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»Andrew, in einer halben Stunde soll man die Thorglocke läuten. Sorsyll soll Duckneß am großen Fallgatter ablösen und Maldivius auf die Plattform des großen Thurmes steigen. Beim Kerker des Löwen von Schleswig soll streng aufgepaßt werden. Nicht zu vergessen, um sieben Uhr eine Kanone zu lösen, damit die Kette im Hafen aufgezogen werde; doch nein, man erwartet noch den Hauptmann Dispolsen; man muß im Gegentheil die Leuchte auf dem Thurm anzünden und nachsehen, ob der Leuchtthurm von Walderhog brennt, wie heut der Befehl dazu ertheilt worden ist; vor Allem sind Erfrischungen für den Hauptmann bereit zu halten. Und daß ich es nicht vergesse, man notire für Toric-Belfast, zweiten Arquebusier des Regiments, zwei Tage Arrest; er war den ganzen Tag abwesend.«
So sprach der Sergent der Wache unter dem schwarzen und rauchigen Gewölbe der Thorwache von Munckholm, die unter dem Thurm gelegen ist, welcher das erste Thor des Schlosses beherrscht.
Die Soldaten, an welche seine Befehle gerichtet waren, legten die Karten weg oder erhoben sich vom Lager, um sie zu vollziehen.
In diesem Augenblicke hörte man von Außen das gleichförmige Geräusch der Ruder.
»Ohne Zweifel kommt endlich der Hauptmann Dispolsen!« sagte der Sergent und öffnete das kleine vergitterte Fenster, das auf den Hafen geht.
Eine Barke legte unten an der eisernen Pforte an.
»Wer da?« rief der Sergent mit rauher Stimme.
»Oeffnet!« war die Antwort. »Friede und Sicherheit!«
»Eingang verboten! Habt Ihr Eingangsrecht?«
»Ja!«
»Das will ich erst untersuchen. Lügt Ihr, so will ich Euch das Wasser des Golfs zu kosten geben.«
Er schloß das Fenster, wandte sich zur Wache und sagte: »Immer noch nicht der Hauptmann!«
Ein Licht glänzte hinter der eisernen Pforte, die verrosteten Riegel kreischten, die Eisenstangen hoben sich, das Thor ging auf, und der Sergent untersuchte ein Pergament, das ihm der Ankömmling darbot.
»Einpassirt!« sagte er. »Halt!« fügte er rasch hinzu, »laßt Eure Hutschnalle außen. Man darf nicht mit Kleinodien in ein Staatsgefängniß. Hievon sind nach dem Reglement bloß ausgenommen: ›Der König und die Mitglieder der königlichen Familie, der Vicekönig und die Mitglieder seiner Familie, der Bischof und die Befehlshaber der Besatzung.‹ Ihr habt ohne Zweifel keine von all diesen Eigenschaften?«
Statt aller Antwort nahm der junge Mann die Hutschnalle ab und warf sie dem Schiffer, der ihn geführt hatte, an Zahlungsstatt zu. Dieser, welcher fürchtete, der Andere möchte seine Freigebigkeit bereuen, stieß schnell vom Ufer, um das Wasser der Bucht zwischen den Wohlthäter und die Wohlthat zu legen.
Während der Sergent, über die Unklugheit der Kanzlei murrend, welche auf solche Art die Eingangspässe verschwende, die schweren Riegel wieder vorschob, schritt der junge Mann, den Mantel über die Schulter zurückgeworfen, eilends durch den dunkeln Bogen und kam über den Waffenplatz an das große Fallgatter, das nach Prüfung seines Passes gehoben wurde. Dann schritt er, von einem Soldaten begleitet, wie Jemand, der des Wegs wohl kundig ist, dem Kerker zu, das Schloß des Löwen von Schleswig genannt, weil Rolf der Zwerg weiland seinen Bruder Joatham den Löwen, Herzog von Schleswig, darin gefangen halten ließ.
