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Wer darauf besteht, die beiden großen Künstler als zänkische Widersacher zu denken, der könnte das wenige, was uns von ihrem persönlichen Verhalten gegeneinander aufbewahrt worden ist, in diesem Sinne allenfalls zurechtlegen. Solche Folgerungen aber bleiben unrichtig in sich. Wir sehen Raffael und Michelangelo freilich zu Parteihäuptern gemacht. Raffael erscheint von Anfang an als befangen: er hatte Leute um sich, die gegen Michelangelo hetzten; und bei diesem selbst entdecken wir nichts von entgegenkommendem Wesen: er stieß ab, was ihm nicht zusagte. Seine Anhänger und die Raffaels bekämpften sich. Keine Spur aber, daß die beiden Meister die Rollen wirklich angenommen hatten, die ihnen so von den Ihrigen aufgedrängt wurden. Was man in dieser Hinsicht anders zu deuten suchte, ist falsch gedeutet, weil es gegen ein Naturgesetz verstößt, das keinen Widerspruch duldet. Vortrefflichkeit bildet zwischen denen, die sie besitzen, eine unzerstörbare Gemeinschaft. Alles Große, die niedere Waffe der Sterblichen Überragende, fühlt sich unauflöslich vereinigt, es ist zu einsam, um einander nicht um jeden Preis aufzusuchen. In der Umgebung beider Männer mögen Neid und Eifersucht in Intrigen sich Luft gemacht haben, in den hohen Regionen ihrer wahrsten Natur aber fühlte jeder zu gut, was er selbst und was der andere wert sei, und so ferne sie sich blieben äußerlich betrachtet, so nah standen sie dennoch zusammen, weil in jene Höhe nichts mehr reichte, das sie auseinanderzuhalten genug gewesen wäre.
Raffael jagte dem Ruhme Michelangelos nach, wie dieser eben erst Leonardos Größe zu überbieten getrachtet. Raffael malte in den Zimmern des Vatikans, wenige Schritte entfernt von der Kapelle, in der Michelangelos Gerüste standen. Sie müssen sich oft begegnet sein im Palaste, durch den der Weg zur Kapelle führte; wie blickten sie einander in die Augen? In Michelangelos Äußerung, die er lange nach dem Tode Raffaels getan: was Raffael in Sachen der Architektur gewußt, habe er von ihm gelernt, liegt nichts Herabsetzendes. Corneille konnte dasselbe von Racine sagen, der so viel jünger war, ohne ihn in seiner Größe zu verringern, Goethe sich so über Schiller aussprechen. Wo Leute wie Michelangelo, Corneille und Goethe vorangegangen sind, da muß alles, was jünger ist, in ihre Fußtapfen treten, auch das ist ein Naturgesetz, so sicher wirkend, als wenn es sich um chemische Verwandtschaften handelte. Viel wichtiger ist Michelangelos Wort: Raffael sei nicht durch sein Genie, sondern durch seinen Fleiß so weit gekommen, als er kam. Es erscheint als die höchste Anerkennung aus seinem Munde.
Fleiß kann hier nichts anderes bedeuten als das Glück, das ein Künstler in unermüdlicher Vervollkommnung seines Werkes sucht. Fleiß ist nicht anhaltende Tätigkeit oder Arbeitsamkeit im allgemeinen, die sich keine Ruhe gönnt, sondern Versenkung in das Eine, das vollendet werden soll, schöpferische Sehnsucht, das geistige Bild in sichtbare Formen ganz hineinzuarbeiten, Genuß am Gleichgewichte des Inhaltes mit der äußeren Erscheinung und der Drang, Kraft zu gewinnen und ihn zu befriedigen. Was gemeinhin Fleiß genannt wird, ist die emsige Sorgfalt, das Material zu bewältigen, um in einem Tage sichtbar recht weit zu kommen; verglichen mit jenem geistigen Fleiße aber, den Michelangelo Raffael zuspricht, sinkt dieser materielle Fleiß nur zu einer Voraussetzung herab, die sich von selbst versteht. Ein Künstler, wie ihn Michelangelo denkt, gibt nach der höchsten Anstrengung sein Werk dennoch als unvollendet. Er sagt, ich mußte damals stillstehen, ich konnte nicht weiter. Am gewissenhaftesten war hier wohl Leonardo, der gern keines seiner Bilder aus den Händen gegeben hätte, solange er lebte. So arbeitete auch Goethe, der bis in sein Alter jung begonnene Werke zurückhielt, weil das Gefühl niemals nachließ, wie viel noch an ihnen zu bessern sei.
