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Von all den übrigen Gemälden wähle ich nur noch zwei aus, um sie zu beschreiben. In den vier Ecken der Kapelle bildet die Wölbung vier Dreiecke, auf denen der Tod Hamans, die Schlange in der Wüste, der Tod Goliaths und Judith und Holofernes dargestellt sind. Mit welcher Kunst weiß Michelangelo auch das eigentlich Historische, hier möchte man es im Gegensatz zu jenen erhabenen Werken fast Genre nennen, aufzufassen.
Er packt immer den entscheidenden Moment, den, der so vollgesogen von der Handlung ist, daß das vorher Geschehene und nachher zu Erwartende gerade in ihm zusammengefaßt zugleich zur Erscheinung kommt. Wenig Stoffe aber sind wohl in dem Maße geeignet, diese Kraft, die wahre Mitte einer Tat zu erfassen, offenbar werden zu lassen, als die Sage von der Judith. Dies Drama enthält eine Fülle von Situationen, durch welche die Phantasie herausgefordert wird, und in der Wahl derjenigen, die hier am einfachsten den ganzen Inhalt gibt, zeigt sich das Genie Michelangelos.
Wir sehen Holofernes auf einem Bette liegen, über das ein weißes Laken gedeckt ist. Der eine Arm ist schlaff herabgesunken und stößt mit dem Handgelenk auf den Erdboden, der andere greift über sich in die Luft, als suchte er nach dem Haupte, das nicht mehr da ist. Das eine Bein fällt, im Knie geknickt, lang über das Fußende des Bettes hin, als wäre ihm das Bette zu kurz, das andere steht mit angezogenem Knie aufwärts und der Fuß tritt auf das Lager.
Dieses sehen wir links, etwas zurück im Innern eines Zeltes, zu dem einige Stufen aufführen. Judith steigt sie eben hinab, aus dem Zelte hervortretend. Sie dreht uns den Rücken zu, weil sie, sich umwendend, nach Holofernes hinsieht, während sie nach der anderen Seite hin mit aufgehobenen Händen ein Tuch ausgebreitet hält, um es über den abgeschnittenen Kopf zu legen, den die Magd in einer großen flachen Schüssel auf dem Kopfe trägt. Die Magd hat ein goldiggelbes Kleid an, das sich in starken schweren Falten bricht, denn sie steht mit etwas gebogenen Knien, damit ihre Herrin den Kopf in der Schüssel bequemer mit dem Tuche bedecken könne. Mit beiden Armen hält sie die Schüssel über sich fest. Ein lichtblaues Tuch ist ihr über das Kleid um den Leib gewunden.
Judith trägt einen graublauen Überwurf über Brust und Schultern, auf dem die Lichter mit Gold aufgesetzt sind. Die Stellung der Magd, wie sie sich niedriger zu machen sucht, zugleich aber sich steif im Rücken hält, um die Last auf dem Kopfe nicht aus dem Gleichgewicht kommen zu lassen, das doppelte Gefühl Judiths, die, im Begriff das Tuch rasch über das abgeschnittene Haupt zu werfen und dann fortzueilen, plötzlich von dem Gedanken erschreckt wird, er könne dennoch wieder erwachen, und mit erhobenen Händen den Blick noch einmal zu ihm wendet, ist im höchsten Grade sprechend und erregend. Die gewaltige nackte Gestalt, die wie ein gestürztes Vieh daliegt, läßt den plötzlichen Schauder der Frau begreifen und mitempfinden. Ein in Schlaf versunkener Krieger im Hintergrunde deutet die Nacht an, in deren Schutze die Tat vollbracht worden ist.
Enthält dieser Moment nicht alles? Vorwärts fühlt man, was geschehen wird: die von Zittern gedämpfte Eile, mit der die Frauen durchs dunkle Lager schleichen; rückwärts die Verstellung, die Angst, den Fanatismus, der ihren schwachen Arm stählte. Und dem gegenüber die gedankenlose Stärke des Mannes, der zum Opfer ersehen war. Das ist der Kern des Gedichtes. Als üppiges verführerisches Weib ist Judith unerträglich, als zitternde Frau mit einem Willen aber, der gewaltiger als ihre Furcht wirkt, eine ergreifende wahre Persönlichkeit. So erfaßte sie Michelangelo.