An einem der innern Thürme schlug der junge Mann mit einem kupfernen Hammer, den ihm der Wächter am Fallgatter gegeben hatte, heftig an die Thüre. »Oeffnet!« rief von Innen eine laute Stimme, »das wird wohl dieser verfluchte Hauptmann sein!«
Als die Thüre sich öffnete, erblickte der Ankömmling im Innern eines schwach beleuchteten gothischen Saals einen jungen Offizier, der nachlässig auf einem Haufen Mäntel und Rennthierhäute lag. Neben ihm stand ein dreiarmiger Leuchter, den er von der Zimmerdecke abgenommen und neben sich gestellt hatte. Seine reiche und ausgesucht elegante Kleidung stand in schroffem Gegensatz zu dem nackten Saal und den plumpen Geräthschaften. Er hielt ein Buch in der Hand und wandte sich mit halbem Leibe dem Ankömmlinge zu:
»Das ist der Hauptmann!« sagte er. »Guten Abend, Herr Hauptmann! Schon lange warte ich auf Ihre Ankunft, obwohl ich nicht das Vergnügen habe, Sie zu kennen. Doch was das betrifft, so werden wir uns bald kennen lernen, nicht wahr, lieber Hauptmann? Vor allen Dingen statte ich Ihnen meine Beileidsbezeugung zu Ihrer Rückkehr in dieses alte verfluchte Nest ab. Wenn ich noch einige Zeit hier verweile, werde ich so abschreckend werden, wie eine Nachteule, die man als Vogelscheuche an eine Thüre nagelt, und wenn ich zur Vermählung meiner Schwester nach Kopenhagen zurückkomme, so will ich verdammt sein, wenn mich unter hundert Damen nur vier wieder erkennen. Sagen Sie mir doch, ob die rosenrothen Bänder noch immer in der Mode sind? Ist kein neuer Roman von Demoiselle Scudery aus dem Französischen übersetzt worden? Hier habe ich gerade Clelia in der Hand. Man wird das zu Kopenhagen auch noch lesen. Das ist mein Codex der Galanterie, jetzt, wo ich seufze, ferne von so vielen schönen Augen; denn so schön auch die Augen unserer jungen Gefangenen sind, Sie wissen, wen ich meine, so bleiben sie doch immer stumm für mich. Ha! Wenn meines Vaters Befehl nicht wäre! . . . Ich muß Ihnen im Vertrauen sagen, Herr Hauptmann, aber behalten Sie es bei sich, daß mich mein Vater beauftragt hat, Schuhmachers Tochter zu . . . Sie verstehen mich schon, aber ich verliere Zeit und Mühe, das ist kein Mädchen von Fleisch und Bein, sondern eine steinerne Bildsäule, sie weint immer und sieht mich niemals an.«
Der junge Mann, der bei der Geläufigkeit der Zunge des Offiziers bisher nicht hatte zum Wort kommen können, stieß jetzt einen Schrei der Verwunderung aus. »Wie! Was sagen Sie? Beauftragt die Tochter dieses unglücklichen Schuhmacher zu verführen! . . .«
»Verführen? Meinetwegen, wenn man das gegenwärtig zu Kopenhagen so nennt; aber das würde selbst dem Teufel nicht gelingen. Als ich vorgestern die Wache hatte, zog ich, ausdrücklich für sie, eine prächtige französische Halskrause an, die man mir unmittelbar von Paris geschickt hatte. Können Sie es glauben, daß sie nicht einmal einen Blick auf mich warf, obwohl ich drei bis viermal durch ihr Zimmer ging und meine neuen Sporen, deren Räder so breit sind, als eine lombardische Dukate, nicht schlecht klingen ließ? Diese Sporen werden wohl noch immer in der Mode sein?«
»Mein Gott! Mein Gott!« sagte der junge Mann und schlug sich vor die Stirne, »das verwirrt mich so . . .«
»Nicht wahr?« fuhr der Offizier fort, der sich über den wahren Sinn dieses Ausrufs täuschte. »Nicht einen einzigen Blick auf mich zu werfen! So unglaublich das auch ist, so ist es doch wahr.«
Der junge Mann ging in heftiger Aufregung im Zimmer auf und ab.
»Wollen Sie etwas genießen, Hauptmann Dispolsen?« rief ihm der Offizier zu.
»Ich bin nicht der Hauptmann Dispolsen.«
»Wie?« sagte der Offizier in ernstem Tone und richtete sich sitzend in die Höhe, »und wer sind Sie denn, daß Sie es wagen, um diese Stunde hier zu erscheinen?«
Der junge Mann hielt ihm seine Einlaßkarte hin: »Ich will den Grafen Greiffenfeld . . . ich will sagen, Ihren Gefangenen sehen.«
»Grafen! Grafen!« murmelte der Offizier mißvergnügt. »Aber wirklich, die Karte ist in Ordnung, da steht die Unterschrift des Vicekanzlers Grummond von Knud: Vorweiser dies kann immer und zu jeder Zeit alle königlichen Gefängnisse besuchen. Grummond von Knud ist der Bruder des alten Generals Levin von Knud, der zu Drontheim befehligt, und Sie werden wissen, daß dieser alte Herr meinen künftigen Schwager erzogen hat . . .«
»Ich danke Ihnen für die Mittheilung Ihrer Familienangelegenheiten, Herr Lieutenant. Meinen Sie nicht, daß Sie mir bereits genug davon mitgetheilt haben?«
»Das ist ein unverschämter Kerl, aber er hat, weiß Gott, Recht,« murmelte der Lieutenant für sich und biß sich in die Lippen.
»Holla! Thürschließer, Kerkermeister, Holla!« rief er, »führt diesen Fremden da zu Schuhmacher und zankt nicht, daß ich Euern dreiarmigen Leuchter, in dem nur ein einziges Licht steckt, von der Decke genommen habe! Ich wollte dieses alte Stück näher betrachten, das sich ohne Zweifel noch aus den Zeiten Sciolds des Heiden, oder Havars des Kopfspalters herschreibt, und überhaupt man hängt heutzutage nur noch Kronleuchter von Krystall an der Decke auf.«
Der junge Mann entfernte sich mit dem Kerkermeister, und der Offizier nahm sein Buch wieder zur Hand, um die verliebten Abenteuer der Amazone Clelia und Horatius des Einäugigen zu lesen.