Michelangelo stand allein in Rom, als er die Sixtina malte. Er hatte nur den Papst als Partei hinter sich: um Raffael und Bramante scharten sich die Künstler. Michelangelo war nicht mehr ganz jung, finster, scharf, mit unerbittlicher Strenge das Echte vom Unechten sondernd; Raffael im Beginn der Zwanzig, liebenswürdig, heiter, hilfreich und mit dem Zauber siegreicher Überlegenheit umgeben, von der Liebe erweckt wird, und die neidlos selber den Neid der anderen in Zuneigung auflöst. Dabei am Hofe nicht bloß von Bramante protegiert, sondern vom Herzoge von Urbino und dessen Damen, die als nahe Verwandte des Papstes in Rom eine glänzende Rolle spielten, begünstigt und in die höchste Geselligkeit emporgezogen.
Raffael hatte einen Vorzug, den vielleicht so lange die Welt steht kein anderer Künstler in solchem Grade besessen hat: seine Werke entsprechen dem Durchschnittsmaße des menschlichen Geistes. Sie stehen keine Linie darüber noch darunter. Michelangelos Ideale gehören einer höheren stärkeren Generation an, als hätte er Halbgötter im Geiste beherbergt, wie auch Schillers poetische Gestalten in anderer Weise oft das Maß des Gemeinmenschlichen überschreiten; Raffael aber traf das Richtige wie Shakespeare. Er scheint zu schaffen, wie die Natur schafft. Keine Wolkenpaläste, in denen man sich zu klein dünkt, sondern menschliche Wohnungen errichtet er, durch deren Türen man eingeht und fühlt, daß man da zu Hause sei. Er ist verständlich in jeder Bewegung, er schmiegt sich dem Schönheitsgefühle der Menschen an mit seinen Linien, als sei es unmöglich, sie anders zu ziehen, und das Behagen, das er so auf die Beschauenden ausgießt, die sich entzückt als seinesgleichen fühlen, gibt den Werken die Allmacht und seiner Person den Schimmer glückseliger Vollkommenheit. Obgleich er unendlich viel getan hat, möchte man nicht glauben, daß er sich jemals groß angestrengt habe; man würde nicht zugeben, daß er je unglücklich gewesen sei, wie man es auch Goethe und Shakespeare nicht glauben würde. Es klebt ihm gar nichts Absonderliches an, man späht umsonst nach dunklen Ecken in seiner Seele, in denen die traurigen Gedanken sich festnisten könnten wie Spinnweben in verlassenen dumpfigen Gemächern. Zufrieden wie ein Baum, der, mit Früchten schwer behangen, trotz seiner seufzenden Äste glücklich scheint, steht er da, und die Bewunderung, die ihn umgibt, ist nichts, was sein Glück erhöhte oder es verminderte, wenn man sie ihm versagen wollte.
