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1789-1820
Daß in der erotischen Schmutzflut, die sich durch das Bett der alten feudalen Gesellschaft wälzte, schließlich nicht alles gesunde Leben erstickte, sondern daß noch eine Kraftentfaltung daraus hervorging, wie die neuere Geschichte eine zweite nicht kennt, ist auf den ersten Blick mehr als seltsam und erstaunlich und bringt vor allem die landläufige Formel, daß sinnliche Ausschweifungen eine Nation stets zum Untergange führen, bedenklich ins Wanken. Um so mehr als eine Reihe der stärksten Erotiker des Ancien régime in den umwälzenden Kämpfen der französischen Revolution den bedeutsamsten und fruchtbarsten Anteil hatten; es sei als Beispiele nur an Mirabeau und Danton erinnert. Aber diese Erscheinung ist eben nur auf den ersten Blick seltsam, sie erklärt sich restlos aus der ökonomischen Bedingnis der großen französischen Revolution. Die sittliche Korruption, unter der das Ancien régime seinem Ende zutrieb, war nicht, wie irrtümlicherweise so häufig geglaubt wird, die entscheidende Ursache, daß der französische Feudalstaat seine Herrschaft an die Bourgeoisie abtreten mußte. Dagegen war es ein historisches Schicksal, daß die Subsistenzmittel, welche die neue, die bürgerliche Zeit dem Feudalismus so lange als Tribut zahlen mußte, als der Bourgeoisie die Kraft noch fehlte, die Staatsgewalt an sich zu reißen, dem Feudalismus nicht nur nicht neue Lebenskraft verliehen, sondern im Gegenteil die Ursache für ihn wurden, ihn zur gleichen Zeit in sich und durch sich selbst moralisch zu zerstören, in der er im gleichen Schritte politisch überwunden wurde.
Nur solange als man sich über dieses Wesen der Sache im unklaren ist, reimt es sich absolut nicht zusammen, wie eine Zeit wahnwitzigster Ausschweifungen von einer Zeit der elementarsten politischen und sozialen Kraftentfaltung abgelöst werden konnte. Ist man sich aber über die eben genannten inneren Zusammenhänge klar, so muß man sogar schließlich so weit kommen, auch in der Wildheit der Erotik, die die Zeit vor dem Ausbruche der französischen Revolution beherrschte, nur ein stützendes Argument für die gigantischen Kräfte zu erblicken, die die bürgerliche Gesellschaft ins Dasein geleiteten, die dieser somit eigen waren. Wenn diese Kräfte auch erst durch die Revolution politisch wirksam wurden, so erfüllten und durchfluteten sie doch lange zuvor den gesamten gesellschaftlichen Organismus und manifestierten sich schöpferisch. Denn was eben nur unhistorisch denkende Köpfe übersehen können, aber auch stets übersehen, das ist, daß die französische Revolution nicht erst vom 14. Juli 1789 an datiert. Sie setzte schon fast ein halbes Jahrhundert früher ein, und in dieser ganzen Zeit bereitete sich das Titanenhafte vor, das vom Jahre 1789 an greifbare, politische Wirklichkeit wurde. Diese Vorbereitung ist aber kein abstrakter, von der physischen Erscheinung Mensch trennbarer Begriff. Die Kräfte, die durch die sich vorbereitende neue Gesellschaftsordnung geboren wurden, machten das Geschlecht, das zu ihrem Erfüller werden sollte, naturnotwendig zuerst zu starken sinnlichen Naturen, sozusagen zu Ausnahmemenschen an sinnlicher Potenz.
Aus diesem Umstand ergibt sich freilich auch gleichzeitig, daß die erotische Expansion während der Revolution selbst nicht nachließ, sondern eine stehende Erscheinung blieb, ja sogar auf wesentlich breitere Volksschichten sich ausdehnte. Das für uns in Frage kommende Ergebnis hiervon ist, daß auch ihr satirischer Reflex mindestens auf derselben Höhe sich weiterbewegte, allerdings von einer wesentlich anderen Tendenz erfüllt und bestimmt, wie seither.
*
Als die Zeit wieder mit mächtigen Atemzügen genaß und sich in wilden Gewaltkuren regenerierte, da zerbrach alsbald das Rokoko als Kunstform, wie seine zarten Porzellanfigürchen, wenn sie durch Zufall in ungeschlachte Hände kamen. Des Lebens berstender und vulkanischer Inhalt war mit der rosafarbenen Grazie und der duftigen Harmonie des Rokoko nicht mehr zu fassen. Harter, spröder Stahl mußte an die Stelle des Porzellans treten.
Diesen stählernen Geist, aus dem der letzte Rest von Grazie ausgeschieden war und dem keine Spur von Mitleid innewohnte, offenbarten zuerst die berühmten Pamphlete, die in bunter Folge gegen den Adel, die hohe Geistlichkeit und das Königtum erschienen. Die erste Hochflut von Pamphleten setzte mit dem Halsbandprozeß ein, der eigentlich der Prozeß der Königin war, und durch den sie tatsächlich den letzten schäbigen Rest von Sympathie bei den Massen einbüßte. Diese Tatsache illustrieren sehr deutlich die endlos vielen Pamphlete, die dieser Prozeß zeitigte, – jede Etappe brachte neue hervor – und die turbulenten Straßenszenen, die sich beim Erscheinen dieser Libelles abspielten. Nicht selten balgte man sich förmlich auf den Straßen um den früheren Besitz eines Exemplars. Die Kolporteure lasen den Inhalt laut den Umstehenden an den Straßenecken vor. Am lautesten und ständigsten wurde diese anklägerische Ware in der Nähe des Schlosses, ja direkt unter den Fenstern der Königin ausgeschrien. Das gilt natürlich nicht nur von den Pamphleten, die der Halsbandprozeß zeitigte, sondern von sämtlichen. Und bei jeder Gelegenheit erschienen solche. Die Mehrzahl strotzte von Bosheit und heimtückischen Verleumdungen. Aber das ist noch immer das unvermeidliche Echo der Unfreiheit gewesen. Als Beleg, wie wenig zurückhaltend die Sprache selbst in den zahmeren und in den frühesten Publikationen war, seien folgende zwei Zitate aus einem dieser Pamphlete angeführt. Es trägt den Titel » Porte-Feuille d'un Talon rouge«. Als Druckort ist angegeben » A Paris de l'Imprimerie du Comte de Paradès« und als Druckjahr L'an 178*. Die Druckschrift dürfte ums Jahr 1782 oder 1783 erschienen sein. Ueber den intimen Verkehr zwischen der Königin und dem Grafen von Artois wird vor allem viel getuschelt. Der Pamphletist verstärkt diese Gerüchte durch die folgende harmlos-boshafte Schilderung:
» Le comte d'Artois, partout où il se trouvait, se mettait à son aise. La reine de son côté se delivrait, autant qu'elle pouvait, de toute étiquette de cour, qu'alors elle regardait comme très inutile à son rang, et dont les Souveraines ne croyent avoir besoin que lorsquelles commencent à veillir. Le château de Marly lui plaisait infiniment. Les bosquets de Cithère n'eurent rien de si delicieux que les jardins et le parc de cette maison de Plaisance. En 1774, la cour y établit son sejour. Les promenades nocturnes étaient un des grands plaisirs de la reine. Dans les belles nuits de l'été elle aimait, bientôt avec un petit cortége, tantôt seule, tantôt avec le comte d'Artois, à courir et à s'égarer dans les sombres et fraiches allées de ce parc.«
Die Königin soll intrigant sein und ein großes Vergnügen am Aussprechen lasziver Zweideutigkeiten haben – »sagt man«. Der Pamphletist gibt eine zynische Unterhaltung der Königin mit ihrem Bruder, dem Erzherzog von Österreich, der auf Besuch am Pariser Hofe weilt. Dieses Gespräch, das bei einem Hofballe stattfand und bei dem die Königin jede Dame zynisch-gemein vor ihrem Bruder Revue passieren ließ, würde das on dit zweifellos bestätigen, wenn es authentisch wäre. Der Pamphletist schreibt:
» Il passe pour certain que ce tut dans ces petits comités et en plein bal qu'elle signala à son frère l'archiduc la plupart des dames de sa cour. Ne dansant pas, et ayant son frère auprès d'elle, elle lui montra d'abord la duchesse de Chatillon. Cette dame, lui dit-elle, en veut tons les hommes. Louis XV l'eut pendant quinze jours et l'a renvoyée, parce qu'elle est indiscrète et drop vigoureuse. Voyez comment elle a les yeux fixés sur le bouton de culotte de tous ces jeunes seigneurs, et comment, à mesure qu'elle les regarde, son visage s'embrase …«
In dieser Weise werden etwa ein Dutzend der anwesenden Damen charakterisiert, und darunter die berühmtesten Namen Frankreichs.
