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Statt dessen sollte nun aber von außen her der Bau der Kirche beeinträchtigt werden: der Krieg, den die Strozzi gegen Cosimo führen wollten, kam endlich doch zustande, und zum letzten Male wurde für die Freiheit von Florenz Blut vergossen in Toskana.
Im Jahre 1552 hatten die deutschen Protestanten dem Kaiser gegenüber die Scharte ausgewetzt, die sie fünf Jahre früher empfangen. Karl war jetzt der unterliegende Teil, der sich zu Verträgen herbeilassen mußte. Aus Frankreich war den Deutschen Aufmunterung und Unterstützung zugeflossen, und das Glück, nachdem die Dinge im Norden so günstig abgelaufen waren, sollte nun auch im Süden versucht werden. Französische Truppen landeten in Toskana, und der Kampf nahm seinen Anfang, auf den die florentinische Freiheitspartei noch einmal ihre Hoffnung setzte.
Daß auch Michelangelo mit den alten Gedanken daran teilgenommen, scheint mir nicht. Er stand in zu hohen Jahren und kannte die Beweggründe zu gut, die hier die Triebfeder abgaben. Aber wenn wir hören, daß ein Soderini sich in Rom für Piero Strozzi erklärt, als dieser dort auftrat, daß Bindo Altoviti, ein reicher Mann, Vorstand der florentinischen Gemeinde in Rom und genauer Freund Michelangelos, dasselbe tut, daß Asdrubale dei Medici, ein natürlicher Sohn Ippolitos, auftaucht, und mit ihm sechzig florentinische Edelleute, lauter Verbannte, junge und alte, sich auf die Nachricht von der großen Unternehmung in Rom einfinden und mit Begeisterung den Kampf erwarten, in dem sie ihr Vaterland zu befreien hofften, so ist doch fast unmöglich, anzunehmen, daß Michelangelos Herz nicht vom Anblick dieser Vorbereitungen und vom Gedanken an den möglichen Verlauf des Krieges bewegt worden sei. Mehr tun konnte er nicht, jetzt, wo er den Tod so nah vor sich sah und keine irdische Zukunft ihm mehr vor Augen stand. Aber daß er noch fähig war das Wohl und Wehe der Welt in der eigenen Brust zu fühlen, zeigt eine Antwort auf den Brief Vasaris, als dieser ihm zu der Geburt eines Großneffen Glück wünschte.
Vasari spricht in der ersten Ausgabe seiner Lebensbeschreibung den Tadel aus, Michelangelo habe niemals seine Verwandten bei sich sehen wollen. Allerdings, von früh an, wie das seine Briefe zeigen, hält er sie so viel er kann von sich zurück; erst seine Brüder, dann seine Neffen. Möglich, daß Leonardo, als er 1545 im Glauben, es gehe zu Ende mit seinem Oheim, in Rom erschien, um die Erbschaft anzutreten, nicht zum besten empfangen wurde. Der Hauptgrund, warum Michelangelo die Seinigen fern hielt, mag gewesen sein, daß er ohne Störung seinen Arbeiten zu leben wünschte. Wie sehr er im übrigen aber für die Familie alles tat, was in seinen Kräften stand, beweisen die Briefe an Leonardo, aus denen hervorgeht, wie bedeutende Summen nach Florenz zur Vergrößerung des Buonarrotischen Grundbesitzes gesandt wurden. Er wollte seinen Neffen so glänzend als möglich stellen, damit zur Ehre seiner Familie eine gute Heirat zustande käme. Ununterbrochen ist von dieser Angelegenheit die Rede, die aber erst 1553 zu befriedigendem Abschlusse kam. Und als ihm der Neffe da endlich mitteilt, daß er am Ziele sei, zeigt die Teilnahme, mit der Michelangelo darauf erwiderte, die Liebe, die er zu den Seinigen hegte, und die Absicht, sie ihnen zu erkennen zu geben.