Solche Menschen gehen durchs Leben, wie ein Vogel durch die Luft fliegt. Es hindert sie nichts. Es ist dem Strome einerlei, ob er glatt in langer Linie durch die Ebene fließt oder in gekrümmtem Laufe sich um Felsen schlängeln muß. Es ist kein Umweg für ihn, so in weite Schleifen rechts und links gedrängt zu werden, kein Aufenthalt, wenn der Lauf sich ihm völlig staute: behaglich schwellend breitete er sich zum See aus, und endlich bräche er dennoch einen Weg für seine Wogen, und die Gewalt, mit der er nun dahinschießt, ist ebenso natürlich als die Ruhe, mit der er seine Bahn wandelte vorher. Raffael, Goethe und Shakespeare hatten kaum äußere Schicksale. Sie griffen mit sichtbarer Gewalt nicht ein in die Kämpfe ihres Volkes. Sie genossen das Leben, sie arbeiteten, sie gingen ihren Weg und zwangen niemand, ihnen zu folgen. Keinem drängten sie sich auf und forderten die Welt nicht auf, sie zu betrachten oder zu tun, wie sie getan. Aber die anderen alle kamen von selbst und schöpften aus ihren erfrischenden Fluten. Man nenne eine gewaltige Tat Raffaels, Goethes oder Shakespeares? Goethe, der so tief verflochten scheint in alles, was uns angeht, der der Schöpfer unserer geistigen Kultur ist, hat sich nirgends gegen die Ereignisse gestemmt; er wandte sich dahin, wo er am bequemsten vorwärtskam. Er war fleißig. Er hatte die Vollendung seiner Werke im Sinn; Schiller wollte wirken und eingreifen, Michelangelo wollte handeln und duldete nicht, daß Geringe vorn ständen, über denen er sich Meister fühlte. Der Gang der Ereignisse bewegte Michelangelo und beteuerte oder dämpfte seine Gedanken. Die Betrachtung seines Lebens ist nicht möglich herausgerissen aus dem Gange der Weltereignisse, während sich Raffaels Leben abgesondert wie ein Idyll erzählen ließe.
Wir wissen nicht viel von Raffaels Erlebnissen; es ist an tatsächlichen Nachrichten über ihn fast ebensowenig vorhanden als bei Leonardo. Die Phantasie des Volkes aber hat sich daran nicht gekehrt. Wir haben ein Haus, wo er wohnte in Rom, eine Kneipe, wo er verkehrte, ein Haus seiner Geliebten, deren Name und deren Verhältnisse berichtet werden, haben Erzählungen, deren Mittelpunkt er bildet, von seinem kindlichen Alter in Urbino an bis zu seinem Tode, der ihn in der Blüte des Lebens in Rom fortnahm. Wie dem Volke Friedrich der Große immer als der alte König mit dem Krückstocke erscheint, so steht Raffael als der schöne Jüngling da, wie eine irdische Ausgabe beinahe des Erzengels, dessen Namen er trägt; und so sehr hat jeder, der sich mit ihm beschäftigte, von der Freiheit Gebrauch gemacht, der Idee nach, die er von ihm hegte, die Tatsachen zu beurteilen und zurechtzulegen, daß am Ende Wahrheit und Dichtung nicht mehr zu unterscheiden sind.
Raffael kam wohl 1507 zuerst nach Rom. Er trat nicht so jung in die Stadt ein wie Michelangelo, als dieser sie zuerst erblickte. Welch eine Masse von Arbeiten aber hatte Raffael bereits hinter sich, gegen das Wenige, doch Gewaltigere, was Michelangelo in demselben Alter getan. Michelangelo arbeitete stoßweise: zu Zeiten mit ungemeiner Anstrengung, dann wieder lange brach liegend, in Bücher und philosophische Gedanken vertieft; Raffael kannte keine Jahreszeiten: immer Blüten und Früchte zu gleicher Zeit tragend, scheint er eine unerschöpfliche Fülle von Lebenskraft in sich gefühlt und auf alles um sich her ausgeströmt zu haben.
Das ist es, was schon aus seinen frühsten Bildern herausleuchtet. Eigentümlich in Form und Gedanken sind sie gar nicht. Leonardo suchte das Abenteuerliche, Michelangelo das Schwierige, Große auf, beide arbeiten mit durchdringender Genauigkeit, beide gehen ihre eigenen Wege und drücken ihren Werken den Stempel ihrer Natur auf: Raffael lehnt sich an, geht in der Vollendung oft nur bis zu einem gewissen Punkte, bei dem er sich beruhigt, und scheint nicht eifersüchtig darauf, mit anderen verwechselt zu werden. Er malt zuerst in den Formen Peruginos und Porträts in der feinen Manier Leonardos – ein gewisser Liebreiz ist beinahe das einzige Kennzeichen seiner Werke –, endlich findet er sich in Rom allein Michelangelo gegenüber: da erst bricht die wahre Quelle der Kraft hervor in seinem Geiste, und er schafft Werke, die so hoch über den früheren Arbeiten stehen, daß die Luft von Rom, die er einatmete, Wunder an ihm gewirkt zu haben scheint. Und so ging es von da in steigender Linie vorwärts.
