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»Colligite, quae superaverunt fragmenta, ne pereant.«
Joan. VI.
Wie ein gewaltiger Eroberer, dem das große Bild eines Weltreiches vor Augen schwebt, reiht die moderne Bildung eine gewonnene Provinz an die andere und steckt ihrem Reiche immer weitere Grenzen, oder vielmehr, sie ist aus ihrem unaufhaltsamen Siegeszuge noch nicht dazu gekommen, den Umfang ihres Gebietes abzumarken. Kein Land liegt ihr zu fern, keine Sprache klingt ihr zu rauh, kein Stand und Beruf dünkt ihr zu gering, wenn es gilt, den Entwicklungsgang der Menschheit in seinen Spuren zu verfolgen, aus seinen Bahnen zu fördern. Im Gegensatze zu der älteren, hinter dem geheiligten Bollwerke der Schulgrenze und des Zunftidioms sich streng und stolz abschließenden Gelehrsamkeit tritt sie unmittelbar ins freie Leben und verschmäht es nicht, die bishin verachtete Sprache des Volkes zu lernen, dem sie in politischer wie in kulturgeschichtlicher Hinsicht die alten, unveräußerlichen Rechte wiederzugeben strebt, dessen Stimmbefähigung sie anerkennt, und dessen Stimmen sie Ohr und Herz öffnet. So hat auch das Volkslied seine rechtmäßige Stelle in der Kulturgeschichte wiedergewonnen, und es wird erklärbar, wie in Deutschland seit Herder das Interesse an Volkspoesie und somit auch die Zahl der Sammlungen sowohl einheimischer als fremder Volkslieder fortwährend im Steigen begriffen sein mußte. Im gläubigen Vertrauen auf dieses mit den edelsten Bestrebungen und Kämpfen der Neuzeit innig verschwisterte Interesse durfte es der Herausgeber dieser Blätter wagen, die bereits allmählich verklingende poetische Stimme eines merkwürdigen Volksstammes zu vermitteln, der freilich in der großen Staaten- und Kulturgeschichte ein so bescheidenes Plätzchen einnimmt, wie in der Touristenliteratur sein kleines Wunderland, hart an der äußersten Grenze des alten, herrlichen, deutschen oder, wenn man lieber will, des neugeträumten großen Slawenreiches. Krains Volk und Land aber haben dieses gemein, daß sie ihre guten Eigenschaften und unbestreitbaren Vorzüge nicht zur Schau zu tragen wissen, wie denn das Land gerade seinen unschönsten und unfruchtbarsten Teil an der großen Heerstraße ausgebreitet hat, das Volk selbst aber gegen die seiner Sprache und Sitten unkundigen Fremden kalt und verschlossen, mißtrauisch und unzugänglich bleibt.
Die Sprachen in der die Lieder der vorliegenden Sammlung ursprünglich gedichtet und gesungen worden, ist die slowenische, auch krainische, wendische (windische) genannt, eine Mundart der in so viele Haupt- und Nebendialekte zerfallenden slawischen Stammsprache. Diese Mundart wird von der südwestlichen Slawenfamilie Europas, und zwar in ganz Krain – mit Ausnahme der germanischen Sprachinsel Gottschee – in den vormals zu Krain gehörigen Distrikten Istriens und des Küstenlandes, in der unteren Steiermark, in einem Teile Kärntens und in einzelnen Grenzgebieten Ungarns (Szalader und Eisenburger Komitat) gesprochen.Im ganzen von einer Volksmenge, die man in runder Zahl auf 1 150 000 Seelen schätzen darf; Schafarik (Narodopia) gibt eine etwas höhere (1 151 000), das Bureau der administrativen Statistik zu Wien eine etwas geringere Ziffer (1 143 514) an. (Nach neuester amtlicher Berechnung ist die Zahl der Slowenen in Österreich-Ungarn 1 254 200. Der Herausgeber. [Anast. Grün.]) Obschon Krain zunächst die Heimat dieser Volksgesänge und ihres Sammlers ist, so wurden doch auch Lieder der benachbarten, insbesondere der steiermärkischen Wenden der Sammlung deshalb unbedenklich eingereiht, weil das Volkslied bei so blut- und sprachverwandten Stämmen, seine individuelle Heimat verleugnend, schnell Gemeingut wird und, die politische Grenze wenig achtend, ungebunden hinüber und herüber klingt, dem freien Vogel des Waldes nicht unähnlich, der heute dies-, morgen jenseits des Grenzpfahls seine Lieder erschallen läßt.
