung der Liebe der damaligen Engländerin in einen ebenso deutlichen wie knappen Satz geprägt: » Toutes cettes femmes sont enchantées de cettes grosses machines.« Im wertvollsten Dokument jener Zeit, in Grammonts Memoiren, findet sich der Kommentar dazu:
Um zu den Äerzen der Frauen Zugang zu finden, bedarf man nur eines günstigen Vorurteils in ihren Köpfen. Jermyn fand sie für sich so bequem gestimmt, daß er nur anzuklopfen brauchte. Es half auch nichts, daß man entdeckte, ein so schwach begründeter Ruf wird noch schwächer betätigt. Die Bezauberung steckte an. Die Gräfin Castlemaine, lebhaft und doch selbst als Kennerin geltend, folgte dem täuschenden Licht, und wenn sie auch bald über einen Schein aufgeklärt ward, der so viel versprach und so wenig gewährte, so wollte sie doch ihren eigenen Fehler nicht anerkennen.
Dieser Jermyn war weiter nichts als ein gewöhnlicher Seiltänzer, der seiner Geschicklichkeit wegen in London Aufsehen machte. Aber seine Erfolge bei den Hofdamen bildeten beileibe keine Ausnahme. Aus der gleichen Zeit nennt Grammont einen zweiten Seiltänzer, namens Jakob Hall, der die erotische Begierde der vornehmen Damen der Hofgesellschaft ebenfalls aufs höchste entfachte; dieser hat die anspruchsvolle Lüsternheit der englischen Herzoginnen übrigens weniger enttäuscht. Man liest bei Grammont:
Jakob Hall, ein berühmter Seiltänzer, war zu jener Zeit in London Mode und entzückte durch Kraft und Gewandtheit bei öffentlichen Vorstellungen; man wünschte sich privatim von seinen Eigenschaften zu überzeugen; denn er wies in seiner Künstlertracht eine athletische Gestalt und ganz andere Beine auf als der sieggewohnte Jermyn. Der Springer täuschte die Erwartungen der Lady Castlemaine nicht; so wenigstens behauptete manches Gerücht im Publikum und so verkündeten es zahlreiche Spottgedichte, allerdings mehr zu Ehren des Tänzers als der Gräfin. Sie aber setzte sich über alles Geschwätz hinweg, und ihre Schönheit leuchtete desto glänzender.
Die Eitelkeit, als hervorragende Schönheit zu gelten, überwog nicht selten alle Bedenken der Scham. Bei einer Miß Stewart, einer der hervorragendsten englischen Schönheiten, der späteren Gemahlin des Herzogs von Richmond, genügte es, daß jemand aus der Gesellschaft die Schönheit der Beine oder des Busens irgendeiner Dame rühmte, um sie zu veranlassen, sofort durch Demonstrationen zu beweisen, daß die gerühmten Schönheiten mit der Pracht ihrer Reize wohl kaum zu wetteifern vermöchten. Grammont berichtet, daß einmal am Hof eine Unterhaltung über die körperlichen Schönheiten verschiedener Damen der Gesellschaft im Gange war. Schließlich kam man auf die eben anwesende russische Gesandtschaft zu sprechen, und ein Lord erklärte: »Die Moskowiten hätten lauter schöne Frauen, und alle ihre Weiber hätten schöne Beine.« Daraufhin behauptete der König, »es gäbe nichts Schöneres, als das Bein der Miß Stewart«. Um das Urteil zu bestätigen, nahm die bei dieser Unterhaltung anwesende Miß Stewart nicht den geringsten Anstand, diese gerühmte Schönheit ihres Beines vor aller Welt zu demonstrieren und ihre Röcke vor aller Welt emporzuraffen, und so »zeigte sie es bis über die Knie«. An diese Demonstration knüpfte sich dann eine sachverständige Diskussion über die besonderen Vorzüge des Beines der Herzogin von Richmond. Um zu dem Genusse zu gelangen, diese schöne Dame gänzlich nackt zu sehen, bedurfte es, wie ein anderer Zeitgenosse berichtet, nur einiger Geschicklichkeit. Dieselbe Dame ließ sich einmal von dem Herzoge von Grammont aufs umständlichste einen wolllüstigen Traum erzählen, den er ihr vorredete, gehabt zu haben:
»Ich erzählte ihr also, das lieblichste Wesen von der Welt, dem ich leidenschaftlich zugetan sei, wäre des Nachts zu mir gekommen. Darauf entwarf ich ihr eigenes Bild unter der Hülle dieser wundervollen Schönheit, aber ich sagte auch, da die Göttliche mich in der günstigsten Absicht besucht, so hätte sie sich auch nicht mit zweckloser Grausamkeit benommen. Das war noch nicht hinreichend, die Wißbegier der Stewart zu stillen: ich mußte ihr fast alle einzelnen Gunstbezeigungen malen, welche dies zärtliche Phantom mir zuwandte; sie schien dabei weder überrascht noch verlegen, und ließ mich, auf die Erdichtung aufmerksam lauschend, die Beschreibung einer Schönheit oft wiederholen, welche ich, so gut ich konnte, nach ihrem Bild und nach der Vorstellung von den unbekannten Reizen entwarf. Das hätte mir nun freilich fast den Verstand geraubt. Sie merkte ganz gut, es sei von ihr die Rede …«
Das klingt für unsere keuschen Ohren ziemlich ungeheuerlich, aber daß gerade die sogenannte beste englische Gesellschaft damals auf diesen Ton gestimmt war, ließe sich durch Dutzende von Beispielen erhärten. Eine logische Konsequenz solch zynisch-derben Genießens war es, daß es auch mit der gegenseitigen Treue nicht weit her war. Und zwar galt dies von den Frauen ebenso wie von den Männern, und von den Liebesverhältnissen ebenso wie von der Ehe. Es hieß: Bei den wenigsten Frauen könne sich ein Liebhaber rühmen, der einzige Begünstigte zu sein, höchstens noch dessen: der erste gewesen zu sein.
Diesen derben Formen des intimen Lebens entsprachen völlig alle anderen Formen des Lebens. Die geistigen Genüsse ebenso wie die öffentlichen Vergnügungen. Die geistigen Genüsse waren diesem allgemeinen sittlichen Zustande vollkommen adäquat. Das belegt vor allem der brutal-erotische Gesamtcharakter der englischen Literatur der Restaurationszeit. Für den Literaturkenner würde es genügen, die Schriftstellernamen Rochester, Dryden, Wycherleys, Vanbrugh, Farquhar, Durfey usw. zu nennen. Für den Unkundigen in dieser Literatur sei aus den Gedichten des Earl of Rochester das noch relativ zahme Stück » Et Caetera« zitiert:
In a dark, silent, shady Grove,
Fit for the Delights of Love,
As on Corinna's Breast I panting lay,
My right Hand playing with
Et Caetera.
A thousand words and am'rous Kisses
Prepar'd us both for more substantial Blisses,
And thus the hasty Moments slipt awey,
Lost in the transport of
Et Caetera.
She blush'd to see her Innocence betray'd,
And the small Opposition she had made;
Yed hugg'd me close, and with a Sigh did say,
Once more, my Dear, once more,
Et Caetera.
But oh! the power to please this Nymph was past,
Too violent a Flame can never last;
So we remitted ta another Day
The Prosecution of
Et Caetera.
Die öffentlichen Vergnügungen bieten, wie gesagt, dasselbe Bild. Hahnenkämpfen Boxkämpfen, Ringkämpfen, Ochsenbratereien, bei denen man nach Belieben schreien, johlen und lärmen konnte, wo die Massen sich stießen und drängten, in den rohesten Genüssen schwelgten und sich wälzten – solchen Lustbarkeiten frönten alle Schichten. Alles in allem: es sind die Urformen des demokratischen Lebens. Eine ganze Welt trennte von der raffinierten Eleganz der französischen Gesellschaft, und zwar die Welt, die immer zwischen Geburt und Tod liegt.
*
Aber dieses derbe Genießen resultierte nicht aus der allgemeinen politischen Unterdrückung, sondern aus dem Höchstmaße von bürgerlicher Freiheit; der Zügellosigkeit im Gebaren stand das ungeschmälerte Recht auf freie Meinungsäußerung zur Seite. Und das paralysierte nicht nur die zerstörende Wirkung, sondern führte auch allmählich zur Läuterung.
Die Form des Lebens wird durch seinen Inhalt bedingt. In England wurde infolge der allgemeinen bürgerlichen Freiheit das satirische Lachen nicht zum auserlesenen Leckerbissen für den Gaumen weniger Verständiger entwickelt, nicht zur aristokratischen Gourmandise, sondern zur demokratischen Hausmannskost. Während sich in Frankreich im 18. Jahrhundert die Grenzen der Karikatur immer mehr verwischten, wurden dieselben in England immer klarer und ausgesprochener. Die englische Karikatur zeigt von Hogarth bis zu Rowlandson, also etwa bis zum Jahre 1820, dem ungefähren Wendepunkte im bürgerlichen Leben Englands, eine einzige aufsteigende Linie, und zwar den schnurgeraden Weg zum Grotesken (Bild 238-251 usw.).
Die Karikatur war natürlich auch in England vor allem persönlich. Aber die relativ große bürgerliche Freiheit, die das Recht auf eine offene Kritik an den Sachen gewährleistete, machte die Personen doch mehr als anderwärts zu bloßen Verkörperungen von bestimmten Institutionen und Ideen. In vielen Wort- und Bildsatiren erschöpfte sich deswegen der Witz nicht bloß im Reinpersönlichen, wenn auch dieses die Formel des Angriffs war. Andererseits führten die zügellosen Formen, in denen sich das gesamte private und öffentliche Leben abspielte, zur Herausbildung der kühnsten Formen und zur Verwendung der drastischsten Mittel. Damit landete die Satire ganz von selbst sofort bei der Erotik. And dieser Mittel bediente sie sich, solange in der Zeitmoral keine ängstliche Scham und keine zögernde Scheu die Gemüter fesselte. Der moralisierenden Tendenz, die die englische Karikatur in vielen ihren Teilen zum Gewissen der Zeit machte, tat die klassische Derbheit nur wenig Eintrag, denn bekanntlich bedienten sich die ernstesten Sittenprediger noch immer der deutlichsten Sprache. –
In der literarischen Satire begegnet man vor allem einer großen Zahl von satirischen Spottgedichten. Darunter nicht wenigen auf die Frauen. Sehr begreiflich, denn das ist das Kennzeichnende für alle Zeiten: wenn der Mann es auch im Interesse seiner eigenen Wünsche sehr gerne sah, die Frauen auf halbem Wege entgegenkommend zu finden, nicht nur begehrenswert, sondern auch begehrlich, offensichtlich hoffend und wünschend verführt zu werden, es infolgedessen mit der jungfräulichen Keuschheit wie mit der ehelichen Treue nicht allzu streng nehmend, und in den Praktiken der Liebe mehr erfahren als naiv – wenn man alles dies persönlich bei einer Dame auch im stillen wünschte, so hat das die Männer doch niemals gehindert, die Frauen zugleich deswegen anzuklagen. Ein geradezu klassischer Zeuge ist dafür in jener Epoche der schon vorhin zitierte Lebemann Earl of Rochester. Rochester konnte zweifellos aus häufig gemachter Erfahrung sprechen, als er z. B. seine Satire auf die Heirat schrieb und darin die Frauen in folgender Weise charakterisierte:
Wenn sie noch jung, buhlt sie aus Lust, wenn alt,
Verkuppelt sie zu ihrem Unterhalt …
Gibt schamlos preis den Leib im Hurenhaus,
Wählt Speis' und Trank zum Reiz der Wollust aus.
Sie gibt sich um so mehr der Trägheit hin,
Weil so sie reizt den buhlerischen Sinn.
Undankbar, falsch, die Bestie wird gezähmt,
Die Wasserflut viel leichter eingedämmt,
Als ihr rebell'scher Geist …
Sie kann nicht zähmen ihre wilden Triebe,
Maßlos im Laß, frech maßlos in der Liebe.
Sieht wie der Teufel aus, will ernst sie sein,
Wie eine tolle Dirn', ist höflich sie und fein.
