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Das Coupée des Kommerzienrat Bär hielt vor einer kleinen, eleganten Villa in Charlottenburg. Der Kommerzienrat schlüpfte aus dem Wagen und eilte die Etage hinauf. In nervöser Ungeduld schloß er die Entreetür.
»Die gnädige Frau schon da?«
Die korpulente Person, der diese Frage galt, schüttelte den Kopf.
Der Kommerzienrat öffnete den eleganten, kleinen Salon. In erregter Stimmung durchmaß er den Raum, während er mit dem Spazierstock törichte Figuren in der Luft beschrieb. Weder Pelz noch Cylinder hatte er abgelegt. Jetzt hörte er Wagenrollen und trat mit einem Satz an das Fenster. Über das verfallene Gesicht des schon ältlichen Herrn ging es wie Wetterleuchten, als das geschlossene Gefährt vor dem Hause hielt und eine tief verhüllte Dame ihm entstieg.
»Gott sei Dank!« entrang es sich ihm.
Zwei Minuten später war Frau Dr. Berger im Zimmer. Er streckte ihr beide Hände entgegen – sie aber wehrte ab. Nun war er ihr beim Ausziehen des Radmantels behilflich; als sie jetzt den Schleier zurückschlug, fiel ihm die fahle Farbe ihres Gesichtes auf, das von einem verängstigten Zuge beherrscht wurde.
»Helene – um des Himmels willen!« –
Sie hob die Hand ein wenig und deutete ihm an zu schweigen, indes sie sich in unsäglicher Erschöpfung auf einem Fauteuil niederließ. Er gehorchte stumm und betrachtete sie sorgenvoll.
Sie war. ganz in schwarz gekleidet und mußte dem Anzeichen nach in förmlicher Hetzjagd Toilette gemacht haben. Ihr reiches Haar war nur lose gesteckt – und die obersten Knöpfe der Taille waren nicht einmal geschlossen.
Der Kommerzienrat sah mit lüsternen Blicken eine Sekunde auf den hervorlugenden Spitzenbesatz. Dann krümmte er, von einem quälenden Gedanken verfolgt, seine hagere Gestalt, um der Versuchung stärker begegnen zu können.
»So sprechen Sie doch, was ist in aller Welt passiert? Sie sehen, wie ich mich ängstige!«
Sie blickte ihn verdächtig an.
»Tun Sie das wirklich, Herr Kommerzienrat, nun, dann werden Sie Gelegenheit haben, mir Beweise zu geben. Denn um kurz zu sein – die Dinge stehen so, daß er in den nächsten Tagen schon die Scheidung einleiten will – und auf Grund Ihrer famosen Liebesbriefe glaubt er sicher zu sein, daß ich als schuldiger Teil verurteilt werde. Er hat es mir vor einer Stunde eröffnet. Und das bedeutet,« fuhr sie erregt fort, ohne den Kommerzienrat aus den Augen zu lassen, »daß ihm meine Kinder zugesprochen werden – daß ich vor aller Welt bloßgestellt bin und betteln gehen kann. Denn er wird frei und ledig gesprochen – er kennt das Gesetz in- und auswendig. Wissen Sie das?«
Kleine Pause.
»Werden Sie mich heiraten?« fragte sie plötzlich ganz unvermittelt – »werden Sie sich von Ihrer Frau trennen, um mir ...«
Sie vollendete nicht, sondern brach in ein schallendes Gelächter aus, als sie seine verblüffte Miene sah.
»Seien Sie unbesorgt,« beruhigte sie ihn, »Sie kommen selbst dann noch nicht für mich in Frage!«
Sie erhob sich elastisch und klopfte ihm auf die Schulter. »Sie sind ein guter Mensch, Kommerzienrat, das sind Sie ja unzweifelhaft – aber, was hilft das, Sie werden trotz alledem auch daran glauben müssen. Sie werden vor Gericht debütieren; denn dieser Bube,« zischte sie, »kennt keine Rücksicht.«
Der Kommerzienrat hatte die Farbe gewechselt. Der alte Herr sah in diesem Augenblick, wo die Furcht in allen Gliedern ihn schüttelte, greisenhaft aus. Seine unruhigen Augen starrten angstvoll auf die junge, blühende Frau, die inzwischen ihre Laune wiedergefunden hätte, und die fatale Angelegenheit, wie ihn dünkte, mit einer nichtswürdigen Frivolität behandelte.
