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XXIII.

Mit unvorhergesehenen Hindernissen hatten die Bauleute der serbischen Bahn zu kämpfen. Damals beim Kontraktabschluß war man, wie sich allmählich herausstellte, mit einem geradezu leichtsinnigen Optimismus verfahren. Man hatte alle Schwierigkeiten bei Seite geschoben, um das Unternehmen nicht zu gefährden, um den Geldmarkt mit einer neuen Emission zu beglücken. Jetzt kamen von allen Seiten die hinkenden Boten.

Ganze Flotten segelten auf der Donau, befrachtet mit Schienen, Brückenteilen, Lokomotiven, Schwellen und allem sonstigen Bahnzubehör. Man war ja nur auf den Wasserweg angewiesen, da es im Lande so gut wie gar keine Bahnverbindung gab. Dazu mußte man besondere Kanalvorrichtungen bauen, um die großen Stücke auszuladen. Das ganze Arbeiterheer war man genötigt aus der Fremde herbeizuziehen, und das Schlimmste war: diese Leute wurden unter dem Einfluß der Bevölkerung, den Unsitten des Landes sehr schnell untauglich, so daß man beständig für Ersatztruppen zu sorgen hatte. Hierzu kamen Unzuträglichkeiten noch ganz anderer Art. Meilenweit war keine Schaufel Böttungsmaterial aufzutreiben, das Hochwasser richtete unsagbaren Schaden an – bei fortwährenden Flußbettveränderungen existierte nirgends eine Flußregulierung – dagegen stieß man in einem fort auf Triebsand; Holz war nur auf wenigen Strecken und da schlecht und kaum verwendbar. Auch die Zahl der Flüsse, die überbrückt werden mußten, hatte man unterschätzt. Vor allem aber lebten die Ingenieure in der ewigen Furcht, eine Viehseuche könnte ausbrechen und den ganzen Verkehr auf Wochen unterbrechen, und in der Tat konnte man jeden Tag auf ein solches Unglück gefaßt sein.

Trotz dieser niederdrückenden Umstände arbeiteten die Ingenieure mit einem wahren Feuereifer. Felix selbst war ins Land gereist und stand wie mit der Hetzpeitsche hinter ihnen; ihre Tantiemen wurden erhöht, um ihren Eifer und ihre Kraft bis zur Grenze des Menschenmöglichen zu steigern.

Als Felix wieder zurückgereist war, bombardierte er sie mit Depeschen. Es lag ihm daran, die erste Strecke für den Betrieb in kürzester Frist herzustellen, damit die Regierung dem Kontrakt gemäß die Zahlung der Zinsen übernähme; denn die Kosten waren maßlos gewachsen, und der Bankier, dessen Wellblechunternehmen furchtbar im Argen lag, der den Anbau von Darz hatte unterbrechen müssen, weil die serbische Transaktion jeden Groschen verschlang, befürchtete eine heillose Katastrophe, wenn er gezwungen war, dieses Riesenkapital länger zu verzinsen. War hingegen einmal die erste Strecke in Betrieb gesetzt, wurden von der serbischen Regierung die Zinsen bezahlt, so war alles gerettet. Die Sanierung des Wellblechunternehmens war eine Kleinigkeit. Darz würde blühen und gedeihen, und die Hauptsache: In diesem Augenblick würde der Markt mit neuen Aktien überschwemmt und ein Taumel erzeugt werden, im Vergleich zu dem alles Frühere das reine Puppenspiel gewesen sein sollte. Jetzt erst würde das eigentliche Börsendrama beginnen. Auch der Bau würde rationeller, vor allen Dingen langsamer geleitet werden, um diese Riesenkosten herunterzudrücken.

Felix konnte den Termin nicht erwarten, denn niemand ahnte, daß er für einen großen Teil der Aktien nur Strohmann war! Nicht einmal Bär, der die gleiche Rolle gespielt und Felix mit raffinierter Schlauheit über den Löffel barbiert zu haben glaubte. Diese betrogenen Betrüger durchlebten eine Zeit fieberhafter Erregung: sie saßen in ihren Privatkontoren und rechneten und rechneten, bis ihnen der Schweiß auf die Stirn trat und die Zahlen vor ihren Augen tanzten und schwirrten; diese kleinen schwarzen Zahlen, die sie bis in die Nacht verfolgten, unheimlich sich reckten, zu dürren, hageren Gerippen emporwuchsen und ihnen Schlaf und Ruhe raubten.

Die Berichte der Ingenieure und Vertreter brachten immer neue Beunruhigungsbazillen. Im Lande kam plötzlich eine heftige Strömung gegen das ganze Eisenbahnunternehmen auf. Politisch zugespitzt, wie die Verhältnisse nun einmal waren, versuchte die Oppositionspartei diese erbitterte Stimmung gegen die Bahn zu schüren und damit den Sturz der gegenwärtigen Regierung herbeizuführen. Man klagte die Regierung in fanatischer Weise an, auswärtigen Spekulanten in die Hände gearbeitet und das Interesse des Landes hintangesetzt zu haben. Ja, diese Menschen scheuten sich nicht, offen und heimlich den Verdacht auszustreuen, die gegenwärtigen Regierungsvertreter hätten ihre guten Gründe, die Sache der fremden Bankiers zu führen: die Presse erlaubte sich die Anfrage, wie die Herren ihre Tantiemen anzulegen gedächten. All die kleinen Leute, die gehofft hatten, die Bahn zu schröpfen, begannen, als sie sich in ihren Voraussetzungen getäuscht sahen – man hatte ihnen für ihr Land nur den angemessenen Preis gezahlt – mit jener niederträchtigen Pfiffigkeit, die halbzivilisierten Nationen eigentümlich ist, gegen die Bahn zu arbeiten.