Michelangelos Einfluß kann allerdings für den allerersten römischen Aufschwung noch nicht in Betracht kommen, dagegen aber auch nicht mehr von Perugino die Rede sein. Raffael kam schon als selbständiger Mann, der einen eigenen Weg gefunden hat. Wenn er einem älteren Künstler dabei zu danken hatte, so ist es dem Fra Bartolommeo, dessen Freund er in Florenz war, derselbe, der vor Zeiten Savonarola zuliebe seine Arbeiten ins Feuer trug, zugleich ein Anhänger da Vincis, dessen Manier er sich anzueignen strebte. Beim Sturm von San Marco gehörte er zu denen, die das Kloster verteidigen wollten, und als der Kampf begann, tat er das Gelübde, Mönch zu werden, wenn er glücklich davonkäme. Im Jahre 1500 trat er dann ein und entsagte auf einige Zeit der Malerei gänzlich, wandte sich ihr in der Folge jedoch wieder zu und brachte eine große Anzahl ausgezeichneter Werke hervor, welche in Komposition und Kolorit hoch über denen Peruginos stehen. Dürfen wir aus seinem Charakter auf den Raffaels zurückschließen, da zwischen beiden ein dauerndes, vielleicht inniges Verhältnis bestand, so mag Raffael sich in Florenz, ehe er nach Rom ging, als zart, schüchtern und von sanft anschmiegsamem Wesen gezeigt haben, Seeleneigenschaften, die sich aus Fra Bartolommeos Werken ebenso deutlich als schön herauslesen lassen und die den Florentiner Gemälden Raffaels nicht minder eigentümlich sind; in Rom aber kam das Leben anders an die heran, die in seinem Strome schwammen, und es ist nirgends gesagt, daß Raffael furchtsam abseits am Ufer gesessen habe.
Raffael also, auf Bramantes Empfehlung berufen, begann für die Camera della Segnatura im Vatikan zu arbeiten, wo Schule von Athen und Disputa einander gegenüber die Hauptwände einnehmen, während an der dritten Wand, zwischen beiden, der Parnaß thront. Dies die Anfänge seiner römischen Tätigkeit. Im Vatikan läßt sich am schönsten verfolgen, wie Raffael von Jahr zu Jahr in immer großartigerem Wachstum sich entfaltete. Denn bald breitete er sich aus im Palaste, und Schüler und Gehilfen umgaben ihn. Die vorhandenen Deckengemälde Peruginos rettete er, als sie ihm im Wege zu stehen begannen, von den übrigen ließ er Kopien anfertigen, ehe sie der Zerstörung anheimgegeben wurden. An den Zimmern des vatikanischen Palastes hat Raffael so lange gearbeitet und arbeiten lassen, als er lebte.
Diese Räume, viereckig, aber von unregelmäßiger Grundfläche, stoßen in einer Reihe aneinander, durch ziemlich unscheinbare Türen verbunden, während die Fenster, ehemals mit gemalten Scheiben ausgefüllt, breit und hoch in die Mauern einschneiden. Marmorbänke sind vor ihnen angebracht, mit kostbaren geschnitzten Läden lassen sie sich schließen. Der Fußboden ist Mosaik, die Wölbung der Decke die schönste Kreuzung zweier Bogen, so daß sich die vier Wände des Gemaches nach oben hin in vollem Halbkreise abschneiden, während in den Ecken die Zwickel des Gewölbes sich tief hinunterstrecken. Obgleich alles verkratzt, beschmutzt und verwittert erscheint, so haust hier doch noch ein Hauch der alten Zeit in den Winkeln des Palastes. Man könnte im Traume die Farben wieder frisch, das Gold der Verzierungen neu und glänzend und die Sonne in den glühend bunten Glasscheiben der Fenster spielen sehen. Und durch die Türe träte Giulio ein, gebeugt ein wenig, aber mit kräftigen Schritten, und sein glatter, feiner, schneeweißer Bart fiele auf den purpursamtenen Kragen, den er über dem langen, weißgefälteten Unterkleide trägt, an seiner Hand aber glänzte der große Rubin, und sein blitzendes Auge überflöge die Gemälde, die sein Befehl hervorrief. Giulio liebte Raffael. Er gab ihm in jeder Weise die Gunst zu erkennen, deren er ihn würdig hielt.
