Victor Hugo
Han der Isländer. Band 1
Victor Hugo

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IX.

Am Morgen dieses Tages stieg Schuhmacher, wie er pflegte, auf den Arm seiner Tochter gestützt, in den Garten herab, der an sein Gefängniß stieß. Beide hatten eine unruhige Nacht gehabt, der Greis durch Schlaflosigkeit, das junge Mädchen durch süße Träume.

Der Vater warf, nachdem sie eine Zeitlang herumgegangen waren, einen ernsten und traurigen Blick auf seine Tochter: »Du lächelst vor Dich hin und erröthest, Ethel; Du bist glücklich, denn Du erröthest nicht über die Vergangenheit, und lächelst der Zukunft entgegen.«

Ethel erröthete noch mehr und hörte auf zu lächeln.

»Mein Vater,« sagte sie verwirrt, »ich habe die Edda mitgebracht.«

»So lies, meine Tochter!« versetzte der Greis und fiel in seine vorige Träumerei zurück.

Ethel las ihm die Geschichte der Schäferin Allanga vor, welche die Hand eines Königs ausschlug, bis er ihr bewiesen haben würde, daß er ein Kriegsmann sei. Regner Lodbrog erhielt die Hand der Schäferin erst, nachdem er den Räuber von Klipstadur, Ingulph den Vertilger, besiegt hatte.

Plötzlich ließ sich ein Geräusch hinter ihnen hören, und der Lieutenant Ahlfeldt trat aus dem Gebüsche.

»Habe ich nicht, schönste Dame,« rief er Ethel zu, »den Namen Ingulphs des Vertilgers aus Ihrem schönen Munde vernommen? Ohne Zweifel haben Sie von Han dem Isländer gesprochen und sind sofort bis zu seinem Ahnhern hinaufgestiegen. Die Damen lieben Räubergeschichten. Man erzählt von Ingulph und dessen Nachkommen Dinge, welche schauerlich angenehm zu vernehmen sind. Ingulph der Vertilger hatte nur einen einzigen, mit der Hexe Thoarka erzeugten Sohn. Dieser Sohn hatte wieder nur einen Sohn, der ebenfalls mit einer Zauberin erzeugt war. Seit vier Jahrhunderten hat sich dieses Geschlecht immer nur durch einen einzigen Zweig fortgepflanzt und in Island viel Unglück angerichtet. Durch diese Reihe einziger Erben ruht jetzt Ingulphs Geist auf dem berüchtigten Han dem Isländer, der so eben, wie ich vermuthe, die jungfräulichen Gedanken der schönen Dame beschäftigt hat.«

Der Lieutenant hielt einen Augenblick inne. Ethel schwieg aus Verlegenheit, Schuhmacher aus Ekel und Langeweile. Der Geck hielt dies für eine Aufmunterung, fortzufahren.

»Han der Isländer,« sprach er weiter, »kennt keine andere Leidenschaft als Menschenhaß, und ist einzig damit beschäftigt, dem menschlichen Geschlechte zu schaden . . .«

»Das ist vernünftig von ihm,« sagte Schuhmacher.

»Er lebt immer allein,« fuhr der Lieutenant fort.

»Dann ist er glücklich,« sprach Schuhmacher.