Die Ingenieure beklagten sich bitter, daß sie bei den Behörden keinen nachdrücklichen Schutz gegen die Bevölkerung fänden, die sich nicht scheute, die Anlagen zu beschädigen und zu zerstören.

Auf all die Klagen, die sich von Tag zu Tag häuften, hatte der Bankier stets die gleiche Antwort: arbeitet, so schnell ihr könnt. Er hoffte nicht nur das Ende seiner Kalamitäten, sondern auch das dieser unerhörten Feindseligkeiten, sobald einmal der Betrieb begonnen hätte. Die letzten Mitteilungen hatten dahin gelautet, daß man bei wiederum verlängerter Arbeitszeit die Eröffnung schon in wenigen Tagen durchzusetzen hoffte.

Diese Nachricht hatte Felix seine Fassung wiedergegeben, wie von einem furchtbaren Druck befreit atmete er auf – auch Bär richtete sich wieder empor. Er war der Einzige, der genau wußte, daß die Firma Lerch sich nicht mehr lange halten konnte. Er zitterte vor dem Moment, wo Felix von ihm Hilfe verlangen würde, die er nicht zu leisten imstande war. Dieser Mann, eine der geachtetsten Finanzgrößen Berlins, war seit vierzig Jahren bankrott. Er hatte das Haus Bär bereits beim Tode seines Vaters ruiniert vorgefunden, ohne den Mut besessen zu haben, dies vor der Welt einzugestehen. Ebenso wie sein Vater hatte er die Depots gläubiger Kunden bestohlen und das herzige, anmutige Märchen von seiner Furcht vor der Eisenbahn ersonnen, um auf diese Weise den Schauplatz raffinierter Diebstähle nicht verlassen zu müssen. Niemals gab er die Schlüssel aus den zitternden, schuldbefleckten Händen. Er war Jahrzehnte hindurch Handelsrichter und Börsenkommissar gewesen, Minister gingen in seinem Hause, ebenso wie Künstler und Gelehrte aus und ein. Mit unglaublich frecher Pose hatte er die Rolle eines Ehrenmannes durchgeführt. Im Grunde seines Wesens degeneriert und untüchtig, war ihm in der Veruntreuung ungeheuerlicher Summen jeder ökonomische Sinn abgegangen. Was verschlug es diesem Diebe, aus den Kassen seiner Klienten den Wohltäter bei der Verwandtschaft in Posen, den Protektor bei jedem neuen Kirchenbau zu spielen, um dafür von allerhöchster Stelle Titel und Orden einzuheimsen. Ihm kamen diese Guttaten lächerlich vor, ihm, dessen ganzes Leben ein einziges Sichbetäuben und Vergessen, ein allmähliches Abstumpfen der letzten Gewissensskrupel gewesen war. Nur der einen Denktätigkeit hatte er sich in all den Jahren hingegeben, immer wieder Mittel auszutüfteln, um dies Scheinleben durchzuführen. Das war geglückt, dadurch, daß es diesem ehrwürdigen, alten Herrn gelungen war, stets neue Kunden zu angeln, mit deren Gelde die alten Gläubiger befriedigt wurden. Leichtsinnig bis zur Grenze des moralischen Irrsinns, suchte er die heiklen Erinnerungen durch allerhand gewagte, reizende Zerstreuungen zu bannen.

Dieser feiste Spitzbube hatte in der Tat das Kunststück fertig gebracht, dieses lästige kleine Ding, das man Gewissen nennt, abzutöten, und über die Giebel des Zuchthauses hinweg in den Salons der vornehmen Welt den Galan und Sportsmann, den verflixten alten Herrn und die würdige, gewiegte Handelsautorität in einer Person zu vereinigen.

Da schien mit einem Schlage die verteufelte Lage eine andere zu werden, damals, als Felix' Findigkeit das Projekt mit der serbischen Bahn ausgeheckt und zur Ausführung gebracht hatte. Nun gab es einen Weg, auf die bequemste Manier diese schmutzigen Flecken in aller Stille fortzuwaschen und nach vierzig Schelmenjahren, wenn dieses niedliche, serbische Geschäft gelang, mit Hilfe einiger runder Milliönchen, die ja gewiß für ihn abfallen würden, zu reinlichem Atem zu gelangen. Hoffnungsselig, mit welken, greisen Händen hatte er zugegriffen: was war das doch für eine schöne und gutbestellte Welt, die seinen Lebensabend so licht und heiter gestalten würde. Aber welche Aufregungen waren seinen armen, gequälten Nerven in diesen Monaten erspart geblieben?

Nach den letzten serbischen Depeschen war er in freudigster Stimmung. »Sehen Sie, sehen Sie,« sagte er zu Felix, »was man erreicht, wenn man zähe ist. Sie haben in dieser Zeit sich wie ein Held benommen. Sie meinen, ich hätte nicht bemerkt, was Sie durchgemacht haben, Felixchen ... o – o – o! Ich weiß keinen Menschen auf der ganzen Börse, keinen, der so 'ne Kaltblütigkeit ... na, im schlimmsten Fall wär ich ja noch dagewesen,« fügte er leiser hinzu und hob mit einem schlauen, faunischen Lächeln drohend den Zeigefinger. Jetzt, wo die Schlacht geschlagen war, konnte man sich so 'ne diplomatische, hochherzige Redensart schon leisten.

