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Der ersten Form dieser Arbeit, dem »erotischen Element in der Karikatur«, habe ich seinerzeit das folgende Vorwort vorangestellt:
»Welche außerordentliche Rolle das erotische Element in der Karikatur fast aller Kulturepochen und Völker spielt, das habe ich in verschiedenen Kapiteln meiner beiden Bände der ›Karikatur der europäischen Völker‹ gezeigt, ich habe auch dort den jeweiligen allgemeinen Kulturzusammenhang und seine historische Notwendigkeit dargelegt. Diese Ausführungen jedoch mit den bezeichnendsten Dokumenten zu illustrieren, das verbot die Absicht, den beiden Bänden die denkbar weiteste Verbreitung zu verschaffen. Dieses Ziel, das zu erreichen dem Buche bis jetzt auch in gewissem Maße gelungen ist, zwang mich zwar nicht, der Richtschnur einer prüden, perversen Moral zu folgen, wohl aber zog es selbstverständliche Linien, die zu überschreiten zum mindesten geschmacklos gewesen wäre. Etwas anderes ist es bei einer Publikation wie der vorliegenden, die von vornherein grundsätzlich alle Unberufenen ausschließt und die nur dem Forscher und den ernst Urteilenden, – was freilich nicht immer den akademischen Fachstempel voraussetzt – Material und historische Tatsachen bieten will, und darum nur in der Form eines einmaligen Privatdruckes erscheint. Eine solche Arbeit kann und muß die volle historische Wahrheit, d. h. in diesem Falle die bezeichnendsten Dokumente rückhaltlos vorführen, auch wenn diese sämtlich im Widerspruch mit unserer heute herrschenden öffentlichen Sittlichkeit stehen sollten. Das zu fordern, ist das Recht eines jeden ernsten Lesers, wie es meine Pflicht ist, es zu geben. Meine Pflicht! Das ist zu betonen: Die ernste Forschung kann sich bei einem solchen Gegenstande niemals mit der einfachen Konstatierung, dem immer subjektiven Urteil eines einzelnen Autors begnügen, sie hat das unbedingte Recht, Demonstrationen zu fordern. Die eingehendsten Referate und die pointierendsten Urteile wie: ›alle unsere modernen Begriffe übersteigend‹, ›an Kühnheit nicht zu überragen‹ usw. mögen noch so zutreffend sein, aber sie verpflichten ohne den kontrollierbaren Beweis den Verfasser zu rein gar nichts, obendrein läßt sich für den Leser daraus alles und nichts kombinieren. Nur in der Möglichkeit des eigenen Prüfens werden historische Dokumente Hilfsmittel zu immer neuen Erkenntnissen. Darum mußte ich das gewonnene und teilweise zurückbehaltene Material zugänglich machen, nachdem seine außerordentliche sittengeschichtliche Wichtigkeit sich mir kategorisch aufgedrängt hatte. Ich mußte es tun, sofern ich die Aufgabe, die mir in dem Augenblicke gestellt war, als ich es unternahm, die Geschichte der Karikatur wenn nicht zu schreiben, so doch vorzubereiten, wirklich erfüllen wollte. Diese Arbeit zu unterlassen, wäre gleichbedeutend mit gewissenloser Unterschlagung eines Teiles der allerwichtigsten Ergebnisse meines Suchens und Forschens gewesen. Nur die Form, in der die Preisgabe geschah, konnte eine Frage sein. Auf dem Markte der Öffentlichkeit hätte alle Welt das Recht, sich unkontrolliert zu Gaste zu laden, selbst die jugendliche Unreife, und das mußte ausgeschlossen werden. Ein Privatdruck schließt es aus.
Aber nicht nur aus Pflichtbewußtsein brauchte diese Arbeit hervorzugehen, sondern auch aus freier, eigenwilliger Entschließung – unter einer Voraussetzung: daß nicht schmutzige Spekulation die Auswahl des Vorzuführenden leitet. Dem Urteil der Berufenen über diesen Punkt sehe ich mit absoluter Gemütsruhe entgegen. Aber auch hinsichtlich der Tendenz, denn sittlich ist jede Tat, die in ernstem Ringen nach Erkenntnis strebt. Und in diesem Sinne nehme ich keinen Anstand, diese meine Arbeit als im höchsten Grade sittlich einzuschätzen.
Kommt das Buch durch Zufall oder Mißbrauch in die Hände eines böswilligen Ignoranten, den geistige Impotenz zu unbefangenem historischem Schauen unfähig macht, so mag dieser ja anderer Ansicht sein, aber das ist ein moralischer Defekt, der einzig ihm zur Last fällt und niemals mir. Vor solchen Zufällen sich zu schützen, gibt es keine Möglichkeit, und darum braucht es mich nicht zu beirren. –«
Da ich an den prinzipiellen Hauptsätzen dieses Vorwortes nichts zu ändern hatte, und da dieselben ebenso uneingeschränkte Geltung sowohl für die Neubearbeitung, wie für den neuen ersten Hauptteil »Das erotische Element in der ernsten Kunst« haben, so setze ich dieses frühere Vorwort unverändert auch dieser Arbeit voran und begnüge mich mit einigen kurzen Ergänzungen.