Das Volkslied ist die Blüte des Volkslebens; beide erzeugen, tragen und bedingen sich gegenseitig. Wo sich ein selbständiges Volksleben ausgebildet hat, wird auch ein eigentümliches Volkslied klingen. Und wie sich das Volksleben in ein äußeres, öffentliches und in ein inneres, häusliches teilt und trennt, so zerfällt entsprechenderweise auch das Volkslied in Fest- und Helden- (historisch-epische) und in häusliche (lyrisch-idyllische) Gesänge. Selbst das religiöse Volkslied, so gerne es überall seine himmlische Abkunft geltend machen möchte, bequemt sich dieser irdischen Sonderung und tritt entweder als öffentliches (Kirchenlied) oder als häusliches (einfach geistliches) Lied auf. Den innigen organischen Zusammenhang des Volksliedes als Volksstimme mit dem Volksleben und der Volksgeschichte können auch diese Lieder aus Krain nicht verleugnen. Aus der älteren, heidnischen Zeit dürfte sich kein Lied vollständig bis zu unseren Tagen erhalten haben; nur isolierte Spuren heidnischer Vorstellungsweise finden sich hie und da in einzelnen Anklängen vor. Daß der christliche Klerus während und unmittelbar nach der Einführung des Christentums einen unversöhnlichen Vertilgungskrieg gegen das noch widerstandsfähige Heidentum führte und dieses in all seinen Erscheinungen unterdrückte, in all seine Schlupfwinkel verfolgte, mag nicht nur erklärlich, sondern auch preiswürdig erscheinen; denn für die in jenem Kampfe erlittenen Verluste ist das Volk durch das Licht und die Segnungen des Christentums überschwenglich entschädigt worden. Minder zu rechtfertigen dürfte es aber sein, daß die südslawische Geistlichkeit, nachdem der glänzende Sieg des Christentums längst befestigt war, in angewohnter Kampflust noch immer gegen die unverfänglichsten Erscheinungen einer weltlich heiteren Liederpoesie forttobte und dem Volke dafür asketisch düstere Bußlieder und Psalmen aufzuzwingen suchte.So z. B. ward in den von der Agramer Diözese unter dem Bischof Peter Petretič herausgegebenen, 1651 zu Graz gedruckten »Szeveti Evangeliomi« (Sonntags-Evangelien) der Versuch wiederholt, beliebten Volksweisen, deren weltliche Liederanfänge dort genau angeführt sind, geistliche Texte unterzuschieben. Dieser Versuch scheint nicht ganz gelungen zu sein, da einige jener verpönten Lieder im Volksmunde erhalten blieben. Ähnliche Travestien populärer Gesänge sind freilich auch anderwärts, z. B. in Schottland, durch die puritanische Geistlichkeit, und mitunter in sehr komischer Weise unternommen worden. In Deutschland war selbst Luthers Beispiel, wiewohl in edlerer Form, vorausgegangen.