Felix erwiderte den Händedruck Bärs. Ihm taten seine Worte wohl. Der Mann begriff ihn und spielte sich nicht zum Moralisten auf, obwohl er wußte, daß er nur um Haaresbreite dem Abgrund entfernt gewesen war.

Die beiden Herren beschlossen jetzt, sofort in die Presse die Nachricht zu lancieren, daß in wenigen Tagen die Zahlung der Zinsen und gleichzeitig eine neue Emission dieser gewinnbringenden Serben erfolgen würde. Man hatte es eilig, da bereits einige leise, verwirrende Gerüchte in einem österreichischen Blatt aufgetaucht waren, die auf der Stelle totgemacht werden mußten, sollten sie nicht bedenklichen Schaden anrichten.

Mit Arthur hatte Felix ein ganz kurzes Gespräch. Nachdem er ihm zur Entdeckung einer neuen Trüffelpastete, deren sich Brillat Savarin nicht geschämt haben würde, gratuliert hatte, teilte er ihm mit, daß die Firma dicht vor dem Ruin gestanden.

Arthur lachte ihm gutmütig in's Gesicht.

»Faule Fische – was brauchst Du mich aufzuziehen!«

Als aber Felix ihm nachdrücklich erklärte, daß es beinah Ernst geworden wäre, kraute er sich eine Zeit lang verlegen auf seinem dünnen Scheitel, dann meinte er: »Weißt Du, Felix, Du hättest mir das nicht sagen sollen, so was legt sich bei mir gleich auf die Nieren. Wenn es brennt, sag mir's, aber Feuerlärm ist mir unsympathisch ... höchst unsympathisch!«

Felix war einen Augenblick ganz verdutzt, dann entgegnete er: »Am Ende hast Du Recht,« und zwinkerte ihm merkwürdig zu.

Bevor er an diesem Tage der Fabri seinen Besuch abstattete, nahm er aus einem Fache seines Sekretärs zwei ganz alte, französische Reiterpistolen, die aus dem 17. Jahrhundert stammten und betrachtete aufmerksam die erlesene, subtile Arbeit. »Die haben Stil!« murmelte er.

Er schloß sie wieder ein, lächelte seelenvergnügt, pfiff eine abgetakelte Melodie aus dem Bajazzo des Leoncavallo und begab sich zur Fabri. Den Wagen ließ er voran fahren, er mochte heute nicht eingesperrt sitzen.

Bei der Tänzerin hielt er sich kaum eine halbe Stunde auf. Er war auffallend zerstreut und wenig für ihre Gunstbezeugungen empfänglich. Eine innere Unruhe quälte ihn. Er fuhr wieder in's Geschäft und fragte, ob neue Depeschen angekommen seien.

Ja, ein Telegramm sei da. Er öffnete es und fühlte, wie er zitterte.

»Betrieb kann bestimmt übermorgen eröffnet werden. Vollendung geht rapid vorwärts.«

Ein nervöses Freudenlachen entrang sich ihm: Der Coup war gelungen. Er sandte das Telegramm an Bär und ließ sich sofort Pförtner kommen.

»Sie müssen morgen einen fulminanten Leitartikel über die serbische Bahn bringen,« sagte er strahlend, »ich bekomme eben die Drahtnachricht, daß übermorgen eröffnet wird.«

Pförtner gratulierte untertänigst. Auch für ihn war das ein Ereignis.

»Der Leitartikel ist allerdings bereits gesetzt und ob ich so schnell ...«

Felix klopfte ihm auf die Schulter. »Reden Sie gar nichts,« schnitt er jeden Einwand ab, »macht sich mehr als bezahlt: jede Silbe wird in Gold aufgewogen!«

Pförtner empfahl sich eiligst. In der Tür stieß er auf den Kommerzienrat, der Felix beide Hände entgegenstreckte. Die Herren wurden darüber einig, sogleich an das serbische Finanz- und Handelsministerium telegraphische Mitteilung von dem Stand der Dinge zu machen und gemäß Paragraph 6 des Kontraktes um die Anweisung für die Zahlung der Zinsen zu ersuchen. Den ereignisfreudigen Tag selbst wollte man im Club von 1793 zu einem würdigen Abschluß bringen.

Trotz des inneren Jubels war Felix von einer ihm fremden Nachdenklichkeit befangen: er hatte etwas erlebt, das selbst seine leichtlebige Natur nicht so bald überwinden konnte. Dicht vor dem Tode hatte er gestanden, darüber kam er nicht hinweg. Es war ja vorläufig nur ein tändelndes Spiel mit den Pistolets gewesen, aber kaum ein Schritt hatte gefehlt, um aus diesem Spiel blutigen Ernst zu machen. Es fuhr ihm kalt über den Rücken. In den nächsten Tagen würde er die erste Geige auf der Börse spielen, alle würden ihn feiern, und er würde diesen Tribut als ihm gebührend lächelnd entgegennehmen – und nur um Haaresspalt war er dem Ende, dem Ende entgangen.

Eine merkwürdige Welt!

Diejenigen, die an diesem Abend im Club von 93 die Zeche zahlten, waren der Kommerzienrat Bär und Felix Lerch.

Felix wurde ganz verstimmt, nicht der lumpigen zweitausend wegen – der ganze Umsatz war ein rein lächerlicher gewesen – sondern, weil er, bevor das Jeu begonnen, im Stillen den Pakt mit sich gemacht, daß, gewönne er an diesem Abend, darin für ihn ein Symbol und Siegeszeichen für alle seine Unternehmungen zu erblicken sei. Nun war er neben Bär der einzige Verlierer gewesen, und abergläubisch wie alle Spieler, war es um seine Laune geschehen. Er verabschiedete sich verhältnismäßig früh, um sich sofort nach Hause zu begeben.