»Leonardo«, schreibt er, »aus deinem letzten ersehe ich, wie du deine Frau bei dir im Hause hast und wie glücklich du bist und wie sie mich grüßen läßt und daß du über die Mitgift bis jetzt noch nichts festgestellt hast. Was dein Glück anlangt, so erfüllt es mich mit der größten Freude, und ich glaube, wir können Gott nicht genug dafür danken, soweit wir Menschen überhaupt das imstande sind. Was die Sicherstellung der Mitgift anlangt, so laß das nur auf sich beruhen und halte die Augen offen, denn in solchen Geldsachen gibt es immer Zank. Ich weiß nicht, wie die Dinge liegen, aber du hättest, scheint mir, wohlgetan, alles vor der Hochzeit in Ordnung zu bringen. Was die Grüße deiner Frau anlangt, so grüße sie wieder von mir, und sag' ihr alles Liebe und Gute in meinem Namen, was du mündlich wirst besser ausrichten können, als ich hier zu schreiben verstehe. Mein Wunsch ist, daß sie nicht umsonst die Frau meines Neffen geworden sei: ich habe es ihr noch mit nichts beweisen können, aber ich denke es bald zu tun. Man hat mir gesagt, ein schöner gewichtiger Perlenschmuck würde ihr wohl anstehen. Ich habe bereits bei einem mit Urbino befreundeten Goldschmied nach einem dergleichen suchen lassen und hoffe ihn zu bekommen. Aber sag' ihr noch nichts davon, und wenn du andere Ideen hast, laß es mich wissen. Hiermit schließe ich. Lebe vernünftig und nimm dich in acht und vergiß nicht, daß es mehr Witwen als Witwer auf der Welt gibt. Den 20. Mai 1553. Michelangelo Buonarroti.«
Bald sendet er dann Ringe und verspricht weiteres, was Cassandra, so heißt die Frau Leonardos, angenehm sei, der er zugleich für Hemden danken läßt, die sie ihm geschenkt hat, und im März 54 drückt er Leonardo seine innige Befriedigung darüber aus, daß die Geburt eines Kindes zu erwarten stehe.
Hier erscheint seine Handschrift zum ersten Male zitterig, aber nur vorübergehend. Es sind wenige Zeilen, die er sendet. Das Schreiben greife ihn an. Sein Wunsch sei, daß, wenn ein Knabe auf die Welt komme, er den Namen Buonarroto empfange, als den des Großvaters, der nun schon 300 Jahre stets in der Familie lebendig geblieben sei. Endlich erscheint der Junge. »Leonardo«, schreibt Michelangelo, »du schreibst mir, daß Cassandra einen schönen Sohn zur Welt gebracht hat, daß sie sich wohl befindet und daß ihr ihn Buonarroto nennen wollt: alles Dreies erfüllt mich mit der größten Freude (grandissima allegrezza), Gott sei gedankt, möge er das Kind gedeihen lassen, damit es uns Ehre mache und die Familie aufrecht erhalte. Sage der Cassandra meinen Dank und grüße sie von mir.«
Es waren gerade die trübsten Zeiten für Toskana. Mitten darin veranstaltete Leonardo nun eine prächtige Taufe. Ein glänzender Zug vornehmer Florentinerinnen geleitet das Kind in die Kirche von San Giovanni. Vasari berichtet Michelangelo darüber. Dem aber wird das zu viel. Er könne nicht begreifen, antwortet er, daß solches Wesen über die Ankunft eines Kindes jetzt gemacht würde. Der Mensch dürfe nicht lachende Feste feiern, wenn die ganze Welt in Tränen sei, l'huomo non dee ridere quando tutto il mondo piange. Vielleicht, daß in dem Vorwurf, den er so aussprach, verhüllt ein noch weit ernsterer Gedanke versteckt lag –: er sah Toskana von den traurigsten Ereignissen erschüttert und trotzdem im Hause seines Neffen unbekümmerte Freude über die Geburt des Sohnes: er wollte sagen, daß die Zeiten angebrochen seien, in denen das Geschick des Vaterlandes für seine Bürger nicht mehr das war, was sie erhob oder bedrückte, daß ein gleichgültigeres Geschlecht lebe, das nichts mehr zu fühlen fähig war von dem patriotischen Entzücken und der Verzweiflung, die ehedem das Herz eines Florentiners in solchen Fällen leidenschaftlich erregten. Früher stand bei den Kriegen die Freiheit und die Ehre jedes Bürgers auf dem Spiele, jetzt handelte es sich nur um den Vorteil der Dynastie. Es gibt keinen trostloseren Anblick, als im Laufe der Jahrhunderte solche Gesinnungen hereinbrechen zu sehen, nichts Verächtlicheres, als diese mit