Seit dem dreizehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart mit Österreich unter einem Zepter vereinigt (mit alleiniger Ausnahme der kurzen französischen Zwischenregierung 1809–1813) teilt Krain fortwährend treu und ehrlich die Kämpfe und Geschicke Österreichs. Den glänzendsten und einen beinahe selbständigen Anteil nahm es aber an den langjährigen, blutigen Türkenkriegen. Nicht nur unter den Fahnen Österreichs stets in erster Reihe kämpfend, sondern auch unter eigenen Heerführern (Katzianer, Auersperg, Thurn, Lamberg, Lenkowitsch u. a. m.) dem Erbfeinde christlichen Namens selbständige und mörderische Schlachten liefernd, floß das Blut seiner Söhne in Strömen auf allen Walstätten jener Kriege. Durch seine geographische Lage den trotz aller Friedensschlüsse fast jährlich wiederholten Einfällen der Grenzpaschas bloßgegeben, war das ganze Land Krain durch Jahrhunderte ein großes Feldlager, eine von Geschützen und Rüstungen starrende Burg, die ganze waffenfähige Bevölkerung, wie die Mannschaft einer großen Vorpostenwacht, in jedem Augenblicke marsch- und kampffertig und der Signale (Kreuth-, auch Kreuzfeuer) gewärtig, die, von allen Höhen aufflammend, binnen wenigen Stunden das ganze Land zu den Waffen rufen konnten. Da war jedes Haus eine Schanze, Schlösser und selbst Kirchen waren befestigte Außenwerke mit Türmen, Ringmauern und Gräben (Tabor), vornehmlich zur Aufnahme der Wehrlosen und der geflüchteten Habseligkeiten bestimmt. Diese Epoche der ausdauerndsten und erbittertsten Kämpfe ist der Glanzpunkt der Landesgeschichte, ihr gehören alle poetischen Erinnerungen an, ihr die Entwicklung eines eigentümlichen kriegerischen Volkslebens und somit auch eines selbständigen Volksliedes. Dieses nimmt die Helden, die es verherrlichen will, teils aus der Zahl eingeborener Kriegsmänner und Abenteurer, größeren Teils aber bei dem Verschmelzen der eigenen Landesgeschicke mit denen seiner Nachbarvölker aus der Geschichte und Tradition der letzteren. So hat, wahrscheinlich durch Kampfgenossen aus Slawonien und Kroatien vermittelt, die abenteuerliche Gewalt des Serbenhelden Marko noch im Volksliede Krains einige Geltung; so überragt in diesem alle andern ein fremdes, fast fabelhaftes Wesen, König Mathias (Kralj Matjaš) genannt. Wo sich diese mythische Gestalt auf historischem Wege beikommen und erfassen läßt, gibt sie sich als Mathias Corvinus Hunjady, König von Ungarn, (ungar.: Matjas Király) zu erkennen, welcher hier nicht nur die eigenen Taten und Schicksale, sondern auch die seines Vaters Johann Hunjady und anderer Helden, ja vielleicht sogar die moralischen Fehltritte der letzten Grafen von Cilli auf sich nehmen muß. (Vergl. die jeweils ersten Anmerkungen zu »Des Woiwoden Janko Hochzeit«, »Vom König Matjasch«, »König Matjasch gefangen« und »Vom Ableben des Königs Matjasch«.) Seine bedeutungsvolle Rolle ist aber noch nicht zu Ende; denn das Volk ist dankbar gegen seine Lieblinge und Beschützer und läßt sich selbst vom Tode den kostbaren Besitz nicht rauben. So glaubt der böhmische Bauer seinen Wohltäter Joseph II. noch jetzt am Leben und nur auf einer Rundreise in entfernte Provinzen begriffen, die er in einem altmodischen Wagenkasten, mit alten, mageren Mähren bespannt, nach alter Gewohnheit inkognito durchfährt; so läßt mancher französische Veteran seinen großen Kaiser noch nicht verstorben sein, sondern fern im Orient Barbarenheere in europäischer Kriegskunst und