Raffael widersprach ihm gewiß nicht, wie Michelangelo tat. Er war kein Schmeichler, aber seine Natur drängte ihn dazu, das Wohlwollen der Menschen zu gewinnen. Wie kindlich, ja schmeichlerisch schreibt er in jenen ernsten Tagen aus Rom an Francesco Francia nach Bologna, den er doch längst überholt hatte und dessen Werke und Tätigkeit er trotzdem über die seinigen erhebt, als wenn es sich wie die natürlichste Sache von selbst verstände. Francia aber sendet ihm ein Sonett, worin er seine Größe so schön und in so einfach starken Worten anerkennt, daß man aus diesem Zeugnis eines gleichzeitigen Künstlers den strahlenden Ruhm ermessen kann, den das Genie dieses glücklichen Jünglings, fortunato garzon, wie er von Francia genannt wird, plötzlich um sich verbreitete.
Dies Sonett, das mit den Worten beginnt: »Weder Zeuxis noch Apelles bin ich, noch einer von jenen großen Meistern, daß ich mit solchem Namen genannt zu werden verdiente, noch ist mein Talent und meine Kraft des unsterblichen Lobes würdig, das ein Raffael ihr zuerteilt« – scheint anzudeuten, daß es die Antwort auf ein von Raffael gesandtes Sonett war, in welchem Francia mit so überschwenglichen Vergleichen angeredet wurde. Doch ist keine Spur mehr davon vorhanden. Nur vier Sonette im ganzen haben wir von Raffael, Liebesgedichte, auf Studienblätter hingekritzelt, welche zur Disputa dienten, also im ersten Frühling oder Sommer gedichtet, den er in Rom zubrachte. Es steckt ein ganzer Roman in diesen Gedichten. Alle vier haben denselben Inhalt: leidenschaftliche Erinnerung an das Glück, das in den Armen einer Frau gefunden ward, zu der die Rückkehr unmöglich ist. Die Resignation, die Sehnsucht, die ihn erfüllt, die Wonne dann wieder, mit der er die Stunden sich zurückruft, als sie kam, tief in der Nacht, und sein war, sind in seine Verse hineingeflossen. Man fühlt, daß er viermal dasselbe sagen mußte, weil es unmöglich war, in Worten die Empfindung zu erschöpfen, und in den oftmals ausgestrichenen Reihen selber, aus denen er die Sonette aufzubauen sucht, liegt die Glut der großen Flamme, von der er sagt, daß sie an seinem Leben zehre. Kein einziges der Gedichte Michelangelos enthält so glühende Leidenschaft.
War es eine vornehme Frau, die Raffael liebte, die ein einziges Mal zu ihm kam: »um Mitternacht, als die Sonne längst hinabsank, kam sie, wie eine andere Sonne aufgeht, mehr zu Taten geschaffen als zu Worten«? Plötzlich war sie verschwunden, und nun sucht er den dilettoso affanno, die entzückende Qual, in Worte zu fassen, derer Opfer er geworden. Schweigen wolle er, verspricht er, wie Paulus von den Geheimnissen des Himmels, als er aus ihnen hinabstieg; reden müsse er dennoch, sagt er im anderen Gedichte, aber je mehr ihn verlange zu reden, um so unmöglicher sei es, und als einzigen Trost findet er am Ende das Bedenken, daß es zu großes, tödliches Glück vielleicht wäre, das noch einmal zu genießen; schweigen wolle er, ablassen aber könne er nicht von ihr mit den Gedanken. Und wie war das auch möglich, wo er das sanfte Joch ihrer Arme noch zu tragen glaubt, die seinen Hals umschlangen, und die Verzweiflung ihn noch durchzuckt, als sie sich losmachte und er im Dunkel einsam zurückblieb wie ein Schiffer auf dem Meere, der seinen Stern verloren hat.
