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Im Jahre 1250 soll Simone Canossa, der Stammvater der Buonarroti, als Fremder nach Florenz gekommen sein und sich durch ausgezeichnete, der Stadt geleistete Dienste das Bürgerrecht erworben haben. Aus einem Ghibellinen sei er ein Guelfe geworden und habe deshalb sein Wappen, einen weißen Hund mit einem Knochen im Maule in rotem Felde, in einen goldenen Hund in himmelblauem Felde verändert. Dazu seien ihm von der Signorie noch fünf rote Lilien und ein Helm mit zwei Stierhörnern, eins golden, eins himmelblau, verliehen worden. So Condivi.
In den Adern der Simoni aber, die von den Grafen Canossa abstammten, flösse kaiserliches Blut, schreibt er weiter. Beatrice, die Schwester Kaiser Heinrich des Zweiten, sei die Stammutter der Familie, das eben beschriebene Wappen im Palaste des Podesta von Florenz noch zu sehen, wo Simone Canossa es gleich dem anderer Podestas habe in Marmor aushauen lassen. Der Familienname Buonarroti stamme daher, daß er als Vorname in der Familie herkömmlich gewesen sei; einer müsse ihn immer als einzigen Taufnamen führen. So sei er ein Kennzeichen des Geschlechtes geworden und habe sich endlich statt des Namens Canossa in die Bürgerrolle eingeschlichen.
Wir können annehmen, daß Condivi diese Mitteilungen von seinem alten Meister erhielt und daß dieser somit an das kaiserliche Blut in seinen Adern glaubte. Die Buonarroti hielten fest an dieser Tradition. Florentinische Geschichtsforscher haben indessen keinen Simone Canossa, der 1250 Podesta der Stadt gewesen wäre, zu entdecken vermocht. Auch in den Familiennachrichten des Grafen von Canossa wird dieser Persönlichkeit nicht erwähnt. Noch weniger stimmt das Wappen der Canossa mit dem, das Condivi beschreibt, oder das der Buonarroti selber damit. Dieses bestand aus zwei goldenen Querbalken im himmelblauen Felde, keine Spur von dem goldenen Hunde mit einem Knochen im Maul.
Der Hund führt vielleicht auf die Fährte einer Erklärung, wie die Fabel entstand. Das Mittelalter hatte seine eigene Art, die Worte symbolisch zu erklären. Der Hund canis, mit dein Knochen os im Maule, os wird auf demselben Wege zu »Canossa« wie die Dominikaner zu den »Hunden des Herrn«, domini canes, wurden. wichtiger indessen als die genaue Erklärung des Märchens ist der Umstand, daß der alte bürgerliche Michelangelo, dieser Erzguelfe, seine Biographie trotz alledem mit einer Erklärung beginnen läßt, durch die er sich seiner Abstammung von dem alten ghibellinischen höchsten Adel rühmt, und daß, wie ein noch vorhandener Brief eines Canossa aus dem Jahre 1520 beweist, die gräfliche Familie die Verwandtschaft anerkannte. Graf Alexander von Canossa tituliert Michelangelo in Anrede wie Adresse als seinen geehrten Vetter, Parente onorato, lädt ihn zu sich ein, bittet ihn, das Haus seiner Familie als sein Eigentum zu betrachten und geht so weit, ihn Michelangelo Buonarroti da Canossa zu titulieren.
Die Buonarroti, oder, wie sie sich schrieben, die Buonarroti Simoni, waren eines der angesehensten florentinischen Geschlechter. Ihr Name findet sich oft mit Staatsämtern verbunden. 1456 saß Michelangelos Großvater in der Signorie, 1473 sein Vater im Collegium der Buonuomini, einer aus zwölf Bürgern bestehenden Kommission, welche der Signorie beratend beigestellt war. 1474 wurde er zum Podesta von Chiusi und Caprese ernannt, zweier Städtchen mit Kastellen im Tale der Singarna gelegen, eines kleinen Gewässers, das sich in die Tiber ergießt.
Die Tiber entspringt in dieser Gegen und ist selber noch ein unbedeutender Fluß, wenn sie sich mit der Singarna vereinigt. Das Land ist gebirgig.
