Herman Grimm
Das Leben Michelangelos
Herman Grimm

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII

Bald zeigte sich, daß der Kardinal wirklich nicht bloße Ausflüchte gemacht hatte, indem er Michelangelo auf würdigere Arbeit vertröstete, und es könnte jetzt gleich von dem Werke die Rede sein, das, im Winter 1519 bedacht, zu Ostern des folgenden Jahres begonnen war, fiele nicht auf dieselben Ostern 1520 das Ereignis, welches diesem Jahre für die Kunstgeschichte eine traurige Berühmtheit gegeben hat: der Tod Raffaels.

Noch um Weihnachten 1519 war Michelangelo an ihn erinnert worden. Sebastian del Piombo schrieb aus Rom, daß die Erweckung des Lazarus vollendet sei. Zuerst meldet er die glücklich vorübergegangene Taufe seines Söhnchens, dessen Pate Michelangelo war. Der Kleine hatte den Namen Luciano erhalten. Sodann, er habe das Gemälde in den Palast geschafft und sei mit dessen Aufnahme außerordentlich zufrieden. Nur die »Gewöhnlichen« hätten nichts zu sagen gewußt. Damit will er die Partei des Raffael bezeichnen, wie die gleich folgende Bemerkung bestätigt: er glaube, daß sein Bild besser gezeichnet sei als die eben aus Flandern angekommenen Teppiche.

Sebastians Gemälde ist nach mancherlei Schicksalen in die Londoner Nationalgalerie gelangt, ein vielfach beschädigtes nachgedunkeltes Werk, dessen außerordentliche Farbenwirkung aber noch sehr wohl zu erkennen ist. Vorn rechts sitzt Lazarus. Eben erwacht aus dem Totenschlafe und noch halb im Dämmerzustande der Betäubung, sucht er die linnenen Binden von sich abzureißen, mit denen er umhüllt ist. Um ihn her beschäftigte Männer wollen diese Mühe übernehmen, Lazarus aber, wie ein Mensch, der sich aus einem Gefängnisse rettet, zerrt selber an den Tüchern, die er mit der rechten Hand von dem linken Arme fortschaffen will, während er die Zehen des rechten Fußes in die Binden einbohrt, die um das linke Schienbein sitzen. Diese Bewegung bekundet Michelangelos Anteil an dem Bilde auf den ersten Blick, denn kein anderer hätte das ersonnen und so lebendig ausgeführt.

Lazarus gegenüber, auf der linken Seite des Gemäldes, steht Christus, die eine Hand dem erwachenden Manne entgegengestreckt, die andere mit ausgebreiteten Fingern erhoben. Vor ihm kniet Maria und blickt mit dem Ausdrucke glückseliger Dankbarkeit zu ihm auf; um ihn her von allen Seiten drängen sich die Jünger, die das Wunder mit dem Gefühl heiligen Schauers erfüllt. Den Hintergrund nehmen eine Menge von Figuren ein, sämtlich mit ungemeiner Lebendigkeit ausdrückend, was in ihnen vorgeht, keine einzige als Nebensache behandelt, und die Ferne bildet eine Landschaft, die Ansicht einer Stadt mit einem Flusse, über den eine Brücke führt, und ein mit Wolken belastetes Gebirge dahinter: – Sebastian hatte wohl Grund, stolz zu sein auf das mühsame Werk. Er bittet Michelangelo, in Florenz beim Kardinal die baldige Bezahlung zu bewirken, da er des Geldes bedürftig sei.