»Möge uns der Gott Mithra von diesen Vernünftigen und Glücklichen befreien! Verflucht sei der Wind, der diesen isländischen Teufel nach Norwegen geweht hat! Ein Bischof ist es, dem wir das Glück danken, Han von Klipstadur zu besitzen. Nach der Tradition fanden einige Bauern Han, der noch ein Kind war, auf den Bergen von Bessested und wollten ihn umbringen; aber der Bischof von Scalholt hielt sie davon ab, und nahm den jungen Wilden in Schutz, um aus dem Teufel einen Christen zu machen. Er wendete tausend Mittel an, seine höllische Intelligenz zu entwickeln. In einer finstern Nacht aber zündete der herangewachsene Han seines Wohlthäters Wohnung an, setzte sich auf einen Baumstamm und schiffte ohne Weiteres nach Norwegen. So erzählt man sich in den Spinnstuben. Seitdem Unheil aller Art: Die Minen von Faroer verschüttet und dreihundert Arbeiter unter den Trümmern begraben, der über Golyn hängende Fels zur Nachtzeit auf das Dorf herabgestürzt, die Brücke von Half-Broe unter den Wanderern zusammenbrechend und in den Abgrund fallend, die Hauptkirche zu Drontheim in Brand gesteckt, die Leuchtthürme in stürmischen Nächten ausgelöscht und eine Menge von Verbrechen und Mordthaten in die Seeen von Sparbo und Smiassen eingesenkt, oder in den Grotten von Walderhog und Rylaß verborgen. In den Spinnstuben behaupten sie, daß bei jedem Verbrechen ihm ein neues Haar in seinen Bart wachse. Wenn das der Fall ist, so muß sein Bart so dicht sein, als der des ehrwürdigsten assyrischen Magiers.«

Schuhmacher unterbrach ihn: »Und es ist nicht gelungen, sich dieses Menschen zu bemächtigen?« sagte er mit triumphirendem Blick und ironischem Lächeln. »Ich muß in der That die Fähigkeit der Großkanzlei beider Königreiche bewundern.«

»Han,« fuhr der Lieutenant, der die spöttische Anspielung nicht verstand, redselig fort, »hat sich bisher eben so unüberwindlich gezeigt, als Horatius Cocles. Soldaten, Milizen, Bergbewohner, Landleute, Alles flieht vor ihm oder findet den Tod. Er ist ein Dämon, dem man weder entgehen, noch ihn erreichen kann. Glücklich diejenigen, welche ihn suchen und nicht finden. Nicht wahr, edle Dame, das sind seltsame Geschichten? Sie könnten Stoff zu einem trefflichen Roman im Geschmacke der sublimen Schriften der Demoiselle Scudery liefern. Man müßte jedoch unser Klima etwas mildern, die Traditionen ein wenig aufputzen und unsere barbarischen Namen modificiren. So müßte man z. B. aus Drontheim Durtinianum machen, unsere finstern Wälder in liebliche Gebüsche, und unsere Waldströme in tausend klare Bäche verwandeln. Unsere schauerlichen Höhlen müßten halbdunkle Grotten sein, in welchen das reinste Krystall glänzt. In einer dieser Grotten würde ein berüchtigter Zauberer, Hannus von Thule, wohnen . . . denn Sie werden einsehen, daß Han der Isländer für ein poetisches Ohr zu hart klingt. Dieser Riese, denn ein Riese müßte es durchaus sein, würde in gerader Linie von dem alten Mars abstammen. Ingulph der Vertilger ist ein Name, der die Phantasie nicht in Anspruch nimmt. Die Hexe Thoarka könnte man in die Zauberin Theone verwandeln. Nachdem der Großmagier von Thule den Riesen Hannus erzogen hat, entflieht er eines Tages aus seinem goldenen Palaste auf einem mit zwei fliegenden Drachen bespannten Wagen. Ein alter Baumstamm wäre gar zu prosaisch. Unter dem schönen Himmel von Durtinianum angekommen und durch den Anblick dieses lieblichen Geländes verführt, schlägt er hier seinen Wohnsitz auf und macht das Land zum Schauplatze seiner Verbrechen. Lauter Verbrechen, das wäre gar zu schauerlich, weßhalb einige sinnreich erdachte verliebte Abenteuer damit zu verflechten sind. Mithin muß die Schäferin Alcippe eines Tages mit ihren Lämmchen in einem Rosen- und Myrtenhain spazieren gehen. Der Riese Hannus erblickt sie und verliebt sich alsbald. Allein die schöne Alcippe liebt bereits den schönen Lycidas, welcher Offizier ist und daselbst in Garnison liegt. Hiedurch Eifersucht des Riesen auf den Offizier, des Offiziers auf den Riesen, allerhand Ränke, List und Streit, Ohnmächten, Zweikämpfe, Entführungen, und eine Menge allerliebster Geschichten, durch welche die Gräuelthaten des Riesen Hannus verzuckert und für den zarten Geschmack des schönen Geschlechts genießbar gemacht würden, und ich wette meine polnischen Stiefel gegen ein Paar Holzschuhe, daß ein solcher Roman, aus der Feder der geistreichen Scudery geflossen, alle Damen in Kopenhagen toll machen würde.«