Mannszucht unterrichten, und so ist nach der Sage der Südslawen auch König Mathias noch nicht gestorben, sondern schläft nur, des Wiedererwachens gewärtig, in einer Grotte im tiefen Ungarn, wie Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser und Karl der Große im Salzburger Untersberge, wie Holger der Däne in einem Gewölbe bei Kronburg und Artus der Brite in einem Berge seiner Heimat. Dort sitzt er mit seinen Kriegern (schwarze Legion, černa voiska) an einem Tische unter dem in der slawischen Volkspoesie so charakteristischen Lindenbaume, unter welchem alle Haupt- und Staatsaktionen vorzugehen pflegen. Ein Lied, das jedoch seiner sonstigen Unbedeutendheit halber in die Sammlung nicht aufgenommen wurde, läßt ihn sogar, wie Orpheus um Eurydice, mit einer Geige in der Hand zur Hölle steigen, um seine tote Geliebte heraufzuholen, was ihm aber, da diese unterwegs das gebotene Stillschweigen bricht, ebensowenig glückt, als seinem thrakischen Vorbilde.So konnte es eben nur die große Popularität jenes slawischen Heldennamens sein, welche einen neueren südslawischen Dichter veranlaßte, bei Übertragung der Uhlandschen Romanze »König Karls Meerfahrt« für sein Publikum den Kralj Matjaš in entsprechender Begleitung an die Stelle Karls und seiner zwölf Genossen zu setzen. (S. S. Vraz's Gusle i tambura. Prag 1845. S. 131.) In solcher Art knüpft das Volk an die Personen seiner Lieblingshelden ohne kritische Sichtung deren eigene und fremde Eigenschaften, Handlungen und Erlebnisse, wie diese durch Überlieferung zu seiner Kenntnis gelangt sind. Das belebende Element jener, nach dem Gesagten wohl größtenteils dem 16. und 17. Jahrhunderte angehörigen romanzenartigen Lieder ist ein unersättlicher, oft in blutdürstige Grausamkeit ausartender Türkenhaß (vgl. S. 65, 77) bezeichnend und für ihre echt volkstümliche Abkunft zeugend ist das Übertragen der eigenen Anschauungsweise, Geschäfte und Hantierungen des Volkes auf seine Helden (S. 57, 61), der eigenen Sitten und Gebräuche auf fremde Völker (S. 75), der gegen die nächsten Nachbarn sich kundgebende Provinzialhaß und Spott (S. 83 und 84) u. dgl. m.
Obschon Krains Volkslied sein nahes Verhältnis zur Poesie der übrigen slawischen Völker nicht verleugnet, steht es doch mit der serbischen Volkspoesie in allernächster Verwandtschaft. Wenn jedoch das serbische Volkslied im Einklange mit der Geschichte Serbiens als wohlgegliedertes Epos zur Feier vaterländischer Helden, als stolzer Triumph und Siegesgesang nach glanzvoll beendigten Kriegen, breit und feierlich dahinrauscht, so klingt, eben auch im Einklange mit der Landesgeschichte, Krains Volkslied rasch und abgerissen, als kurze Romanze, als frisches Waffenlied, wie es nachts am Vorpostenfeuer von wachenden Kriegern gesungen zu werden pflegt, die sich munter erhalten, die Nacht kürzen, vor allem aber den Faden, den jeder Augenblick durch Auszug oder Überfall durchschneiden kann, nicht über Gebühr ausspinnen wollen. Beachtenswert ist in dem späteren Zeitabschnitte, bei wachsendem Verkehre mit deutschen Völkern, der allmähliche Übergang des altslawischen, gegenwärtig nur noch durch den serbischen repräsentierten Volksgesanges in die Auffassungs- und Darstellungsweise des deutschen Volksliedes, Ähnlichkeit der Motive und insbesondere die Aufnahme des den älteren Slawen fremden Reimes.Auch in der böhmischen Poesie tritt der Reim erst mit der von König Wenzel I. begünstigten Nachahmung deutscher Dichtkunst