Leider ist dies nicht der einzige Brief unter den an Michelangelo zu jener Zeit aus Rom gerichteten, welcher Ungünstiges über Raffael enthält. Michelangelo hatte Anhänger in Rom, die es sich zum Geschäfte machten, Raffaels Werke herabzusetzen. So lesen wir das Härteste über die große Madonna, welche an Franz den Ersten ging, nicht minder scharf werden die Malereien in der Farnesina vorgenommen und schließlich, nach Raffaels Tode gesagt, was Raffaels Schüler im Saale des Konstantin als Probe ihrer Fertigkeit gemalt hätten, sei so gut, daß niemand die Gemälde Raffaels selber in den Stanzen nun weiter ansehen möge. Wir müssen uns leider entschließen, in Sebastian del Piombo einen Meister zu erkennen, der neben seinen eigenen Werken die eines Künstlers, der größer war als er, nicht zu beurteilen vermochte. Sebastian war nicht imstande, die Dinge weiter zu begreifen, als sein Geist reichte. Er selbst hat in seinen Gemälden niemals Ideen zum Ausdruck zu bringen versucht. Das Höchste, was er erkennen konnte, war die Technik, in der fast sein einziges Verdienst liegt, aber ein gewaltiges, denn nicht allein in der Farbe, auch in der Zeichnung leistete er Vortreffliches. Michelangelo hat sicherlich anders über den Lazarus und über die Teppiche gesprochen. »Die Teppiche«, sagt Goethe mit Recht, »sind das einzige Werk Raffaels, das nicht klein erscheint, wenn man vor Michelangelos Decke in der Sixtina kommt.« Eine Mannigfaltigkeit der Komposition offenbart sich in ihnen, die Michelangelos Macht im vollsten Maße gleichkommt, und zugleich eine Natürlichkeit und einfache Anmut, in der er selbst sich vielleicht als übertroffen anerkannt haben würde. Wohl möglich, daß der Anblick dieser Arbeit das Eis zwischen beiden Männern zum Schmelzen gebracht haben würde, wie es ja auch bei Schiller und Goethe langer Jahre bedurfte, ehe sie sich in der rechten Weise erkannten. Dazu aber bot sich nun keine Gelegenheit mehr. Sie begegneten sich nicht wieder. Am Karfreitage 1520, wenig Monate nach dem Briefe Sebastian del Piombos, starb Raffael und ließ den großen Michelangelo von nun an allein und ohne würdigen Nebenbuhler in der Welt zurück.

Das war ein Schlag, der den gemütsruhigen Papst doch aus der Fassung brachte. Die vierzehn Tage lang, die das zehrende Fieber dauerte, dem Raffael erlag, schickte er täglich, um nach ihm zu fragen, und brach in Tränen aus, als er die letzte Nachricht erhielt. Aufgezehrt von einem verderblichen Fieber, das ihn bei seinen Ausgrabungen des antiken Roms befallen hatte, ging er zugrunde. Tot lag er da in seinem Palaste, ihm zu Häupten stand seine letzte Arbeit, das unvollendete Gemälde von der Himmelfahrt Christi. Eine ungeheure Menschenmenge begleitete die Leiche zum Pantheon, wo die Marmorinschrift, die sein Grab verschließt, noch heute zu lesen ist. Sie sagt, daß er an demselben Tage gestorben sei, an dem er geboren ward.

Ein Jahr früher schon war Leonardo da Vinci gestorben in Frankreich, wo Franz der Erste ihm eine ehrenvolle Stellung bereitet hatte. Leonardo sah Italien nie wieder, wir haben wenig Nachrichten aus seinen letzten Jahren. Ein Dokument aber ist vorhanden, beredter als Briefe und Nachrichten: ein Porträt, das er von sich selbst gezeichnet hat, eine Rötelzeichnung in der Sammlung des Louvre. Ein unbeschreibbarer Zug herber Gedanken liegt in seinem Munde und eine finstere Schärfe im Blick, die genugsam beide sagen, daß dieser Mann in Zwiespalt lebte mit seinem Schicksal. Bitterkeit, Verschlossenheit, Überlegenheit, etwas wie das Wesen eines Zauberers redet aus dieser Zeichnung. Wenn man Vasaris Schilderung im Sinne hat, wie Leonardo in jungen Jahren so viel Liebenswürdigkeit ausströmte, daß alles sich festgehalten und mitgezogen fühlte, wenn wir da lesen wie er in jugendlicher Freude durch die Straßen von Florenz ziehend den Vogelhändlern auf dem Markte Geld gab so viel sie verlangten, damit sie ihre Käfige aufsperrten, wenn wir sehen wie sein Geist, im ungemeinen Umfange seiner Kraft schwelgend, schaffend und beobachtend alles erfaßte, alles leistete, und wenn wir ihn im Alter damit vergleichen, fern von seinem Vaterlande, ohne Freunde, die ihn nur vermißten dort, und ohne großartigen Abschluß seiner Tätigkeit in Frankreich, so fühlt man, wie zu den Gaben des Geistes das Glück hinzutreten muß, wenn sie sich entfalten und Früchte tragen sollen. Wie traurig mag er an Italien zurückgedacht haben. Melzi war bei ihm und zeigte den Verwandten in Florenz seinen Tod an.