Boshaft hegt sie nur Arg in ihrer Brust,
Der Feilheit Lohn vergeudet sie in Lust …
Aber sicher noch viel häufiger schwirrten die auf ganz bestimmte Personen gemünzten Spottverse durch die Luft. Zur Zeit der Restauration stand selbstverständlich der liederliche Hof Karls II. im Mittelpunkt. Auch hier war es Rochester, der sich ganz besonders hervortat. Freilich nicht ungestraft, denn der großen Freiheit stand, wenn auch nicht die gesetzliche Strafe, so doch nicht selten die persönliche Vergeltung gegenüber. Die » Satire on the King«, in der Rochester die maßlosen Ausschweifungen Karls II. und deren Folge zynisch geißelte, trug ihm die Verbannung vom Los ein. Es ist wahrscheinlich, daß wenn es sich nicht um ein Mitglied des höchsten Adels gehandelt hätte, die königliche Rache, selbst bei einem Schwächling wie Karl II., noch etwas kräftiger ausgefallen wäre. Ein Bravo, der es versteht, im Dunkel der Nacht seine Verwegenheit und seine Klinge in den Dienst der Vorsehung zu stellen, war in jenen Zeiten nicht schwer aufzutreiben. Solche zynischen persönlichen Satiren wie die » Satire on the King«, die in der brutalsten Weise das Intimste entschleiern, müssen in diesem Zeitalter freilich noch unter einem anderen Gesichtswinkel betrachtet werden. Wie man aus dem Reisewerke von Uffenbach erfährt, der damals in England sich aufhielt, und ebenso von anderen, sollen am Hofe Karls II. vor dem König und in Anwesenheit von Damen nicht selten erotische Schauspiele aufgeführt worden sein. Und zwar nicht bloß pikante Zweideutigkeiten wie etwa unsere Offenbachiaden, sondern Eindeutigkeiten allerfrechsten Kalibers. Die Orgien, die sich im Alkoven abspielten, wurden auf der Bühne agiert, und die obszönsten Worte des erotischen Jargons bildeten den Tenor der Dialoge und die Witzpointen. Als ein solches erotisches Drama, das vor dem Könige, den Herren und Damen des Hofes aufgeführt wurde, wird von Uffenbach speziell das anonym erschienene Stück »Sodom« genannt. Uffenbach schreibt:
Man muß aber erstaunen, daß ein solch gottlos und entsetzliches Thema nicht nur von einem Menschen ausgearbeitet, sondern auch vor einem Könige auf die heßlichste Manier auf dem Theater gespielet worden.
Dieses Stück gehört in seinem Inhalt in der Tat zum Ungeheuerlichsten, was an erotisch-gemeiner Detailmalerei in der Literatur aller Zeiten existiert. Dieses satirische Drama, bei dem das Gemeinste und Schmutzigste frech vor das Licht der Rampe gestellt wurde, war aber – und das ist das Kennzeichnende für diese Zeit! – in seinem gesamten Inhalte nichts anderes als eine zynisch-satirische Schilderung der Debaucherien am Hofe Karls II., und zwar der persönlichen Ausschweifungen des Königs mit seinen Maitressen und Freunden. Und weiter: dieses Drama hatte zweifellos den Earl of Rochester zum Verfasser; was natürlich dadurch nicht widerlegt wird, daß Rochester die Autorschaft ableugnete und an den anonymen Verfasser sogar ein Schmähgedicht richtete. Eine Gesellschaft, die sich solches bieten läßt, die sich mit Wonne im eigenen Kote wälzt, nahm höchstwahrscheinlich ein satirisches Gedicht, das mit offenem Visier vorgetragen wird, nicht allzu krumm. Es müssen unbedingt erst noch andere Faktoren hinzukommen. Unter diesen Gesichtswinkel muß man sich bei der Betrachtung der zynischen Satiren jenes Zeitalters stellen. Eugen Dühren gibt in seinem Werke »Das Geschlechtsleben in England« eine eingehende Analyse des Dramas Sodom, von dem bis vor kurzem nur eine englische Ausgabe existierte; von der Urausgabe haben sich nur drei oder vier Exemplare erhalten. Vor einigen Jahren ist jedoch auch eine deutsche Übertragung erschienen, und es vermögen sich nun auch weitere Kreise davon zu überzeugen, daß gegenüber »Sodoms Ende« alles andere tatsächlich als blaß und matt erscheint.
Über die Beziehungen Karls II. zu der Herzogin von Portsmuth dichtete der berühmte Butler (nach einer alten deutschen Übertragung) die folgenden Spottverse:
Ein großer Herr wollt gar zu gern
Wie groß, wie klein, wie nah und fern,
Sich die Natur befliessen
Des Unterscheids bei einem Weib,
So Engelland gezeuget,
Und einem, dessen zarter Leib
Aus Frankreichs Grenzen steiget.
Bestieg demnach ein munter Pferd,
Das schon bei den Franzosen
Ein Graf von gar geringem Werth
Hatt' zu Paris verstoßen.
Das Antlitz sahe Apfel-rund,
Die Lenden schlank, wie Linden,
Das Herz war keusch, als wie ein Hund,
Und schien doch fromm bei Blinden.
Mit dieser suchte der »
Monarch«
Die geile Lust zu büßen,
Damit er möcht den ganzen Quark
von Frankreichs Waren wissen,
In was für Wert und Eigenschaft
Dieselben gangbar wären:
Drum ließ er auch mit ganzer Kraft
Sich eine bald bethören.
Madame Stinkwitz wußte ihn
Den Beutel brav zu fegen;
War fleißiger als eine Bien:
Wie solche Huren pflegen.
So gar, daß sie den vollen Quell,
Woraus sie trank, erschöpfte;
Und dennoch sah er nicht so hell,
Wie grausam sie ihn schröpfte.
Ja seine
Generosité
Gereichte ihm zur Blame:
Denn jedermann, zu Land und See,
Gedachte seiner Dame,
Die güldenes Pasteten-Werk
Vollauf nach Frankreich sandte,
Und unseres Königs Kraft und Stärk'
Dem Vaterland zuwandte.
Das Verhältnis mit der Herzogin von Cleveland wurde von Butler ebenfalls satirisch behandelt, wobei er auch der oben zitierten Extratouren mit den Seiltänzern nicht vergaß, die nicht nur am Hofe, sondern in ganz London Stadtgespräch waren:
Des Königs dritte Augenlust,
Weit schöner als die andern,
Gerieth zur Schlang in seiner Brust,
Und war ein Weib von Flandern,
Das er erst aus dem Grafen-Stand
Zur Herzogin erhaben,
Weil es ihm seinen geilen Brand
Mit Löschung konnte laben.
Doch weil, nach einiger Bericht;
Sie ein so starker Kützel
Anfochte, also, daß sie nicht
Kunnt stillen ein Scharmützel,
Ließ ihre Ehre keineswegs
Sich an den Szepter binden,
Weil auf dem Eiß des Wollust-Stegs
Sich deren mehr kunnt finden,
Die ihr mit süßem Liebesschertz
Die geilen Lüste stillten,
Bis Dampf und Stank von dieser Kertz
Den ganzen Hof anfüllten.
Doch war der Einfluß dergestalt
Vom sämmtlichen Gestirne
Der ganzen Hof-Statt viel zu kalt,
Die Brunst bei dieser Dirne
Zu löschen, daß sie vielmehr gieng
Seiltänzer aufzutreiben,
Und solche, die sich von der Kling,
Schauplatz und Feder schreiben;
Die mußten ihr mit aller Macht
Aufs geile Leder greiffen,
Wie Drescher, so die Tenn gepacht:
Heißt dieses nicht ausschweifen?
Sie trugen wohl noch gar zum Lohn,
In einem grünen Beutel,
Die güldenen Guineas davon:
Denn Geld das ist ja eitel!
Nel Gwyn und ihr Verhältnis zu Karl II. wurde von dem Satiriker Georg Ethridge unter anderem folgendermaßen besungen:
Mein Kiel soll ohne Scheu den Lebenslauf entwerfen
Von einer leichten Metz, die bis zum Purpur stieg;
Ich will ihr das Gesetz von Kindheit an wohl schärfen:
Sie beut der Venus selbst den Wettstreit an im Sieg.
Madame Venus war der Schaum der Meereswogen,
Madame Helena der Abschaum aller Welt.
Es hat sie nie kein Mann als Tochter auferzogen,
Die doch ein ganzes Heer gezeuget in dem Feld.
Wer war das fromme Weib, das sie als Mutter säugte?
Ein recht Prostibulum: Sie starb im Kuppelpelz,
Da sie voll Branntwein auf einer Straß erbleichte …
und weiter:
Dem Alexander schmeckt zwar eine Amazone,
Doch wischet er das Maul und geht hernach davon,
Allein dein Souverein versetzt dich, schlechte Bohne,
Statt eines Diamants in seine Ehrenkron'.
Du kamest nicht zu ihm mit Gold und Spezereien,
Die Laster waren es, so dich ihm wert gemacht.
O Fama! schweige nicht, den Keller auszuschreien,
Der an das Tageslicht die Prinzipalhur bracht!
Das oben beschriebene Konkurrenzmanöver der Nel Gwyn gegen die Madame Davis wurde von Butler ebenfalls in höchst drastischen Versen besungen:
Noch eine blanke Schwester hatt'
Der Schauplatz ausgehecket,
Und an der schönen Nelly Statt
Zu seinem Schmuck erwecket;
Sie liesse ihrer Augen Strahl
Durch alle Logen blitzen,
Und wo auf dem Parterresaal
Gemein und Vornehm sitzen,
Bis daß zuletzt zu ihrem Glück
Ein König ward charmieret,
Der nie mit einem rauhen Blick
Ein liebes Weib turbiret.
Besondern liebte diese Lust,
Uus der er war entsprossen,
Blos darum, weil des Vaters Brust
Dieselbe auch genossen.
Doch war kein Glücke ohne Neid,
So wollen viele sagen,
Daß Nelly sich zu rechter Zeit
Die Eyfersucht ließ plagen,
Und präparirte einen Trank
Von treibenden Purganzen
Den wollt sie der von gleichem Ranck
Aus Rachbegier zuschanzen.
Der Anschlag ging auch glücklich an:
Denn an demselben Abend,
Da der galante Spaß-Galan
Sich, schon im Herzen labend,
Mit seiner neuen Concubin,
Bei dunkel-stillem Schatten,
Zum Tort der schönen
Nelly Gwyn
Sich suchte zu begatten,
Lud sie dieselbe auf Confekt
Und wußte ihr darneben
Das was man sonst mit Grauen leckt,
Manierlich einzugeben.
Der Venus Held halt nicht so bald
Das blanke Schwert gezucket,
Und auf das Ziel im Liebes-Wald
Die Ladung losgedrucket,
Als die Caldaunen in dem Feld,
Cardaunen wollt' ich sagen,
Der liebsten Feindin auf der Welt
Auch suchten einzuschlagen.
Mit einem Wort: Der König war
In voller Lust begriffen,
Als Davis ihn bei einem Haar
Zum Bett hinaus gepfiffen:
Denn weil die Operation
Des Juleps sich einstellte,
Mit einem Stanck-vermischten Thon,
Dem sich noch beigesellte
Ein schrecklich Krachen in dem Bett,
Das so ein Wetter machte,
Als ob ein Bauer um die Wett
Mit ihr ins Hösgen lachte,
Der Neigenbier auf Sauerkraut
Nebst Buttermilch getruncken,
Und bei dem fürchterlichen Laut
Noch gräßlicher gestuncken;
So störte sie mit ihrem Wust
Und Liegen in dem Nassen
Des Königs Scepter in der Lust,
Daß er sie mußt verlassen.
Sie stuncke wie ein Wiedehopff,
Wie grün verfaulter Hopffen,
Daß er mußt Nase, Mund und Kopf
Vor diesem Schatz verstopffen:
Denn sie hatt nicht nur ihren Steiß
Abscheulich eingepöckelt,
Besondern seinen gleicher Weiß;
Doch stille! pfuy; mir eckelt,
Sowohl als diesem Staats-Galan,
Der aus dem Bette sprunge,
Und ihr den saubern
Marzipan
Allein zur Kost verdunge.
Er Pflegte zwar das Weiber-Fleisch
Sonst ungemein zu lieben;
Allein hier hatte dies Geräusch
Den Appetitt vertrieben:
Er floh den Vogel wie die Pest,
Der sich so schlecht verpflichtet,
Und ihm sein schönes Feder-Nest
So schändlich zugerichtet,
Auch ihn in seiner Lust gestört,
Die sonst sein halbes Leben,
Der, weil ihm solches unverwehrt,
Er völlig war ergeben.
Kurz: Davis wurde dimittiert
Und kriegte für die Dienste,
Die sie vorher mit Ruhm geführt,
Viel stattliche Gewinnste …
Solche und ähnliche Satiren könnte man noch Dutzende folgen lassen, eine endlose Leporelloliste, denn jede Dame des Hofes hatte ihre Alkovenabenteuer, und der meisten gedachte auch die Satire, denn das Lieben dieser Gesellschaft war nicht gar selten öffentliches Schauspiel. –
So setzte das bürgerliche Zeitalter ein. In ganz derselben Weise setzte es sich zwar nicht dauernd fort; der Strom wurde eingedämmt, und es folgte schließlich das Zeitalter der Erziehung. Aber als man allmählich aufhörte, das Gemeine nur aus eigener Freude am Gemeinen zu geißeln, und wirklich ernste sittliche Tendenzen dabei verfolgte, da wurde man damit noch nicht zimperlich, sondern beharrte wacker bei der derben, urkräftigen Sprache, bei der es keinen Irrtum darüber geben kann, was gemeint war. Die gezeichnete Satire ist dafür in dieser ganzen Zeit und in ihrer gesamten Entwicklung vielleicht das bezeichnendste Beispiel.