Das ist die Tonart der Pamphlete gegen den Hof bereits zehn Jahre vor dem Ausbruche der Revolution! Man sieht deutlich, daß der Grundton immer erotisch ist. Je mehr man sich der Revolution näherte, um so mehr nahm die Zahl der Pamphlete und auch die Deutlichkeit und Wildheit der Sprache zu. Die Sprache überschlug sich förmlich, denn es waren ja Vermögen zu verdienen, wenn ein Pamphlet besonderen Beifall fand. Schließlich als die Revolution eingesetzt hatte, gab es gar keine Schranke mehr. Man höre nur einige Titel der vielen gegen Marie Antoinette erschienenen Pamphlete: »Die französische Messalina oder die Nächte der Herzogin von Polignac«, »Die Liebesraserei Marie Antoinettes, der Frau Ludwigs XVI.«, »Das Privatleben und die Sittenlosigkeit Marie Antoinettes«, »Ländliche Szenen aus Trianon«, »Letzte Seufzer der heulenden Dirne« usw. Von den verschiedenen gegen Marie Antoinette gerichteten Pamphleten hatte, wie verschiedene Berichte melden, die Gedicht- und Epigrammensammlung » Etrennes aux Fouteurs ou calendrier des trois sexes« einen besonders starken Erfolg. Diese Sammlung wurde in kurzer Zeit mehrfach neu aufgelegt. Bekannt sind eine Ausgabe – die erste – aus dem Jahre 1790, eine zweite von 1792 und eine dritte von 1793. Welcher ungeheure Zynismus in diesem Pamphlet die Feder führte, das offenbart gleich das ebenfalls in Versform gehaltene Préface; es kennzeichnet den Gesamtinhalt:
Depuis qu'une Autrichienne en ru,
A tout venant montre le cu;
Depuis qu'on plaça l'optimisme
Dans l'ovale humide et charnu
Qui produit notre mécanisme;
Depuis que le vit potentat
Du fier et fougueux despotisme,
Voulut foutre le Tiers Etat,
Et de son foutre scélérat
Inonder le patriotisme;
Depuis que nos représentants
Foutent partout bêtes et gens;
Depuis que la France est foutue
Par ses incestueux enfants,
Et par la pine corrompue
D'un étranger toujours bandant,
Qui malgré de son éloignement,
La fout encor moralement;
On ne parle plus que de foutre;
Chacun le sème, et chacun outre
La matière du sentiment.
Mais par bonheur, dit la satire,
Qu'il s'en perd plus, verbalement,
Que du canal vivifiant
Par le quel tout ce qui respire
Obtient la vie et le plaisir.
Auteurs qui ne savez que dire,
Occupez donc votre loisir
A disséquer chaque manière
Où, par devant et par derrière,
Le mortel le plus vigoureux
S'épuise en épuisant ses feux.
Mais, convaincu, plus que personne,
Que dans cet art charmant, la meilleure leçon
C'est la nature qui la donne,
Je condamne mon Apollon
A retracer dans le mystère
Des faits récemment arrivés
Tant a Sodome qu'a Cythère;
On en lira de controuvés.
Ceux qui crîront à l'imposture,
Je leur dirai d'un ton gaillard,
Que leur siècle est assez paillard
Pour offrir plus tôt que plus tard
Ce qui fait naître leur murmure.
Et mes détracteurs conviendront
Qu'on ne mérite point d'affront,
Pour anticiper l'aventure.
Um das Interesse und die Nachfrage nach Möglichkeit zu steigern, gingen die Pamphletisten sehr bald dazu über, ihre Heftchen noch obendrein mit Illustrationen zu zieren. Natürlich wurden mit Vorliebe erotische Kupfer beigegeben, sei es in Form von Titelbildern, sei es als Textillustrationen. Auf einem solchen Titelbilde, das uns vorliegt, ist z. B. Marie Antoinette dargestellt, wie sie kniend vor dem Grafen von Artois verzückt dessen männliche Eigenschaften prüft.
Gegenüber dem Adel und der Geistlichkeit war man in der Pamphletliteratur selbstverständlich auch nicht dezenter. Das beweist schon eine einzige Probe. Auf den Klerus erschien im Jahre 1790 – natürlich neben vielen anderen – unter dem Titel » La Ressource du Clergé« das folgende zynische Spottgedicht:
Malgré nos chiens et notre Dieu,
Nous n'avons plus ni feu ni lieu,
C'est ce que nous désole;
Mais si nos ongles sont rognés,
Les nobles sont découillonés:
C'est ce qui nous console.
Nous n'aurons plus de l'Opéra
Femmes, Filles, et caetera,
C'est ce qui nous désole;
Mais nous aurons encore le choix
Parmi les femmes du bourgeois:
C'est ce qui nous console.
Au surplus, si faute d'écus,
Tous nos soupirs sont superflus,
Faut-il qu'on se désole?
Le con fait-il seul decharger?
Non, le cul peut le remplacer:
C'est ce qui nous console.
Lorsque l'on parle du clergé,
Et que l'on dit qu'il est rasé,
C'est ce qui le désole;
Mais qu'on en glose impunément,
Il lui reste le fondement;
C'est ce qui le console.
Das Gedicht war zu singen nach einer damals wohl populären Melodie: » C'est ce qui me console«.
Außer diesen gegen bestimmte Stände gerichteten Spottschriften erschien eine ebenso große Zahl, die rein erotisch waren, sich also nur mit erotischen Gegenständen beschäftigten, die hundert Genüsse der Wollust auf ebensoviel Arten verherrlichten. Und wie es im Wesen der Sache liegt, natürlich durchweg grotesk übertreibend.
Daß diese Pamphlete nicht in den königlich privilegierten Druckereien erschienen, sondern meistens im geheimen gedruckt wurden, liegt auf der Hand. Dieses wird bestätigt teils durch das häufige Fehlen der Verlagsangabe, teils durch die noch häufigeren fingierten Verlagsangaben, wie z. B. Rome oder Amsterdam; auf dem Titelblatte der Etrennes aux Fouteurs liest man: » A Sodome et à Cythère«. Aber wenn auch der angegebene Druckort fingiert war, so war absolut zutreffend das, was noch weiter darauf zu lesen war: » et se trouvent plus qu'ailleurs dans la Poche de ceux qui le condamnent.« Es ist ferner eine den tatsächlichen Verhältnissen durchaus entsprechende Angabe, wenn man auf den Titelblättern all dieser Pamphlete die Bemerkung findet: à trouver chez tous les marchands de nouveautés. Daß man alle diese Produkte jederzeit bei sämtlichen Budikern des Palais Royal – oder des Palais Egalité, wie es später hieß, – offen kaufen konnte, weiter, daß diese Dinge, die in unseren Augen Ungeheuerlichkeiten darstellen, offen zum Kauf ausgeboten wurden, das wird durch zahlreiche einwandfreie Zeugen belegt. Aus alledem ergibt sich nicht nur die Eigenart der allgemeinen Moralauffassung zur Evidenz, sondern ebenso deutlich auch die völlige Ohnmacht der Monarchie schon zu der Zeit, als sie noch offiziell mit der Macht bekleidet war. Sie mußte aufs zynischste ihrer spotten lassen.
Denselben brutalen und mitleidslosen Geist atmete bald auch die gesamte Karikatur; in den skrupellosesten Formen löste sich hier der jahrzehntelang angesammelte Haß gegen den Absolutismus aus. Die erotische Karikatur entbehrte unter diesen Umständen natürlich gänzlich der Grazie und der Pikanterie, der erotischen Stimulans, die ihr unter dem Ancien régime eigen waren; sie ist jetzt nur die kühnste und die wildeste Form des Angriffes.
Die Rolle der erotischen Karikatur während der großen französischen Revolution ist eine ganz außerordentliche. Es ist einer der wichtigsten Teile in der Rekonstruktion des satirischen Gesamtbildes dieser Zeit; ebenso wichtig wie die erotische Karikatur im Rahmen der im vorigen Kapitel geschilderten englischen Karikatur des 18. Jahrhunderts. Wir haben über diesen Punkt jedoch bereits eingehender im ersten Bande der »Karikatur der europäischen Völker« gesprochen und verweisen darum auf das dort Gesagte (S. 198 ff.).