Wir wissen nicht, ob er ihr jemals wieder begegnete. Keine Andeutung findet sich in seinen Briefen oder bei Vasari, kein Bildnis einer Frau, in der wir diese Gestalt vermuten dürften. Es ist von vielen Frauen die Rede, die Raffael liebte, aber von allen wird nichts weiter gesagt als nur, daß sie lebten und daß sie seine Geliebten waren.
Eine von ihnen befand sich in seinem Hause, als er starb; er setzte ihr reichlich zu leben aus, wie ein guter Christ, sagt Vasari. Eine andere liebte er, als er in dem Gartenhause Chigis malte. Von dieser soll er so völlig befangen gewesen sein, daß sie ihn von der Arbeit abzog und seine Freunde zuletzt keinen besseren Rat wußten, als sie zu ihm aufs Gerüst zu bringen. Da hatte er sie den Tag über immer um sich und hielt aus bei der Arbeit.
Raffael malte in Rom die Frauen anders als in Florenz. In den Porträts, die er dort hinterließ, liegt die heitere Ruhe, die Leonardo so schön auszudrücken wußte. Dagegen das Frauenbildnis im Palaste Barberini! – das er vielleicht in seinen ersten römischen Tagen malte und das wohl seine Geliebte darstellt, wenn auch nicht die Fornarina, wie Spätere sie getauft haben. Fornarina ist kein Frauenname; das Wort bedeutet die Bäckerin oder die Bäckerstochter und hat seinen Ursprung aus der Geschichte, daß Raffael die Tochter Bäckers in Trastevere geliebt habe.
Das Bildnis des jungen Mädchens oder Frau im Palaste Barberini ist ein wunderbares Gemälde. Ich nenne es so, weil es in hohem Grade die Eigenschaften rätselhafter Unergründlichkeit in sich trägt. Man möchte es immer von neuem betrachten. Sie sitzt uns zugewandt, beinahe nackt, aber doch nicht unbekleidet da; bis unter die Knie ist sie sichtbar. Ein rotes Kleid mit finsteren Schattenfalten ist über ihren Schoß gelegt: mit der rechten Hand hält sie ein dünnes, durchsichtiges, weißes Gewebe, das über den Leib in die Höhe gezogen ist, sanft an die Brust, aber man fühlt: eine Bewegung – und alles ist abgeworfen. Diese rechte Hand scheint mit dem Finger gleichsam einen anderen Ton anzuschlagen. Sie liegt unter dem Busen, mit dem Daumen allein drückt sie das spinnwebleichte Zeug an sich fest; der Zeigefinger berührt etwas aufgehoben die linke Brust und drückt eine leichte Telle hinein; die anderen drei Finger, lose gespreizt, liegen darunter und scheinen sie leise emporzudrängen. Die linke Hand dagegen ist in den Schoß herabgesunken, aber nicht etwa so, daß sie, auf dem Rücken liegend, nach oben geöffnet wäre, sondern mit der Fläche nach unten hin, als habe sie über das Gewand zu den Knien fortstreichen wollen und sei mitten in der Bewegung ins Stocken geraten. Matt auseinandergerissen liegen die Finger auf dem dunklen Purpur, die Wurzel der Hand auf der Höhe des einen Schenkels, die Spitzen der Finger auf dem anderen drüben, als bildeten sie lauter Brücken hinüber.