Michelangelos Vater, Lodovico mit Namen, begab sich von Florenz auf seinen Posten. Seine Frau, Francesca, gleichfalls aus guter Familie, war gerade hochschwanger, was sie nicht hinderte, ihren Mann zu Pferde zu begleiten. Dieser Ritt hätte ihr und dem Kinde gefährlich werden können, sie stürzte mit dem Tiere und wurde ein Stück fortgeschleift. Dennoch schadete es ihr nicht, am 6. März 1475 um 2 Uhr nach Mitternacht brachte sie zu Caprese einen Knaben zur Welt, der den Namen Michelangelo erzielt. Er war das zweite Kind seiner Mutter, welche bei seiner Geburt neunzehn Jahre zählte, während Lodovico im einunddreißigsten stand. Lodovicos Vater lebte nicht mehr, wohl aber seine Mutter, Mona Lesandra (soviel als Madonna Allessandra), eine Frau von sechsundsechzig Jahren.
1476, nach Ablauf seiner Amtsführung, kehrte Lodovico nach Hause zurück. Der kleine Michelangelo wurde drei Miglien von Florenz in Settignano zurückgelassen, wo die Buonarroti eine Besitzung hatten. Man tat das Kind zu einer Amme, der Frau eines Steinmetzen. Settignano liegt mitten im Gebirge; Michelangelo pflegte später scherzend zu sagen, es sei kein Wunder, daß er solche Liebe zu seinem Handwerk hege, er habe es mit der Milch eingesogen. In dem Orte zeigte man im vorigen Jahrhundert noch die ersten Malereien des Knaben an den Wänden des Hauses, in dem er aufwuchs, wie im Erdgeschoß des elterlichen Hauses zu Florenz die Fortsetzung dieser Bestrebungen zu erblicken war. Er fing an zu zeichnen, sobald er seine Hände gebrauchen konnte.
Die Familie vermehrte sich. Die Geschwister Michelangelos sollten Kaufleute werden, die gewöhnliche und natürliche Laufbahn in Florenz, er selbst aber wurde zum Gelehrten bestimmt und von Meister Franceso aus Urbino, der die florentinische Jugend in der Grammatik unterrichtete, in die Schule genommen. Hier aber profitierte er nicht viel. Er verwandte alle seine Zeit auf das Zeichnen und trieb sich in den Werkstätten der Maler umher.
Auf diesen Wegen lernte er Francesco Granacci kennen, einen schönen talentvollen Knaben, der, fünf Jahre älter als er, sein innigster Freund wurde. Granacci war bei Domenico Ghirlandaio oder, florentinisch gesagt, Grillandaio in der Lehre. Michelangelo ließ sich nicht mehr bei seinen Studien halten, er hatte nur die Malerei im Kopfe. Sein Vater und dessen Brüder, stolze Männer, die den Unterschied der Kaufmannschaft und der Malerei, die als ein in ihren Augen wenig angesehenes Handwerk geringe Aussichten bot, wohl zu würdigen wußten, machten Vorstellungen, aus denen allmählich Schläge wurden. Michelangelo blieb standhaft. Am 1. April 1488 unterzeichnete Lodovico den Kontrakt, kraft dessen sein Sohn zu den Meistern Domenico und David Grillandaii auf drei Jahre in die Lehre gegeben ward. Während dieser Zeit sollte er Zeichnen und Malen lernen und übrigens tun, was ihm geheißen würde. Von Lehrgeld war keine Rede, im Gegenteil verpflichteten sich die Meister, ihm im ersten Jahre sechs, im zweiten acht, im dritten zehn Goldgulden zu bezahlen. Michelangelo war vierzehn Jahre alt, als er so zum ersten Male seinen Willen durchgesetzt hatte.
Seltsam ist zu bemerken, daß, wenn Michelangelo in früher Jugend so darauf bestand, als Malerlehrling einzutreten, der Hochmut, mit dem seine Familie die Sache aufnahm, in hohem Alter auch bei ihm zum Durchbruche kam. In seinen Briefen unterzeichnete er sich so lange er jung war mit »Michelangelo der Bildhauer«, später jedoch, als alter Mann, nahm er übel, wenn so auf seinen Briefen stand. Bei seinem Neffen beklagte er sich dann, daß von einem Florentiner so an ihn adressiert worden sei: nicht Michelagnolo der Bildhauer, sondern Michelangelo Buonarroti laute der Name, unter dem er in Rom bekannt sei. Niemals habe er als Maler oder Bildhauer offene Werkstatt gehalten, sondern immer die Ehre seines Vaters und seiner Brüder im Auge gehabt, und sogar wenn er Päpsten gegenüber sich zu Diensten verpflichtet, sei das nur deshalb geschehen, weil es zu vermeiden unmöglich gewesen.