An der Spitze der während der ersten Zeit der Revolution erschienenen erotischen Karikaturen stehen die auf Marie Antoinette und Ludwig XVI. Aber diese sämtlichen Blätter sind heute von ganz außerordentlicher Seltenheit. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Bekanntlich sind alle mit der großen französischen Revolution im Zusammenhange stehenden Stücke stets geschätzte Sammelartikel gewesen, denn die Revolution war immer ein Hauptgebiet der internationalen Sammelwut. Am begierigsten war man natürlich auf solche Stücke, die sich auf die Hauptpersonen dieses Dramas bezogen und diese wiederum in einer Weise glossierten, wie dies für andere Zeiten ganz undenkbar ist. Schon darum kamen gerade die erotischen Karikaturen auf den Hof mehr wie andere in »feste Hände« und wurden sehr bald selten. Aber die Zahl der vorhandenen Stücke war hier auch geringer als sonst auf einem Gebiet. Anfangs wohl nicht, aber die Jagd, die nach der Revolution von den verschiedenen Restaurationen gerade auf diese Stücke gemacht wurde, hat sehr stark aufgeräumt. Alles, was man später in den Archiven, Kabinetten, Akten und in den öffentlichen Sammlungen an erotischen Karikaturen und Pamphleten auf das Königtum fand, wurde unbarmherzig vernichtet. Den Einwand, daß man es auch in solchen Blättern mit historischen Dokumenten zu tun hat, erkannte die Restauration nicht an. Diese Blätter galten ihr nur als »die fortzeugende Sünde«, die ähnliches wieder gebären könnte, und darum tilgte man sie aus, wo und wann man ihrer habhaft wurde. Man muß diese reaktionäre Vernichtungswut als Historiker sehr bedauern, aber man muß den Regierungen Ludwigs XVIII. und Karls X. den Milderungsgrund zubilligen, daß man, wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, in zahlreichen Fällen heute noch genau so verfährt. Durch diesen Vernichtungskrieg mag nicht nur manches, sondern wohl vieles völlig verschwunden sein; vielleicht sogar das Bezeichnendste. Immerhin reicht das Erhaltene dennoch aus, uns einen ungefähren Begriff von der wilden Tonart, die geherrscht hat, zu geben.
Mit dem Halsbandprozeß begann die erste Hochflut an Karikaturen. Und alle offenbaren die gehässige Stimmung, die gegen Marie Antoinette herrschte, und die vom Adel, der sich durch die Klage gegen den Kardinal Rohan verletzt fühlte, aufs heftigste geschürt wurde. Außerdem ist die Mehrzahl, wenigstens beweisen dies die Blätter, die wir zu Gesicht bekommen haben, in irgendeiner Form mehr oder weniger zynisch. Direkt erotisch ist das anonyme Blatt, das man »Bei der Lektüre des Prozeßberichtes« nennen könnte. Marie Antoinette liest morgens in ihrem Bette den »Prozeßbericht«, sie ist ganz schmerzzerflossen über die zutage kommende Tölpelhaftigkeit ihrer Vermittler. »Ach, wenn sie Rohans herrliches Diamanthalsband so billig hätte haben können! Alle Rosen hätten ihm gewunken, und er hätte sie auch brechen dürfen!« Bekanntlich hat die falsche Marie Antoinette dem Bischof Rohan als Zeichen ihres Einverständnisses mit einer Rose zugenickt. Die lüsterne Pose, in der sich Marie Antoinette auf dem Bette wälzt, und die Art, wie sie ihre intimen Reize dadurch enthüllt, läßt deutlich den erotisch-satirischen Sinn erkennen. Zwei Karikaturen, » Plaisirs champêtres« und » Fêtes champêtres«, die sichtlich an das oben zitierte Pamphlet »Ländliche Szenen aus Trianon« anknüpfen, stammen wohl aus derselben Zeit. Sie sollen das Leben im Trianon illustrieren, wie Marie Antoinette mit ihrem Schwager, dem Grafen von Artois, »Heloise und St. Preux« spielte. Ludwig XVI. ist als gehörntes Hündchen verblüffter Zuschauer der ebenso eindeutigen wie stürmischen Unterhaltungen der beiden. Aus den Anfängen der Revolution stammen die beiden folgenden erotischen Karikaturen: » Ma Constitution« und » Dernière Bénédiction donnée à Mr. Necker«. Das erste Blatt zeigt den General Lafayette auf den Knien vor der unzüchtig entblößten Marie Antoinette. Das, worauf Lafayettes rechte Land weist, das ist die Konstitution, auf die der politische »Einfaltspinsel zweier Welten«, wie Napoleon diesen Hanswurst der Freiheit treffend charakterisierte, schwört. Diese Karikatur bezieht sich vermutlich auf die Intrigen, zu denen sich Lafayette mit der Königin gegen den Grafen von Artois im ersten Jahre der Revolution verschwor (Bild 284). Das zweite Blatt zeigt eine ähnliche Situation und bezieht sich auf das angebliche Angebot Neckers, der Königin zwei Millionen seines Vermögens zur Bezahlung ihrer Schulden zu schenken. Der Karikaturist setzt die Annahme dieses Angebotes voraus und demonstrierte nun, wie Marie Antoinette Monsieur Necker »auf ihre Weise«, wie der Haß höhnte, den Dank abstattet. Necker ist eben im Begriff, die ihm bewilligte Gunst zu genießen. Der Graf von Artois, Antoinettes Hauptgläubiger, ist Zeuge dieser Szene und gibt Herrn Necker zu seinem Beginnen » la Dernière Bénédiction«, denn er kommt ja dadurch zu seinem Gelde. Diese beiden Blätter stammen zweifellos von demselben Künstler, beide sind in Schabkunstmanier durchgeführt und verraten noch deutlich die Hand eines Rokokokünstlers. An die Auffindung des geheimen eisernen Schrankes in den Tuilerien, der auch den Verrat Mirabeaus an den Hof enthüllte, knüpfte sich eine erotische Karikatur, die man »den Kontrakt« nennen könnte. Marie Antoinette führt die Verhandlungen mit dem mächtigen Volkstribunen, d. h. sie hat ihm eben die Summe ausgezahlt, für die er sich an den Hof verkauft hat. Mirabeau ist nun dabei, den Empfang des Geldes zu bescheinigen – auf einem Ruhebett in den Armen Marie Antoinettes. Mirabeau hat sich aber bei dieser Gelegenheit der Königin als ein solcher Herkules geoffenbart, daß sie ihn – noch um eine zweite, gleich deutliche Quittung bittet und um diese Wiederholung mit allen ihren Reizen in verführerischer Weise buhlt. Eine nicht minder zynische erotische Karikatur als die bis jetzt beschriebenen ist » Les deux amies«, sie bezieht sich auf die viel verlästerte Freundschaft zwischen Marie Antoinette und der ihrer perversen Ausschweifungen halber berüchtigten Fürstin von Polignac und behandelt denselben Gegenstand, wie das ebenfalls schon genannte Pamphlet »Die französische Messalina oder die Nächte der Herzogin von Polignac«. Grotesk pervers, nämlich geradezu sadistisch, ist das Blatt » Ah maudite liberté tu me fout en Cul, au moins mets y de la Pommade«. Der angeblich frühere Liebhaber der Königin, der Graf von Artois, ist abgedankt, an seine Stelle tritt la liberté, die eben im Begriff ist, die Königin sadistisch zu vergewaltigen. Zynischer und ungeheuerlicher ist die Rache und Selbstbefriedigung der Freiheit am Königtume wohl nicht dargestellt worden, als auf diesem Blatt.
