Victor Hugo
Han der Isländer. Band 1
Victor Hugo

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X.

Nach einer schlaflosen Nacht lag die Gräfin von Ahlfeldt auf dem Sopha, gepeinigt von dem bittern Nachgeschmack unreiner Freuden. Sie dachte an diesen Musdoemon, der ihr einst in so verführerischem Lichte erschienen war, und den sie jetzt so abscheulich fand. Das unglückliche Geschöpf weinte, nicht aus Reue, sondern aus Verdruß. Das Laster hatte sie geflohen, sie nicht das Laster. Ihre Thränen gewährten ihr nicht den Trost, den der Tugendhafte darin findet. Jetzt öffnete sich die Thüre und Musdoemon trat mit ihrem Sohne Friedrich ein.

»Wie kommen denn Sie hieher, Mutter?« rief der Lieutenant, »Ich glaubte Sie zu Bergen. Ist es jetzt bei unsern Damen Mode geworden, wie fahrende Ritter durch das Land zu ziehen?«

Die Gräfin umfing ihren Friedrich mit zärtlichen Umarmungen, die er, wie alle verwöhnten Kinder, ziemlich kalt erwiederte. Dies war vielleicht die empfindlichste aller Strafen für die unglückliche Mutter. Friedrich war ihr Liebling, das einzige Wesen auf der Welt, an dem sie mit uneigennütziger Liebe hing.

»Es freut mich, lieber Sohn,« sagte sie, »daß Du sogleich zu mir geeilt bist, nachdem Du meine Anwesenheit in Drontheim erfahren hattest.«

»Sie irren sich, Mama! Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind. Die Langeweile plagte mich in der Festung, ich ging in die Stadt, begegnete Musdoemon, und der hat mich hieher geführt.«

Die arme Mutter stieß einen Seufzer aus.

»Apropos, Frau Mutter,« fuhr Friedrich fort, »es ist eben recht, daß Sie hier sind. Sie werden mir sagen können, ob Rosa zu Kopenhagen noch immer in der Mode ist. Haben Sie nicht vergessen, mir eine Flasche Haaröl mitzubringen? Den zuletzt übersetzten französischen Roman, meine goldenen Borten und die kleinen Lockenkämmchen werden Sie hoffentlich auch mitgebracht haben? . . .«

Das unglückliche Weib hatte ihrem Sohne nichts mitgebracht, als die einzige Liebe, welche sie für irgend Jemand auf der Welt fühlte.

»Mein lieber Sohn, ich war krank, und meine Schmerzen haben mich gehindert, an das zu denken, was Dir Freude macht.«

»Krank! Es freut mich, daß Sie sich wieder wohl befinden. Apropos, was macht meine Meute normannischer Hunde? Ich wette darauf, daß man vergessen hat, mein niedliches Aeffchen jeden Abend in Rosenwasser zu baden, und meinen Papagei, den werde ich am Ende todt finden . . . Wenn ich abwesend bin, nimmt sich Niemand des armen Thieres an.«

»Deine Mutter, mein Sohn, denkt wenigstens an Dich,« sagte die Gräfin mit zitternder Stimme.

Selbst der Engel mit dem feurigen Schwerte, der die Sünder aus dem Paradiese treibt, würde in diesem Augenblicke mit der unglücklichen Mutter Mitleid gehabt haben. Musdoemon lachte höhnisch in einem Winkel des Zimmers.

»Herr Friedrich,« sagte er, »wozu dieses Haaröl, und diese Bänder, und diese Borten, und all dieses schwere Geschütz der Liebe, wenn das einzige weibliche Herz, das Munckholms Mauern einschließen, unbezwinglich ist?«

»Fürwahr, das ist sie!« erwiederte Friedrich lachend. »Ich habe von dieser Festung abziehen müssen, jetzt ist sie unüberwindlich, und ich fordere den General Schack selbst auf, sie zu nehmen. Wie soll man auch eine Festung überrumpeln, in der das ganze Jahr nichts decouvrirt ist, wo alle Posten immer besetzt sind? Halskrause bis an das Kinn, Aermel bis auf die Finger! Und in diesem Fort, mein lieber Lehrmeister, hält die Schamhaftigkeit Wache.«

»Wirklich!« sagte Musdoemon. »Nun, so muß die Liebe die Schamhaftigkeit zur Uebergabe zwingen.«

»Vergebliche Mühe! Die Liebe hat sich allerdings in den Platz eingeschlichen, aber sie dient der Schamhaftigkeit als Verstärkung.«

»Das ist etwas Nagelneues. Wenn Sie geliebt sind . . .«

»Wer sagt Ihnen denn, daß ich geliebt sei?«

»Und wer denn?« riefen Musdoemon und die Gräfin zugleich aus.

Als eben Friedrich antworten und die nächtliche Scene schildern wollte, fiel ihm das gegebene Ehrenwort ein.