»Erlauben Sie mal,« stammelte er, »erlauben Sie mal, meine Teuerste, wenn Sie glauben, daß mir die Geschichte scherzhaft ist, dann irren Sie – dann irren Sie sehr! Der Skandal kann mich meine Position kosten ... kann mich unmöglich machen, kann mich zugrunde richten.« – »Was ist da zu lächeln,« schrie er gereizt, »glauben Sie, daß Exzellenz der Handelsminister dann noch meine Schwelle betritt – und was wird aus meinen übrigen Verbindungen ... was wird aus meinem Kredit ... haben Sie in Ihrem grenzenlosen Leichtsinn daran gedacht?« ... Er hielt ermattet inne und schleuderte mit einer wütenden Gebärde seinen Zylinder in eine Ecke des Salons.
Sie hatte ihm aufmerksam zugehört mit gespannter Miene, kein Wort war ihr entgangen.
Als er jetzt Antwort heischend in ihr Gesicht sah, erwiderte sie sehr gelassen: »Daran läßt sich partout nichts ändern, mon chèr, warum stellen Sie einer jungen, verheirateten Frau nach, warum schreiben Sie Liebesbriefe, die in ihrer Art in der Tat sehr merkwürdig und für einen alten Herrn,« fügte sie boshaft hinzu, »nicht gerade sehr sittsam sind.«
Der alte Mann konnte sich kaum noch beherrschen, sein Gesicht wurde krebsrot, er wollte sie anfahren, aber die Stimme schlug ihm über und verlor sich in unartikulierten Lauten.
»Sehen Sie,« meinte sie mitleidig, »weshalb erregen Sie sich so. Das führt nicht zum mindesten Resultat, schadet Ihnen nur.« Und sie drückte ihn mit einer harten, sicheren Bewegung in einen der Sessel nieder und fuhr streichelnd über sein Gesicht, ihn wie ein willenloses Kind behandelnd. Er ließ alles mit sich geschehen – er schien wie gebrochen. Ein irres, verlorenes Lächeln spielte um seine Lippen, während er unablässig, ein dumpfes Stöhnen von sich gab.
»Du,« sagte sie plötzlich ganz besorgt, »nimm Dich doch ein bißchen zusammen, Du bist doch ein Mann. Was kann ich denn dafür! Ich will von Dir Rat – und Du? Du benimmst Dich ärger als ein Kind. Sei gut,« fügte sie milder hinzu, »wollen in aller Ruhe überlegen! Du kannst Dich ja in Deinem schweren Pelz kaum rühren,« fuhr sie fort, und ehe er sich's versah, nahm sie ihm das schwere Stück ab; Dann klingelte sie der Haushälterin und befahl eine Flasche Pommery.
Sie führte ihm das Glas an den Mund, und kaum, daß er den alten, wohlbekannten Reiz auf der Junge verspürte, erwachten auch seine Lebensgeister wieder.
»So 'ne kleine Apoplexie, Kindchen,« sagte er weinerlich, »Du siehst also, man darf mich nicht ärgern – und die Briefe mußt Du mir schaffen, koste es, was es wolle. Sie haben ja für Dich den gleichen Wert, nicht wahr, mein Täubchen?«
Sie nickte ernsthaft.
»Gutwillig gibt er sie nicht!«
Das Gesicht des Kommerzienrats veränderte sich zusehends.
»Ja, was ist denn da zu machen?« stieß er kläglich hervor.
»Wenig!«
»Hör mal,« sagte er, und seine Züge erhellten sich mit einem Schlage, »ich hab's.«
»Nun?« fragte sie gespannt.
Der Kommerzienrat lächelte listig.