Marie Antoinette, die Österreicherin, war am meisten gehaßt, darum richteten sich gegen sie auch die heftigsten Angriffe. Man kann sagen: viel gehässigere als gegen Ludwig XVI. Aber auch dieser figurierte in der erotischen Karikatur, und zwar nicht nur passiv, als der Gehörnte und der komische Zeuge seines Schicksals, sondern auch aktiv. Als Vergewaltiger der Gerechtigkeit satirisiert ihn das Blatt » La Justice aux abois«. Von der Natur ungeheuerlich ausgestattet, ist Ludwig XVI. eben im Begriffe, die ihm hilflos preisgegebene Gerechtigkeit, die bereits in den letzten Zügen liegt – ihre Wage ist zerbrochen, und das Schwert droht ihrer matten Hand zu entsinken – zu vergewaltigen. Vermutlich bezieht sich dieses Blatt auf das parteiische Verhalten des Königs im Halsbandprozeß. Ebenfalls eine Vergewaltigungsszene zeigt das Blatt » Monsieur Veto a foutu le tiers état«. Monsieur Veto, denn so nannte man bekanntlich Ludwig XVI., weil er das Vetorecht gegenüber den Beschlüssen der Generalstaaten hatte, wird dargestellt, wie er versucht, ein junges hübsches Weib, das die Menschenrechte in der Hand hält und dadurch den dritten Stand symbolisiert, zu vergewaltigen; die Hofaristokratie, eine wüste, aufgeputzte Vettel mit ekelhaften Hängebrüsten, spielt dabei die hilfsbereite Kuppelmutter. Dieses Blatt ist eine Karikatur auf Ludwigs Versuche, im Bunde mit dem Adel hinterrücks den dritten Stand wieder um seine revolutionären Errungenschaften zu bringen. Zu den allerkräftigsten Karikaturen der französischen Revolution gehört das obszöne Blatt » Bombardement de tous les Trônes de l'Europe et la chute des Tyrans pour le bonheur l'Univers«. Kategorisch fordert die Republik von Ludwig XVI.: Rends tous! und gehorsam gibt Ludwig alle seine Vorrechte zugunsten der siegreichen Revolution von sich. Noch derber ist die Attacke der Nationalversammlung gegen die koalierten Monarchen von Europa (Bild 286). In die gleiche Reihe gehört das Blatt » Dernières Concessions de Louis XVI à la Liberté« aus dem Jahre 1792. Die Monarchen von Österreich und Rußland empören sich über die nach ihrer Ansicht schmachvolle Unterwürfigkeit, zu der sich Ludwig XVI. gegenüber der siegreichen Revolution herbeiläßt. Katharina II. flucht: eher möge sie der Teufel holen, als daß sie nicht mit einem Tritt in den Hinteren dem Volke diente, und der Kaiser von Österreich will mit Kanonen antworten. Nun, diese Antwort an sein Volk hat Ludwig XVI. auch im Schilde geführt. Zum Pech für ihn – denn es kostete ihn Krone und Kopf, – aber zum Wohle des französischen Volkes sind die Kanonen der koalierten europäischen Reaktion im Dreck der Champagne stecken geblieben, und die bramarbasierenden Großmäuler mußten sich kläglich heimwärts trollen. Georg III. sah das trotz seines beschränkten Verstandes voraus – das englische Volk hatte dem englischen Königtume seinerzeit zu überzeugend Dialektik eingepaukt! – und so war der Rat, den er Ludwig XVI. gab, doch der klügere: lieber zur Abwechslung das zu tun, was seitdem immer die Könige von ihrem Volke verlangt hatten. Dieses Bild soll in seiner ersten Form englischen Ursprunges gewesen sein (Bild 287). Die Koalition des monarchischen Europa hat noch mehrere erotische Karikaturen gezeitigt; die ungeheuerlichste wohl auf Katharina II. unter dem Titel » Repas de Cathérine«. Dieses Blatt wird folgendermaßen beschrieben:
» On y voit l'impératrice seule à table. D'un côté quelques cosaques lui présentent les membres sanglant des Suédois, des Polonais, et des Turcs, qu'ils viennent d'égorger. De l'autre, des jeunes hommes nus, sont rangés, comme des tonneaux sur un cellier. Une vieille matrone par une opération onanique, falt jaillier dans les airs les liquides humains, tire de ces Futailles vivantes une liqueur, qu'elle reçoit dans une coupe, et l'offre à boire à Cathérine. On lit au bas de cette caricature atroce des vers, qui en sont dignes, et qu'on ne peut traduire un peu décemment que de cette façon. ›Puisque tu aimes tant les hommes, mange leur chair, et bois le plus pur de leur sang.‹«
Erotische Karikaturen auf die Geistlichkeit und den Adel aus der Revolution sind weniger selten, es sind deren sicher auch viel mehr erschienen, und zwar schon aus dem einen Grunde, weil Adel und Geistlichkeit während des ganzen Verlaufes der Revolution eine aktive Rolle im öffentlichen und politischen Leben gespielt haben. Inhaltlich sind sich alle sehr ähnlich, es handelt sich bei den meisten um zynisch-satirische Kommentare zu den allgemein und laut kolportierten Geschichten der geistlichen und adeligen Ausschweifungen. Die Kirche war lange Zeit derart gehaßt, daß die Vorstellung ihrer Diener gleichbedeutend mit Unzüchtigkeit war; anders, denn »liebend«, stellte man diese daher überhaupt nicht dar. Es sind verschiedene Serien erschienen, die ausschließlich die Ausschweifungen der Mönche und der galanten Abbés zum Gegenstande hatten. So z. B. haben wir eine Serie gesehen, die unter dem Titel » Chapitre des Cordeliers« erschienen ist. Es sind das sechs Blatt, deren jedes eine andere Programmnummer aus dem Repertoire erotischer Ausschweifungen in grotesker Weise gesteigert zeigt: Homosexuelle Orgien zwischen den Mönchen untereinander, Orgien mit Nonnen, Orgien mit eleganten Damen der Gesellschaft, grotesk-phantastische Gruppen usw. Natürlich ging nicht alles bis zu dieser äußersten Grenze, hin und wieder begnügte man sich auch mit einer bloß stark galanten Note, wie das Blatt »Die Versuchung des heiligen Antonius« illustriert (Bild 79). Aber solche Dokumente tauchten doch erst wieder in der Zeit des Niederganges der Revolution auf.
Die erotische Karikatur beschränkte sich, wie man vielleicht meinen könnte, beileibe nicht auf die Feinde der Revolution, sie kam aus allen Lagern und wurde von allen Seiten gleich zynisch-unverhüllt gehandhabt. Verhöhnte das Volk die gehaßte Österreicherin mit derben erotischen Pamphleten und Karikaturen, so hatte es in dem der Hofpartei feindlichen Adel, den Parteigängern der Rohans, der Artois usw., allezeit eifrige Bundesgenossen und Preisfechter. Andererseits unterließen es die Gegner der Revolution nicht, bei jeder Gelegenheit die saftigsten Zynismen wider die Führer der Revolution zu schleudern, die Vorbereiter der Revolution, Rousseau, Voltaire, wurden ebenso angegriffen wie z. B. Danton u. a. Eine dritte Kategorie waren diejenigen, die »über den Parteien« standen, also jene, denen eben jedes Ereignis der Revolution, jede Person eine willkommene Gelegenheit war, schmutzige Zynismen daran zu knüpfen und auf den Markt zu bringen. Aus solchem Geiste mag z. B. das Blatt » Grand débandement de l'Armée anticonstitutionelle« geboren sein, das sich auf die Niederlage der ersten europäischen Koalition wider das revolutionäre Frankreich bezieht. Wodurch werden die Österreicher und Preußen entwaffnet? Nun, die Revolutionsarmee stellt die Dirnen des Palais Royal, die berühmten Tänzerinnen usw. in die erste Reihe, und solchen Waffen gegenüber, wie diese Bundesgenossinnen der Revolution ins Feld führen, zerbricht jeder ernsthafte Widerstand. Diese Karikatur ist gewiß in erster Linie eine Verhöhnung der europäischen reaktionären Koalition, aber doch zugleich auch eine Infamierung des revolutionären Frankreichs. Mit dem Gemeinsten hätte es sich demnach verbündet und zum Gemeinsten wurden hier die Heldinnen des Volkes, wie z. B. die begeisterte Teroigne de Mericourt, herabgewürdigt, denn sie steht ebenfalls auf dem Bild in vorderster Reihe und dient dem Gegner auf dieselbe Weise wie die Nymphen des Palais Royal (Bild 290).
Wie bereitwillig übrigens bei jeder Gelegenheit und allerorten zu dieser Zeit zu einer ans Erotische anklingenden Note gegriffen wurde, das belegen zahlreiche satirische Dokumente Italiens, Belgiens und Hollands; als einziges Beispiel sei auf den Kupfer »Der Nationalkonvent in Geburtsnöten« hingewiesen. Ein siebenköpfiges Ungeheuer, das mit einer Konstitution für Holland, die batavische Republik, niederkommen soll und wo der Teufel Geburtshelferdienste tut (Bild 291).
Die erotischen Karikaturen sind in Paris sehr häufig serienweise erschienen, und zwar gab es Serien, die bis zu vierzig und fünfzig Kupfern umfaßten. Welch häufig gehandelter und verlangter Artikel derartige erotische Ware gewesen sein muß, erhellt auch daraus, daß die meisten erotischen Darstellungen, ob ernst oder karikaturistisch, im Laufe der Zeit in den verschiedensten Formaten vom Groß-Quart bis herab zum Klein-Oktav auf den Markt gekommen sind, d. h. jedes erotische Bild wurde, da es doch keinen Eigentumsschutz gab, von den verschiedensten Stechern nachgestochen.