ihnen beginnende äußere Ruhe und Ordnung. Alle individuelle, herzliche Teilnahme des einzelnen am Ruhm des Vaterlandes wird aufgehoben, fast als etwas Verbrecherisches betrachtet. Man hat zu zahlen, zu schweigen und zu gehorchen. Man hat sich nicht um Dinge zu kümmern, die man nicht versteht. Solche Leute treten nun auf, die außer sich über die himmlische Anwesenheit Seiner Exzellenz des Herzogs, um die Erlaubnis flehen, ihm die heiligen Füße küssen zu dürfen. So redet schon Vasari, und dennoch ist der noch ein Charakter und ein unabhängiger Mann, verglichen mit den Leuten, die hundert Jahre später die Diener der Herzöge waren. –
Den Anfang des Krieges machte die Empörung von Siena gegen die spanische Besatzung. Cosimo hätte den Spaniern, seinen Bundesgenossen, zu Hilfe kommen müssen, aber die Dinge standen für den Kaiser so ungünstig damals, daß er neutral blieb. Siena trat jetzt unter französischen Schutz. Noch stand Cosimo gut mit Frankreich, bis es ihm beim Wechsel der Verhältnisse nach einiger Zeit passend erschien, die Spanier mit Gewalt wieder in Siena einzuführen. Da kam Piero Strozzi nach Siena, am ersten Januar 54 traf er ein und begann die Stadt zu befestigen. Noch war der Krieg nicht erklärt. Cosimo hielt es für vorteilhaft, den ersten Schlag zu tun.
Vier Tage lang wurde Florenz verschlossen gehalten, damit keine Nachricht nach Siena gelange. Denn daß die stillen Anhänger der Freiheit zu Florenz im geheimen zu wühlen begannen, scheint der Fall gewesen zu sein. Sogar in San Marco hielten die Mönche noch an der von Savonarola prophezeiten Freiheit fest und hatten ihre Gläubigen unter den Bürgern.
Während dieser vier Tage ward der Überfall von Siena vorbereitet. 10 000 Mann fanden sich einzeln und nachts marschierend bei Florenz zusammen und bewegten sich unbemerkt vorwärts, und während die Sanesen ein Fest feiern und Strozzi zufällig anwesend ist, werden die Leitern angelegt. Trotzdem mißlingt der Anschlag. Doch der Krieg war begonnen, die Verwüstung des Landes nahm ihren Anfang, und am Karfreitag trifft die Nachricht von der ersten Niederlage der herzoglichen Truppen in Florenz ein. Eine Menge Tote, mehr noch an Gefangenen und zehn Fahnen wurden von den Truppen Cosimos in diesem Treffen eingebüßt. Zu derselben Zeit wirbt Frankreich 3000 Schweizer an, die vom Norden her in das Land einfallen sollten, und Lione Strozzi, der zweite Bruder, erscheint als Großadmiral mit der französischen Flotte an der Küste von Toskana.
Mit Liones durch einen unglücklichen Schuß herbeigeführtem Tode jedoch begann sich das Glück zu wenden. Nach langen Hin- und Herzügen kommt es am 2. August zur entscheidenden Schlacht, bei der 4000 Mann getötet und fast sämtliche mitkämpfenden florentinischen Verbannten von den Herzoglichen gefangen werden. Alle aber, das ist ein merkwürdiges Zeichen, werden von den Soldaten wieder freigelassen und nur sieben in Florenz eingebracht und enthauptet. Die römischen Florentiner, die sich für Strozzi erklärt hatten, werden zu Rebellen erklärt.
Kurze Zeit nach diesen Ereignissen erhielt Michelangelo neue Anträge, nach Florenz zurückzukehren. Die Hoffnung, daß er diesmal vielleicht käme, beruhte darauf, daß die Geldmittel für den Bau des St. Peter zu mangeln begannen. In den vier Jahren, von 47 bis 51, finden wir 121 000 Dukaten dafür ausgegeben, in den vier folgenden nur die Hälfte dieser Summe. Nun war der Krieg keineswegs zu Ende. Strozzi saß wieder in Siena mit neu gesammelten Kräften, von Piemont aus drohten die Franzosen: es war in Rom wenig Aussicht für Michelangelo, daß in solchen Zeiten der Bau kräftiger würde aufgenommen werden. Dennoch zog er vor, auf seinem Posten zu bleiben; und wie sehr er unter allen Umständen dazu entschlossen war, nicht fortzugehen, zeigt sich im März 55, als Giulio der Dritte starb und an seine Stelle derselbe Kardinal Cervini zum Papst erwählt wurde, mit dem er so scharf zusammen gekommen war und mit dessen Erhebung die Angriffe der Partei Sangallos neu aufgenommen wurden.