*
Kein einziges Land hat jemals eine auch nur annähernd so große Zahl erotischer Karikaturen, und zwar Karikaturen im vollen Sinne des Wortes, hervorgebracht, wie England im 18. Jahrhundert. Gewiß darf man schon allein daraus mit vollem Recht auf ein ungeheures Maß von Ausschweifungen schließen, aber dennoch wäre nichts verkehrter, als daraus etwa Milderungen in der Beurteilung des französischen und des deutschen Absolutismus abzuleiten: die entgegengesetzten Pole des individuellen Lebens und der Gesamtkultur äußerten sich im öffentlichen und schrankenlosen Austoben der Sinnlichkeit und spiegeln sich demgemäß in der erotischen Karikatur. Die erotische Karikatur kann, wie nie zu übersehen ist, Dokument des Niederganges einer Gesellschaft sein, Verfallsprodukt, – das war sie in Frankreich unter dem Ancien régime – aber ebenso auch Dokument des gärenden Kraftüberschusses. Die Formel »erotische Karikatur« ist, wie übrigens schon mehrfach hervorgehoben worden ist, an sich nur der allgemeine Sammelname, der alles umgrenzt, Himmel und Hölle, gut und böse. Für was sie im einzelnen Falle Zeugnis ist, das offenbaren uns aber sehr deutlich ihre jeweiligen Formen und Tendenzen, so daß die Unterscheidung sehr leicht wird. In England war sie der Ausdruck urwüchsiger, robuster Kraft, einer Kraft, die sich, wie wir schon an den wenigen hier vorgeführten Zügen gesehen haben, in ihrer Entfaltung beim Aufbau der modernen bürgerlichen Gesellschaft freilich so derb wie nur möglich gebärdete.
Aus der Zeit der großen englischen Revolution, ja sogar bis zum Beginne des 18. Jahrhunderts, haben sich seltsamerweise nur ganz vereinzelte englische Karikaturen erhalten. Und wenn man z. B. auch den Geburtstag der englischen politischen Karikatur in die Zeit der großen englischen Revolution verlegen darf, so kann man ihre Geschichte doch eigentlich erst von Hogarth an schreiben.
Durch Hogarth ist zugleich auch die Periode der moralischen Erziehung, der sich nach der Restauration alles widmete, in der englischen Karikatur repräsentiert. Mit dieser Erziehung hatte es nun aber, wie schon oben angedeutet, eine ganz eigene Bewandtnis. Sie vollzog sich nämlich gar häufig nach dem anmutigen Rezept jenes bekannten Biedermanns von Pädagogen, der am ersten Tage mit einem Kanonenrausch und am andern Tage mit einem völlig ausgewachsenen Kater vor seinen Hörern erschien, um, wie er sagte – die Häßlichkeit des Lasters der Unmäßigkeit sinnenfällig zu demonstrieren. Das Laster sollte in England in seiner ganzen abstoßenden Häßlichkeit vor Augen geführt werden. Vom Gesichtspunkte dieser pädagogischen Anschauung aus ist alles zu betrachten. Und von ihm aus sind auch die beiden berühmten Kupferstiche Hogarths » Before« und » After« anzuschauen. Der Sinn dieser beiden Kupferstiche ist trotz der Kompliziertheit der satirischen Mittel, mit denen Hogarth immer zu Felde zog, und trotz der hundert kleinen satirischen Pointen, mit denen er jedes seiner Blätter extra garnierte und damit zu einer langatmigen Predigt machte, gerade hier in die Augen springend, weil die Hauptpointe merklich überragt (Bild 240 und 241). Es handelt sich offenbar um ein gelegentliches galantes Abenteuer zwischen einem Herrn und einer Lady aus der Gesellschaft, vielleicht um eine Ehebruchsgeschichte, was Hogarth hier illustrierte. Das Blatt Before, der erste Akt, zeigt den Mann, von der sinnlichen Begier getrieben, als den stürmisch Werbenden, die Frau dagegen als die sich Sträubende, die mit Gewalt vom Mann überwunden werden will – das reguläre Schema der Wirklichkeit. Daß die Lady, trotzdem sie sich so heftig sträubt, jedoch von dem Wunsch erfüllt ist, überwältigt zu werden, dürfte schon mit ziemlicher Sicherheit aus dem Schauplatze der Begebenheit zu schließen sein, dem Bettrande, vor dem sich die stürmische Werbung abspielt; sie hat den Freund also erst in ihr Schlafgemach geführt. Das zweite Blatt, After, ist die satirische Illustration des bekannten Satzes » Omne animal post coitum triste«. Das Verlangen des Mannes ist gestillt, nun folgt bei ihm der Ekel, anders dagegen verhält sich die Frau, jetzt ist sie die Zärtliche – ebenfalls das Schema nach der Wirklichkeit; freilich nur, sofern es sich nicht um Liebe, sondern um die bloße Befriedigung wollüstiger Begierden handelt. Unter dieser Voraussetzung sind diese beiden Karikaturen Hogarths treffend; eine kräftige, wenn auch ungeschlachte Kennzeichnung rein animalischer Sinnlichkeit. Man hat diese beiden Blätter aber auch schon anders gedeutet und hat behauptet, Hogarth wollte mit diesen beiden Blättern höher hinaus, er wollte damit den fundamentalen Unterschied zwischen dem Empfinden des Mannes und dem der Frau bei Betätigung des Sinnlichen in der Liebe darstellen. Wäre dies die Absicht Hogarths gewesen, dann würde er unserer Ansicht nach nur bewiesen haben, daß er von Liebe nicht viel versteht. Denn wo echte Liebe Mann und Weib einander in die Arme treibt, verliert der Satz Omne animal post coitum triste seine Richtigkeit. Wollust, die aus Liebe hervorgeht, löst sich beim gesunden Manne nach der Befriedigung nie in Widerwillen aus.
Diese beiden Blätter Hogarths fanden bei ihrem Erscheinen eine starke Verbreitung, und sie zählen bis zum heutigen Tage zu seinen geschätztesten und gesuchtesten Schöpfungen. Freilich die prüde Gegenwart duldet sie nicht in den Bänden, die Hogarths gesammelte Stiche umfassen. Und doch sind sie meistens in diesen Bänden zu finden, aber nur für den Eingeweihten: eine geheime Mappe im massiven Einbande verbirgt sie vor den Blicken der Profanen. So siegen heute Würde und Tugend und lassen »den Menschen« doch zu seinem Rechte kommen. Das Geheimnis aller Prüderie.
Die satirischen Künstler aus der Zeit Hogarths, also aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, unterschieden sich von diesem nur dadurch, daß sie weniger witzig und höchstens um einige Grade derber waren. Das belegt ohne weiteren Kommentar ein Blatt wie » The Queen of Hungary's Whetstone«, das sich auf Maria Theresia von Österreich und auf den Siebenjährigen Krieg bezieht. In solch derb obszöner Weise ist sowohl die Politik Maria Theresias wie auch die der Pompadour, sowie vor allem die der Katharina II. von Rußland mehrfach karikiert worden. Freilich nicht nur so, sondern auch mit direkt erotischen Pointen. Welche erotische Deutlichkeit die gesellschaftliche Karikatur dieser Zeit auszeichnete, dafür sind die Blätter » A lovely lass …«, » The Mouse's Tail« und » Moses in the Bulrushes« (Bild 242, 245 und 249) ausreichend instruierende Belege; auch sie bedürfen keines weiteren Kommentars.
Die Drastik und Deutlichkeit in der bildlichen Ausführung der erotischen Pointen blieb aber nicht nur ständig auf dieser Höhe der untrüglichen Eindeutigkeit, sondern sie verstärkte sich sogar noch wesentlich, je mehr die Karikatur dem grotesken Stile zustrebte, auf dessen stolzester Höhe Englands bedeutendste Karikaturisten nach Hogarth, Gillray und Rowlandson, standen. Für diese beiden Karikaturisten war die Erotik in der Karikatur teils proklamierter Selbstzweck, teils ständig geprobtes satirisches Mittel, um die drastische Kühnheit des Angriffes auf die höchste Spitze zu treiben. Zeugnis für diese beiden Tendenzen sind die sämtlichen hier reproduzierten Karikaturen; ein großer Teil dieser Illustrationsproben zeigt zugleich, wie direkt persönlich die englische Karikatur infolge der uneingeschränkten Preßfreiheit war. Aus dem letzteren Grund erfordern diese Blätter, um zu ihrem Verständnis zu führen, freilich eine wesentlich eingehendere Beschreibung, als dies seither nötig war, wo wir der erotischen Karikatur nur in den selteneren Fällen auf dem Kriegspfade des persönlichen Einzelkampfes begegneten.
In der politischen Karikatur des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts marschierte James Gillray stets an der Spitze, und wiederum an der Spitze seiner kühnsten Angriffe standen die Karikaturen auf den Hof, vornehmlich auf den Prinzen von Wales, den späteren Georg IV.
Der Prinz von Wales genoß die besondere Aufmerksamkeit der englischen Karikaturisten seit dem Jahre 1783, als er sein Verhältnis mit der schönen Irländerin Mrs. Fitzherbert anknüpfte, denn mit diesem Verhältnis verbanden sich eine Reihe der peinlichsten Skandale. Mrs. Fitzherbert war, ehe sie den Prinzen von Wales kennen lernte, schon die glückliche Gattin zweier Männer gewesen. Aber wenn auch die Fama meldet, daß Mrs. Fitzherbert immer eine sehr bereitwillige Natur gewesen sei, sobald man ihr eindringlich von Liebe sprach, so steht trotz alledem fest, daß sie dabei auch eine sehr kluge Dame war. Jedenfalls bewies sie dies im wichtigsten Augenblick ihres Lebens, als nämlich der Prinz von Wales in ihre Kreise trat. Mrs. Fitzherbert verhehlte dem Prinzen gewiß nicht, welche Freuden seiner bei ihr harrten, aber im entscheidenden Moment wurde seine Begeisterung jedesmal durch die drei für einen stürmischen Liebhaber fatalsten Worte gedämpft: »Nach der Hochzeit.« Gegenüber einer so charakterlosen Figur wie dem Prinzen von Wales mußte diese Methode bei einiger Konsequenz unbedingt zum Ziele führen. Und das war denn auch sehr bald der Fall. Der Prinz von Wales akzeptierte die gestellte Bedingung, die Hochzeit fand statt, und der Prinz kam zu seinen Rechten. Von dieser Ehe erfuhr freilich die Öffentlichkeit vorerst nichts. Mrs. Fitzherbert galt nur als die anerkannte Maitresse, und das war ja an sich nichts Auffälliges, denn jeder Prinz der Zeit hatte seine Gunstdame, wenn nicht gar einen ganzen Harem; welch letzteres übrigens bei dem Prinzen von Wales noch außerdem der Fall war. Von was dagegen die Fama um so deutlicher sprach, das war die messalinenhafte Sinnlichkeit der neuen Gunstdame. Die Gerüchte darüber verdichteten sich sehr bald zu saftigen und zahlreichen Anekdoten, die in aller Munde waren. Kein Wunder also, daß der satirische Stift das illustrierte, was die Fama geschäftig über alle Gassen trug; es wurde der »Typ« für alle Karikaturen, die auf das Verhältnis der beiden erschienen. Das Schlagendste und Aufsehenerregendste hat hier sicher Gillray beigesteuert. Eine seiner frühesten Karikaturen auf die wollüstige Unersättlichkeit der Mrs. Fitzherbert ist » The Injured Count S–«. Zwei junge Tigerkatzen saugen an den schwellenden Brüsten der schönen Irländerin, eine dritte ist unter ihren Röcken, ihr Gesicht ist von sinnlicher Gier verzerrt, Muttergefühle gibt es für sie nicht, sie schwelgt nur im Genuß niederer Leidenschaften. Eine Messalina, sagt Gillray, indem er ein Bild, das hinter ihr an der Wand hängt, so unterschreibt (s. Beilage). Das ist sicher ein überaus kühnes Blatt; Wright, der den Katalog von Gillrays sämtlichen Karikaturen im Jahre 1885 herausgab, hat es darum auch vorsichtigerweise unterschlagen. Freilich muß hier gleich hinzugefügt werden: diese Ehre widerfuhr nicht nur diesem einen Blatte von Gillray, sondern noch mehr als einem Dutzend anderen. Es ist nämlich das köstliche Bestreben der modernen englischen Geschichtschreibung, alle Lieblinge der Nation mit Gewalt respectable zu machen, was vornehmlich gegenüber den englischen Kraftnaturen des 18. Jahrhunderts eine Menge Schweiß kostet. Aber im Dienste der Versittlichung der Vergangenheit kommt es den geschichteschreibenden Biederleuten von heute auf einige Dutzend Unterschlagungen nicht an. Ist aber einmal eine Unterschlagung absolut unmöglich, so redet man mit einer Geschicklichkeit am Kern der Sache vorbei, die nicht weniger bewundernswert ist. Die letztere Methode, an der Hauptsache vorbeizureden, wählte Wright bei dem Blatte » Dido Forsaken« (Bild 254). Die Geschichte dieser berühmten Karikatur ist folgende: Der Prinz von Wales war bekanntlich immer verschuldet, sein ausschweifendes Leben verschlang Unsummen. Eines Tages hatte aber die Geduld der wucherischsten Gläubiger ein Ende, die Schulden mußten bezahlt werden, und selbstverständlich »von der Nation«. Zu was wäre man denn Thronfolger, wenn man nicht eine halbe Million Pfund Schulden kontrahieren dürfte? Aber das Gerücht von der geheimen Ehe mit Mrs. Fitzherbert war allmählich in die Öffentlichkeit gedrungen, und damit operierte der sparsame Pitt, der bei der kritischen Finanzlage jener Zeit um die Bezahlung der Schulden gerne herumgekommen wäre. Auch die parlamentarischen Freunde des Prinzen von Wales erklärten, unter solchen Umständen nicht für die Bezahlung der prinzlichen Schulden durch den Staat votieren zu können. Es blieb dem Prinzen unter solchen Umständen nun nichts anderes übrig, als seine Ehe mit der Mrs. Fitzherbert glattweg abzuleugnen. Mit der Inszenierung dieser runden Gaunerei wurde Fox betraut. Der geriebene Staatsmann erfüllte die ihm übertragene Aufgabe mit großer Geschicklichkeit; er erklärte im Unterhause, daß er den ausdrücklichen Befehl habe, allen Gerüchten über die Heirat des Prinzen auf das Entschiedenste zu widersprechen. Daraufhin mußte Pitt klein beigeben; die Gläubiger des Prinzen von Wales kamen zu ihrem Geld, er selbst zu neuem Kredit, Mrs. Fitzherbert dagegen um die erhoffte Krone. Auf den letzten Akt dieser skrupellosen Intrige bezieht sich die Karikatur » Dido Forsaken«. Links aus dem Hintergrunde blasen Pitt und sein Regierungskollege Dundas den Sturm an, der der präsumtiven Königin beide Kronen vom Kopfe weht, rechts aber segeln Fox und Burke mit dem Prinzen in der Mitte in dem Schiffchen der »Ehre« von dannen, dem Schloß Windsor zu. Breit und verächtlich schallt es zu der kläglich verlassenen Dido zurück: »Niemals mehr in meinem Leben will ich mit ihr zu tun haben!« und ebenso verächtlich kommt aus dem breiten Munde des Steuermannes Fox das Echo: »Nein, niemals mehr!« Die wichtigste Figur des Bildes ist jedoch Mrs. Fitzherbert als Dido, und die wichtigste satirische Pointe ist die, daß der ansehnliche Scheiterhaufen, auf dem sie sich zu opfern gedenkt, aus den stolzesten Attributen des Gottes Priapus aufgerichtet ist – ihm will sie sich also hinfort einzig opfern, in seinem Dienste hofft sie Trost zu finden, nachdem die Hoffnungen, die sie an die schlaue Verhökerung ihrer Liebestalente geknüpft hatte, so unbarmherzig vereitelt worden waren. Diese Pointe ist es, die der Biograph Wright »aus Anstand« verschweigt.