Den Arm dieser Hand umgibt nicht weit von der Schulter ein schmales Band, grün mit goldenen Rändern und in goldener Schrift steht RAPHAEL. VRBINAS. darauf Das Band scheint ein wenig zu eng, denn es drückt die Muskeln des Armes etwas, über denen es herläuft, daß er sich gelinde aufgebauscht zeigt, als wäre es, um nicht herabzurutschen, knapp darum gelegt.
Wollte Raffael seinen Besitz damit andeuten wie bei einem schönen Tiere, dem er ein Band anlegte, damit er mit Augen sähe, daß es sein sei? Denn höher steht dies Mädchen nicht. Nur Leidenschaften und keine Gedanken scheint seine Stirn zu beherbergen. Und der üppiggespannte Mund, dessen Winkel sich in die Wangen graben, die rabenschwarzen großen Augen, herüberblickend von der Seite zugleich und etwas von unten empor aufschauend, die ausgeprägten Nasenflügel und vollen Nüstern – es leuchtet eine göttlich unschuldige Sinnlichkeit daraus, wie die Göttinnen und Nymphen der Griechen sinnlich waren und ohne zweifelnde Gedanken rein dahingingen, weil sie niemals einen Gegensatz ahnten zu den einfachen glühenden Gefühlen, deren Stimme sie wie Befehlen des Schicksals gehorchten.
Die Wangen sind leise angebräunt wie auch Arme und Hände, also war sie gewohnt, sie in der freien Luft zu gebrauchen; die Augenbrauen dunkel wie die Nacht, als wäre jedes mit einem einzigen kühnen Federzuge gezogen. Das Haar ist glänzend schwarz, geteilt über der Stirn und glatt an den Schläfen her hinter das Ohr gestrichen; der Kopf mit einem bunten Tuche turbanartig umwunden, dessen Knoten an der einen Seite über dem Ohre liegt, das er ein wenig durch seine Schwere drückt.
Sanft vorgebeugt ist ihre Haltung. So sitzt sie da, mit ihren zarten Schultern ein wenig nach links gewendet; sie scheint verstohlen nach dem Geliebten zu blicken, um ihn anzusehen, wenn er malt, und sich doch ja nicht von der Stelle zu rühren, weil er es verboten hat. Ihm aber scheint es ein Quell des innigsten Vergnügens gewesen zu sein, sie aufs genaueste nachzubilden und in keinem Pünktchen anders darzustellen, als er sie vor sich sieht. Man glaubt ihr die Eifersucht, die Heftigkeit, das Lachen, die unverwüstliche gute Laune und den Stolz anzufühlen auf das Glück, von ihm geliebt zu werden. Er aber malte alles hinein, weil er dieser Gefühle selber so bis in ihre Tiefen hinab fähig war. Wenn es seine Bilder nicht verrieten, die Gedichte verrieten es. –
Fehlte Michelangelo diese Seite des Charakters völlig? Man ist gewöhnt, den Namen Vittoria Colonna auszusprechen, wenn eine Frau neben ihm genannt wird. Aber als er sie kennenlernte, war er fast ein alter Mann und sie nicht weniger in den Jahren. Es verband sie gleiche Gesinnung in schwierigen Zeiten. Sie aber blieb immer die Fürstin, und niemals war die Rede von Liebe zwischen ihnen. Vittoria lebte als Witwe halb wie eine Nonne schon und stand im Begriff ins Kloster zu gehen.
Nur die Gedichte Michelangelos gewähren eine Antwort. Es sind leidenschaftliche darunter, aber es fehlt fast überall das Datum ihrer Entstehung; die meisten, wo es sich bestimmen läßt, fallen in seine späten Jahre. Condivi erzählt jedoch, daß er schon früh zu dichten begonnen habe.