Leonardos Verlust war ohne Bedeutung für die italienische Kunst, Raffaels plötzliches Verschwinden ein Schlag, der tief empfunden ward. Er starb zu früh, nicht für seinen Ruhm, aber für die Begründung seiner Schule. Er hätte doch Ungemeines schaffen und wirken können. Mit ihm erlosch ein Feuer gleichsam, das den Rädern einer ausgedehnten Fabrik die treibende Bewegung zuführte. »Rom ist leer und ausgestorben für mich, seit Raffael nicht mehr da ist«, schrieb der Graf Castiglione. Wer den plötzlichen Hinweggang einer großen geistigen Kraft jemals erlebt hat und die Leere, die sie zurückläßt, der vermag sich eine Vorstellung zu bilden, wieviel die Stadt an ihm verlor. Denn neben dem, was täglich zur Erscheinung kommt und dankbar empfunden wird bei so großen Naturen, solange sie leben und wirken, fühlt man nach ihrem Verluste erst die geheime aufrechthaltende Kraft, mit der sie alles um sich her erfüllen, ohne daß es sie selber ahnten, die sich stark durch diese fremde Stärke fühlten. Raffael diente in liebenswürdiger Nachgiebigkeit dem Hofe, der ihm viel gewährte: unter der äußerlichen Hülle dieser gehorchenden Freundlichkeit aber lebte ein scharfblickender königlicher Geist, der keiner Gewalt sich neigte und einsam seine eigenen Wege ging, wie die Seele Michelangelos. Wir in Deutschland denken an die Dresdner Madonna zuerst, wenn von Raffael die Rede ist, eines seiner letzten Werke mit und das ergreifendste, als hätte er nach so vielen Madonnen endlich das schönste Antlitz im Geiste gesehen, mit dem die übrigen sich nicht vergleichen lassen. Welch eine Schöpfung! – zu deren Lob sich nichts sagen läßt, so wenig wie zu dem des gestirnten Himmels oder des Meeres oder des Frühlings. Wer davorsteht, vergißt Rom, die Vergangenheit, die irdischen Schicksale Raffaels. Wie ein vertrauter Freund erscheint er uns, der unsere Gedanken kennt, wie eine milde, freundliche Macht, die sich der Formen und Farben nur bediente, um eine grenzenlose Fülle von Schönheit den Menschen mitzuteilen. Es gibt Naturen, denen Michelangelo nicht zusagt, es gibt keinen Künstler, glaube ich, der nicht irgendwo auf Widerstand stieße: – Raffael aber überwindet jeden; kein Mensch, der sich der beglückenden Gewalt seiner Werke verschließen könnte.

Wir wissen nicht durch die kleinste Äußerung, welchen Eindruck auf Michelangelo Raffaels Tod gemacht. Wiederum Sebastian del Piombo meldet das Ereignis. Sogleich kommen nun aber auch schon die praktischen Folgen des Verlustes in Rechnung. Sebastian war jetzt der Erste in Rom. Auf sein Drängen hin gab Michelangelo sich Mühe, die Malerei im Vatikan seinem Schützlinge zuzuschanzen, doch es glückte ihm nicht. Raffaels Nachfolger legten solche Proben ihrer Befähigung ab, daß der Papst, so sehr er den Vorschlägen Michelangelos günstiges Gehör zu leihen schien, Giulio Romano und Francesco Penni, welche das Atelier Raffaels repräsentierten, in ihrer alten Stellung erhielt. Zuletzt, als Sebastian einsah, daß er selber keine Hoffnung hegen dürfe, den Auftrag zu erlangen, wollte er Michelangelo bewegen, die Malerei für sich selbst zu beanspruchen. Hier aber scheiterte er vollständig: Michelangelo wies all dergleichen ab, und die Intrige blieb erfolglos.

Michelangelo wandte sich in dieser Sache niemals direkt an den Papst, sondern an den Kardinal, mit dem er damals im besten Vernehmen stand. Am letzten März des Jahres waren die Maurerarbeiten für das neue ihm vom Kardinal übertragene Werk in Angriff genommen. Die Fassade, das Denkmal des Überflusses und des Stolzes, hatten die Medici aufgegeben, statt ihrer sollte derselben Kirche eine Kapelle mit den Gräbern Lorenzos und Giulianos zugefügt werden; ein Pendant zur alten Sakristei mit den Gräbern der älteren Medicis, die Brunelleschi gebaut.