Im Zimmer seiner Frau brannte noch Licht.

Er klopfte an und öffnete alsdann entschlossen die Tür, ohne auf ihre Frage: Wer da? etwas zu antworten.

Sie schreckte nervös in ihren Kissen empor.

»Ich bin's! Beruhige Dich nur,« und er hob das Buch mit gelbem Umschlag auf, das ihr entfallen war. »Ah, Marcel Prévost,« sagte er, »der ist wohl jetzt in Mode! Du bist, wie es scheint, ebenfalls noch nicht lange hier?«

Sie blickte ihn einen Augenblick scharf an.

»Gewiß nicht,« entgegnete sie, »aber was verschafft mir die ungewohnte Ehre Deines Besuchs?«

»Hm!« machte er, »offen gestanden, ich weiß es kaum selbst. Ich sah Licht bei Dir – und ich bin heut merkwürdig unruhig. Es liegt mir etwas in den Gliedern. A propos, wann hast Du das letztemal den serbischen Gesandten gesprochen?«

Sie wurde nicht im mindesten verlegen. Sie wußte den Mann da frei von jeder ehelichen Eifersucht. Aber die Frage machte sie in anderem Zusammenhange stutzig.

»Heute!« antwortete sie unbefangen.

»So ... so!«

Er ging einige Male im Zimmer auf und nieder.

»Hat er zufällig irgend was geäußert, ich meine irgend 'ne Bemerkung gemacht, die für mich von Interesse sein könnte?«

Sie überlegte eine kleine Weile.

»Er sagte,« entgegnete sie nachdenklich, »daß in seinem Lande schwere Unruhen ausgebrochen seien, daß möglicherweise jede Stunde die augenblickliche Regierung gestürzt werden könnte.«

In Felix blasses Gesicht trat eine entsetzliche Spannung, er nagte beständig an den Lippen und stieß ein paar leise, unverständliche Laute hervor. Das dauerte jedoch nur ein paar flüchtige Sekunden, dann raffte er sich zusammen. Niemals hatte er mit dieser kleinen, häßlichen Person etwas gemein gehabt, er wollte sie auch mit seinen Sorgen verschonen.

»Das ist ja recht interessant,« meinte er und wünschte ihr kurz gute Nacht.

Er ging jedoch nicht in sein Schlafzimmer, er wußte, daß es für ihn heute keinen Schlaf gab. Er ließ sich im Herrenzimmer Licht machen, nahm Papier und Bleistift vor und begann zu rechnen. Aber auch damit mußte er bald aufhören. Der Kopf tat ihm weh zum Tollwerden. Er stand auf und betrachtete im Spiegel sein fahles Gesicht.

Auf einmal trat ein verzerrtes Lächeln auf seine Züge. Er wußte es plötzlich, daß er verloren war. Er hatte nicht den geringsten Anhalt – und doch er wußte es, eine grausige Ahnung hatte es ihm enthüllt. Seine Ohren bewegten sich beständig hin und her, seine Stirnhaut zog sich förmlich empor und nieder in diesem Momente einer furchtbaren Erregung. Jetzt marterte er nur noch sein Hirn, weshalb er eigentlich verloren war, da doch die erste Strecke der Bahn beendet und die fälligen Zinsen nicht mehr seine Sorge waren. Er fand keine Erklärung. Er drehte das Licht ab und verließ den Raum. Er wollte doch sein Lager aufsuchen. In seinem Schlafzimmer erwartete ihn der Kammerdiener, der vor Müdigkeit sich kaum noch aufrecht halten konnte. Felix warf hastig die Kleider von sich; als er gerade in's Bett stieg, bemerkte der Lakai, daß auf seinem Nachttische ein Telegramm läge.

Der Bankier hatte beim Verlassen des Geschäfts angeordnet, daß jede etwaige Depesche in seine Privatwohnung gebracht würde. Er hatte diese Ordre völlig vergessen gehabt, da er nicht im entferntesten heute noch an eine Drahtnachricht gedacht hatte.

»Sie können gehen,« sagte er mit heiserer Stimme zum Kammerdiener.

Nachdem der sich entfernt hatte, starrte Felix eine geraume Zeit das kleine, verfängliche Papier an, ohne den Mut zu haben, es zu öffnen. Er wischte sich mit der flachen Rechten den Schweiß von der Stirn, die Furcht lähmte ihm die Glieder. Er wog es plötzlich in der Hand, als könnte er aus dem Gewicht seinen Inhalt feststellen. Er warf sich zur Seite, er wollte den Wisch da nicht öffnen! Er wollte es nicht. Aber wieder nahm er ihn in die Hand, und wieder wurde sein Gesicht von diesem Todeslächeln entstellt.

Er riß das Papier gewaltsam auf. Die blauen Buchstaben grinsten ihm mit erschreckender Deutlichkeit entgegen. Das Telegramm war sehr ausführlich. Es enthielt die beängstigende Mitteilung, daß die Regierung gestürzt und diejenige Partei an's Ruder gekommen sei, die am lautesten gegen die Eisenbahn geschrieen hatte. Zum Finanzminister sei ein serbischer Bankier ernannt worden, der selbst Bahnen hatte bauen wollen und durch die Operation der Firma F. Lerch & Co. in's Hintertreffen gekommen war.

Als Felix diese Depesche gelesen hatte, zog er sich auf der Stelle und unglaublich rasch wieder an, um das Haus zu verlassen. Er nahm sich eine Droschke und fuhr zur Fabri, bei der er die letzten Stunden dieser denkwürdigen Nacht zubringen wollte.