So zahlreich die direkt persönlichen Karikaturen in dieser Zeit gewesen sind, und so wenig führende oder vielgenannte Personen der Revolution es gab, die nicht zu irgendeiner erotischen Karikatur als Anlaß gedient hätten, so überwiegen trotz alledem unter den erotischen Karikaturen die allgemeinen, die nicht direkt persönlichen. Und gerade daran wird der Reichtum an solchen Stücken deutlich offenbar. Verschiedene erotische Motive genossen besonderen Beifall, was ihre immer wiederkehrende Wiederholung erweist. Ein derartiges Motiv war z. B. der Regen der Danae. Die Quelle, aus der sich der Regen ergießt, ist hier sichtbar. Aus den Wolken ragt ein riesiger Phallus hervor, unten auf der Erde aber reckt Danae in wollüstigen Zuckungen ihren Schoß dem ersehnten Tau entgegen, der gleich einem gewaltigen Gewitterregen aus den Wolken auf sie niederfällt. Ein ebenfalls ziemlich häufig angewandtes erotisches Motiv war auch die Komposition von Köpfen und Typen in der schon aus der Renaissance von der Karikatur des Bischofs Giovio bekannten Manier. Diese teils aus phallischen Attributen, teils aus nackten Menschen in erotischen Kombinationen zusammengestellten Bilder nannte man gewöhnlich Portraits d'après nature (Bild 288). In dieser Weise wurde auch eine Reihe direkt persönlicher Karikaturen entworfen. Und zwar sowohl von zeitgenössischen wie von bereits geschichtlichen Größen, die in dieser Weise noch nachträglich »glorifiziert« wurden. Geschichtliche Größen, die in dieser Weise dargestellt wurden, sind besonders Voltaire und Rousseau gewesen (Bild 218 und 225). Als der Halsbandprozeß ganz Paris in Aufruhr versetzte, sind die Hauptbeteiligten, der Kardinal Rohan, der Übertölpelte, und die schöne Betrügerin, die zynische Gräfin Lamothe, alsbald in dieser Weise der breiten Öffentlichkeit vorgestellt worden (Bild 283 und 289). Aber nicht nur sie, sondern auch die Königin und der König und später eine ganze Reihe zeitgenössischer Persönlichkeiten, so z. B. der Graf von Artois, der Herzog von Orleans, der Herzog von Lauzun, Danton, Mirabeau und verschiedene andere. Die Gerechtigkeit, die auch die zynischen Fabrikanten dieser »Photographien« für sich beanspruchen können, erheischt freilich das Geständnis, daß wenn Personen wie der Graf von Artois und Mirabeau als phallische Spottgeburten symbolisiert wurden, dies der Wirklichkeit in der Tat sehr nahe kam. An dieser Stelle muß noch eine auffällige Erscheinung hervorgehoben werden, die auch durch das noch zu besprechende erotische Bilderwerk des Vivan Denon augenfällig illustriert wird, und das ist das Vorherrschen des Phallischen in der französischen Revolution. Man schwelgte wieder förmlich in der Verwendung und Darstellung des Phallus. Dadurch unterscheidet sich dieses Zeitalter ganz markant von dem des Ancien régime, das seine Bravour in allererster Linie in der Entschleierung und Darstellung der weiblichen intimen Reize fand. Auch das groteske Element spielt wieder eine größere Rolle. Es wäre kurzsichtig, zu übersehen, daß sich auch darin sehr auffällig der Unterschied im Wesen dieser beiden Epochen dokumentiert; daß es bei allem stinkenden Schmutz und Schlamm, in den dieses Gebaren in der Revolution getaucht war, doch die Kraft war, die hier zeugte und wirkte, und daß unsichtbare Fäden zur Renaissance zurückführen, und nicht nur zu dieser, sondern zu allen schließlich nach vorwärts und oben führenden Wendepunkten in der Geschichte.
Einige Worte müssen auch dem Obszönen gewidmet werden. »Wir sch… auf alle Privilegien des Adels, der Geistlichkeit, der Krone« – so proklamierten die in gärendem Aufruhr ihrer Menschenwürde sich bewußt werdenden, aus den Niederungen der Vertiertheit, in die sie der Absolutismus gezwungen hatte, sich emporringenden Massen. Das ist derb, brutal, roh, gemein, aber bei Geburten duftet es eben niemals nach Lavendelöl, und besonders dann nicht, wenn die ganze Menschheit im Kreißen ist. Es wäre geradezu unverständlich, wenn man in der Form des Bildes in der man mit Vorliebe zu den Massen sprach, feinfühliger und darum weniger derb gewesen wäre. Man war es natürlich nicht, und es wäre darum eine leichte Aufgabe für den Sammler und Kenner, dutzend Dokumente hier vorzuführen in der Art der Blätter » Bref du Pape en 1791« und » Liberta« (Bild 292 und 293).
Die erotischen Spielereien des Ancien régime, die Ziehbilder, Lichtbilder, Vexierbilder usw., müssen in der Revolution zu wahren Markenartikeln geworden sein, die auf Weg und Steg gehandelt wurden. Jedoch ist auch hier ein Unterschied gegenüber den Zeiten des Ancien régime. In demselben Maß, in dem die Grazie des Rokoko aus diesen Darstellungen verschwand, im selben Maße nahm der karikaturistische und der satirische Charakter zu. Zur Charakteristik dieses Genres genügen zwei Beispiele. Vor einem Kreuze, das an einer Landstraße steht, kniet ein Mönch und verrichtet andächtig sein Gebet. Sobald man das Bild gegen das Licht hält, zeigt sich, daß dem andächtigen Mönche der Rücken einer ebenso andächtig betenden, schönen, jungen Nonne als Betpult dient. Die Andacht der beiden wird dadurch nicht im geringsten unterbrochen, daß der kräftige Mönch der vor ihm knienden und von ihm bis über die Hüften entblößten jungen Nonne zur gleichen Zeit seine Huldigungen darbringt. Ein anderes Lichtbild zeigt einen segenspendenden Mönch. Gegen das Licht gehalten, erkennt man, daß er seine Hände über eine junge Frau ausbreitet, die ganz überwältigt von dem Segen ist, mit dem der Mönch von der gütigen Mutter Natur bedacht ist, und den ihr eine schamlose Entblößung offenbart. In diesem Stil ist alles.
Waren die erotischen Karikaturen mit wenigen Ausnahmen künstlerisch von untergeordnetem Werte, roh im Entwurf und ebenso ungeschlacht in der Ausführung, so fehlte doch die ausgesprochen künstlerische Note in der erotischen Karikatur der französischen Revolution keineswegs. Ein solches künstlerisches Dokument ist z. B. die erotische Orgie, die wir als Beilage geben; das Original ist ein großes Gemälde, dessen Schöpfer wir aber nicht festzustellen vermochten: In den prunkenden Festsälen der Vergangenheit tobt die neue Zeit zügellos ihre entfesselten Kräfte aus! In der Hauptgruppe links erkennt man deutlich Danton. Der künstlerische Wert muß ebenso unbedingt dem Oeuvre Priapique von Vivan Denon, das 1793 erschien, zugesprochen werden. Denon war Hofmaler Ludwigs XVI., die Republik hat ihn zum obersten Leiter der Kunstsammlungen der Nation erhoben, und Napoleon hat ihn später unter dem Titel eines Generalinspektors der kaiserlichen Museen mit der ertragreichen Aufgabe betraut, in den eroberten Ländern diejenigen Kunstschätze auszusuchen, die nach Paris ins Louvre überführt werden sollten. Auf diese öffentliche Stellung Denons unter dem Ancien régime und unter der Republik muß mit besonderem Nachdrucke hingewiesen werden, denn sie illustriert indirekt die damaligen Auffassungen in Fragen der öffentlichen Sittlichkeit. Diese offizielle Stellung brauchte nämlich Denon gar nicht zu verhindern, im Jahre 1793 offen unter seinem Namen das genannte priapische Radierwerk herauszugeben. Von welcher Kühnheit dasselbe war, das demonstrieren die Proben, die wir hier daraus vorführen. Wie die kühnste Illustration zu Gullivers Reisen mutet die Darstellung eines Riesenphallus an, der von einer Menge Schaulustiger umgeben ist. Was gibt es auch Interessanteres auf der Welt? Staunend bewundern Männlein und Weiblein von Liliput die Riesendimensionen dieses Naturwunders; die Neugierde der Weiblein ist am pikantesten, denn die Neugierde der Männer geht aufs Ganze, die der Frauen aber aufs Besondere. Ähnlich grotesk ist »Der König der Könige«. Das ist natürlich »Er« – seinem Willen und seinen Launen ist ein jeder Diener und Knecht –, das ist die satirische Pointe (Bild 285). Die dreizehnte Arbeit des Herkules demonstriert noch deutlicher die erotische Expansion, die die ganze Zeit erfüllte. Die Kraft des Herkules, die Schöpferkraft, die sich dem Ungeheuersten gewachsen zeigt, ist wieder das Entscheidende, die Zeit hatte wieder Muskeln und Lenden, und sogar nur Opfer zu sein, ist in dieser Zeit Ruhm und Verdienst (Bild 88). Ein anderes Bild parodiert eine Himmelfahrt. Gen Himmel trägt nicht mehr mystische Phantasie, sondern die stürmische Erfüllung der Sinnlichkeit, hundert Amoretten singen verzückte Melodien und treiben mit den Symbolen der überwundenen überirdischen Liebe tausendfältigen tollen Schabernack. Diese Radierungen sind erst einzeln erschienen, und zwar einige noch in den Jahren vor der Revolution, je turbulenter aber sich die Revolution erfüllte, um so kühner wurden die Motive Denons. Diese Entwicklung läßt sich deutlich verfolgen, und das ist wichtig, denn auch darin haben wir, wie schon oben angedeutet, ein Zeugnis von dem inneren Zusammenhange der erotischen Expansion und der allgemeinen schöpferischen Kraft, die die bürgerliche Gesellschaftsordnung in Europa auf ihre soliden Beine stellte. Dieser Zusammenhang wird um so augenscheinlicher, wenn man dieselbe Beobachtung bei der gesamten erotischen Karikatur der französischen Revolution macht. Und diese Beobachtung drängt sich ganz unabweisbar auf. –
Napoleon hat dem schmutzigen Taumel, in den das Direktorium schließlich ausartete, ein Ende bereitet. Er hat die wüste, übersättigte Gemeinheit, die wieder tonangebend wurde, als die historische Aufgabe der Revolution erfüllt war, zwar nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet, wie seine Lobredner sagen, aber zum mindesten von der Straße verbannt. Die Werke des de Sade wurden von neuem verboten, und ihr Verfasser wanderte zwar nicht mehr ins Gefängnis, aber ins Irrenhaus. Napoleon tat diese Augiasarbeit im wohlverstandenen Eigeninteresse, denn sie war die Vorbedingung seiner Herrschaft. Zu Tugendbolden hat er die Franzosen freilich dadurch nicht erzogen und Paris auch nicht zu einem Tugendheim gemacht. Was die polizeilich geregelte öffentliche Sittlichkeit unter dem Kaiserreich als erlaubt und zulässig an erotischer Karikatur gestattete, zeigen »Die Zufälle der Jagd« (Bild 302), »Die alte Kokette« (Bild 296), » Le suprême Bonbon«, » Les Glaces«, »Die Orangenhändlerin«, die indezenten »Windstöße« und ähnliches (Bild 294, 295 und 297). Daß das gar so sehr harmlos gewesen wäre, könnte man wirklich nicht sagen, denn nur dem völlig Naiven kann der zynische Doppelsinn, der jedem dieser Blätter eigen ist, entgehen. Aber alles das war doch wesentlich zahmer als das, was unter dem Direktorium den Markt beherrschte.