Aber was Gillray illustriert, ist nur der Ausfluß seiner Bosheit. Die Wirklichkeit vollzog sich anders. Was vom Prinzen von Wales vor versammeltem Volk abgeschworen worden war, das wurde insgeheim von neuem wieder zusammengeleimt. Der genußsüchtige Prinz von Wales konnte der raffinierten Liebeskünste der Mrs. Fitzherbert nicht entbehren; wenn er auch ständig nebenher noch zahlreichen anderen Frauen in intimem Ritterdienste diente. Als es nun vor aller Welt bekannt wurde, daß das »nie und nimmer« nur eine fromme Notlüge gewesen war, um zu Geld und Kredit zu kommen, übersetzte es Gillray in das Bild » The Fall of Phaeton«. Ist Mrs. Fitzherbert auch aus der königlichen Karosse von den wildgewordenen Parlamentsgäulen herausgeschleudert worden, »so erstrahlen doch allzu verführerisch ihre rosigen Schönheiten« (Bild 256).
Die Mrs. Fitzherbert hatte zwar die längste Oberherrschaft über das Herz und die Sinne des liederlichen Thronfolgers. Aber, wie gesagt, auch nicht ununterbrochen. Abgesehen davon, daß er selbst in den Zeiten, da sie seine oberste Gebieterin war, ständig kleine Ausflüge in zahlreiche andere Liebesgärten machte, mußte sie mehrmals die Oberherrschaft an eine andere Dame, ebenfalls eine Irländerin, abtreten. Diese erfolgreiche Konkurrentin der Mrs. Fitzherbert war die Tochter des Bischofs Twysdem, die Gattin des Herzogs von Jersey. Auch diese Dame war wie die Mrs. Fitzherbert älter als der Prinz von Wales und entsprach ebenso dessen besonderem Geschmack in Sachen der Liebe, wie er in seinem Liebeswahlspruch » fat, fair and fourty« zum Ausdrucke kommt. Das Verhältnis mit dieser Dame, die bereits Mutter von zehn Kindern war, als sie zeitweise zur Abesse des prinzlichen Harems erhoben wurde, war kaum weniger skandalös als das mit Mrs. Fitzherbert. Es kam bei dieser Liebschaft hinzu, daß die Niedrigkeit der Gesinnung bei allen Beteiligten gleich tief war. Der eigene Gatte dieser Dame war es, der die Kupplerdienste tat, und sozusagen in eigener Person den prinzlichen Wollüstling in sein eheliches Schlafgemach geleitete. Diesen Umstand hat die Karikatur in erster Linie und am eifrigsten ausgebeutet. Natürlich auch Gillray, der geschworene Gegner des Prinzen von Wales. Die beiden Blätter, die wir hier von ihm über dieses Verhältnis reproduzieren, bestätigen dies. Das erste Blatt » The Grand-Signior retiring« zeigt den Prinzen von Wales eben auf dem Wege zum herzoglichen Schlafgemache, geleuchtet wird ihm dabei, damit er ja den Weg nicht verfehlt, von dem eigenen Gatten der liebesbrünstigen Herzogin, dem Earl of Jersey, selbst. Jetzt, da man direkt vor dem Alkoven steht, in dem die Frau Herzogin bereits mit brünstiger Sehnsucht des prinzlichen Liebhabers harrt, wird der für die nächsten Stunden entbehrliche Eheherr mit einem verächtlichen » Va t'en« verabschiedet (Bild 264). Aber der Prinz von Wales ist ein unbeständiger Liebhaber. Acht Tage später droht schon eine Untreue von ihm, was jedoch der geilen Frau Herzogin gar nicht in den Kram paßt, und der wohlerzogene Herzog von Jersey trägt daher sozusagen auf seinem eigenen Rücken den Prinzen zurück in das Bett der Mutter seiner Kinder. In dem hierauf bezüglichen Blatte » Fashionable-Jockeyship« von Gillray werden alle drei Beteiligten vom Karikaturisten gekennzeichnet: Der Prinz von Wales als skrupelloser Wüstling, die Frau Herzogin als alte Vettel und liebestolles Mutterschwein, das geil zu Amors Flöte tanzt, und der Herzog von Jersey als untertänigster und widerlichster Kuppler (Bild 259). Selbstverständlich sind auch diese beiden Blätter von dem modernen Bibliographen der Gillrayschen Stiche gewissenhaft unterschlagen worden …
Wenn auch Gillray der geschworene Gegner des Prinzen von Wales war und ihn darum bei jeder Gelegenheit heftig bekämpfte, so könnte man doch nicht sagen, daß gerade aus der hier illustrierten Art der Bekämpfung auf einen ausnahmsweisen Haß, dem in der blinden Wut jedes Mittel recht war, geschlossen werden könnte. Nein, dies war einzig die Kühnheit, zu der man sich in dieser Zeit ohne weiteres in allen politischen Kämpfen verstieg. Das wird unwiderlegbar dadurch bewiesen, daß Gillray bei Dutzend anderen Gelegenheiten sich derselben drastisch-kühnen Mittel und Argumente bediente. Zahlreiche Beispiele belegen das. Der Herzog von Clarence, der nachmalige William IV., hatte sich zur ersten Favoritin eine Schauspielerin Miß Dora Jordan erkoren (vgl. auch Bd. I der »Karikatur der europäischen Völker«, Bild 266). Dieser Dame huldigte er mit dem allergrößten Eifer und ohne jede Nachlässigkeit. Diese Tugend des Pflichteifers ging ihm jedoch ganz und gar ab, wenn es sich um die Erfüllung derjenigen Pflichten handelte, die sein Admiralberuf mit sich brachte. Diesem gegenüber zeichnete den Herzog eher das aus, was man negativen Heldenmut nennt. Solchen negativen Heldenmut betätigte er stets, sowie ihm bei der Erfüllung seines Dienstes auch nur größere Unbequemlichkeiten, geschweige denn Gefahren drohten. War das letztere der Fall, dann kam es vor, daß der negative Held plötzlich vom Erdboden wie verschwunden war. Wo war er nun wohl hingekommen? frug jedesmal verblüfft alle Welt. Als wieder einmal eine solch feige Pflichtentziehung offenbar wurde, da verriet Gillray auf einer foliogroßen Karikatur dem englischen Volke das prinzliche Versteck, aber in einer so drastisch kühnen Weise, daß man kaum ein Wort findet, um dies anders als zynisch auszudrücken. Wo versteckte er sich? Nun dort, wo er auch in guten Tagen zu finden war, – unter den Röcken der Miß Jordan (Bild 260). Diese Karikatur wandte sich übrigens ebenso boshaft gegen Jungfer Jordan wie gegen den Herzog von Clarence. Um darzutun, daß Miß Jordan in ihrem Leben schon den heftigsten Liebesstürmen getrotzt hat, läßt Gillray das Nachtgeschirr, zu dem er sie satirisch wandelt, zum zersprungenen, von Rissen durchzogenen Topfe werden, der jeden Augenblick in Scherben zu gehen droht. Man ist geneigt zu sagen: dieses Blatt offenbart den denkbar kühnsten Zynismus, dessen die satirische Erotik fähig sein kann. Aber Gillray war geradezu unerschöpflich an saftigen Einfällen, immer wieder erfand er neue verblüffende Formen. Von ebenso hervorragender Kühnheit ist z. B. das aus dem Jahre 1793 stammende Blatt » Presentation of the Mahometan Gredentials – or – The final resource of French Atheists«. Das Jahr 1793 steht in der modernen Geschichte als eines der bedeutsamsten. Hier erreichte die französische Revolution ihre höchste Siegkraft. Nach allen Ländern brandeten ihre Wogen, selbst nach dem meergetrennten England. Und obgleich es zwar Pitt gerade in diesem Jahre gelang, die erste Koalition gegen Frankreich auf die Beine zu bringen, befand sich England selbst in dem Zustande der höchsten Gärung, und die Krone saß nicht allzu fest auf dem Kopfe des damals schon geisteskranken Georg III. Fox, der große Fürsprecher der französischen Ideen, propagierte im Gegensatze zu Pitt ein Bündnis mit Frankreich und machte dazu positive Vorschläge. Als jedoch Ende November 1793 die Koalition ihre bekannten schäbigen Siege über die Franzosen errungen hatte, da verhöhnte Gillray, der Parteigänger Pitts, mit all der ihm eigenen Kühnheit die Vorschläge Foxens. Der Kreditbrief, den Fox Georg III. überreichen läßt, wird zum riesigen Phallus: das ist die letzte Hoffnung der französischen Bundesgenossen (Bild 265). Mit ihrer physischen Potenz allein können die um Fox imponieren, sagt der bissige Satiriker, und damit imponieren sie auch augenscheinlich nicht nur Georg III. und dem weiblichen Teile des Hofes, sondern auch Pitt, dem Hofnarren Georgs. Das dürfte wohl der richtige Sinn dieser Karikatur sein. Man wird nicht behaupten wollen, daß dieses Blatt den bis jetzt vorgeführten an Kühnheit irgendwie nachsteht. Die aus dem Jahre 1796 stammende Karikatur » The Orangerie«, eine Satire auf den Prinzen und Ex-Statthalter von Oranien, ist etwas zahmer. Der Prinz hatte, solange er jung und bei Kräften war, sehr eifrig im »Weinberge des Herrn«, aus dem Gillray in Anlehnung an den Namen des Verspotteten einen Orangengarten macht, gearbeitet. Als der Prinz schließlich in das bekannte Prophetenalter kam, in dem Salomo seine weisheitsvollen Sprüche schrieb und David seinen Psalter dichtete, da begab er sich in das Joch der Ehe und ruhte in Frieden am Busen einer keuscherzogenen Prinzessin aus. Zwar umgaukelten die vorwurfsvollsten Träume häufig seinen Schlaf, in dem er after the fatigues of Plantings ausruhte; die Legion derer, die lebende Beweise seiner Huld von ihm hatten, zogen drohend an ihm vorüber, aber – ein Trost war ihm geworden: der Busen seiner etwas ältlichen, dafür in Eroticis um so genügsameren Gemahlin war mit 24 Millionen Pfund Sterling gepolstert, und das milderte wesentlich die Peinlichkeit dieser Träume … (s. Beilage).