ein; mit dem Vorherrschen des Reimes aber verlor sich allmählich der Geist echt nationaler Poesie. (Vgl. J. E. Wocel, böhm. Altertumskunde. Prag 1845.) Im 18. Jahrhundert verminderte sich durch die veränderte Art der Kriegsführung die Beteiligung des einzelnen am Kampfe und mithin auch die des Volksliedes; so klingt aus den letzten Türkenkriegen ein Lied »Loudon vor Belgrad« bereits ziemlich matt und farblos. Der gemachte, halboffizielle Patriotismus aus den Preußen- und Franzosenkriegen konnte auch nur erzwungene Früchte tragen. In neuerer Zeit ist mit der Physiognomie eines eigentümlichen Volkslebens auch die des älteren krainischen Volksliedes in Allgemeinheit und Unbestimmtheit zerflossen, und an seine Stelle ist eine aus kümmerlichen Inspirationen ländlicher Presbyterien, Schul- und Trinkstuben hervorgegangene LiederkunstEs konnte hier nur von den verunglückten Versuchen modernster Volksdichtung die Rede sein; die Leistungen der neueren slowenischen Kunstpoesie, welche mitunter von sehr achtbaren Kräften, wie Vodnik, Prešern, Koseski (Vessel) u. a., herrühren, liegen außerhalb des Bereiches dieser Blätter. getreten, welcher das belebende Element wahrer Volkstümlichkeit fehlt, und der sich aus dem Volke selbst gereimte Klagen über erhöhte Salzpreise, Abführung der Geliebten als Rekruten, drückende Steuern und Frondienste usw. traurig beigesellten. Eine wiewohl nicht sehr erhebliche Ausnahme von diesem Verstummen echter und ursprünglicher Volkspoesie bilden nur noch die kurzen, meist vierzeiligen Lieder, in der Landessprache Vize (Weisen) genannt. Ihre Heimat dürfte an der Grenze der deutschen Nachbarprovinzen oder vielmehr in der mit jener zusammenfallenden Alpenregion zu suchen sein, denn auffallend und unleugbar ist ihre Verwandtschaft mit den Liedern (»Schnadahüpfln«Über diese vgl. v. Spauns trefflichen Aufsatz »Die österreichischen Volksweisen« im Album aus Österreich ob der Enns. Linz 1843.) der bayrischen, österreichischen und steiermärkischen Gebirgslande. Eben die Verhältnisse der Alpenwelt bedingen ihre Art und Weise, indem in der Einsamkeit des Hochgebirges einzelne Aufschreie der jeweiligen Stimmung, Festhalten momentaner Eindrücke und Einfälle, kurze Zurufe der Nachbarn von Berg zu Berg natürlicher sind, als das Absingen längerer, auf gesellige Teilnahme angewiesener Gesänge. Mit ihren ursprünglichen Erfindern stiegen jene Lieder im Herbste aus der reineren Alpenregion herab in die Talgründe, wo sie den Winter hindurch in Spinnstuben, auf Tanzböden und in Schenken An- und Widerklang, oft auch ergänzende Elemente fanden. Da ihr Ursprung somit außerhalb des rein nationalen Elementes liegt, fehlt ihnen auch das scharfe Gepräge nationaler Eigentümlichkeit.Damit auch diese Gattung, obschon sie außerhalb der enggezogenen Grenzen unserer Sammlung steht, in ihr nicht gänzlich unvertreten sei, folgen in einem kurzen Anhange einige Proben derselben. Sie sind es aber, die gegenwärtig einzig und allein das Volkslied in Krain repräsentieren; denn das alte, echte volkstümliche Lied hat längst aufgehört Gemeingut zu sein und fristet nur noch in einzelnen erlesenen Individuen ein fragmentarisches Dasein. Und so möchte denn beinahe im Gegensatze zu dem einst in allen Landeskirchen angestimmten Gebete um Abwehr des blutdürstigen Erbfeindes heutzutage die Muse des krainischen Volksliedes in ihren Tempeln um baldige Wiederkehr des liederweckenden Türken inbrünstig beten.