Die Karikaturen auf Napoleon, seine Gattin Josephine und seine Generäle sind auch häufig erotisch oder behandeln erotische Motive. Wenn irgendeine der vielen Debauchen Napoleons in die Öffentlichkeit drang, so säumte der satirische Witz meistens nicht lange, das, was die Fama über die Gassen trug, möglichst naturalistisch nachzubilden. Als Beispiel sei an jenes Vorkommnis aus dem Jahre 1810 erinnert. Napoleon hatte damals intime Beziehungen zu der Schauspielerin Mademoiselle Georges. Bei einem zärtlichen Tête-à-tête in den Tuilerien passierte es nun, daß Napoleon plötzlich ohnmächtig wurde. Entsetzt ob dieses Ereignisses griff die zärtliche Freundin Napoleons nach der Glockenschnur, ohne an den kostümlosen Zustand zu denken, in dem sowohl sie als auch der Kaiser sich befanden. Im nächsten Augenblick erschien die Kaiserin unter der Türe. Diese Situation hat der satirische Witz naturgetreu nachgebildet. Solche und ähnliche Blätter gibt es eine ganze Reihe. Weiter gibt es solche, die sich auf die Tröstungen beziehen, die sich Madame Josephine außerhalb des kaiserlichen Schlafgemaches, und wenn ihr Gatte auf Feldzügen abwesend war, von Freunden und früheren Liebhabern zuteil werden ließ. Die meisten Bonapartes, die männlichen und die weiblichen, boten der Skandalchronik bekanntlich ebenfalls dankbaren Stoff, der fast ohne Ausnahme nicht weniger eifrig aufgegriffen wurde. Das gleiche gilt von Napoleons Beratern und Generälen, dem nicht seltenen Frauentausch unter ihnen, den galanten Eroberungen in Feindeslande, denen sehr wenige abhold waren. Wir kennen derartige Blätter über die Beziehungen des Staatskanzlers Cambacérès mit Madame Guizot, über Tayllerands »Diplomatenkniffe« im Alkoven zärtlicher Freundinnen, Muratsche »Reiterattacken« usw. Selbstverständlich erschienen alle diese Blätter ausnahmslos anonym und unter der Hand; im geheimen hergestellt und ebenso geheim verbreitet, denn Napoleon, der sogar von der englischen Regierung die Bestrafung der gegen ihn agitierenden englischen Karikaturisten forderte, hätte mit den inländischen Kommentatoren seines und seiner Familie intimen Lebens wahrlich nicht viel Federlesens gemacht. Bis zum Jahre 1814 wagte sich der satirische Witz in Frankreich niemals offen wider ihn zutage. Das änderte sich erst, als er von seiner Höhe herabsteigen mußte. Aus dieser Zeit stammte auch das illustrierte obszöne Wortspiel » Serment de Ney« (Bild 299). Diese Karikatur bezieht sich auf den Treueschwur, den Ney, »der Brävste der Braven«, nach Napoleons Rückkehr von Elba von neuem dem wieder aufsteigenden kaiserlichen Adler leistete.
Die Grazie und die Anmut sind, wie man aus diesen Blättern sieht, natürlich nicht zurückgekehrt; naturgemäß nicht, das eherne, säbelklirrende Frankreich des Kaiserreiches war der Anmut und Grazie ebenso feind wie die Revolution. Aber die erotische Karikatur enthält doch schon wieder deutlich die Nuancen, die sie zum Stimulansmittel machen. Und diese Nuancen wurden um so stärker, das Satirisch-Aggressive dagegen um so gedämpfter, je mehr die Ermüdung im Gefolge der furchtbaren Gewaltkuren der Revolution und des Kaiserreiches das gesamte öffentliche Leben herabstimmte.
*
Deutschland. Obgleich die Revolution in Deutschland ausschließlich in den Wolkenhöhen der Philosophie und der Dichtung ihre Schlachten geschlagen hat, so haben diese Kämpfe doch Formen gezeitigt, daß ein etwas sonderbarer Mut dazu gehören würde, wenn man behaupten wollte: nur die gallische Sünde stinke gen Himmel, der teutonische Dreck dagegen mute bloß etwas würzig an. Geradezu klassische Zeugnisse für die derb-deutliche Sprache dieser Zeit liefern vor allem die literarischen Fehden. Welch rüder Ton in den literarischen Fehden der Sturm- und Drangperiode zuweilen angeschlagen wurde, dafür ist das in Sammlerkreisen sehr gesuchte Pamphlet »Doktor Bahrdt mit der eisernen Stirn, oder die deutsche Union gegen Zimmermann« aus dem Jahre 1790 der beste Beweis. Dieses Pamphlet richtete sich in erster Linie gegen den Führer der deutschen Aufklärung im 18. Jahrhundert, gegen Karl Friedrich Bahrdt, weiter gegen den Hogarth-Kommentator Lichtenberg, den Epigrammatiker Kästner, den Buchhändler Nicolai usw. Das Pamphlet ist in der Form eines Theaterstückes gehalten, und der Schauplatz desselben ist der Bahrdtsche Weinberg bei Halle, auf dem Bahrdt seine vielbesuchte Wirtschaft betrieb, um den weiteren Verfolgungen und Schikanierungen als Universitätslehrer sich zu entziehen. Der Bahrdtsche Weinberg ist als ein Bordell bezeichnet. Der erste Auftritt setzt gleich würdig des Ganzen ein. Bahrdt philosophiert in Form eines Monologes ärgerlich und vergrämt über die Genüsse seines verflossenen Lebens:
»O, damals waren noch glückliche Zeiten, als ich früh um 11 Uhr, wenn meine Kollegia aus waren, mir ein Tuch vorband, in die Küche ging und meine Saucen, Schmelzungen usw. selbst machte. Ein delikater Tisch. Am Ende des Jahres hatte ich nicht mehr als 300 Taler Schulden. – Das brillanteste Haus in Erfurt war das –. Sie war die Geliebte des –. Ich war Liebling des Hauses, wo höchste Frechheit beim höchsten Luxus herrschte. Sie ging mit ihren schönen Brüsten halb nackend. Wenn ich kam, küßte sie mich und hielt mir die bloßen Brüste zum Sattküssen hin. Das tat sie auch mehreren …«
Im zweiten Aufzug erreicht die Schilderung an phallischer Schmutzerei den Höhepunkt. Der Schauplatz, mit dem der zweite Akt einsetzt, wird vom Autor folgendermaßen beschrieben:
»Der Schauplatz ist in Bahrdts Garten. Es sieht daselbst aus wie im Elysium (s. Fontenelle, Totengespräche), wo Kato und Sokrates sich unter die Laïs und Phrynen mischen. Der kleine, geile Mondkorrespondent Lichtenberg liegt im Graben und liest einer Nymphe die Experimentalphysik, welche aber seinen Vortrag sehr trocken findet. Hier verfolgt der keusche Kästner, den die herunterhängenden Beinkleider am Laufen hindern, eine fliehende Schöne und wiehert ihr nach: ›Daphne! Daphne! fliehe nicht deinem Apoll!