Mit derselben Wahrhaftigkeit stellt er Goliath dar, über den David die Oberhand gewinnt. Wie der Koloß daliegt, lang auf dem Bauche, während David ihm die Spitze seines Knies in den Rücken hineinbohrt, gewinnt man die Überzeugung, daß die Bewegungen der gewaltigen Arme und der Beine, die sich zum Widerstand wieder emporstemmen möchten, vergeblich sein müssen. Mit der Linken packt ihm David ins Haar, mit der Rechten schwingt er ein kurzes, breites, messerartiges Schwert; man glaubt es pfeifen zu hören, wie es die Luft durchschneidet, und weiß im voraus, daß es tödlich durch den Hals hindurchfahren wird. Goliath trägt ein grünes, anliegendes, panzerartiges Gewand, Beine und Füße in derselben Weise dunkelgrau bedeckt, den Arm weiß mit goldenen Riemen; David ein lichtblaues Unterkleid und einen gelblichgrünen, mantelartigen Überwurf, auf der Schulter in einem Knoten zusammengebunden. Dieses Gemälde und das der Judith ist bei jedem Lichte hell und erkennbar, wie auch die Darstellungen des mittleren Gewölbes sämtlich, und deshalb treten diese dem Auge als der eigentliche Inhalt der Sixtinischen Malereien entgegen. Die Propheten und Sibyllen sind der Mehrzahl nach schwieriger zu sehen; das aber, was noch tiefer als sie dicht um die Fenster gemalt worden ist, wird erst nach mühsamer Betrachtung dem suchenden Auge in seinen Umrissen erkenntlich. Man muß die schmale Galerie besteigen und von hier aus noch ein gutes Glas zu Hilfe nehmen, wenn sich die ganze Größe dieser Arbeiten enthüllen soll. Freilich sieht man so nahe herantretend all die kleinen Risse und Flecke, die sich wie ein Schleier über die Malereien zu ziehen scheinen, doppelt genau, zugleich aber den Schwung der Linien reiner und die einfachen Mittel, durch welche die leichte, luftige Färbung erreicht ward, die für Deckengemälde, wenn sie aus solcher Entfernung wirken sollen, unentbehrlich ist.
Im Herbste 1509, wie schon gesagt worden ist, war die erste Hälfte des gewaltigen Werkes vollendet. Einstweilen ruhte die Arbeit. Die Gerüste wurden abgebrochen und die Kapelle für den Gottesdienst wieder eingerichtet. Zu den Sibyllen und Propheten, sowie den Vorfahren der Maria waren damals noch nicht einmal die Kartons gezeichnet.
Kurz vor Aufdeckung der Gemälde schreibt Michelangelo an Buonarroto: »Meine Malerei wird die nächste Woche fertig sein, das heißt der Teil, soweit ich sie in Angriff nahm; sobald ich sie aufgedeckt habe, hoffe ich Geld zu erhalten und werde es so einzurichten suchen, daß ich auf einen Monat Urlaub nach Florenz bekomme. Ich weiß nicht, ob etwas daraus wird; brauchen könnte ich es, denn mit meiner Gesundheit steht es nicht zum besten.«
Michelangelo hatte sich rasend angestrengt. Eines seiner Sonette beschreibt in burlesker Weise seinen Zustand, wie er Tag für Tag auf dem Rücken lag und ihm die Farbe aufs Gesicht herabtropfte. Seine Augen hatten sich so sehr daran gewöhnt, über sich zu blicken, daß er geraume Zeit hinterher Geschriebenes in die Höhe halten mußte, um es mit zurückgezogenem Kopfe zu lesen, eine Folge derartiger Arbeit, die Vasari aus eigener Erfahrung bestätigt.
Man fände unter den Briefen so gern einen, der von der Befriedigung spräche, mit der die vollendete Arbeit ihn erfüllte. Wir müssen uns an der Tatsache genügen lassen, daß diese erste Hälfte des Werkes sofort zu den vornehmsten Dingen gerechnet wurde, welche in Rom gesehen werden mußten.
Es war ein großer Tag, als Michelangelo dem römischen Volke zum erstenmale zeigte, was er auch als Maler vermöge. Unter denen aber, die dastanden und zu seinen Figuren emporblickten, war einer, der uns heute wichtiger ist als alle übrigen. Raffael, der nun vorgeschoben werden sollte, um das zu vollenden, was an den Deckengemälden zu tun noch übrig war. Die große Konkurrenz zwischen Raffael und Michelangelo nahm ihren Anfang.