»Ich kauf sie ihm ab,« raunte er, »das tu ich, mein Schatz – sind zu gefährliche Wechselchen!«
Sie schüttelte ganz erschreckt das Köpfchen.
»Wo denkst Du hin. Er braucht sie ja. Ich hab Dir's doch gesagt, er will, daß ich bei der Scheidung leer ausgehe – er will mich billig los werden, spottbillig, ohne alle Nebenkosten. Er gibt sie unter keinen Umständen heraus. Er will mich nicht nur los werden,« schrie sie plötzlich wie rasend, »er will mich mit diesen Briefen unmöglich, machen – er will mich aushungern. Und Dich will er an den Pranger bringen, Dich alten Narren, sagt er.«
Der alte Mann wurde, kreidebleich.
»Der Schuft ... der Schuft!« ... murmelte er unaufhörlich.
Auf einmal aber fing er zu weinen an. »Mich will er zugrunde richten, mich ... weshalb denn gerade, mich ... was hab ich ihm nur getan,« wimmerte er entsetzt.
Sie sah voll Hohn auf diesen ihren Liebhaber.
»Es ist nicht gerade anständig,« sagte sie brüsk, »einem seine Frau zu ...«
Der Alte sprang wieder in die Höhe. »Nu aber aufgehört! Moralisch willst Du werden, Donnerwetter ... is 'n Spaß, is 'n toller Spaß!«
Sie warf ihm einen Blick zu, daß er sich wie ein geprügelter Hund vor ihr verkroch.
»Ich mein's ja nicht so ... ich mein's wirklich nicht so,« winselte er, »sag Du mir doch, was man tun muß. Ich weiß, Du hast Rat ... sicher, sprich, mein Kind ... beruhige mich doch.«
Sie überlegte eine kurze Weile. »Höre,« sagte sie, »es gibt ein einziges Mittel Ich muß ihm die Briefe mit Gewalt nehmen – wie, das ist meine Sache. Sind sie in meinen Händen, so erkläre ich diesem Schurken, daß ich freiwillig in die Scheidung willige, auf jedes Entgelt verzichte und nur von ihm verlange, daß er jetzt, wo ich ihm doch seine stärkste Waffe entrissen habe, jeden Versuch, einen Skandal herbeizuführen, aufgibt.«
Der Kommerzienrat klatschte wie besessen in die Hände. »Bravo, petite femme, bravo! Entzückend, ganz genial! Und da quält sie mich so. O ... o ... o! Wie ich das finde!«
Er atmete erleichtert auf und wollte nun, da er diese schwere Sorge hinter sich glaubte, zärtlich werden.
»Bitte ... bitte!« wehrte sie ab. »Unsere geschäftlichen Erörterungen sind keineswegs bereits zu Ende.«
Er sah sie pfiffig an. »Weiß schon, was jetzt kommt. Bin zu allem bereit. Werde keine Schwierigkeiten machen!«
»Das ist mir lieb,« entgegnete sie ruhig. »Das erleichtert wesentlich alles weitere. Nämlich, ich bin ja dann mittellos – es ist also Deine Pflicht, mich sicher zu stellen!«
»Ich sorge für Dich, selbstredend,« unterbrach er sie ganz enthusiastisch, »unsere Freundschaft soll dann noch viel inniger werden!«
»Darum handelt es sich nicht. Die Sache ist die, daß ich dann nicht auf Unterstützungen angewiesen, sondern gesichert sein will. Ich muß ferner auch für den eintreten, der mir helfen wird, die Briefe zu erlangen. Du kannst Dir vorstellen, daß es mit einigen Schwierigkeiten verknüpft sein wird. Mit einem Wort, ich will Dich nicht schröpfen, das ist nicht meine Art ... ich will nur bescheiden zu leben haben. Du überweist mir also rund und netto eine Viertelmillion! Unterbrich mich nicht,« schrie sie mit erhöhter Stimme, »das gibt lumpige zehntausend Mark Zinsen. Ich weiß noch nicht, wie ich damit auskomme – aber wie gesagt, ich will Dich nicht schröpfen. Ich denke, das ist das Mindeste, was ich von Dir verlangen kann.«
»Du bist meschugge!« erwiderte er trocken. »'Ne Viertelmillion – Blödsinn!«
»Schön! Dann sind wir fertig. Du hast es gewollt!«
Sie nahm hastig ihren Radmantel, setzte ihr winziges Kapotthütchen auf, knüpfte den Schleier zurecht und wandte sich, ohne ihn auch nur eines Blickes noch zu würdigen, zur Tür.