Sogleich wiederholte Cosimo seine Bitten. Michelangelo werde durch keine Arbeiten in Florenz belästigt werden. Nur seine Anwesenheit verlange man, und daß er dann und wann ein Gutachten über die Unternehmungen des Herzogs abgebe. Der Eifer, mit dem Vasari und Tribolo diese Vorschläge unterstützten, rührte, scheint es, auch daher, daß sie über Bandinelli endlich zu triumphieren hofften, dessen Einfluß am Hofe eine Tatsache war. Bandinelli wirtschaftete in alter Weise, schimpfte auf Michelangelo, mühte sich fort und fort ab, Werke hervorzubringen, welche dessen Arbeiten in den Schatten stellten, und war nicht fortzubeißen, obgleich er Allewelt gegen sich hatte und am meisten Benvenuto Cellini, der, wenn die Rede auf Michelangelo kam, trotz Herzog und Herzogin für seinen Meister dazwischenfuhr. Seltsam ist, daß Bandinelli an Benvenuto Cellini doch endlich scheiterte. Es handelte sich wieder um einen Marmorblock, den der Herzog zu vergeben hatte und um welchen beide konkurrierten. Diesmal gewann Cellini den Preis, und Bandinelli soll aus Ärger darüber gestorben sein.
Vielleicht wäre es gelungen, Michelangelo damals herüberzuziehen, hätte der neue Papst länger als drei Wochen regiert, von denen er die halbe Zeit krank war. Daß Michelangelo unter Cervinis Nachfolger dann aber in Rom blieb und sogar dort gehalten wurde, hatte besondere Ursachen.
Caraffa bestieg jetzt den päpstlichen Stuhl! Der fanatische Greis mit dem Totenkopfgesicht, nachdem er fünfzig Jahre für die päpstliche Regierung gearbeitet, gelangte endlich in den Besitz der Macht, die seinem Willen keine Schranken mehr auferlegte. Schon sein Vorgänger hatte für die Reform der Sitten Verordnungen erlassen: mit furchtbarer Strenge wurden diese Bemühungen jetzt von dem 80jährigen neuen Herrscher aufgenommen, und damit auch für Michelangelo der Tag seines Regierungsantrittes ein denkwürdiger sei, ihm auf der Stelle die aus zwölfhundert Scudi bestehende Pension entzogen. Er sollte mit 100 Scudi monatlich aus der Baukasse von St. Peter dafür entschädigt werden, aber er blieb dabei, von dieser Seite nichts empfangen zu wollen, sandte das Geld zurück, als man es ihm ins Haus brachte, und büßte es somit ein. Doch soll alles hinter dem Rücken des Papstes geschehen sein. Denn das war Paul des Vierten dämonischer Charakterzug, ihm wie allen nur in der Idee lebenden energischen Naturen eigen, daß er mit Gewalt seine Absichten durchzuführen trachtete und zugleich ohne die geringste Kenntnis der Menschen war, die er dazu verwandte und die seine Umgebung bildeten. Michelangelo war zu stolz, um mit dem Papste von dem Gelde zu reden. Er hätte es gekonnt. Denn Paul ließ ihn zu sich kommen, und sprach in den gnädigsten Ausdrücken die Hoffnung aus, den Bau der Kirche rasch gefördert zu sehen. Zugleich freilich ward einer der talentvollsten Intriganten, Piero Ligorio, ein Neapolitaner, als Baumeister des Vatikans angestellt, der in Verbindung mit der Bande Sangallos alsbald gegen Michelangelo zu machinieren begann.
Einundachtzig Jahre war dieser alt, als die neuen Hebel angesetzt wurden, ihn aus seinem Amte zu entfernen. Man verbreitete, er sei kindisch geworden. Er müsse abgesetzt werden. Er sei zu alt und schwach. Er aber, statt den Florentiner Anerbietungen zu folgen, die immer ehrenvoller und dringender lauteten, während das Terrain in Rom immer unsicherer ward, stand fest an seiner Stelle, solange noch ein Funken Kraft in seinem Körper war.