Merkwürdig bleibt es, daß die Reformation, die wie ein glänzendes Meteor auch über Krain geleuchtet, in dem Adel und den Ständen des Landes mächtigen Anhang und Schirm, in seinen Predigern und Gelehrten energische Organe gefunden hatte, dennoch in dem Volksliede keine Spuren zurückgelassenEin jener Zeit angehöriges Lied »Vom Jurj Kobila« (Spottname des evangelischen Predigers und Bibelübersetzers Georg Dalmatin) befand sich nach dem Zeugnisse des Grammatikers P. Markus Pochlin unter den von dem Priester Dismas Sakotnig († 1793) gesammelten Volksliedern; doch scheint es ebensowenig als die Sammlung selbst unseren Tagen erhalten geblieben zu sein. (Vgl. Vraz's Narodne pesni. S. X.); erklärlich aber wird dies, wenn man in der Geschichte des Landes von jenen, an die ältesten Christenverfolgungen erinnernden Gewalttaten liest, durch die es den Männern des Staates und der Kirche jener Zeit gelungen, die keimkräftige Saat Luthers in diesem Lande mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Von den bis auf unsere Tage gekommenen VolksliedernEs seien zunächst hier folgende Sammlungen erwähnt: Slovenske pésmi krainskiga naroda. v. Ljublani 1839–1844. Fünf Bändchen. Dieser Sammlung liegt die von Emil Koritko, einem 1839 zu Laibach im Exil verstorbenen talentvollen jungen Polen begonnene Zusammenstellung von Volksliedern zugrunde. Zu bedauern bleibt es, daß die Reichhaltigkeit dieser Sammlung sich auf den Mangel strengkritischer Auswahl stützt. Krains ist eine große Anzahl in der Originalsprache bereits durch den Druck aufbewahrt worden. Aus diesen und einigen handschriftlichen Sammlungen, die ich freundschaftlicher Mitteilung verdanke, ist meine Auswahl hervorgegangen. Auf das reine Volkstümliche sie begrenzend, das Interesse eines deutschen Publikums stets vor Augen, mußte ich alles ausscheiden. was mir nicht unmittelbar aus dem Volke hervorgegangen, sondern das Werk unberufener Hände schien und manches unübersetzt beiseite legen, was für die Herausgeber des slawischen Textes nur in philologischer oder ethnographischer Hinsicht von Belange war. Bei Varianten habe ich mich an die volkstümlichste Lesart gehalten und mir überhaupt erlaubt, den Maßstab eigener Kritik selbständig anzulegen. Dabei ist jedoch nie die gewissenhafte Achtung vor der Unverletzbarkeit eines als echt anerkannten Urtextes außer Augen gelassen worden. Die Übersetzung selbst aber darf sich der ängstlichsten Treue rühmen, das slawische Original mit all seinen eigentümlichen Redeformen, seinen vielen kindlichen Diminutiven, seinen plastischen Wiederholungen usw. ist Vers für Vers, ja meistens Wort für Wort wiedergegeben. Wo das Original reimte, folgte ihm auch die Übersetzung, ebensowenig als jenes die im Volksliede eingebürgerten Assonanzen und Zwitterreime gänzlich verschmähend. Das Metrum der meisten Lieder – mit Ausnahme jener, bei welchen man die nachbessernde Hand unschwer herausfühlt – ist im Originale sehr ungleichartig, gelockert und zerfallen; vielleicht daß ursprünglich kein strenges Versmaß eingehalten wurde, und der Text sich geschmeidig nur nach dem Tonfalle der begleitenden Melodie richtete; vielleicht daß jenes sich auf dem langen Wege der Überlieferung im Munde der Sänger oder in den Federn der Kopisten auflöste und zerbröckelte. Jedenfalls hat sich noch so viel von innerem Rhythmus erhalten, daß ein geübtes Ohr das vorherrschende Versmaß (meistens vierfüßige Jamben und Trochäen, seltener fünf- und dreifüßige Trochäen) herauszuhören vermag. Dieses ist in der Übersetzung, jedem einzelnen Liede entsprechend, durchgängig beibehalten worden, da sich ein deutsches Ohr mit der metrischen Zerfahrenheit des Urtextes schwerlich befreundet hätte.