Besonders wichtig zu betonen, dünkt mir: Die im ersten Teile gegebene Analyse und Entwicklung der einzelnen historischen Epochen soll zwar für den zweiten Teil die Grundlage bilden, aber sie allein genügt nicht, weil die Karikatur dadurch im Gegensatze zur ernsten Kunst steht, daß sie stets an die einzelne Erscheinung anknüpft und dem Speziellen die charakterisierende Note prägt. Infolgedessen sind die allgemeinen Einleitungen an den einzelnen Kapiteln nicht überflüssig geworden und darum zu umgehen gewesen; die detaillierte Schilderung jeder einzelnen Epoche ist unumgänglich nötig zum Verständnis der einzelnen als Beweis dienenden Dokumente. Dabei mußte ich natürlich auch hin und wieder nochmals auf die großen Gesetze zu sprechen kommen, die die allgemeinen Tendenzen eines Zeitalters bestimmen. Aber dies geschah immer nur soweit, als dies absolut dringend nötig war; die im ersten Teil entwickelten Gedanken und Gesetze sind von mir stets als Voraussetzungen und schon gegebene Ergänzungen gedacht.
Ein anderer Punkt, aus den ich hier noch zu sprechen kommen möchte, ist der: Besonders oft ist man mit der Frage an mich herangetreten, warum ich im »erotischen Element in der Karikatur« das Erotische in der japanischen und chinesischen Kunst so stiefmütterlich behandelt hätte. Und unter den vielen Anregungen, diese Arbeit weiterzuführen, kehrte ebenso häufig die Anregung wieder, die künstlerische Erotik dieser beiden Länder doch ebenfalls eingehend zu würdigen. Warum ich das früher nicht tat, und warum ich auch jetzt diese Wünsche nicht erfülle, kann ich mit einem mir sehr sympathischen Sprichworts meiner schwäbischen Heimat, das ja auch der Sprichwörterschatz aller anderen deutschen Vaterländer aufweist, begründen: »Was der Bauer net kennt, dös frißt er net.« Und ich denke, damit ist diese Lücke auch genügend begründet. Ich will nur noch hinzusetzen, daß dies übrigens gar keine Lücke meiner Arbeit ist, denn sonst hätte ich mich an das eingehende Studium dieser Dokumente gemacht, und es wäre mir gerade hierin leicht gewesen, eine überreiche Materialfülle vorzuführen. Aber es handelt sich in meinem Werke direkt und ausschließlich um die europäische Kultur, um die künstlerischen Ausstrahlungen, die die Urfunktion der organischen Welt bei uns gefunden hat, und nicht um alles Erotische schlechthin. Ich bin zwar der Überzeugung, daß die künstlerischen erotischen Schöpfungen sowohl Japans wie Chinas wie Persiens – die letzteren sind ebenso reich – denselben letzten Gesetzen und Faktoren entspringen wie die erotische Kunst Europas, aber sie haben ihre andersartige Prägung durch Kulturbedingnisse bekommen, die mit der europäischen Kulturentwicklung nirgends zu vereinigen sind, und darum gehören diese Dokumente nicht in den Rahmen dieser Arbeit. –
Die Zahl derer – sowohl der Museen wie der Privatsammler –, die mich bei dieser Neubearbeitung mit Material unterstützten, hat sich wiederum vergrößert. War es seinerzeit meine Pflicht, in dieser Reihe besonders zu nennen: Die Sammlung Lipperheide in Berlin, das Germanische Museum in Nürnberg, die kgl. Kupferstichkabinette in München und Berlin, das Ryksmuseum in Amsterdam und die Bibliothèque nationale in Paris, so muß ich diesen Sammlungen heute noch hinzufügen: Die Städtische Kupferstichsammlung Nürnberg, das Musée Carnevalet in Paris und das Museo nazionale in Neapel. Die Namen der Privatsammler Hans von Weber, München, Dr. Mascha, Wien, muß ich durch die Namen der Herren Ferdinand Dasch in Teplitz, Ritter von Kluçaric in Straßburg – der unermüdliche Flötnerpropagandist –, ergänzen. Ihnen allen schulde ich besonderen Dank …
Ich habe seinerzeit mein Vorwort zu dem »erotischen Element in der Karikatur« mit der Bemerkung abgeschlossen, daß in dieser Arbeit billigerweise nicht viel mehr als von einem ersten Abstecken eines bis jetzt völlig unbekannten Gebietes die Rede sein könne, und man möge auch nicht mehr erwarten; zu erschöpfen, das würde die Aufgabe gelehrter Einzeluntersuchungen sein. Diesen Satz möchte ich auch heute wiederholen, trotz der eingehenderen und wesentlich umfangreicheren Begründung und Weiterführung, die alle Hauptgedanken des Werkes in der vorliegenden Bearbeitung gefunden haben. Es würde mir als die lächerlichste Anmaßung dünken, zu wähnen, auf vierhundert Seiten die Aufgabe nun endgültig erschöpfend behandelt zu haben, die eine derart bedeutsame Materie der Kunst- und Kulturgeschichte stellt.
Zehlendorf-Berlin, Sommer 1908.
Eduard Fuchs.
Dieses Buch ging im Sommer 1912 aus dem Verlag von A. Hofmann & Cie., Berlin (Besitzer: Rudolf Hofmann) in den Verlag von Albert Langen, München über, in dem die sämtlichen neueren Werke des Verfassers erscheinen.