Wenn man die hier beschriebenen Gillrayschen Karikaturen objektiv überschaut, so sieht man klar und deutlich, daß die erotische Note bei all der Kühnheit und Verwegenheit, mit der sie in jedem einzelnen dieser Blätter angeschlagen ist, dennoch keine Spekulation auf die Sinnlichkeit ist. Man sieht: es galt Gillray einzig, auf die zwingendste Weise das Gelächter an die Sache zu knüpfen und dieses in ganzer Unbändigkeit auszulösen. Die urwüchsige Zeitmoral gestattete, sich dazu der denkbar stärksten Mittel zu bedienen. Was man sogar ganz deutlich, und zwar selbst an den kühnsten der hier vorgeführten Gillrayschen Karikaturen erkennt, das ist – so paradox das klingen mag –: das starke sittliche Bewußtsein, aus dem heraus alle diese Blätter geboren sind. Tatsächlich stehen sie alle auf einer durchaus respektablen sittlichen Höhe, wenn sie auch für die engbrüstige Provinzmoral von heute Entsetzen einflößend sind, und wenn auch der moderne, von Dezenz und Würde triefende Engländer sich dreimal vor jedem einzelnen dieser Blätter bekreuzt und frisch, fromm, fröhlich, frei alles das unterschlägt, was seinem unnatürlichen Moralkodex zuwiderläuft. –
Thomas Rowlandson, der zweite Große jener Epoche, präsentiert sich wesentlich anders wie Gillray; er ist ohne Zweifel, wie wir auch im ersten Bande der »Karikatur der europäischen Völker« dargelegt haben, der größere Künstler von beiden. Diesen letzteren Unterschied offenbart er schon dadurch, daß seine Kunst durchweg die symbolischen Mittel verschmäht und nur durch groteske Realistik zu wirken strebt. Bei Rowlandson ist die Erotik Selbstzweck. Rowlandson ist ein von Kraft strotzender Erotiker; ein Mann mit urgesundem Rückenmark und begabt mit einer glühenden sinnlichen Phantasie. Er wurde dadurch als Person und als Künstler geradezu zum künstlerisch verkörperten Begriffe dieser sinnlich sich austobenden Zeit. Man könnte weiter bei ihm sagen: Dieser großartige Sittenschilderer wurde einzig darum zum grotesken Karikaturisten, weil er empfand, daß sich auf keine andere Weise so verschwenderisch im Paradiese weiblicher Schönheit schwelgen läßt. Bei Rowlandson kam die spielerische Phantasie, die den graziösen, prickelnden Stoff ganz nach Willkür modelt, voll auf ihre Rechte. Rowlandson ist Fabulist und Dichter, und seine stark ausgeprägte Sinnlichkeit machte ihn zum Lyriker der englischen Karikatur. Alles, was irgendwie erotisch ist, das interessiert ihn, und es interessiert ihn mehr als alles andere. Das Erotische in seiner ganzen Stufenleiter bis zur kühnsten Spitze ist darum das Vorherrschende in seinem ganzen Schaffen. Alles ist eine Verherrlichung der Frau, und da sie rein sinnlich aufgefaßt ist, folgerichtig auch eine Verherrlichung der Kraft. Er schuf sich für seine Zwecke ein eigenes Frauenideal, eine schlanke, große und doch volle Gestalt, kräftige und doch grazile Glieder, stets üppige, hochansetzende Brüste, aber strotzend und schwellend von Jugendpracht; jede seiner Schönen ist von Venus Kallipygos vorteilhaft, also bei allem Reichtume maßvoll bedacht. Mit einem Worte: englisches Vollblut mit flämischer Kraft und Fülle gepaart. Jede seiner Frauen ist ein Leckermahl für sinnliche Naturen. Mit unsichtbaren Lettern schreibt er unter jede: »Ahnst du, wie schön es wäre, dieses Wesen hüllenlos in seiner strahlenden Schönheit zu schauen?« Und zur Bekräftigung lüftet er keck und ausgelassen bei einer jeden einen Zipfel des Schleiers zu einem verlockenden Blick ins Paradies sinnlicher Frauenschönheit. Bald ist es der zitternde Busen, bald ein rosiges Bein, das vor den Blicken aufleuchtet, stets aber zahlreiche verführerische Linien in der Bewegung. An Grazie kommt Rowlandson mancher Künstler gleich, gesunde Kraft mit Grazie derart sprühend zu vereinigen, das ist nur sehr wenigen noch gelungen …
Daß bei Rowlandson selbst in der politischen Karikatur der Stoff häufig nur Mittel zum erotischen Zwecke war, das läßt sich durch zahlreiche Blätter nachweisen. Ein geradezu klassisches Beispiel dafür ist die durch Hörensagen vielleicht populärste seiner erotischen Karikaturen, das ungeheuer kühne Blatt auf Katharina II.: » Empress of Russia reviewing her Body Guards«. Der Ruf, den dieses Blatt genießt, ist vollauf berechtigt. Sein Gedanke ist, daß die wilde Zügellosigkeit der Kaiserin Katharina keiner Gelegenheit gram ist, die sie zu einem wollüstigen Genusse führt. Rowlandson illustrierte in diesem Blatt eine solche »Gelegenheit«. Die Kaiserin steht im vollen Herrscherornat an einem Fenster ihres Schlosses und schaut hinunter auf die Straße, wo ihre strammen Garderegimenter zur Revue aufmarschieren; der hinter ihr stehende Adjutant, der Günstling du jour, nutzt diese Gelegenheit zu einem unzüchtigen Angriff, und die Kaiserin ist dabei so entgegenkommend, als es die Situation nur ermöglicht. Die ausschweifende Sinnlichkeit der Kaiserin Katharina II. verlockte ja unstreitig zu kühnen Karikaturen. Eine solche haben wir z. B. auch in dem verblüffenden Blatte » L'Enjambée impériale«, das sich im zweiten Bande der »Karikatur der europäischen Völker« befindet, aber bei dieser »Revueabnahme« handelt es sich um nichts mehr als um ein tolles erotisches Bild. Rowlandsons zügellose Laune fand es einfach verlockend, eine Anekdote, die über Katharina II. im Umlauf war, so drastisch wie möglich zu illustrieren.
Eine noch groteskere Steigerung, sozusagen den Gipfelpunkt erotischer Wildheit, zeigt eine zweite Karikatur Rowlandsons auf die Ausschweifungen der Kaiserin Katharina: » The Empress of Russia receiving her brave guards«. Dieser »Empfang« vollzieht sich ähnlich der Methode der römischen Kaiserin Messalina, die nachts ins Bordell schlich und sich dort den Besuchern ohne Unterschied des Standes, stämmigen Bootsknechten und kräftigen Wasserträgern am liebsten, preisgab. Die in der Wollust ebenso anspruchsvolle Katharina hat sich zur gemeinsten Soldatendirne erniedrigt. In der Wachtstube eines Forts feiert sie mit den stämmigsten Grenadieren ihrer Garde eine zügellose Orgie. Alle dürfen sich an der Wollust der kaiserlichen Metze sättigen. Mehrere haben ihre Begierde bereits an ihr gestillt, jedoch der Liebeshunger der Kaiserin ist immer noch ungemildert, und so achtet sie nicht im geringsten der Unbequemlichkeit der Situation – eine Kanone bildet das improvisierte Liebeslager –, in der sie von neuem den Mut eines tapferen Gardisten erprobt. Eine Reproduktion dieses kühnen Kupferstiches befindet sich unter den fünfzig im Verlage von C. W. Stern in Wien erschienenen erotischen Grotesken von Rowlandson.
Nicht in diesem Maß erotisch, aber darum doch nichts weniger als zahm und in der zeichnerischen Behandlung ausgesprochen karikaturistisch, ist die köstliche » Grand Review of the Windsor Camp«. Auch eine Revue, aber im entgegengesetzten Sinne wie die vorhin besprochene. Diesmal ist die Revue das Pikante an der Sache. Eine königliche Prinzessin nimmt in ihrem schmucken Kabriolett an einer Parade auf dem Windsorfelde teil; das Pferd scheut bei einem jäh einsetzenden Trommelwirbel und dem Gebell eines Hundes, die Prinzessin wird aus dem Wagen geschleudert und, – unter Rowlandsons Stift werden zur Grand Review die schwellenden Schönheiten der prinzeßlichen kallipygischen Reize, die der Zufall selbstverständlich in völligster Entblößung dem gerade hinter dem Wagen haltenden königlichen Stabe darbietet. Ebenso selbstverständlich findet der gesamte Stab, die edlen Rösser nicht weniger wie der Prinz von Wales, der Herzog von Clarence, von York usw. diese vor ihren Füßen sich darbietende Grand Review für viel beachtenswerter als die militärische Revue, deretwegen sie da sind (s. Beilage). Als es sich 1784 bei der Kandidatur Foxens ereignete, daß auf dem Siedepunkte des Wahlkampfes die Gunstdamen dieses Staatsmannes, die Herzoginnen von Portland und von Devonshire, derart fanatisch und hingebungsvoll für ihren berühmten Freund agitierten, daß sie die Stimmen der Wähler für einen Kuß erkauften, führte Rowlandson diesen Aufopferungseifer satirisch noch weiter. Er schuf das Blatt » Dark Lanthern Business« (Bild 250). In diesem Blatte malte er Foxens Freundinnen als Venuspriesterinnen, die eifrig auf der Suche nach Kundschaft sind. Zu verführerischem Kostüm, das ihre reife Schönheit ungehindert sehen läßt, und mit provozierendem Wesen suchen sie des Nachts die Winkel der Straßen nach Obdachlosen ab. Die Armen und Ärmsten – ob Trottel, Müßiggänger oder Krüppel ist ganz gleich – brauchen nur zu versprechen, »Ihm« seine Stimme zu geben, dann winken ihnen nicht nur das herrlichste Obdach für diese Nacht, sondern außerdem noch die süßesten Freuden der Minne (vgl. auch »Die Frau in der Karikatur« 459/460).
Rowlandson hat zahlreiche politische Karikaturen in diesem Stile gemacht, aber bei dieser Auffassung der Dinge liegt es auf der Hand, daß er sich doch ungleich mehr der gesellschaftlichen Karikatur zuwandte und als politischer Karikaturist auch nicht die Rolle spielte, die Gillray konkurrenzlos inne hatte. Man kann hin und wieder den außerordentlichsten Beifall erzielen, wenn man Personen und Ereignisse derart pikant ausschlachtet, wie es Rowlandson getan hat, aber man kann damit nicht führend in der politischen Karikatur werden. Diese verlangt als Kampfmittel, und als das wird sie doch in erster Linie von der Masse gewertet, ein Überwiegen des satirischen Witzes, nicht aber eine Degradation zum bloßen Stoffe für erotische Scherze. Daß die Masse »mehr« verlangt, das folgt schon daraus, weil sie ihre Kämpfe immer ernst nimmt; dieses »Mehr« bot Gillray, und so kam es, daß dessen erotische politische Karikaturen auf die Dauer größeren Beifall fanden als diejenigen Rowlandsons. Die Idee siegte über den Künstler, denn Künstler war, wie gesagt, Gillray nicht in dem Maße wie Rowlandson.