Aber in den Versen, die er als alter Mann schrieb, spricht er von seiner Jugend und den Leidenschaften, die sein Herz damals zerrissen. »Das war das schlimmste Teil meiner jungen Jahre«, sagt er, »daß ich blindlings und ohne Warnung anzunehmen in Glut geriet.« »Wenn du mich zu besiegen gedenkst«, redet er in einem anderen die Liebe selbst an, »so bringe mich zurück in die Zeiten, in denen die blinde Leidenschaft kein Zügel aufhielt, gib mir mein himmlisch heiteres Antlitz wieder, dem die Natur jetzt alle Kraft genommen hat. Und die Schritte, die mich meine Angst unnütz vergeuden ließ, und das Feuer gib mir zurück in meinen Busen und die Tränen, wenn du begehrst, daß ich noch einmal glühen und weinen soll.«
»Das waren Zeiten«, beginnt ein anderes, »als ich zu tausend Malen tödlich verwundet, dennoch unbesiegt und unermüdet blieb, und nun, da meine Haare weiß geworden, kommst du noch einmal? Wie oft zwangst du meinen Willen und gabst ihm wieder seine Freiheit, sporntest mich wie ein Pferd zur Wildheit, ließest mich erblassen und meine Brust mit Tränen baden; und nun, da ich alt bin, kommst du wieder?« So wären noch viele Stellen anzuführen. Immer redet Michelangelo jedoch von seinen Qualen, seiner verzehrenden Glut und von den Tränen: von der Erfüllung seiner Wünsche niemals. Kein Gedicht, aus dem, wie aus Raffaels sehnsuchtsvollen Zeilen, der süße Saft berauschenden Glückes wie aus einer reifen Frucht hervorquillt.
Es ist eins von Michelangelo vorhanden, worin er die Schönheit einer Frau beschreibt, aber man weiß nicht, ob er nicht etwa ein Bild anredet und ob die letzten Reihen mehr als dichterische Reflexion sind:
Der goldne Kranz, sieh, wie er voll Entzücken Das blonde Haar mit Blüten rings umfängt; Es darf die Blume, die am tiefsten hängt, Den ersten Kuß auf deine Stirne drücken. Wie freudig das Gewand den langen Tag Sieh aber hier, wie mit verschränkten Schnüren Der Gürtel spricht: laß mich die Lust genießen, |
Wer ist diese Frau gewesen? Der goldene Kranz war bei den Florentiner Damen sehr gebräuchlich. Domenico Grillandaios Vater, ein Goldschmied, soll diesen Schmuck, die ghirlanda aurea, in Florenz erfunden und daher seinen Namen erhalten haben. Das Gedicht findet sich auf der Rückseite eines Briefes an den Bruder Buonarroto vom 24. Dezember 1507. Nichts aber verrät, ob Michelangelo glücklich oder unglücklich war in den Wünschen, die er aussprach.
Nach einer andern Richtung suchen die Gedanken eine Deutung seiner Leidenschaft, die so einsam immer in sich selbst zurückkehrt. Er sagt in dem Gedichte, dessen Worte ich vorhin zuerst anführte: »gib mir das himmlisch reine Antlitz wieder, aus dem die Natur alle Schönheit fortgenommen hat«, onde a natura ogni virtude è tolta. Ich übersetze virtude mit Schönheit, das Wort bedeutet Trefflichkeit, Tüchtigkeit, Kunst, Kraft, wir haben keinen gleichbedeutenden Ausdruck. Bezieht sich das auf den Schlag, den er als Knabe in Florenz erhielt und der ihn entstellte? War er so überzeugt von seiner Häßlichkeit, daß er um ihretwillen nicht wagte, was er sonst vielleicht gewagt hätte? Saß er einsam und über sein Geschick nachdenkend? Zwang er die Tränen heimlich zur Quelle zurück? Wir wissen es nicht. Es braucht auch nicht gewußt zu werden. Aber es widerspricht dem Bilde seines Charakters nicht, ihn so mit sich allein zu denken, daß die Abgeschlossenheit früh ein Bedürfnis für ihn ward, und er die Menschen, die er aus voller Seele liebte, dennoch von sich entfernt hielt, weil er sich für ihr Glück und ihren leichten Verkehr nicht geschaffen fühlte. Deshalb ist es wohl möglich, daß er auch Raffael immer nur eine ernste Stirn zeigte und ihm gegenüber nie daran dachte, ein Zeichen zu geben, daß er ihn verstände und sich selbst von ihm verstanden fühle.