Indessen, so gut der Wille des Kardinals war, auch hier ließen die Verhältnisse die Fortführung des Werkes nicht recht in Schwung kommen. Das Jahr 20 über verblieb es bei den ersten Anfängen. Michelangelo muß mit der Anfertigung der Modelle beschäftigt gewesen sein. Im April 21 geht er nach Carrara und macht Bestellungen. Er entdeckt dort jetzt, wie Benvenuto Cellini erzählt, einen neuen Bruch, aus dem all der Marmor für die Figuren der Sakristei herkam. Am 22. April 1521 kauft er daselbst 200 Wagenlast Marmor, aus welchem drei Figuren, nach seinen Modellen bis auf einen gewissen Grad zugehauen, Ende 1523 in Florenz abgeliefert werden sollten. Er hatte dafür seine eigenen Steinmetzen an Ort und Stelle. Was abfiel, sollte, zu Werkstücken geschnitten, schon im nächsten Juli in der Stadt sein. Am 23. April kauft er eine zweite Quantität Marmor für eine sitzende Madonna, die bereits Ende 1523 in Florenz erwartet wurde.

Diese Madonna, die erste Figur der gesamten Anzahl, welche ausdrücklich erwähnt wird, gehört nicht zu denen, die ganz vollendet wurden. Bedeutend mehr als die letzte Überarbeitung mangelt ihr. Doch existiert ein kaum fußhohes Modell (in Berlin), das als Michelangelos Arbeit gelten kann. Die heilige Jungfrau sitzt auf einem Sessel ohne Lehne, sie hat, mit dem Oberkörper etwas vorgebeugt, ein Bein über das andere geschlagen, und das Kind sitzt rittlings über ihrem Schoße auf dem höher liegenden Schenkel. Es dreht sich um und nach der Mutter zurück, die das Antlitz ein wenig zu ihm herabneigt. Mit der rechten Hand stützt sie sich (indem der Arm nach hinten zurückgreift) auf die Sitzfläche des Sessels, eine natürliche Bewegung, die hier um so anmutiger wirkt, als sie durch eine reiche und mannigfaltige Gewandung, wie eine Zeichnung durch Farben gleichsam, in einem schöneren Lichte erscheint. Mit der linken Hand hält Maria das Kind an sich, dessen Mund und Händchen nach der sich ihm zudrängenden linken Brust suchen.

Vor dem Jahre 23 aber kann Michelangelo diese Figur in Florenz nicht in Arbeit genommen haben. Als er im beginnenden Sommer 21 aus Carrara zurückkam, sollte jetzt erst die ganze Bestellung kontraktmäßig festgesetzt werden. Er machte seine Vorschläge; der Kardinal war nicht zufrieden damit. Michelangelo erbot sich, das Innere der Sakristei als Modell in Holz, die Figuren in Ton anzufertigen und dann das Ganze gegen eine bestimmte Summe herzustellen. Er hatte gerade einen Ankauf von Grundstücken vor und wünschte das Geld darin anzulegen. Aber vom Kardinal war kein Entschluß zu erlangen. Nun machte der Krieg in der Lombardei seine Anwesenheit bei der Armee notwendig: diesmal sollten von Papst und Kaiser in Gemeinschaft dort einmal wieder die Franzosen herausgejagt werden, und so verläßt Medici Ende September Florenz, um als Bevollmächtigter des Papstes der Kriegführung größeren Nachdruck zu geben.

Vor der Abreise sprach er mit Michelangelo und bat ihn, die Ankunft des Marmors zu beschleunigen, Leute anzunehmen und arbeiten zu lassen, damit er bei seiner Rückkehr den Bau um ein tüchtiges Stück gefördert fände. Das ganze war überhaupt noch so sehr in den Anfängen, daß der Abschluß des Kontraktes späterer Zeit vorbehalten bleiben konnte. Auch gab er zu verstehen, daß die Ausführung der Fassade keine aufgegebene Sache sei; übrigens werde sein Schatzmeister, dem er Auftrag dazu erteilt habe, die erforderlichen Gelder auszahlen.