Die Tänzerin empfing ihn mit offenen Armen und überschüttete ihn mit Beweisen ihrer Liebe. Sie hatte am Nachmittag geglaubt, der Bankier sei ihrer überdrüssig geworden und darum suchte sie den allzu lockeren Zeisig wieder enger in ihr Netz zu fangen.

Glück in der Liebe ... Wenn der Bankier noch einen Moment gezweifelt hatte – jetzt stand es felsenfest: er war rettungslos verloren.

Und in der Tat – am Morgen schon mit der ersten Post traf die Hiobsbotschaft ein. Die neue Regierung weigerte sich schlankweg, die Verzinsung des Kapitals zu übernehmen, sie erklärte mit der naivsten Frivolität, daß die geschlossenen Verträge für sie nicht gültig seien. Um sich aber scheinbar auf eine Art von Rechtsboden zu stellen, begann sie die Schienen zu bemängeln, die Pläne zu monieren und Schwierigkeiten hinsichtlich der Längenbestimmung zu bereiten. Sobald die Bevölkerung merkte, daß jetzt von oben aus einem anderen Loch gepfiffen wurde, unterfing sie sich mit unglaublicher Dreistigkeit, den Bau der Bahn zu stören. Eine Verkehrung aller Begriffe trat ein. Es gab Leute, die die unsinnigsten Ansprüche geltend machten und ohne weiteres Exekutionen gegen Bau- und Betriebskassen vornehmen durften. Die Ingenieure waren in einer heillosen Verwirrung; den Zuständen gegenüber einfach ohnmächtig, sandten sie geradezu trostlose Berichte.

In Felix Lerch kämpften Wut und Verzweiflung. So dicht am Ziel und so kläglich enden zu sollen, er konnte es nicht fassen. Dagegen wollte er sich wehren bis zum Äußersten. Diesem Raubgesindel weichen, nimmermehr!

Er eilte mit schreckensbleicher Miene zum serbischen Gesandten. Der Gesandte war nicht da. Der Bankier ließ sich in einem der Fauteuils nieder, um zu warten. Er stand jedoch bald auf und durchmaß mit jähen Schritten den Raum. In ihm jagten sich die Gedanken. Er hörte bereits die ersten Gerüchte, die sich die Börsenleute zutuschelten, die einen, die in seinen Fall hineingerissen wurden, angstvoll aufhorchend, verzweifelt und fassungslos – die anderen, die soliden Bankiers, die sich immer von ihm ferngehalten hatten, boshaft und schadenfroh lächelnd und trotzdem eine vornehme Zurückhaltung wahrend. Er sah bereits, wie sein Komptor gestürmt wurde, wie jeder, der da mit schlotternden Knieen hereinkam, mit heiserer Stimme seine Groschen zurückverlangte. Er hörte bereits all die Namen, mit denen er tituliert wurde.

Er riß die Fenster auf, um die frische Luft hereinzulassen. Er glaubte zu ersticken. Nun vernahm er Schritte und lauschte mit verhaltenem Atem. Einige qualvolle Minuten verstrichen. Er glaubte leise Stimmen zu vernehmen.

Jetzt wurde die Tür geöffnet, ein Diener trat ein und führte ihn schweigend in das Empfangszimmer des Gesandten. Wieder mußte er warten.

Endlich erschien der Gesandte, die rechte Hand hielt er oben im Rock verborgen, seine Miene war ernst, und wie es Felix, der ihn mit einem förmlich fragenden Blick fixierte, sofort klar wurde – hoffnungslos. Er lächelte kummervoll verlegen.

»Ich bitte, nehmen Sie Platz,« sagte er matt, »ich fürchte freilich, Ihnen wenig helfen zu können!«

Der Bankier schüttelte den Kopf. Er mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um überhaupt sprechen zu können. Er gurgelte die Worte nur so hervor, aus seinen Augen brannte es unstät. Der Gesandte hörte ihn in steifer Haltung an. Nur einmal fuhr er mit der Linken über seine kranken Augen.

Als Felix endlich innehielt und ihn so schmerzhaft anblickte, als ob alles Heil von ihm abhinge, sagte er: »Ich möchte Ihnen vor allem mitteilen, daß ich persönlich ohne den leisesten Einfluß bin – vorläufig wenigstens – ich bin seit gestern – abberufen.«

Dem Bankier entrang sich ein wimmerndes Stöhnen. »Abberufen!« stammelte er und klammerte sich an einen Stuhl.

»Hören Sie mal,« sagte der Gesandte, während es einen Augenblick mitleidig um seine schmalen Lippen zuckte, »Sie dürfen den Mut nicht so ganz sinken lassen. Es herrscht bei uns zurzeit eine geradezu entsetzliche Wirtschaft. Es sind da einige Schreier ans Ruder gekommen, die sich nur halten können, wenn sie der Volksstimmung fröhnen. Und die ist in der Tat augenblicklich stark gegen Ihr Unternehmen. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß, wenn Sie den Kopf oben behalten, die Dinge einen erträglichen Ausgang nehmen werden. Es kann sich das vielleicht ein halbes Jahr hinziehen ...«

»Bis dahin,« unterbrach ihn Felix, »bin ich ruiniert, total ruiniert, mich kostet jeder Tag ein Vermögen. Ihre Regierung ahnt kaum, was ich für Opfer gebracht habe.«

Der Gesandte zuckte die Achseln.