‹ Dort demonstriert der gute Biester dem wohlgezogenen Gedike, was griechische Liebe sei. Hier stolpert der blinde Ebeling über einen Maulwurfshügel, und fällt mit der Nase gerade auf den Mittelpunkt des unbescheiden entblößten Hinterteiles des bescheidenen und uneigennützigen Campe, welcher eben beschäftigt ist, einer lieben Tochter uneigennützige väterliche Ratschläge zu erteilen. Dort windet sich, gleich einer Kupferschlange, der Zopf eines Predigers aus dem Grase hervor, indessen seine kühne Hand, gewöhnt den Vorhang von der Ewigkeit aufzuziehen (s. die eitle Titelvignette von seiner Sittenlehre für alle Stände), sich mit Hinwegräumung eines gewissen anderen Vorhanges beschäftigt. Hier macht der artige Klockenbring, am Abhang eines Hügels, die wichtigsten Fortschritte in den Mysterien der Bordellpolizei, und dort hält der Heerführer Nicolai, welcher alles weiß, alles besser weiß, und alles am besten weiß, eine Vorlesung über die Freuden der Liebe, beklagt die Blattläuse, welche sie ganz entbehren müssen, und beneidet die Schalentiere, welche sie doppelt genießen. Die Nymphen des Haines, welche ihn umgeben, wenden endlich dieser Blattlaus mit Hohngelächter den Rücken und fliehen zu den Schalentieren Trapp und Boje, welche im Dunkel eines Tannengebüsches mit ihnen verschwinden. Monsieur Liserin ergießt eine Flut von Süßigkeiten über ein hübsches Judenmädchen, welchem er Heiratsvorschläge tut, unter der Bedingung, daß sie eine Jüdin bleiben soll. Seine schwimmenden, wässerigen, wollüstigen Augen, seine markigten Gliedmaßen und sein philosophisches Geschwätz, wodurch die Weiber sich für erstaunlich erleuchtet halten, machen, daß man seine übrige Schulmeistergestalt vergißt. Auch ist er hier vor Goethen und dem Pater Prey in Sicherheit. Der kleine tapfere Mauvillon sitzt, vom Siegen müde, unter dem Rocke seiner Besiegten und atmet Wohlgerüche ein. Das Chor wälzt sich in bunten Gruppen.«
In solch ekelhafter, zum Erbrechen reizender Weise bekämpften sich literarische Gegner noch am Ausgange des 18. Jahrhunderts! Nicht das Uninteressanteste an der Sache ist der Name des Verfassers dieses zotologischen Pamphletes, es ist niemand anders als Kotzebue.
Dieses Pamphlet ist aber noch nach einer anderen Richtung interessant, es zeigt, aus welchem Schlamm es galt, die deutsche Nation herauszuholen. Natürlich darf nicht verschwiegen sein, daß auch unsere Klassiker um eine Derbheit nicht verlegen waren, wenn es einen Hieb zu parieren galt. Als 1775 der aufgeblasene Nicolai mit der Spottschrift »Die Freuden des jungen Werthers« Goethes Leiden des jungen Werthers zu parodieren suchte, und zwar in der ausgesprochenen Absicht, Goethe und sein Werk lächerlich zu machen, da war Goethe alsbald mit der folgenden Epistel » Nicolai aus Werthers Grabe« zur Hand:
Ein junger Mann, ich weiß nicht wie,
Starb einst an Hypochondrie
Und ward auch so begraben.
Da kam ein starker Geist herbei.
Der hatte seinen Stänkrig frei,
Wie ihn so Leute haben.
Er setzt gemächlich sich aufs Grab
Und legt sein reinlich Häuflein ab,
Beschauet freundlich seinen Dreck,
Geht wohler atmend wieder weg
Und spricht zu sich bedächtiglich:
»Der gute Mann, wie hat sich der verdorben,
Hätt' er geschissen so wie ich,
Er wäre nicht gestorben.«
Diese saftige Abfuhr ist freilich durchaus gerechtfertigt, wenn man erwägt, daß die Nicolaische Parodie absolut nicht von dem höheren Gesichtspunkt ausging, die hochgespannte Pathetik, die Goethes Werk im Gefolge hatte, durch befreiendes Lachen auszulösen.
Wie urkräftig unsere Klassiker in der Erotik waren, dafür gibt es bei jedem der trefflichen Proben eine Menge. Man denke z. B. nur an Goethe, an dessen vielfach unterschlagenen vier römischen Elegien. Und nicht nur der junge Goethe hat in eindeutigster Erotik behaglich geschwelgt, selbst noch der alternde. Noch der sechzigjährige Goethe hat »Das Tagebuch« gedichtet. Welch prachtvoll kühne Stellen enthält dieses immer und immer wieder verheimlichte und abgeleugnete Meisterwerk! Der Gedanke des Opus ist: Goethe kehrt auf der Reise in einem Gasthof ein und erlebt das erhabene Liebeswunder, daß ein schönes, wundersüßes und reines Geschöpf von Goethes erstem Anblicke bezwungen wird und sich ihm, als die Nacht herniedersank, liebeglühend in die Arme warf. Aber das Schicksal hat so seine Grillen –
… So schließt sie mich an ihre süßen Brüste,
Als ob ihr nur an meiner Brust behage,
Und wie ich Mund und Aug' und Stirne küßte,
So war ich doch in wunderbarer Lage:
Denn der so hitzig sonst den Meister spielet,
Weicht schülerhaft zurück und abgekühlet.
Ihr scheint ein süßes Wort, ein Kuß zu g'nügen,
Als wär' es alles, was ihr Herz begehrte.
Wie keusch sie mir, mit liebevollem Fügen,
Des süßen Körpers Fülleform gewährte!
Entzückt und froh in allen ihren Zügen
Und ruhig dann, als wenn sie nichts entbehrte.
So ruht' ich auch, gefällig sie beschauend,
Noch auf den Meister hoffend und vertrauend.
Doch als ich länger mein Geschick bedachte,
Von tausend Flüchen mir die Seele kochte,
Mich selbst verwünschend, grinsend mich belachte,
Nichts besser ward, wie ich auch zaudern mochte,
Da lag sie schlafend, schöner als sie wachte;
Die Lichter dämmerten mit langem Dochte.
Der Tagesarbeit, jugendlicher Mühe
Gesellt sich gern der Schlaf und nie zu frühe.
So lag sie himmlisch an bequemer Stelle,
Als wenn das Lager ihr allein gehörte,
Und an die Wand gedrückt, gequetscht zur Hölle,
Ohnmächtig jener, dem sie nichts verwehrte.
Vom Schlangenbisse fällt zunächst der Quelle
Ein Wandrer so, den schon der Durst verzehrte.
Sie atmet lieblich holdem Traum entgegen;
Er hält den Atem, sie nicht aufzuregen.
Gefaßt bei dem, was ihm noch nie begegnet,
Spricht er zu sich: »So mußt du doch erfahren.
Warum der Bräutigam sich kreuzt und segnet,
Vor Nestelknüpfen scheu sich zu bewahren.
Weit lieber da, wo's Hellebarden regnet,
Als hier im Schimpf! So war es nicht vor Jahren,
Als deine Herrin dir zum ersten Male
Vors Auge trat im prachterhellten Saale.
Da quoll dein Herz, da quollen deine Sinnen,
So daß der ganze Mensch entzückt sich regte!
Zum raschen Tanze trugst du sie von hinnen,
Die kaum der Arm und schon der Busen hegte,
Als wolltest du dir selbst sie abgewinnen;
Vervielfacht war, was sich für sie bewegte:
Verstand und Witz und alle Lebensgeister
Und rascher als die andern jener Meister.
So immerfort wuchs Neigung und Begierde,
Brautleute wurden wir im frühen Jahre,
Sie selbst des Maien schönste Blum' und Zierde;
Wie wuchs die Kraft zur Lust im jungen Paare!
Und als ich endlich sie zur Kirche führte.
Gesteh' ich's nur, vor Priester und Altare,
Vor deinem Jammerbild sogar, o Christe,
Verzeih mir's Gott, es regte sich der Iste.
Und ihr, der Brautnacht reiche Bettgehänge,
Ihr Pfühle, die ihr euch so breit erstrecktet,
Ihr Teppiche, die Lieb' und Lustgedränge
Mit euren seidnen Fittichen bedecktet!
Ihr Käfigvögel, die durch Zwitschersänge
Zu neuer Lust und nie zu früh erwecktet;
Ihr kanntet uns, von eurem Schutz umfriedet.
Teilnehmend sie, mich immer unermüdet.