Dieser aber will nach der Abreise des Herrn keine solchen Befehle empfangen haben und ersucht Michelangelo, sich schriftlich an den Kardinal zu wenden. Hierzu jedoch läßt Michelangelo sich nicht herbei. Nun tritt der plötzliche Tod des Papstes ein. So wenig Geld ist in Rom vorhanden, daß kaum ein einigermaßen würdiges Leichenbegängnis ausgerichtet werden kann. Der Kardinal kehrt zurück, siegreich, durch den Verlust dessen aber, für den er gesiegt, um allen Vorteil seines Erfolges gebracht. Niemand hatte diesen Fall erwartet. Leo war, wenn nicht gesund, doch kräftig und in seinen besten Jahren. Augenblicklich mußte für die Medici die Sorge in den Vordergrund treten, sich selbst in Florenz zu erhalten, wo außer der allgemeinen Freiheitsliebe des Volkes der Haß der einzelnen drohte, vor allem die Feindschaft der Soderinis, die in Florenz, Rom und Frankreich damals so mächtig waren.

Ende Februar 1522 kam der Kardinal in der Stadt wieder an. Michelangelo erhält die besten Worte. Nichts wünsche man sehnlicher, wird ihm versichert, als etwas Ausgezeichnetes von seinen Händen für die Grabmäler zu besitzen, keineswegs aber übergab man ihm den ganzen Bau oder irgendwie bestimmte Aufträge. Michelangelo ging endlich mit der Bemerkung, er werde wiederkommen, wenn die Blöcke aus Carrara angelangt wären. Er kehrte zum Grabmale Giulios zurück, an welchem auch die Jahre vorher immer fortgearbeitet worden war, und zu anderen Werken, von denen wir, ohne sie näher zu kennen, stets annehmen müssen, daß sie ihn beschäftigten; denn in einer Werkstätte wie der seinigen konnte kein Stillstand eintreten.

Als eins von den Werken, welche in diese Zeit fallen, sei die Statue des am Kreuz stehenden Christus in der Kirche sopra Minerva in Rom genannt. Im Jahre 1514 bereits wurde sie von einem römischen Privatmanne bestellt und gelangte zu so großer Berühmtheit, daß Franz der Erste sie später abformen ließ, um in Paris einen Erzguß danach anfertigen zu lassen. Der äußeren Vollendung nach und als Darstellung eines nackten männlichen Körpers in seiner schönsten Blüte, ist sie ein bewunderungswürdiges Werk, als Bild desjenigen aber, an den sie uns doch erinnern soll, die erste Statue Michelangelos, die als manieriert bezeichnet werden muß.

Ein Kunstwerk wird manieriert genannt, wenn bei ihm die Form so behandelt erscheint, daß der geistige Inhalt neben ihr in die zweite Linie gedrängt wird. Die Grenze ist hier oft schwer zu finden. Auch der größte Künstler kann in die Manier verfallen, denn es braucht dazu nicht bloß Nachahmung fremder Eigentümlichkeit: ein leises Abweichen vom reinen Gedanken läßt das reichste, unabhängigste Genie manierierte Werke schaffen. Michelangelos Kraft beruhte in seiner Kenntnis der Anatomie. Er sezierte Körper oder zeichnete sie nach dem Leben in den schwierigsten Lagen, bis ihm die Bewegung der Muskeln durchaus geläufig war. Verkürzungen, welche die Meister vor ihm kaum zu denken gewagt, brachte er zur Anschauung. Er hob das alte steife Exerzierreglement auf und erlaubte den Figuren, frei ihre Glieder zu brauchen. In der Skulptur trat seine Meisterschaft durch die Richtigkeit zutage, mit der er bei jeder Wendung der Gestalt die durchschimmernde Muskellage erscheinen ließ. Hier aber verleitete ihn seine Kunst. Der gewohnten ruhigen Stellungen müde, bei denen die unangespannten Glieder die Veränderung, deren ihre unter der Haut liegenden Teile fähig sind, zu wenig hervortreten lassen, sucht er Schwierigkeiten, nur um sie zu überwinden, und läßt seine Gestalten Wendungen machen, welche weniger die Bewegung des sie erfüllenden Gedankens als die Kühnheit und Kenntnis Michelangelos zeigen.