Domenico Grillandaio stand als der Herr der Werkstatt obenan, in welche Michelangelo jetzt eintrat, und gehörte zu den besten Meistern der Stadt. Er hatte damals eine umfangreiche Arbeit übernommen. Der Chor der Kirche Santa Maria Novella sollte neu gemalt werden. Orcagna, der Erbauer der offenen Halle neben dem Palaste der Regierung, der sogenannten Loggia dei Lanzi, hatte diesen Chor in Giottos Manier ausgemalt. Das Dach war schadhaft geworden, der Regen an den Wänden herabgelaufen und die Malerei allmählich zugrunde gegangen. Die Familie Ricci, welcher als Inhaberin dieses Chores auch seine Instandhaltung zukam, zögerte mit der Restauration der großen Kosten wegen. Jede bedeutende Familie besaß auf diese Weise eine Kapelle in einer der städtischen Kirchen, in der sie die Ihrigen begrub und deren Ausschmückung eine Ehrensache war. Da nun die Ricci ihre Ansprüche nicht aufgaben und anderen die Reparatur der beschädigten Wände nicht zugestehen wollten, blieb die Sache eine Zeitlang beim alten; Orcagnas Gemälde gerieten in immer bedenklicheren Zustand. Endlich machten die Tornabuoni, eine der reichsten Familien der Stadt, den Vorschlag, wenn man ihnen die Erneuerung der Kapelle überließe, wollten sie nicht nur alle Kosten tragen, sondern sogar das Wappen der Ricci prachtvoll wiederherstellen. Hierauf gingen diese ein. Grillandaio ward die Arbeit in Akkord gegeben. Der Meister stellte seine Forderung auf 1200 schwere Goldgulden mit einer Extravergütung von 200, wenn die fertige Arbeit zur besonderen Zufriedenheit der Besteller ausgefallen wäre. Im Jahre 1485 war sie in Angriff genommen worden.
Die Kapelle ist ein viereckiger, gewölbter, nach dem Schiff der Kirche hin offener Raum, durch den zu ziemlicher Erhebung aufgebauten Hochaltar jedoch, hinter dem sie liegt, von ihr abgeschlossen. Die Rückwand ist von Fenstern durchbrochen, es handelte sich also bei der Malerei nur um die beiden Wände zur Rechten und Linken, wenn man eintritt. Diese, in übereinander liegende lange, streifenartige Teile abgeteilt, mußten von unten bis oben mit Kompositionen ausgefüllt werden. Es sind Darstellungen biblischer Begebenheiten. Das heißt, die Namen der einzelnen Gemälde lauten so, in Wirklichkeit aber erblicken wir Gruppierungen bekannter und unbekannter florentinischer Schönheiten, Berühmtheiten, Männer, Frauen und deren Kinder, wie es die Umstände erforderten, im Kostüme der Zeit und in einer Weise zusammengestellt, als sei das, was das Bild bedeutet, vor wenigen Tagen in Florenz auf der Straße oder in einem der bekanntesten Häuser vorgefallen. Diese Art, die heilige Schrift unhistorisch aufzufassen, finden wir überall, wo sich die Kunst naiv und kräftig entwickelt. Rembrandt läßt Maria in einem Stalle sitzen, der einen holländischen Kuhstall seiner Zeit darstellt, während Raffael ihr in altem römischem Gemäuer ein Unterkommen gibt, wie er täglich daran vorüberging.
Für Florenz ist bei solchen Gemälden Vasaris Werk nicht hoch genug anzuschlagen. Als er schrieb, wußte man noch in der Stadt, wer diese Personen wären. Wir sehen da die gesamten Tornabuoni vom ältesten Mitgliede der Familie bis zum jüngsten herab, wir finden die Medici und in ihrem Gefolge die gelehrten Freunde der Familie: Marsilio Ficino, den platonischen Philosophen, den der alte Cosimo erzogen hatte, Angelo Poliziano, der Dichter, Philolog und Erzieher von Lorenzo dei Medicis Kindern war, und andere berühmte Namen. Unter den Frauen, welche bei der Begegnung der Maria und Elisabeth das Gefolge bilden, die reizende Ginevra dei Benci, damals die schönste Frau in Florenz, dann am Wochenbette der heiligen Anna andere Florentinerinnen, welche der Wöchnerin ihren Besuch abstatten, alle im vollen Staate, eine darunter mit Früchten und Wein, den sie, wie es damals Sitte war, zum Geschenk bringt. Wieder auf einer anderen Darstellung hat Domenico sich selbst und seine Brüder abgemalt.