Und wie wir oft sodann im Raub genossen
Nach Buhlenart des Eh'stands heil'ge Rechte,
Von reifer Saat umwogt, vom Rohr umschlossen,
An manchem Unort, wo ich's mich erfrechte,
Wir waren augenblicklich, unverdrossen
Und wiederholt bedient vom braven Knechte!
»Verfluchter Knecht, wie unerwecklich liegst du!
Und deinen Herrn ums schönste Glück betrügst du!«
Doch Meister Iste hat nun seine Grillen
Und läßt sich nicht befehlen noch verachten,
Auf einmal ist er da, und ganz im stillen
Erhebt er sich zu allen seinen Prachten …
Von Gotthold Ephraim, dem kühnen Draufgänger, lese man in den »Fabeln und Erzählungen« seinen »Eremiten«, »Das Geheimnis«, »Die Teilung« und das Köstlichste des Köstlichen »Der über uns«:
Hans Steffen stieg bei Dämmerung (und kaum
Konnt' er vor Näschigkeit die Dämmerung erwarten)
In seines Edelmannes Garten,
Und plünderte den besten Apfelbaum.
Johann und Hanne konnten kaum
Vor Liebesglut die Dämmerung erwarten
Und schlichen sich in eben diesem Garten
Von ungefähr an eben diesen Apfelbaum.
Hans Steffen, der im Winkel oben saß
Und fleißig brach und aß,
Ward mäuschenstill vor Wartung böser Dinge,
Daß seine Näscherei ihm diesmal schlecht gelinge.
Doch bald vernahm er unten Dinge,
Worüber er der Furcht vergaß,
Und immer sachte weiter aß.
Johann warf Hannen in das Gras.
»O, pfui!« rief Hanne; »welcher Spaß!
Nicht doch, Johann! – Ei was?
O, schäme dich! – Ein andermal – o lass' –
O, schäme dich! – Hier ist es naß.« – –
»Naß oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras.« –
Wie dies Gespräche weiter lief,
Das weiß ich nicht. Wer braucht's zu wissen?
Sie stunden wieder auf, und Hanne seufzte tief:
»So, schöner Herr! heißt das bloß küssen?
Das Männerherz! Kein einz'ger hat Gewissen!
Sie könnten es uns so versüßen!
Wie grausam aber müssen
Wir armen Mädchen öfters dafür büßen!
Wenn nun auch mir ein Unglück widerfährt –
Ein Kind – ich zittre – Wer ernährt
Mir dann das Kind? Kannst du es mir ernähren?«
»Ich?« sprach Johann; »Die Zeit mag's lehren.
Doch wird's auch nicht von mir ernährt,
Der über uns wird's schon ernähren.
Dem über uns vertrau!«
Dem über uns. Dies hörte Steffen.
Was, dacht' er, will das Pack mich äffen?
Der über ihnen? Ei wie schlau!
»Nein!« schrie er; »laßt euch andre Hoffnung laben!
Der über euch ist nicht so toll!
Wenn ich ein Bankbein nähren soll,
So will ich es auch selbst gedrechselt haben!«
Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
Das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
Sie auch den Apfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, daß sie's getan.
Von Wieland und Bürger ganz zu schweigen – kurz überall die gleich deutliche, die gleich strotzende Erotik. Nur impotente Schelsucht hat darüber den Stab gebrochen, in den Augen des normalen Menschen heiligte alle diese Schöpfungen der göttliche Witz, der das Stoffliche überwand.
Freilich manchmal ging der Vorwitz der Stürmer und Dränger bis zur phallischen Ungeheuerlichkeit, für die es kein Bürgerrecht in der Kunst geben kann. Dazu gehören z. B. die »Phantasien in drei priapischen Oden dargestellt und im Wettstreite verfertigt von B., V. und St. Letzterer erhielt die Dichterkrone.« Die drei priapischen Oden sind betitelt, 1. »An die Feinde des Priap« von B., 2. »An Priap« von V., 3. »Wahl meiner künftigen Gattin und ihrer Eigenschaften« von St. Die Verfasser waren niemand anders als Bürger, Voß und Stollberg – der fromme Stollberg, der später den Weg in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche fand! Und gerade er mußte es auch sein, der den Gipfel an phallischer Unanständigkeit erreichte, drum wurde ihm auch die Dichterkrone zuerteilt. Wenn dem biederen Philister solche Ausgeburten phallischer Phantasie zu Gesicht kamen, dann ist es freilich kein Wunder, daß er seine Hände vor Entsetzen über dem sittlichen Bauche faltete und rang ob der Verworfenheit der Stürmer und Dränger. Ein begründetes Recht zur Überhebung aber hatte gerade er am allerwenigsten. In den weitesten Kreisen des Bürgertumes herrschte noch immer dieselbe meinungslose Misere, dieselbe politische Indifferenz wie ehedem. Literarische Zeugnisse dieses ewig stagnierenden Sumpfes sind die Menge pornographischer Romane, die damals in Deutschland vertrieben und gelesen wurden. Gewiß waren in Preußen seit 1788 die unsittlichen Schriften dem Verdikt der Zensoren unterworfen, aber damit, daß die Sache auf dem Papier stand, war's nicht getan, denn wirklichen Eintrag taten solche Verordnungen dem schmutzigen Handel vorerst nicht. Freilich noch charakteristischer für die Spießermoral ist des Spießers tägliche Nahrung: das Läuten mit der Sauglocke, das anhub, sowie man mit dem Gevatter Handschuhmacher hinter dem Bierkruge saß. Und das von dem einen oder anderen nur unterbrochen wurde, um gelegentlich der bedienenden Kellnerin oder Wirtin verstohlen in den Hintern oder in die Waden zu zwicken. Diese geistige Kost, die immer gewürzter von Munde zu Munde ging, ist freilich bisher nie gedruckt worden, sie existiert nirgends als Literaturdenkmal, und erst neuerdings wird dieses für das Studium der Sittengeschichte so wertvolle Material durch die Arbeiten des schon in der Einleitung genannten Wiener Folkloristen Kraus der Wissenschaft erschlossen. Und tiefe Abgründe tun sich dadurch auf, besonders dort, wo angeblich die biedere Zucht und Sitte zu Hause sein wollten. Das gilt für den Spießer von heute, aber auch in gleichem Maße für den von gestern, vorgestern und ehedem. –
Wenn man nach dem Widerspiel von alledem in der Karikatur fahndet, so ist das Ergebnis ein recht einseitiges. Man findet wohl zahlreiche erotische und obszöne Karikaturen, die dem Grade der Geschmacklosigkeit entsprechen, der dem durch das Kotzebuesche Machwerk gekennzeichneten Pamphletkampf und dessen geistigem Niveau eigentümlich ist, aber wenn man nach karikaturistischen Dokumenten suchen würde, in denen ein ähnlich souveräner Geist, eine ähnliche schöpferische Urkraft dominiert, wie in den von Lessing und Goethe zitierten Werken, so würde man, solange man auch suchen würde, nie mit einer respektablen Beute heimkehren. Das heißt also: Man würde wahrscheinlich nicht eine einzige Karikatur aufzufinden vermögen, die hohe und ernste Beachtung und mehr als bloß zeitgeschichtliches Interesse beanspruchen könnte.
Erotische Karikaturen, die zeitgeschichtliches Interesse beanspruchen können und die in dieser Richtung auch ganz interessant sind, deren sind gewiß verschiedene erschienen. Zu den wichtigsten möchten wir diejenigen Blätter zählen, die sich an Friedrich Wilhelm II. und die Gräfin Lichtenau knüpfen. Dieses schmutzige Verhältnis, dessen gemeine Apotheose im Sieg über das größte Denkergenie, das Deutschland bis dahin hervorgebracht, über Kant, gipfelte, hat eine ganze Anzahl von Karikaturen gezeitigt, naturgemäß alle mehr oder minder erotisch oder obszön gefärbt. Die sittliche Tendenz ist zweifellos keinem dieser Blätter zu bestreiten, aber sowohl die satirische Pointe als auch die künstlerische Lösung ist überall höchst mittelmäßig (Bild 233). Hieran zeigt sich deutlich, daß für eine starke, lebenatmende Karikatur ein starkes, selbstbewußtes Bürgertum die Voraussetzung ist. Die Karikatur geht zwar auch in Deutschland durch die Gassen, da es aber ein selbstbewußtes Bürgertum in Deutschland damals nirgends gab, so kam es, daß der kräftige, lenzfrische Geist, der sich in die Wolkenhöhen der Dichtung und Philosophie hinaufgeschwungen hatte, und dort durch wahre Wunderwerke von seiner schöpferischen Kraft Zeugnis ablegte, unten auf der profanen Erde stumm und tatenlos blieb. Hier streckten sich ihm noch keine verlangenden Hände entgegen. Das deutsche Volk ahnte in seiner Masse noch gar nicht, daß das, was über ihm in den Lüften vorging, vor allem seine Wenigkeit anging, daß dort seine Sache, seine Streite geführt wurden.