Natürlich waren es nicht nur diese beiden, die das Feld der politischen Karikatur in dieser Weise abgegrast haben. Die Mehrzahl der zeitgenössischen Karikaturisten, ja man wird vielleicht sagen können: alle haben erotische politische Karikaturen gemacht, Woodward, Newton, und vor allem I. Cruikshanc. Eine sehr saftige Karikatur auf den Prinzen von Wales und Mrs. Fitzherbert ist das mit Argus unterzeichnete Blatt » Baise mon 2«. Die erotische Pointe steckte hier, wie jeder Kenner des französischen Zotenjargons weiß, in der Unterschrift, aber auch der Nichtkenner bedurfte keines Dolmetschers, der Sinn lag klar zutage (Bild 261). Dieses Blatt stammt aus der Zeit der Thronbesteigung Georgs IV., jedenfalls aus einer Zeit, wo »der erste Gentleman von Europa« in seinen schwammigen Zügen nur noch schwache Spuren davon zeigte, daß er einst auch einer der schönsten Männer Englands gewesen war. Aus derselben Zeit stammt auch der Kupfer » Old Snuffy inquiring after her Daughter Betty«. Dieses Blatt wendet sich gegen die Königin Karoline und bezieht sich auf ihr ehebrecherisches Leben mit ihrem Leibtrabanten und Reisebegleiter Bergami. Mit ihm liegt sie gerade zu Bett, als die Vertraute ihres ehebrecherischen Tuns am Bett erscheint und ihr von irgend etwas vertrauliche Mitteilung macht (Bild 278). Der Kupfer » The Night Mare« bezieht sich auf das Liebesverhältnis des Admirals Nelson mit der schönen und begehrlichen Lady Hamilton. Die Schöne träumt von einer Liebesvisite ihres Galans; das ist jede Nacht der Inhalt ihrer Träume, und dieser unerfüllte Wunsch lastet wie ein Alp auf ihren Sinnen (Bild 270). Eine derbe erotische Karikatur auf die Politik Katharinas II., speziell auf den Friedensschluß mit England im Jahre 1791, ist das anonyme Blatt » An amusing State of Uncertainty – Peace or War?« Wie ein Ungeheuer der Wollust sitzt Katharina auf dem Rand eines breiten Himmelbettes, bereit zu kämpfen, aber noch mehr geneigt, sich zu ergeben, liebenswürdig bietet Pitt seine Ritterdienste an, aber höhnisch wird er vorerst zurückgewiesen, die »Politik« des stämmigen Fox scheint den Ansprüchen der Kaiserin bessere Chancen zu bieten (Bild 262). Hierher gehören des weiteren die Blätter » The Royal Exhibition«, das sich auf die Eheschließung des Prinzen von Wales mit der ihm unsympatischen Prinzessin Karoline von Braunschweig bezieht (Bild 251), » The Rape of Helen«, das einen vorübergehenden, durch Pitt herbeigeführten Bruch des Prinzen von Wales mit der Mrs. Fitzherbert betrifft (Bild 252), und » The political Clyster«, das eine bestimmte politische Situation verspottet (Bild 248) – alle diese Blätter erweisen, daß eben jeder einzelne Karikaturist in dieser Zeit mit Vorliebe sein Instrument auf diesen Ton stimmte.
Die gesellschaftliche Karikatur während derselben Zeit, also im Blütezeitalter des grotesken Stils in England, steht in der Benützung der erotischen Motive der politischen Karikatur an Kühnheit nicht nur nicht nach, sondern übertrumpfte diese sogar noch ganz erheblich. Hier ist die Materialfülle geradezu unerschöpflich. Das liegt freilich auch ganz in der Natur der Sache. Der Stoffkreis ist da absolut unbegrenzt, denn man kann schließlich die Mehrzahl der Dinge von dieser Seite anpacken, zum mindesten liegt es ganz im Belieben des Karikaturisten, die erotischen Pointen willkürlich zu steigern. Da das letztere dem Geschmacke der Zeit entsprach, so geschah es auch, und so ist tatsächlich die überwiegende Mehrzahl aller gesellschaftlichen Karikaturen jener Zeit zu mehr oder minder ausgesprochenen erotischen Karikaturen geworden.
Gillray hat, was Idee und satirischen Witz anbetrifft, auch hier Meisterliches geschaffen. Eine seiner frühesten gesellschaftlichen Karikaturen ist das Blatt » Sir Richard Worse-than-sly, Exposing bis Wifes Bottom: O fye!« Dieses Blatt entstand im Jahre 1782 und bezieht sich auf einen Skandalprozeß, von dem damals ganz London redete. Der Gegenstand dieses Prozesses war dieser: Ein Lord Richard Worsley, Gutsbesitzer auf der Insel Wight, rühmte einem seiner Freunde, entsprechend dem oben geschilderten gesellschaftlichen Tone der Zeit, die Schönheiten seiner Frau und verglich sie mit der Venus von Medici. Da ihm sein Freund versicherte: er könne ihm den Beweis für die Richtigkeit seiner Worte ohne Gefahr liefern, indem er mit einer »Venus Kallipyge« verheiratet sei und sein Geschmack nach dieser Richtung tangiere, so nahm der Lord Worsley keinen Anstand, dem Freund eine Gelegenheit zu verschaffen, Lady Worsley mit Muße im Kostüm der Mutter Eva zu sehen. Er ermöglichte es ihm, seine Gattin beim Bade zu belauschen. Die Folgen blieben nicht aus. Der Freund machte Lady Worsley begreiflich, daß auch andere Reize als die der Venus Kallipyge seine Sinne aufs heißeste zu entflammen vermögen, und die zur Schau gestellte Dame glaubte es wiederum ihrer Ehre schuldig zu sein, den Nachweis liefern zu müssen, daß die Vergnügungen, die die Venus von Medici einem Manne zu bieten vermag, nicht hinter denen der Venus Kallipyge zurückstehen. Als Lord Worsley von dieser gegenseitigen Beweisführung, zu deren Austrag das eheliche Schlafgemach seiner Lordschaft gewählt worden war, erfuhr, klagte er wegen Verführung seiner Frau. Das Urteil fiel aber anders aus, als er erhofft hatte: verurteilt wurde der klagende Lord Worsley, und zwar als der Verführer seiner Frau. Zahlreiche Artikel, Broschüren und Karikaturen wurden diesem Prozesse gewidmet. Gillray nahm in dem hier vorgeführten Blatte (Bild 246) dazu das Wort. Mit großem Erfolg, was durch mehrere Variationen, die davon gemacht wurden, belegt wird. Wie sehr Gillray es verstand, alles sofort auf den Zeitton zu stimmen, das illustriert z. B. die Karikatur » Fashionable Contrasts« (Bild 255) ganz vortrefflich. Was hier dargestellt ist, das ist sonnenklar. Was aber die Veranlassung zu dieser Darstellung gab, und was den Witz der Sache ausmacht, darauf kann heute niemand kommen, der nicht die Geschichte dieses Blattes kennt. Von der schönen Herzogin von York ging der Ruf, Besitzerin einer sehr schmalen, also sehr schönen Hand zu sein. Weiter war bekannt, daß sie sich auf diese Schönheit sehr viel zugute tat, denn sie stellte ihre Händchen bei jeder Gelegenheit geschickt zur Schau und ließ sich, als sie gemalt wurde, in einer Pose darstellen, die jedem Beschauer des Bildes diese besondere Schönheit sofort in die Augen fallen ließ. Das war sicherlich kein Verbrechen, denn das taten schöne Frauen zu allen Zeiten. Es war aber auch kein Verbrechen, daß man in einer spottlustigen Zeit diese kleine Eitelkeit zu einem Zielpunkte des Witzes machte. Für das England jener Zeit ist es jedoch überaus charakteristisch, welcherart Witze man daran knüpfte, und daß selbst diese Harmlosigkeit Stoff zu einer erotischen Karikatur bot. Als das Bild der Herzogin von York öffentlich ausgestellt und die Schönheit der herzoglichen Damenhand besonders eifrig besprochen und gerühmt wurde, da zeichnete Gillray seinen Kommentar dazu, er bestätigte die Richtigkeit in seiner Weise. »Ach was,« lacht er, »das ist noch lange nicht alles! Wißt ihr denn nicht, daß bei einer harmonischen Schönheit mit einer schmalen Hand ein ebenso schmaler Fuß korrespondiert?« Da aber die Schönheit durch Kontrastwirkung immer am meisten in die Augen fällt, und da weiter von der um Intimes stets am eifrigsten sich kümmernden Fama gezischelt wurde, daß der liebeskräftige Herzog von York nicht den Schleier der Nacht über seine ehelichen Freuden gezogen wünscht, sondern daß er mit Vorliebe die Zeit nach der Mittagstafel dem Dienste Hymens widmet, so glaubte Gillray keine geeignetere Form finden zu können, die Eleganz des Fußes der Frau Herzogin an den Tag zu bringen, als indem er einen Ausschnitt aus der täglichen Szene gab, bei der, wenn auch unbeabsichtigt, »stets eine Konkurrenz zwischen dem Pantöffelchen der Herzogin und dem Schuh des Herzogs stattfand«. Auf dieselbe Art der Darstellung wurde in jener Zeit auch gerne die Untreue einer Frau charakterisiert. Ein Beispiel dafür ist das anonyme irländische Blatt » The Cobler alarmed«. Der biedere Schuhmachermeister kommt zu spät, was er sieht, gestattet keinen Zweifel mehr darüber, daß seine über der Werkstatt angebrachte Reklame » Ladies et Gentlemen fitted to there satisfaction«, freilich in einer wesentlich anderen als von ihm gedachten Weise, in die Tat übersetzt worden war (Bild 247).
War es in dem Blatte » Fashionable Contrasts« die harmloseste Eitelkeit, die Gillray erotisch kommentierte, so löste sein grotesker Witz auch Ereignisse ernstester Art mitunter nicht weniger amüsant aus. Im Jahre 1790 wurde London durch einen Burschen namens Renwick Williams in große Unruhe versetzt. Dieser Mensch lauerte jungen Damen auf, um sie zu vergewaltigen und seine perversen Neigungen an ihnen zu befriedigen. Einmal war es ihm auch tatsächlich gelungen, eine junge Lady in seine Gewalt zu bekommen und ihr einige Wunden beizubringen, aber er wurde glücklicherweise dabei auch gleichzeitig gefaßt und später vom Gerichte zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Der Prozeß wider den Verbrecher gab Gillray Stoff zu zwei erotisch pointierten Karikaturen. Auf dem ersten Blatt erscheint der Attentäter als Menschenfresser, wie er eben die junge Lady zu verspeisen sich anschickt (Bild 257), das zweite Blatt führt in den Gerichtssaal. Was Gillray in dem zweiten Blatte zur Pointe machte, ist weniger tragisch, aber um so pikanter. Die Schwere eines Verbrechens läßt sich immer nur an der gewissenhaften Prüfung des Tatbestandes ermessen, und so wird der Tatbestand von dem Großinquisitor in der Bowstreet so gewissenhaft wie nur möglich aufgenommen. Während der Untersuchungsrichter beim Anblicke dessen, was sich bei dieser Prüfung notgedrungen seinen Blicken darbietet, sich kaum zu fassen weiß – natürlich nur vor Entsetzen ob der Spuren der Untat! – beschwört gleichzeitig die elegante Lady, die hilfsbereit alles tut, das ihr zugefügte Verbrechen in seiner ganzen Anschaulichkeit dem Richter vor Augen zu führen, daß der hinter der Barre stehende Verbrecher und kein anderer der Missetäter ist. Diese Szene ist schon an sich amüsant. Aber Gillray wäre nicht der Kämpfer gewesen, der er in allem ist, würde er so etwas nicht persönlich ausgenützt haben. Der gefesselte Sünder hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Staatsmanne Fox, – das ist die Hauptpointe dieser Karikatur (Bild 258).
Gewiß sind Gillrays gesellschaftliche Karikaturen in mannigfacher Hinsicht überaus bemerkenswert, aber auf diesem Gebiete wird er doch von Rowlandson völlig aus dem Felde geschlagen. In der englischen gesellschaftlichen Karikatur steht Rowlandson überhaupt fast einzig da, selbst bei einer Konkurrenz, die alle englischen Karikaturisten, also auch die des 19. Jahrhunderts, zum Wettbewerbe zulassen würde. Ein Leech mag produktiver gewesen sein, aber Rowlandson war großstiliger, weltumspannender, er verkörperte die Zeit, die um das Schicksal der ganzen Menschheit würfelte. Rowlandson war Englands großer Sittenschilderer. Und da er, wie gesagt, mehr Dichter und Fabulierer als Kommentator der Tagesgeschichte war, so interessierte ihn mehr das Typische in den Erscheinungen, die Sache und nicht die Personen, an die sie sich zufällig knüpfte. Aus diesen Gründen bedürfen auch seine Karikaturen ungleich weniger der erklärenden Worte, als dies bei Gillray notwendig ist. Die Mehrzahl seiner Stücke ist verständlich ohne jeden Kommentar, und selbst diejenigen, die an ein ganz bestimmtes Ereignis anknüpfen, bieten dem Beschauer genug, auch wenn er die Geschichte des betreffenden Blattes nicht kennt.