»Wahrhaftig . . .« sagte er, »ich weiß in der That nicht, wer . . . irgend ein gemeiner Mensch . . . ein Lehensmann . . .«

»Irgend ein Soldat der Besatzung?« sagte Musdoemon lachend.

»Wie, mein Sohn!« rief die Gräfin aus, »sie liebt einen Bauern, einen Lehensmann? Weißt Du das gewiß? Das wäre nicht zu bezahlen.«

»Freilich weiß ich es gewiß; es ist aber kein Soldat der Besatzung. Ich weiß so gewiß, daß sie liebt, daß meine längere Verbannung in dieses verfluchte Schloß jetzt überflüssig ist.«

Der Gräfin Augen leuchteten vor Schadenfreude: »Du mußt uns das noch ausführlicher erzählen, mein Sohn. Im Uebrigen wundere ich mich nicht darüber, eine Bauerndirne kann nur einen Bauern lieben. Inzwischen verwünsche dieses Schloß nicht, in welchem Du zum erstenmal eine unserer Familie so werthe Person gesehen hast.«

»Wie, Mutter, welche Person?« fragte der Lieutenant verwundert.

»Keinen Scherz, mein Sohn! Hat Dir gestern Niemand die Aufwartung gemacht? Du siehst, ich weiß davon.«

»Mehr als ich, wie es scheint. Der Teufel soll mich holen, wenn ich gestern ein fremdes Gesicht gesehen habe!«

»Wie, Friedrich, Du hast Niemand gesehen?«

»Niemand, Mutter!«

»Wie! Ist nicht gestern Abend der Sohn des Vicekönigs nach Munckholm gekommen?«

Der Lieutenant wollte sich vor Lachen ausschütten: »Der Sohn des Vicekönigs! Sie träumen oder wollen mich zum Besten haben.«

»Weder das eine, noch das andere. Wer hatte denn gestern die Wache?«

»Ich selbst, Mama!«

»Und Du hast den Baron Ordener nicht gesehen?«

»Nein, sage ich Ihnen!«

»Er konnte ja das Incognito beobachten, Du kennst ihn ja nicht, da er zu Drontheim erzogen worden ist. Du kennst seine Grillen, er kann einen falschen Namen angenommen haben. Hast Du in der That gar Niemand gesehen?«

Friedrich schwankte einen Augenblick. Sein Ehrenwort fiel ihm ein. »Nein!« rief er, »Niemand!«

»In diesem Falle ist also der Baron nicht nach Munckholm gegangen.«

Musdoemon hatte aufmerksam zugehört. Er unterbrach jetzt die Gräfin.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin! Wie heißt der Bauer, gnädiger Herr, der Schuhmachers Tochter liebt?«

»Ich weiß es nicht . . . oder vielmehr . . . Ja, ich weiß es nicht.«

»Und wie wissen Sie denn, daß sie einen Bauern liebt?«

»Habe ich gesagt einen Bauern? Ja, richtig einen Bauern . . .«

Des Lieutenants Verlegenheit stieg. Er suchte ihr durch einen raschen Entschluß zu entgehen.

»Meiner Treu, Herr Musdoemon, und Sie, gnädige Mama, wenn die Narrheit der Verhöre jetzt Mode ist, so machen Sie sich das Vergnügen, einander selbst zu verhören! Was mich betrifft, so will ich nicht länger verhört sein.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre und verschwand. Die Beiden erschöpften sich in Vermuthungen.

Friedrich eilte in den Hof, denn er hörte Musdoemons Stimme, die ihn zurückrief, schwang sich aufs Pferd und sprengte dem Hafen zu.

Unterwegs dachte er über die Sache: Wenn es Ordener Guldenlew war, dann gute Nacht, meine arme Ulrike . . . doch nein! Wer wird denn so einfältig sein, die arme Tochter eines Staatsgefangenen der reichen Tochter eines allmächtigen Ministers vorzuziehen! Ein solcher Narr lebt nicht auf der Welt. Mithin könnte die Liebe zu Schuhmachers Tochter höchstens eine vorübergehende Neigung sein, und nichts hindert, neben der Frau eine Maitresse zu halten; das gehört sogar zum guten Ton. Doch nein! Es ist nicht Ordener, der Sohn des Vicekönigs würde nicht in einem abgetragenen Rocke und mit einer schwarzen Feder ohne Diamantschnalle, die von Wind und Wetter gefegt ist, einhergehen! Und dieser große Mantel, aus dem man ein Zelt machen könnte! Und die Haare ohne Frisur und ohne Kamm! Und diese mit Koth bespritzten Stiefel mit eisernen Sporen! Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs. Der Baron von Thorwick ist Ritter des Danebrogordens; dieser Fremde hat nichts an sich, was von weitem einem Orden gleich sieht. Wenn ich Ritter wäre, so würde ich das Ordensband am Schlafrock tragen. Er weiß nichts von dem neuesten Roman der geistreichen Scudery. Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs.


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