Der Familie Medici begegnet man so an vielen Orten. Auf einem Gemälde im Camposanto zu Pisa stellt der alte Cosmo (oder Chosimo, wie die Florentiner sprachen und schrieben) mit seiner Familie und wiederum dem gelehrten Gefolge den König Nimrod dar, welcher den Turm von Babel bauen läßt. Babylon sehen wir im Hintergrunde; es ist bis in die genauesten architektonischen Einzelheiten ausgeführt und aus Gebäuden Roms und der Stadt Florenz sehr künstlich zusammengesetzt.
So kam Michelangelo gleich mitten in eine große Arbeit hinein. Eines Tages, als der Meister fortgegangen war, zeichnete er das Gerüst mit alle dem, was dazu gehörte, und mit denen, welche darauf arbeiteten, so durchaus richtig ab, daß Domenico, als er das Blatt ansah, voller Verwunderung ausrief, der versteht mehr davon als ich selber. Bald zeigten sich seine Fortschritte als so bedeutend, daß die Verwunderung in Neid umschlug. Grillandaio wurde besorgt. Es ergriff ihn jene Eifersucht, die bei zu vielen ähnlichen Gelegenheiten herausgetreten ist, um nicht auch hier verständlich zu sein.
Michelangelo malte sein erstes Bild. Bei dem lebhaften Verkehr der Florentiner mit Deutschland war es natürlich, daß deutsche Bilder und Kupferstiche nach Italien kamen. Ein Blatt Martin Schongauers, die Versuchung des heiligen Antonius darstellend, wurde von Michelangelo in vergrößertem Maßstab kopiert und ausgemalt. Dieses Gemälde soll noch in der Galerie der Familie Bianconi zu Bologna vorhanden sein. Anderen Nachrichten zufolge befindet es sich im Besitz des Bildhauers Mr. de Triqueti zu Paris, ohne daß gesagt wird, wie es in dessen Hände gelangte. Das Blatt Schongauers ist bekannt. Als Komposition betrachtet jedenfalls seine bedeutendste Arbeit und mit einer Phantasie erfunden, welche die tollsten niederländischen Arbeiten ähnlicher Art erreicht. Eine Gesellschaft fratzenhafter Ungeheuer hat den heiligen Antonius in die Lüfte geführt. Man sieht nichts von der Erde als unten in der Ecke des Bildes ein Stückchen Felsgestein. Acht Teufel sind es, die den armen Einsiedler in die Mitte genommen haben und peinigen. Der eine reißt ihn am Haar, der zweite am Gewande vorn, der dritte packt das Buch, das in eine Tasche eingeknöpft an seinem Gürtel hängt, der vierte reißt ihm den Stock aus der Hand, der fünfte hilft dem vierten, die anderen kneifen und zerren, wo nur Platz ist, um sich anzukrallen, und dabei kugelt und dreht sich das wunderliche Gesindel in den unmöglichsten Windungen über ihm, an ihm und unter ihm. Das ganze Tierreich ist bestohlen, um die Gestalten zusammenzusetzen. Krallen, Schuppen, Hörner, Schwänze, Klauen – was irgend Tiere an sich haben können, haben diese acht Teufel an sich. Das Fischhafte aber herrscht vor, und um hier ja nicht die Natur zu verfehlen, studierte Michelangelo auf dem Fischmarkt die ausgelegte Ware eifrig. So brachte er ein ausgezeichnetes Bild zustande. Grillandaio nannte es jedoch ein aus seiner Werkstatt hervorgegangenes oder gab sich sogar selbst als den Verfertiger an, wozu er der damaligen Sitte nach berechtigt war. Grillandaio, überhaupt, fing an die Fortschritte Michelangelos bedenklich zu finden. Er verweigerte ihm sein Skizzenbuch, aus dem dies und jenes abzuzeichnen den Schülern sonst freistand. Nun aber wurde ihm von Michelangelo sogar ein Streich gespielt. Dieser hatte als Vorlegeblatt einen Kopf zum Kopieren erhalten, ein schon älteres, etwas vergilbtes Blatt, das er nach einiger Zeit dem Meister wieder zurückgab, der es ruhig in Empfang nahm, worauf dann unter Gelächter die Entdeckung nachfolgte, er habe sich anführen lassen. Michelangelo hatte den Kopf so täuschend kopiert und das Blatt etwas angeräuchert, daß Grillandaio die eigene Arbeit von der des Schülers nicht mehr unterscheiden konnte. Es war Zeit, daß dem Verhältnis ein Ende gemacht würde, und dies geschah noch vor Ablauf der drei Jahre des Kontraktes auf eine Weise, die für Michelangelo kaum günstiger gedacht werden konnte. Er wurde mit Lorenzo dei Medici, Cosmos Enkel, bekannt, der um diese Zeit in Florenz die Regierung in Händen hatte.