Eine solche gesellschaftliche Karikatur, die zugleich ein Dokument dafür ist, wie selbstherrlich das Erotische bei Rowlandson stets zur Geltung kam, ist das berühmte und geschätzte Groß-Folioblatt » Exhibition stare case« (s. Beilage). Die Veranlassung zu diesem Blatte war folgende: König Georg III. hatte eine Akademie bauen lassen, zu deren Ausstellungsräumen man eine übermäßig steile Treppe benutzen mußte. Die Steilheit dieser Treppe hat verschiedene Male, besonders bei stärkerem Besuche, komische »Abstürze« im Gefolge gehabt. Jeder Beschauer des Kupfers » Exhibition stare case« wird bestätigen, daß dieser ursächliche Gedanke völlig untergeordneter Natur ist gegen das, was Rowlandson daraus gemacht hat. Man kann ihn entbehren, und dieses von übermütigster Laune strotzende grotesk-komische Blatt verliert nichts von seiner Wirkung auf den Beschauer. Kennt man aber die Veranlassung, so wird sonnenklar, daß das Vorkommnis, das er zum groteskesten erotischen Schauspiele steigerte, für Rowlandsons schwelgerische Phantasie nur einer von den vielen willkommenen Anlässen war, so viel als möglich Nuditäten zu zeigen: Schwellende Brüste, die aus dem engenden Mieder hervorbrechen, schöne Waden, von hochreichenden Strümpfen stattlich hervorgehobene stramme Schenkel, und vor allem strotzende kallipygische Reize. Ähnliches gilt von dem mit Recht nicht minder berühmten Kupfer »Feuer im Gasthofe«. An diesem Blatte sieht man, daß sogar wirklich tragische Ereignisse ihm nur Gelegenheit gewesen sind, intime Frauenschönheit vor dem Publikum zu enthüllen. Das heißt, man muß die Geschichte umdrehen: Nicht ein schrecklicher Gasthofsbrand gibt ihm Veranlassung, sondern Rowlandson konstruiert in seiner Phantasie einen nächtlichen Gasthofsbrand, weil ihm dies eine günstige Gelegenheit gibt, neben allen möglichen grotesk-komischen Dingen auch Frauen im verführerischen Negligé und in den pikantesten Situationen zu zeigen (s. Beilage). Die Besitzerinnen der von ihm verschwenderisch enthüllten Reize sind auf allen diesen Blättern ohne Ausnahme in ihrer Art schön, ob sie nun schlank oder üppig sind. Und gerade das führt uns noch zu etwas anderem: Rowlandson ist der Priester des Schönen. Selbst im Niedrigsten und Gemeinsten dominiert bei ihm das Schöne, denn überall findet man sein weibliches Ideal. Die Lieblingsorte, in denen er sich Herumtrieb, waren Vaux Hall, das Londoner Palais Royal, verrufene Spelunken, Spielhöllen, Bordelle, rauchige Kneipen, und überall fand er eine Venus. »Eine Studie nach dem Leben« nennt er z. B. die Darstellung einer wüsten Bordellszene. Aber die Gemeinheit, die er darstellt, übt gar keinen Brechreiz aus, im Gegenteil. Im Mittelpunkte des Bildes, der alle Blicke auf sich lenkt, prangt freigebig enthüllt der schönste Busen, mit dem ein Weib die Männer verführen kann:
… zehenmal das Halstuch fällt,
Halbkugeln einer bessern Welt,
Und aus den losen Schlingen,
Die vollen Brüste springen.
Es ist wahrscheinlich nicht allzuviel behauptet, wenn man sagt, daß solche Blätter zuallerletzt aus einem Gefühle der sittlichen Entrüstung herausgeboren sind, und daß Rowlandson die reizvolle Darstellung der »Halbkugeln einer bessern Welt« das Wichtigste an seinen Bildern war. Sein künstlerisches Schaffen ist die Bestätigung der Anschauung aller Erotomanen: Jede Frau ist schön. Und Rowlandsons, wenn auch unausgesprochenes, Programm ist: ständig an der Frau den Ruhm des »Geschlechtes« zu künden. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt!
Bei aller Reichhaltigkeit des erotischen Repertoires der englischen erotischen Karikatur sind die Motive stets überaus einfach und die Behandlung frei von allem nervenpeitschenden Raffinement, keine Spur von Kompliziertheit. Das »Endziel« ist hier alles. Man lacht und spottet ebenso naiv wie derb. Die häufigsten Motive sind daher Verführungsszenen jeder Art, Untreue ebenso vieler Art, so Männlein wie Weiblein begehen, erotische Schäkereien, liebesbedürftige Gattinnen, unfähige Männer usw. Alle diese Bilder bedürfen keines langen Kommentars, wäre dies übrigens nötig, dann hätten sie ja völlig ihren Zweck verfehlt. Es genügt also, die wichtigsten der hier vorgeführten kurz zu nennen. Ein Blatt von ungeheurer grotesker erotischer Drastik und Deutlichkeit ist » After Duty« von Newton. Der biedere Landpfarrer ist bei einem Besuch in London der Verführung erlegen, nun, da die Sünde begangen, kommt er zur Einsicht, und mit himmelwärts gerichteten Augen fleht er: »Herr, vergib dem reuigen Sünder die schwere Schuld, du siehst ja, wie groß die Versuchung gewesen!« (Siehe Beilage.) Von nicht minder deutlicher Drastik ist das ganz ausgezeichnete Blatt » Too Much of One Thing Good for Nothing«. Einmal ist keinmal! Das gilt vor allem in der Liebe, und noch mehr, wenn man Mrs. Fitzherbert heißt, um die es sich wohl in diesem Blatte handelt. »Einmal« ist nur wie ein Appetitbrötchen vor dem Diner. Nun da das Mehr anscheinend über die Kräfte des Prinzen von Wales geht, so wird das Diner eben von einem anderen bestritten werden (s. Beilage). Das letztere ist die unausgesprochene Philosophie dieses Blattes. Newton war der derbsten einer, seiner robusten Kraft entsprach stets die unverblümteste Deutlichkeit; er hat noch zahlreiche Blätter in diesem Stil gemacht. Isaac Cruikshanc ist gleich deutlich bei der Behandlung des entgegengesetzten Motives. Das zeigt das Blatt » Oh che boccone!« – vergeblich harren beide Ehegatten der ersehnten Wirkung des reichlich genossenen Stimulansmittels (Bild 279). Ein anonymer Künstler parodiert das Wort »Moses in den Binsen«. Moses ist aber unterdessen etwas älter geworden, und darum weiß man jetzt auch etwas anderes von diesem Aufenthalte zu erzählen (Bild 249). Zugleich unzweideutig zynischer Weise sind andere Motive jener Zeit parodiert worden, z. B. die Darstellung der fünf Sinne (Bild 229) zeigt, wie man es liebte, »Das Gefühl« darzustellen. Natürlich wurden auch die vielen Unglücksfälle des täglichen Lebens derart ausgenützt. Beispiel ist Bild 263. Was Rowlandson jedoch in Blättern wie »Weihnachtsscherze« (Bild 274) zeigt, ist freilich das wirkliche Leben.
Das, was wir bis jetzt vorgeführt und besprochen haben, sind durchweg Dokumente, in denen sich die normale, naturgemäße Sinnlichkeit spiegelte. Die Laster und Verbrechen der Sinnlichkeit, die Perversitäten des Geschlechtstriebes, vor allem das Hauptlaster der Engländer seit alten Zeiten, die Flagellomanie, haben gewiß nicht in so starkem Maße Karikaturen provoziert, aber sie haben gleichwohl einen bezeichnend deutlichen Ausdruck in der Karikatur gefunden, und wenn derartige Blätter auch heute zu den seltensten gehören, so sind deren seinerzeit doch nicht gerade wenige erschienen. Gillray hat z. B. mehrere direkte Karikaturen auf die Flagellation gemacht, eine derselben findet man bei Pisanus Fraxi reproduziert, er hat aber auch noch außerdem die Flagellation symbolisch, als satirisches Mittel in seinen politischen Karikaturen angewandt.
Eine direkte Karikatur auf die Flagellation zeigt ein anonymes Blatt, das wir hier reproduzieren. Das Original entbehrt jeder textlichen Anmerkung, so daß man den Urheber nur vermuten kann, die Zeit des Erscheinens läßt sich dagegen aus dem Papier, und der Technik ziemlich sicher in die Periode von 1790-1800 verlegen. Man könnte das Blatt »eine Szene nach der Wirklichkeit« nennen, und zwar der schon ein wenig entbestialisierten Wirklichkeit, denn wie man aus der wissenschaftlichen Literatur über dieses Laster erfährt, dürfte sich die Wirklichkeit meistens wesentlich ekelhafter darstellen. Dessenungeachtet ist dieses Blatt eine sehr treffende symbolische Karikatur: die männliche Potenz entflammt erst, wenn sie durch die Rute in perverser Weise aufgepeitscht ist (Bild 253). In dieselbe Reihe gehören auch Blätter wie » Luxury« (Bild 276).
Die Zahl der englischen Karikaturen, die die Verrichtung der Notdurft zum Motiv haben, ist in dieser ganzen Periode von Anfang an ebenfalls ungeheuer, denn fast jeder Karikaturist hat solche gemacht. Von Gillray sind uns mehr als ein Dutzend bekannt, durchweg große Folioblätter, und mehrere davon zählen in die Reihe seiner angesehensten Blätter. Geradezu populär und darum auch überaus berühmt geworden ist der aus vier Demonstrationen bestehende große Kupfer » National Conveniences« (Bild 266-269). Das war für diese Zeit ein ganz wichtiges und besonders geläufiges Thema. Die Derbheit der Sitten, das völlerische Genießen, das ungeheuerliche Fressen und Saufen, und nicht zuletzt die damals noch unglaublich primitiven Einrichtungen zur Erledigung der kleinen und großen Bedürfnisse, alles das bedingte das Entstehen obszöner Witze, ja es machte diesen Stoff sogar ganz natürlich zu einem bevorzugten Motiv des humoristisch-satirischen Lachens. Man ist z. B. auf einer Reise in der Postkutsche. Die nächste Station ist noch drei oder vier Stunden entfernt, kein Mensch kann aber so lange warten, der Natur den Tribut zu zahlen. Als daher die Postkutsche vor einer Anhöhe einen Augenblick halten muß, um die Pferde ein wenig verschnaufen zu lassen, benützt selbstverständlich jedes diese günstige Gelegenheit. Und Rowlandson findet in dieser erfreulichen Eintracht den köstlichsten Vorwand zum Lachen. Er zeichnet wie groß und klein, Herr und Knecht, Männlein und Weiblein, mit samt den wackeren Pferden und den fröhlichen vierbeinigen Begleitern in holdester Eintracht dieses Geschäft erledigen; natürlich jedes mit der Wichtigkeit einer Haupt- und Staatsaktion. Aber das war eben natürlich und unumgänglich ein öffentliches Verfahren gewesen, also lachte man auch harmlos, wenn auch aus vollen Backen, über solche Witze. Daß die Obszönität häufig dadurch zum satirischen Hilfsmittel bei allen möglichen politischen Karikaturen wurde, ist ganz erklärlich. Als Beleg dafür geben wir die groteske Karikatur » Rainy Weather Master Noah – or the Invaders up to their B–ch in Bussiness« (Bild 272). Auf diese einfache Weise gedenkt England der im Jahre 1804 angedrohten französischen Invasion Herr zu werden. Denselben Witz hat man noch bei zahlreich ähnlichen Gelegenheiten gemacht.