»Ich kann Ihnen nur raten,« sagte er langsam, »dort von Ihren Verlegenheiten nichts merken zu lassen und einfach den Rechtsweg zu beschreiten. Je kühler Sie die Angelegenheit auffassen, desto eher werden Sie zum Ziele kommen. Im Grunde weiß man dort ganz gut, wo das Recht ist.«

Bei diesem Wort färbte ein flüchtiges Rot seine Züge.

»Das ist natürlich meine Privatmeinung,« setzte er hinzu. »Im Interesse meines Landes hätte ich vielleicht weniger aufrichtig sein sollen. Sie können jedenfalls daraus erkennen, daß ich Ihre Sache nicht so schwarz ansehe. Hält es denn für Sie so schwer, – ich meine, ist es ausgeschlossen, daß Sie Kapitalisten finden, die Ihnen über diese momentane Verlegenheit hinweghelfen?«

Felix sah eine flüchtige Spanne Zeit in das Gesicht des Gesandten. Das ist alles wahr, dachte er bei sich selbst. Der Mann lügt nicht. Und plötzlich belebte ihn neues Hoffen. Bär mußte helfen, Bär mußte bis auf den letzten Groschen eintreten, um diesen serbischen Hunden den Prozeß zu machen. Bär mußte helfen, denn auch sein Interesse stand ja auf dem Spiele.

Er verbeugte sich ungelenk. »Ich danke Ihnen für Ihre Güte,« sagte er. »Ich will sehen, was sich tun läßt.«

Der Gesandte neigte ein wenig den Kopf und Felix entfernte sich. Es gab also noch eine Rettung, man mußte sich mit diesen Banditen balgen, aber man würde doch zu seinem Rechte kommen. Nur die Zinsen mußten bezahlt werden, um den Zusammenbruch zu verhüten. Und Bär würde helfen, mußte helfen. Er hatte ihn bereits vorher zu einer Konferenz in sein Kontor bestellt, um ihm reinen Wein einzuschenken. Nun gut, man konnte sich über die fatale Geschichte einigen. Er würde dem Kommerzienrat gewisse Zugeständnisse machen, ihm schließlich sogar den Löwenanteil verpfänden – aber sicherlich, noch ließ sich alles arrangieren – nur kühl mußte man bleiben.

Atemlos trat er in das Kontor. Bär stürzte ihm entgegen. Der alte Mann sah zum Entsetzen aus, so daß Felix bei diesem Anblick seine Fassung wiedergewann.

»Felixchen!« wimmerte er, »ist es denn wahr, um Gotteswillen, Felixchen, richten Sie mich alten Mann wieder auf. Was sind das für gräßliche Nachrichten!«

»Beruhigen Sie sich doch nur. Nur Ruhe. Wenn Sie wollen – ist Polen noch nicht verloren!«

»Wenn ich will ...«

Ein irres, idiotisches Lächeln beherrscht die Miene des alten Mannes. Felix beachtete es nicht. Er war viel zu sehr von dem letzten Rettungsmittel erfüllt. Mit hastigen Worten, in abgerissenen Sätzen, teilte er ihm seine Unterredung mit dem Gesandten mit.

Der Kommerzienrat sah ihn verständnislos an. Seine genußgierigen Lippen bewegten sich unaufhaltsam, ohne daß er auch nur einen Laut hervorzubringen vermochte.

Felix legte plötzlich beide Hände auf seine Schultern, und indem er seine Augen in die des alten Mannes bohrte, fragte er mit zischender Stimme: »Wollen Sie also helfen?«

Da geschah etwas, das Felix nicht erwartet hatte: der alte Mann brach in die Knie, verhüllte sein Gesicht mit den Händen und fing wie ein Kind zu weinen an.

In Felix' Seele stieg mit einem Schlage ein Verdacht auf.

Er schüttelte den Alten robust. »Lassen Sie die Komödie,« sagte er grob, »Sie sind doch kein Weibsbild. Wollen Sie helfen ... können Sie helfen?« Bär erhob sich schwerfällig. Er sah ängstlich und schüchtern zu seinem jungen Associé empor.

»Nämlich,« raunte er, und ohne daß er es beabsichtigte, trat ein verschmitztes Lächeln auf seine Miene, »ich, Felixchen, ich ... wie gesagt ... nämlich ... es ist so ... wahrhaftig ... Sie brauchen die Äugelchen nicht so weit aufzureißen ... ich bin wirklich kaput!« Und sich gleichsam überstürzend, schrie er, »so kaput, daß ich auch nicht einen roten Dreier mehr besitze. Und noch dazu bin ich ganz unschuldig ... seit ... seit ... ja, Felixchen, seit vierzig Jahren sind wir pleite.«

Felix meinte einen Besinnungslosen, einen Irren vor sich zu haben. »Lassen Sie die Vertraulichkeit,« sagte er wütend, »nehmen Sie sich lieber zusammen, oder wollen Sie sich mit so faulen Witzen um die Sache herumdrücken?«

»Er glaubt mir nicht ... er glaubt mir nicht!« jammerte der Kommerzienrat, und in wirren Worten begann er, Felix aufzuklären.

Als dieser endlich begriff, als er sah, daß er keinen Narren vor sich hatte, stieg ein merkwürdiges Gefühl der Beschämung in ihm auf. Von diesem Halunken hatte er sich reinlegen lassen, von diesem Schelm war er genasführt worden.

Er war nahe daran, zusammenzubrechen. Alles war gegen ihn, und welch ein Hohn lag darin, Schulter an Schulter mit einem Bankerotteur gearbeitet zu haben. Das war also seine Stütze gewesen. Er blickte mit einem Ausdruck unsäglicher Verachtung auf den Kommerzienrat, der in gekrümmter Haltung wie ein geprügelter Hund vor ihm stand.