Er stürzte ihr nach.
»So höre mich zwei Minuten an!« raunte er heiser.
»Laß mich!« entgegnete sie finster. »Wir zwei sind fertig!«
»Drei Worte!«
Der alte Mann rang verzweifelte die Hände, und sich überstürzend, kreischte er förmlich: »Wo soll ich sie denn hernehmen, ne Viertelmillion, wenn Du wüßtest ... wenn Du wüßtest ... ne darüber,« fuhr er furchtsam, mehr zu sich gewandt fort, »darüber ist besser – schweigen. Was ich will, so wahr ich Bär heiße, ich will Dir die Zinsen geben, wahrhaftiger Gott, das tu ich; Gott soll mich strafen, ich tu's!«
»Ich mache keine Handelsgeschäfte! Du kennst mich, verlieren wir kein Wort mehr darüber.«
»Aber die Zinsen ... das ist doch genau dasselbe ... ich geb Dir ja die Zinsen ... die vollen Zinsen ...«
»Du bist in der Tat ein alter Narr,« stieß sie wütend hervor. »Was nützen mir die Zinsen, wenn Du morgen stirbst!«
Er blickte entsetzt und angstvoll zu ihr empor.
»Wer wird von so was sprechen,« sagte er schüchtern, »ich hoff ...«
»Gewiß ... ich wünsche Dir das ebenfalls ... ich glaub's sogar ... bei Deiner Konstitution. Aber ich muß für alle Fälle gesichert sein. Wenn Du zum Beispiel fallierst, was mach ich dann?«
Nun war er bis auf's äußerste erschüttert. Er stierte sie wie abwesend an.
»Du ... Du ... Du ...! Wie kommst Du nur auf so was!« entrang es sich ihm mühsam.
Sie sah ihn mit unbarmherziger, grausamer Schärfe an.
»Für den Fall ... nur für den Fall!« stieß sie kurz hervor.
»Im übrigen, ich kann nicht anders. Ich will nicht verhungern! Ihr verspielt im Klub an ein paar Abenden mehr als das ausmacht – stimmt das etwa nicht?«
»Ich nicht,« beteuerte er, »ich wirklich nicht!«
»Adieu! Uns beiden ist nicht zu helfen!«
Sie faßte die Türklinke.
Er aber hielt sie mit Schreckensblicken, wie ein Gemarterter zurück.
»Ich tu's,« krächzte er, »ich tu's ... ob so ... oder so! Komm, mein Liebchen ... komm, mein Seelchen!«
Ihre Augen funkelten. Sie nahm seinen Kopf und drückte ihn an ihre wogende Brust.
»Siehst Du ... siehst Du,« sagte sie strahlend, »ich wußte es, ich wußte es. Du würdest mir helfen. Aber höre, Alterchen, höre, es eilt, es eilt viel mehr als Du auch nur ahnst. Und ich setze mein Leben nicht eher auf's Spiel bis ich das ...«
»Du hast es morgen ... morgen hast Du es,« schrie er wie betrunken.
Seine Pupillen rollten unstät, als wollten sie zergleiten, seine Finger flogen in zitternden Bewegungen durch die Luft, seine Füße trugen ihn kaum noch. Er drängte sie mit flehenden, bettelnden Blicken zum Sopha.
Jetzt war sie ganz die zärtliche Freundin. Sie stießen an und schlürften Glas auf Glas. Sie würden so ausgelassen und heiter, wie sie es nur je gewesen. Der alte Mann streichelte beständig ihre weiche Hand.
»Du kluges Rackerchen ... Du Goldrackerchen,« sagte er kosend ein über das andere Mal.