Dieses selbe Thema ist begreiflicherweise auch erotisch ausgenützt worden, und man kann sagen, in keinem Land und zu keiner Zeit so schwelgerisch als wie in England im 18. Jahrhundert. Man findet für diese Behauptung die reichsten Belege. Die Motive sind an sich einfach, gar nicht kompliziert und sämtlich auf den einen Grundton gestimmt: die günstigste Gelegenheit zur Befriedigung erotischer Neugier für beide Geschlechter. Bei einer Landpartie hat sich z. B. eine junge Lady für einen Augenblick hinter eine Hecke geflüchtet. Die sämtlichen männlichen Teilnehmer der Partie wissen diese Gelegenheit zu nützen, denn die Umstände, dichte Büsche auf der einen, ein hoher Bretterzaun auf der anderen Seite, sind ihren Absichten verlockend günstig. Und jeder kommt in seiner Weise zu der Überzeugung, daß ihre Begleiterin tatsächlich eine tadellose Venus ist, denn um ihr elegantes Kleid vor jeder Gefahr zu bewahren, rafft es die vorsichtige Lady so hoch wie möglich, und außerdem wird durch die gebückte Stellung der schöne Busen völlig aus dem nur leicht geschlossenen Mieder herausgedrängt. Also nicht eine einzige Intimität des schönen Körpers ist somit den neugierigen Blicken entzogen. Das Gegenstück zu dieser Karikatur ist: Eine junge Lady sitzt hinter den geschlossenen Vorhängen ihres auf die Landstraße hinausgehenden Zimmers. Der Zufall will es, daß ein des Weges kommender stiernackiger Landmann keinen besseren Ort zur Befriedigung seiner Notdurft findet als den Straßengraben dicht vor dem Fenster. Die junge Lady kann ihre Neugierde ebenfalls nicht bändigen, und sie greift rasch zum Lorgnon. Aber ihre erotische Neugierde wird bitter bestraft. Es kommt ihr überzeugend zur Erkenntnis, daß Seine Lordschaft, die neben ihr im Lehnstuhle rhythmisch schnarcht, »doch nicht über alle Vorzüge eines Mannes verfügt«. Dieses Grundmotiv verstand man immer und immer wieder in ähnlich grotesker Weise zu variieren. In diesen Dokumenten haben wir die derbste Note der englischen erotischen Karikatur …
Daß die sämtlichen Blätter, die hier vorgeführt und beschrieben worden sind, Dokumente der öffentlichen Sittlichkeit sind, darin ist gar kein Zweifel, und der Beweis dafür ist ebenso kurz wie bündig. Fast alle hier beschriebenen und reproduzierten Blätter sind öffentlich erschienen; in den meisten Fällen mit genauester Angabe des Verlegers, des Zeichners, und was man anderwärts sonst nicht findet, auch des Tages des Erscheinens. Das heißt: sie entsprachen genau den gesetzlichen Vorschriften. Alle diese Blätter wurden auch öffentlich auf den Straßen ausgeboten oder lagen offen vor aller Welt in den Schaufenstern, so daß sie auch von allen denjenigen genossen werden konnten, denen der Preis zu teuer war oder die kein Geld für den Ankauf von Karikaturen ausgaben. In welcher Weise aber diese Karikaturenläden stets das allgemeinste Interesse wachgerufen haben, das erhellt daraus, daß sie unausgesetzt von Massen Schaulustiger umlagert waren. Dutzend Berichte aus der Zeit melden das; im ersten Bande der »Karikatur der europäischen Völker« finden sich zwei derartige Berichte abgedruckt. Gewiß wurde nicht alles, was erschien, gutgeheißen, sehr vieles wurde von der öffentlichen Meinung oder von Teilen derselben als gemein und schamlos bezeichnet. Aber wie weit die Grenzen des Erlaubten von der herrschenden öffentlichen Sittlichkeit gesteckt waren, das erfährt man gerade am deutlichsten aus den Zurückweisungen dessen, was als schamlos angesehen wurde. Denn man erfährt dadurch indirekt, was als nicht schamlos, sondern als zulässig angesehen wurde. Solche Zurückweisungen finden wir z. B. in mehreren Notizen von »London und Paris«, Deutschlands angesehenster Revue jener Zeit. Dort lesen wir aus der Feder des ständigen Londoner Korrespondenten des Blattes, daß in London sehr viel Unfläterei öffentlich bei den Karikaturenhändlern erscheine, und wir erfahren weiter, daß nur die Firmen Ackermann, Fores und Mrs. Humphrey eine rühmliche Ausnahme machen. Mit der Beantwortung der Frage, was bei diesen rühmlichen Ausnahmen erschienen ist, ist natürlich alles klargelegt – nun, in diesen drei Verlagsgeschäften erschien die Mehrzahl der Blätter, die hier in diesem Kapitel reproduziert sind! Mrs. Humphrey war die Verlegerin all der kühnen Blätter Gillrays, Ackermann und Fores waren die berühmten Verleger Rowlandsons!
*
Aber damit ist dieses Kapitel noch nicht vollständig. Es liegt auf der Hand, daß in einer Zeit, in der die robuste Sinnlichkeit derart kräftig pulsierte, daß die von ihr formulierten Gesetze der öffentlichen Sittlichkeit Blätter wie die seither beschriebenen als durchaus zulässig bezeichnen, die Sinnlichkeit sich nicht nur innerhalb der gezogenen Grenzen bewegte: Sie mußte mit innerer Notwendigkeit ständig darüber hinaus drängen. Am so mehr, da nur wenige Schritte noch zu machen waren, um zur direkten und unverhüllten Darstellung des Geschlechtsaktes zu führen. Diese Schritte wurden täglich gemacht. Gewiß erschienen diese Blätter, die das Intimste völlig unverhüllt darstellten, nicht offiziell öffentlich, also nicht mit genauer Angabe des Künstlers und des Verlegers. Aber ihr Handel war ein öffentliches Geheimnis, demgegenüber die Justiz nicht nur ein, sondern beide Augen zudrückte.
Wir begnügen uns mit der Nennung zweier Namen; derer, die auf diesem Gebiete wirklich Künstlerisches geschaffen haben. Der erste ist selbstverständlich Rowlandson, der zweite ist im Nahmen dieser Arbeit noch nicht genannt: Morland.
Rowlandson hat Hunderte von Karikaturen dieser Art gemacht, und man muß sagen, daß hier seine Kraft und seine Phantasie ihre höchsten Spitzen erklommen hat. Zahlreiche dieser Karikaturen waren Aquarelle, die einzeln in den Handel kamen, aber die meisten wurden doch als Kupferstiche verbreitet. Von den letzteren sind, wie oben schon erwähnt wurde, vor kurzem fünfzig Blätter in modernen Reproduktionen erschienen. Diese Blätter offenbaren ebenso charakteristisch den großen Künstler wie die schöpferische und zugleich unerschöpfliche Phantasie Rowlandsons. Gerade an der Hand dieser Blätter ist von dem Künstler Rowlandson nicht mit Unrecht gesagt worden, daß er hier eine Reihe von Bewegungen geschaffen habe, wie es in gleich verblüffender Einfachheit, Richtigkeit und Großstiligkeit von wenigen erreicht worden ist. Ähnliches gilt vom Stofflichen. Stofflich ist hier alles dargestellt: Verführung, Ehebruch, Rache des Verratenen, Vergeltung, Überraschung, Lustspielszenen, Komödien, aber auch Tragödienstoffe. Und stets die Sache selbst in naturalistischer Deutlichkeit und ohne jede Verhüllung. Es ist wie wenn der Teufel die Dächer abgedeckt und die Wände durchsichtig gemacht hätte, so daß der Beschauer Zeuge des Intimsten wird. Während im Vorderzimmer der alte pendantische Gelehrte der wissenschaftlichen Spekulation lebt und nach überirdischen Paradiesen forscht, gewährt im Nebenzimmer seine von ihm ob seinen Spekulationen vernachlässigte junge Frau einem kecken Hausfreunde den Anblick und die Freuden des irdischen Paradieses. Auf einem anderen Kupfer ist es die liebeshungrige Gattin eines Gichtigen, die sich auf die gleiche Weise über die Entbehrungen ihrer verpfuschten Ehe hinweghilft. Auf einem dritten Blatte verabschiedet sich ein junger Jagdgehilfe aufs feurigste von der ihm nichts verweigernden Zofe. Wieder auf anderen Blättern überrascht der Vater oder der Hintergangene Gatte die Liebenden in nicht mißzudeutender Situation, oder muß aus irgendwelchem Grunde mit zusammengebissenen Zähnen Zeuge der Schmach sein, die ihm angetan wird usw. Neben solchen Blättern stehen ebenso viele tolle Phantasiegebilde. Groteske erotische Scherze, Orgien usw., die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben (Bild 237), aber darum noch mehr die ganze Kühnheit des erotischen Wirklichkeitssinnes offenbaren, der jenes Geschlecht durchflutet haben muß.
Und in diesem Umstande vor allem ruht die Hauptbedeutung all dieser Blätter. Einzeln wie in ihrer Gesamtheit sind sie ein einziger rauschender und glühender Hymnus auf die Wollust, auf das sinnliche Genießen, freilich auf das gesunde und rückenmarkskräftige – und das ist schließlich ihre Rechtfertigung. Vielleicht das Tiefste, was Rowlandson auf diesem Gebiete geschaffen hat, ist eine Kirchhofszene. Während eine Trauergemeinde unter der Führung eines Priesters einen Toten zu Grabe geleitet, vergnügt sich hinter der kleinen Friedhofskirche der junge Totengräber mit einer liebesdurstigen, mannbaren Maid: Das Leben, das auf den Gräbern tanzt. Denn was die Gräber bergen, das sind für Rowlandson nicht Menschen, sondern Begriffe des Geschlechtes: Phallische Abbildungen und entsprechende Inschriften auf den Grabsteinen künden dies. Es ist höchster Zynismus, der sich hier manifestiert, aber es ist doch groß durch seinen Grundgedanken, der das ganze Blatt beherrscht. Dieser Kupfer befindet sich nicht unter den genannten fünfzig Reproduktionen.
Und nun Morland! Welcher Morland? Nun, kein anderer als der berühmte Morland, der Maler des ländlichen Glückes, der zärtlichen Mütter, der ländlichen Schlichtheit, kurz: der englische Romantiker des 18. Jahrhunderts. Der Maler der keuschesten Glückseligkeit, bei dessen berühmten und von den Sammlern geschätzten Bildern man glauben könnte, die Menschen kommen als Engel vom Himmel herabgestiegen und werden nicht in sinnlicher Umarmung gezeugt, er rückt direkt neben den kühnen, immer zügellos dahinstürmenden Erotiker Rowlandson – und gibt diesem nichts nach. An Umfang der erotischen Schöpfungen erreicht er seinen Freund allerdings nicht, dafür übertrifft er ihn an Raffinement.
Toutes les femmes sont enchantées de cettes grosses machines. Dies Wort soll, wie schon gesagt, am treffendsten die robuste Sinnlichkeit der Töchter Albions im 18. Jahrhundert kennzeichnen – es scheint, daß Morland den zeichnerischen Kommentar zu diesem
Satze liefern wollte, denn es ist das Thema fast sämtlicher erotischen Bilder, die uns von seiner Hand zu Gesicht gekommen sind: Die Überzeugungskraft, die eine solche Beweisführung für alle Frauen hat, die ungeteilte Aufmerksamkeit, die sie ausnahmslos allen derartigen Demonstrationen entgegenbringen. Freilich nicht alles, was Morland an erotischen Bildern gemacht hat, gehört hierher, sogar nur das wenigste. Seine erotische Spezialität war die Illustration erotischer Romane. Aber das, was hierher gehört, zählt zum Bezeichnendsten, es sind das z. B. die Blätter: » Dr. Slop or Labour in Vain«, » Whim in Kings Place« und » St. Preux and Eloisa in the Dairy«. Dr. Slop ist eine humoristisch-satirische Darstellung der vergeblichen Anstrengungen eines korpulenten Herrn, eine junge Frau zu umarmen. » Whim in King Place« zeigt eine kühn ausschweifende, grotesk aufgefaßte Flagellationsszene, und » St. Preux and Eloisa in the Dairy« ist eine humoristisch-satirische Behandlung der bekannten Verführungsszene in Rousseaus Neuer Heloise. Ebenso gehört hierher eine kühne Illustration zu Rousseaus Bekenntnissen: »Rousseau und Frau von Warren«. Rousseaus Naturphilosophie besteht in einer imponierenden Potenz. Dem Studium dieser Philosophie widmet sich Frau von Warren mit allem Eifer und geht mit Verständnis auf alle Launen ihres Lehrers ein.
Nun glaube man aber ja nicht, daß es sich in diesen Sachen etwa um das flüchtige Werk einer momentanen, ausgelassenen Laune handelt, die selbst die ernstesten Künstler hin und wieder zu solchen erotischen Extratouren verleitete. Gewiß nicht. In solchen Augenblicken macht ein Künstler kühne Skizzen, wie sie z. B. ein Toulouse-Lautrec im Café zu Hunderten gemacht hat, aber er schafft keine vollendeten Kunstwerke. Morlands erotische Schöpfungen aber sind ohne Ausnahme vollendete technische Kunstwerke. Mit derselben minutiösen Peinlichkeit, derselben Delikatesse, derselben Mühe und Sorgfalt, die seine berühmten kolorierten Kupfer auszeichnen, sind seine sämtlichen erotischen Blätter behandelt. Sie zählen daher ohne Ausnahme zum technisch Vollendetsten, was die erotische Kunst aufweist. Sie sind auch nicht zum Privatvergnügen eines einzelnen gemacht worden, sondern sie sind für den Handel bestimmt gewesen. Freilich gingen sie ohne Namen hinaus, aber der Kenner wußte auf den ersten Blick, welche Hand dies gemacht hat. Auch handelte es sich bei Morland nicht um eine rein sachliche Bewältigung des Stoffes, wie etwa bei einem Rembrandt, sondern direkt um das Erotische einer Situation und um eine laszive Wirkung auf den Beschauer. Das ist nicht uninteressant, denn es erschließt den Charakter Morlands und kommentiert indirekt seine ernsten Werke. Dadurch aber ist es ein neuer und wertvoller Beleg für die wichtige Tatsache, daß das Lasziv-Erotische seine Hauptvertreter nicht unter jenen Künstlern hat, die den Mut haben, offen vor aller Welt das Recht auf Sinnlichkeit zu proklamieren und jubelnd zu ihrer leuchtenden Fahne zu stehen, sondern vielmehr unter jenen, die offiziell für Zucht und Sitte schwärmen und von keuscher Sittsamkeit triefen wie eine Klostersau vom Fett.