»Wissen Sie, was Sie sind,« sagte er im Tone tiefster Entrüstung, »ein Lump sind Sie – ein ganz gemeiner Lump!«

Der Kommerzienrat lächelte wehleidig, er blickte fast so drein, als ob er eine besondere Schmeichelei vernommen hätte.

»Felixchen,« flüsterte er ganz leise, in einem geradezu zärtlichen Ton, »sagen Sie das nicht, Sie sind mein natürlicher Bundesgenosse, täuschen wir uns nicht, die Leute werden von Ihnen, wenn wir nicht klug sind, noch ganz anderes reden. Felixchen, so hören Sie doch nur ... ich ...«

Er kam nicht zu Ende, sein Gegenüber sah ihn so gereizt und zornsprühend an, daß er in scheuer Angst einen Schritt zurücktrat.

Eine Weile ging Felix mit verschränkten Armen auf und nieder, er kam sich wie in einen Käfig gesperrt vor. Eine ohnmächtige Wut stieg ihm bis zur Kehle empor und würgte ihn.

Der Kommerzienrat verfolgte furchtsam und zähneklappernd jede seiner Bewegungen. Einmal blinzelte er nach der Tür und überlegte eine Sekunde, ob es nicht klüger wäre, sich auf- und davonzumachen. Er hatte aber nicht den Mut, sich von der Stelle zu rühren. Plötzlich winselte er: »Am Ende findet sich doch jemand, der uns ...«

Er hielt wieder inne. Felix ging dicht an ihm vorüber und riegelte mit einem Male die Tür zu.

»Um Gottes willen, Felixchen, was tun Sie,« rief er zitternd, »Sie wollen doch nicht mir altem Manne ...«

»Ja, das will ich,« schrie Felix heiser und packte ihn an den Schultern.

Der Alte begann konvulsivisch zu schluchzen, »Gerechter Gott ... gerechter Gott ...« stammelte er beständig.

»Werden Sie Gott beiseite lassen,« fuhr ihn Felix an.

»Gewiß ... gewiß werd ich! Was Sie wollen, werd ich ... nur Mitleid haben Sie!«

Felix stieß ihn beiseite. »Wissen Sie,« sagte er, und sein Gesicht spiegelte Abscheu und Ekel wieder, »es kann einem übel werden vor Ihnen.«

Dann ließ er sich erschöpft auf dem kleinen, eleganten Divan nieder, verbarg das Gesicht in den Händen und versank in trostloses Grübeln. Aber eine dumpfe Ruhe kam wenigstens über ihn. Und seltsam: allmählich vergaß er alle seine Sorgen, vergaß, daß vor ihm ein dunkler Abgrund war, der ihn aufnehmen mußte, sein Grab, seine letzte Ruhestätte. Es fielen ihm längst vergessene Dinge ein. An seinen dürftigen, scheuen Vater, der so gedrückt und lautlos einhergeschlichen war, mußte er denken und vor allem an Regine, die das Leben so ganz anders auffaßte als er und die übrigen Lerchs. Einen Moment dachte er an die Fabri, aber ein bitterer Geschmack stieg ihm im Munde auf. »Kanaille«, murmelte er vor sich hin.

Der Kommerzienrat, der zusammengekauert auf einem Stuhle saß und das Wort aufgefangen hatte, zuckte empor und beruhigte sich erst, wie er sah, daß Felix sich nicht rührte. Der jedoch dachte wieder an Regine, und ein ihm völlig fremdes Sehnen nach der Schwester ergriff ihn. Dann fiel ihm plötzlich Arthur ein, der arme Arthur. Wie würde der das Unglück ertragen. Er sah auf und schrak ordentlich zusammen, als sein Auge auf Bär fiel, der seine geduckte Haltung noch immer nicht geändert hatte.

»So ... so, Sie sind noch immer da!« sagte er. Der Kommerzienrat blickte ihn kläglich an. Felix stand auf und strich sich über die niedrige Stirn. »Bin vorhin gegen Sie etwas heftig gewesen!«

»O, bitte sehr ... bitte sehr,« entgegnete der Kommerzienrat verbindlich.

»Warum haben Sie mich denn gerade reingelegt – gerade mich?«

Bär atmete auf. Das war doch ein ganz anderer Ton, in welchem Felix jetzt sprach.

»Aber,« erwiderte, er, ohne Felixens Frage zu beachten, »weshalb müssen wir uns denn verloren geben. Wenn wir nun den Prozeß gewinnen ...«

»Und wer zahlt uns die Zinsen, wer hält uns bis dahin? Ja, wenn Sie der gewesen wären, für den ich Sie hielt. – Sie hätten einspringen müssen, Sie hätten das Interesse gehabt und wären nicht einmal schlecht dabei gefahren. Aber wer identifiziert sich jetzt mit uns, wer gibt uns die nötigen Millionen? Niemand ... niemand! Alle lachen sich in's Fäustchen, alle ...«

»Felixchen,« unterbrach ihn Bär, »ich weiß einen – einen, der das Interesse hat, einen, der hilft!«

Felix schüttelte den Kopf.

»Unsinn! Niemand hilft!«

Der Kommerzienrat erhob sich. Er holte ein seidenes Taschentuch hervor, wischte sich den Schweiß ab, und die Hände in den Bartkoteletten, ging er gerade auf Felix zu.