Überblicken wir nochmals die in diese Sammlung aufgenommenen Lieder, deren Wert der Herausgeber keineswegs überschätzt, deren Verlorengehen er aber jedenfalls bedauern müßte, so mögen sich uns die meisten und schönsten derselben als echte, wiewohl nur fragmentarische Überreste einer einst umfangreicheren politischen Volkspoesie der Wendenslawen darstellen. Ihr allmähliches Verstummen in späteren Tagen gibt aber zugleich den Fingerzeig, daß ihre eigentliche Lebensquelle bereits zu versiegen begonnen, denn wie ein geistvoller Schriftsteller der Neuzeit treffend bemerkt: »Die Welle der Zeit macht es umgekehrt wie die Welle des Stromes; sie läßt die Leichen zugrunde fahren und trägt nur das Lebendige.«Rob. Prutz, die politische Poesie der Deutschen. Im lit.-hist. Taschenb. 1843. Noch vor wenigen Jahren mochte diese Wahrnehmung vielleicht zu der Annahme verleiten, daß das slawische Element in den wendischen Landesteilen einem andern, dem germanischen, zu unterliegen beginne; eine Annahme, die insbesondere in neuester Zeit als eine irrtümliche sich dargetan hat. Jene Erscheinung findet vielmehr ihren einfachen Erklärungsgrund in der auch anderwärts gemachten Erfahrung, daß der selbständige, poetisch schaffende Volksgeist allmählich und überall durch die Eroberungen der wachsenden Kultur verdrängt werde; die eigentümlichen alten Volkssitten weichen den allgemeineren Formen des neueren Kulturlebens, die populären Helden der Vorzeit verlieren jede Beziehung zur Gegenwart und fliehen von den Lippen des Volkes in die Pergamente der Geschichte zurück, und an die Stelle des dahinsterbenden Volksliedes treten die anspruchsreicheren Schöpfungen der Kunstpoesie. Während dieser kulturgeschichtliche Wendepunkt bereits zurückgelegt ist, stehen auf dem Heimatboden unserer Lieder Germanismus und Slawismus noch im Kampfringe wohlgerüstet sich gegenüber, beide Richtungen vertreten durch Eingeborne, je nachdem bei den einen die tiefwurzelnden Einflüsse germanischer Kulturelemente, bei den anderen die neuerwachten Ideen politisch-nationaler Staatenbildungen maßgebend überwiegen. Noch hat das Germanentum seines scheinbaren Übergewichtes ungeachtet einen vollständigen dauernden Sieg nicht errungen, noch hat sich das Slawentum nicht als besiegt bekannt, ja neuerdings führte es nach langer Kampfscheue jugendlichere und kräftigere Truppen ins Treffen. Auf welche Seite die Wünsche eines deutschen Dichters sich neigen, darüber kann wohl kein Zweifel walten; doch ist er zugleich nicht engherzig genug, das Maß der Berechtigung, die Macht der Begeisterung und heroischen Tatkraft auch in dem andern Lager zu verkennen und über dem einseitig starren Festhalten des nationalen Parteipostens die höheren, weltbeherrschenden Losungsrufe der Menschheit zu überhören, vor denen das Feldgeschrei der Nationalitäten verstummen muß, wie das Wort des Individuums vor der Stimme der Nation. Daß die großen Fragen, welche die Menschheit bewegen, nicht ohne Mitwirkung der mächtigen Slawenfamilie nachhaltig zu lösen sind, hat in neuester Zeit das weithin vernehmbare Rauschen der alten und vielästigen Slawenlinde deutlich genug angekündigt. Ein Zweiglein dieses Baumes aber rührte sich schon vorlängst in den Liedern unserer Sammlung.
Thurn am Hart in Krain, im Spätherbst 1849.