Die Statue des Christus in der Minerva empfängt an ihrem Platze das in solchen Räumen hergebrachte zerstreute Licht, welches eine richtige Ansicht selten zuläßt. Die Gestalt steht aufrecht, das aus Rohrstäben gebildete Kreuz an ihrer Seite; die rechte Hand hält es mit herabgesenktem Arm unten leicht gefaßt, während die linke, über die Brust herübergreifend, es weiter oben berührt. Die Beine und der Unterkörper sind dabei in der Bewegung nach links gewandt, indem das linke Bein ein wenig vor-, das rechte zurücktritt; der Oberkörper jedoch dreht sich den Schultern mit nach der andern Seite, und diese Drehung der Gestalt über den Hüften ist das Meisterstück der Arbeit.

Die Stellung aber entspricht nicht der Person dessen, den sie erscheinen lassen soll. Nehme ich den Abguß des kleinen, zart ausgeführten Modells der Statue in die Hand, wo Schultern und Kopf fehlen, so glaube ich den Torso eines Achilles zu sehen. Eine schlanke, kühne Vollkommenheit männlicher Kraft läßt diese Bildung ahnen: man denkt, das Haupt müsse ein Helm bedeckt und an dem fehlenden Arm ein Schild gehangen haben. Etwas kriegerisch Heldenhaftes liegt im Aufstehen der beiden Füße, das uns befremdend sein muß bei einer Erscheinung, die sanft hinwandelnd über die Erde gedacht wird, als müßten sich die Blumen auf die er getreten, wieder aufrichten nachher, wie wenn sie nur ein Windhauch beugte.

Dieses Sanfte, Duldende war Michelangelo überhaupt nicht eigen; er konnte nicht in seine Werke legen, was er nicht besaß. Christus' Leichnam stellte er in zart mißhandelter Weichheit dar, aber wo er ihn lebendig gibt, läßt er ihn groß und stark auftreten, wie das auch Raffael zuweilen tut, oder wie er in der uralten deutschen Übersetzung des Evangeliums einhergeht als der »starke, gewaltige Herr«. Wie ein Heerführer in Waffen und die Apostel sein Gefolge von streitbaren Rittern. Etwas Riesenhaftes hat er oft bei Michelangelo, besonders auf seinen Zeichnungen. Ich erinnere an eine, wo der sitzende tote Körper zur Seite hin ineinanderbricht, oder an eine andere, wo er aus dem Grabe auffliegt. Die verschränkten Arme emporgehalten, das Haupt aufwärtsschauend und weit zurückgewandt, die Füße dicht nebeneinander, schwingt er sich aus dem offenen Sarge auf. Eine stürmische Gewalt liegt in der Bewegung. Man meint, er könnte die ganze Erde wie bei den Haaren packen und mit sich reißen. Die Wächter stieben auseinander, als wäre zwischen ihnen ein Vulkan ausgebrochen. Es hat keinen Künstler auf der Welt gegeben, der das sich Bewegende in den Gestalten so in Linien zu fassen vermochte wie Michelangelo.

Bei Beurteilung des Christus in der Minerva muß jedoch in Betracht gezogen werden, daß er nicht ganz von ihm vollendet worden ist. Michelangelo sandte das Werk mit einem seiner Arbeiter nach Rom, der es dort zu Ende bringen und aufstellen sollte. Dieser aber verdarb die Arbeit dermaßen, daß ein anderer römischer Bildhauer angegangen werden mußte, die Statue wieder instand zu setzen. Ein Brief Sebastian del Piombos an Michelangelo sagt, an welchen Stellen die Fehler begangen worden seien: an der Hand, welche das Kreuz halte, am einen Fuße, am Barte und so weiter. Man wußte dem dann so gut abzuhelfen, daß der Besteller sich als vollkommen befriedigt erklärte. Dies war nicht das einzige Mißgeschick, welches Michelangelo bei der Statue zustieß. Er hatte sie überhaupt von frischem in Florenz beginnen müssen, weil die erste, die er in Rom angefangen hatte, wegen eines Fehlers im Steine ganz aufgegeben werden mußte.

Der Tätigkeit des römischen Mitarbeiters darf ein Teil des Eindruckes wohl zugeschrieben werden, den die Statue macht. Seltsam ist auch das Antlitz, das eine fast individuelle Physiognomie zeigt, dazu bis in den Rücken hinabgelocktes Haar: man würde die Gestalt, unbefangen davor tretend, für einen Johannes erklären.


 << zurück weiter >>