»Wertheim hilft! Wertheim ...« Auf Felix' Züge trat bei diesen Worten eine straffe Spannung, Herr Gott, war er mit Brettern vernagelt, daß ihm Arthurs Schwiegervater nicht eingefallen war. Konnte der Arthur der Schande preisgeben? Ihn würde er, ohne mit der Wimper zu zucken, zugrunde gehen lassen ... aber Arthur – um Arthurs willen, würde er in den sauren Apfel beißen. Und dann, der Mann war intelligent genug, um einzusehen, daß das Ganze noch zu retten war – ja, unter Umständen konnte es seine Eitelkeit reizen, die Sache zur seinigen zu machen, sich als Börsengenie aufzuspielen und Geld und Scharfsinn daran zu setzen, diesen serbischen Banditen das Handwerk zu legen. Aber schon nach kurzem Überlegen wurde er kleinmütig.

»Der wird mir Ihre Adresse geben,« sagte er bitter.

Der Kommerzienrat blinzelte verschmitzt.

»Und wenn schon,« entgegnete er. »Fangen Sie's nur schlau an. Sagen Sie ihm, er soll mit mir Halbpart machen. Hat er dann einmal A gesagt, wird er auch B sagen, um das erste Geld nicht zu verlieren!«

»Sie sind doch ein Erz-Spitzbube,« meinte Felix.

»Sie schmeicheln,« antwortete Bär heiter, »übrigens,« fügte er hinzu, »wenn man, wie ich, vierzig Jahre im Glashause gesessen, ohne Schaden zu nehmen, dann läßt man nicht so leicht den Kopf hängen. Wissen Sie,« beteuerte er, »es ist mir eine ordentliche Wohltat, daß ich mich endlich mit einem Menschen ausgesprochen habe.«

»Ausgesprochen!« wiederholte Felix ganz verdutzt. »Sie sind wirklich ein amüsanter, alter Herr! Aber,« fuhr er fort, »ich hab jetzt keine Zeit mit Ihnen abzurechnen, lohnt vielleicht überhaupt nicht, machen Sie jetzt, daß Sie hinauskommen.«

Der Kommerzienrat sah kläglich nach der verschlossenen Tür. Als Felix es merkte, warf er ihm mit einer verächtlichen Bewegung den Schlüssel hin.

Der alte Mann bückte sich mühsam und schloß mit zitternder Hand. Zwischen Tür und Riegel steckte er seinen Kopf noch einmal herein und raunte in geheimnisvollem Ton: »Wenn Sie klug sind, so schweigen Sie auch bei Wertheim über meinen Fall.« Alsdann verschwand er eiligst.

»Der Hund!« murmelte Felix. »Das gemeinste dabei ist,« dachte er weiter, »daß ich ihn nicht einmal fallen lassen darf.«

Müde erhob er sich und ging an's Telephon.

»Ist mein Bruder da?« schrie er hinein.

»Der gnädige Herr soupiert.«

»Rufen Sie ihn augenblicklich!«

»Ich weiß nicht, ob ich das –«

»Sie Esel Sie,« unterbrach Felix die Stimme grob, »hören Sie denn nicht, daß Felix Lerch zu Ihnen spricht?«

»Wollen der gnädige Herr verzeihen ... ich dachte nur ... und einen Moment warten!«

Nun erschien Arthur.

»Du, ich muß Dich sofort sprechen!« rief Felix.

»Hat's nicht noch eine Stunde Zeit, wir sind gerade bei Tisch, mein Schwiegervater ist auch da!«

»Desto besser! So komm ich sofort zu Dir. Ich muß Dich aber allein sprechen – sage Wertheim nicht, daß Du mit mir eben geredet hast.«

»Was ist denn nur los?«

Eine Sekunde zögerte Felix, ehe er mit eigentümlichem Akzent erwiderte: »Es brennt – Du sollst löschen helfen.«

»Machste Witze?«

»Ist mir noch nie so ernst zumute gewesen! Bin in einer halben Stunde bei Dir Schluß!« Und ohne Arthurs Antwort abzuwarten, klingelte er ab.

Nun ging er ins Kontor, holte sich sämtliche Akten bezüglich der serbischen Bahn, packte die Geschäftsbücher zusammen und rechnete mehrere Minuten. Er gab es jedoch bald auf. Mochte Wertheim die Bilanz ziehen, die Bilanz aus der serbischen Bahn, aus den Wellblech-Aktien, und schließlich aus dem Darz-Unternehmen, zu schweigen von allem anderen, was da noch drum und dran hing. Es lag ja alles im Krachen – mochte nun daraus werden, was da wollte.

Schwerfällig erhob er sich und langsam zog er sich an. Er war ein anderer. Alle Lebenskraft war dahin, nur eine unsägliche Müdigkeit, ein Widerwille, den er förmlich auf der Zunge spürte, beherrschte ihn.

Müde und mürbe stützte er sich auf den Stock. Unten winkte er einer Droschke. Als er eingestiegen war, lehnte er sich matt an das Polster und schloß die Augen. Nach zwanzig Minuten hielt der Wagen vor Arthurs Palais.

Der Kutscher mußte vom Bock springen und ihm bedeuten, daß sie an Ort und Stelle wären. Er rieb sich die Augen, er begriff ihn erst gar nicht; dann warf er ihm ein Geldstück zu, wehrte mit der Hand ab, als der Kutscher wechseln wollte. Er zog an der Portalglocke und wankte hinauf, ohne den ehrfurchtsvollen Gruß des Portiers zu beachten.

Oben gab er sich einen Ruck, als wollte er so seine schlaffen Lebensgeister wecken. Und während er sich auf die Lippe biß, trat ein stumpfes Rot auf seine quittegelben Züge. Er raffte sich. Nicht wie ein gebrochener Mann, aufrecht wollte er Wertheim gegenübertreten. Er lächelte sehr seltsam.


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