Schuhmacher, der auf das ganze Gesalbader nicht geachtet hatte, faßte den Namen Kopenhagen auf und sagte: »Kopenhagen? Was gibt es Neues zu Kopenhagen?«

»Nichts, so viel ich weiß,« antwortete der Lieutenant, »außer der Einwilligung des Königs zu der wichtigen Vermählung, von der man in diesem Augenblicke in beiden Königreichen spricht.«

»Wie! Welche Vermählung?«

In diesem Augenblicke trat Ordener in den Garten. Die Anwesenheit des unberufenen Lieutenants setzte die Gesellschaft in Verlegenheit und führte ein ziemlich langes Stillschweigen herbei.

»Bei der Schleppe des königlichen Mantels,« rief der Lieutenant lachend aus, »das ist ein Schweigen, welches ganz demjenigen der gallischen Senatoren gleicht, als der Römer Brennus . . . Ich weiß auf Ehre nicht mehr recht, wer Römer oder Gallier, Senator oder Feldherr war. Doch gleichviel. Erzählen Sie dem alten Herrn da, was es Neues zu Kopenhagen gibt. Ich wollte ihn eben von der hohen Vermählung unterhalten, welche in diesem Augenblicke Meder und Perser beschäftigt.«

»Welche Vermählung?« fragten Ordener und Schuhmacher zugleich.

»Aus dem Schnitt Ihrer Kleider, Herr Fremdling,« rief der Lieutenant, in die Hände klopfend, »habe ich bereits geahnt, daß Sie aus irgend einer andern Welt gekommen sein müssen. Diese Frage gibt mir Gewißheit darüber. Sie sind ohne Zweifel gestern in einem mit Drachen bespannten Feenwagen an den Ufern der Nidder gelandet, denn wenn Sie durch Norwegen gereist wären, hätten Sie doch von der berühmten Vermählung zwischen dem Sohn des Vicekönigs und der Tochter des Großkanzlers hören müssen.«

Schuhmacher wandte sich zu dem Lieutenant: »Wie! Ordener Guldenlew heirathet Ulrike Ahlfeldt?«

»So ist es, und zwar wird das geschehen, ehe noch die Wülste zu Kopenhagen aus der Mode kommen.«

»Friedrich Guldenlews Sohn muß jetzt etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, denn ich erfuhr seine Geburt, nachdem ich etwa ein Jahr in der Citadelle von Kopenhagen saß. Mag er sich jung heirathen,« fuhr Schuhmacher mit einem bittern Lächeln fort; »wenn er in Ungnade fällt, wird man ihm doch nicht minder den Vorwurf machen, daß er nach dem Kardinalshut getrachtet habe.«

Der Lieutenant verstand die Anspielung nicht, welche der gefallene Günstling auf sein eigenes Unglück machte.

»Das gewiß nicht,« rief er lachend, »der Baron Ordener wird Graf, Oberst und Ritter vom Elephantenorden, was Alles mit dem Kardinalshut sich nicht verträgt.«

»Desto besser,« sagte Schuhmacher. »Vielleicht wird man eines Tags aus seinem Ordensband ein Halsband machen, die Grafenkrone auf seiner Stirne zerbrechen und ihm die Epauletten ins Gesicht werfen.«

Ordener ergriff des Alten Hand: »Sprechen Sie nicht den Fluch über das Glück eines Feindes aus, ehe Sie wissen, ob dieses Glück auch ein Glück für ihn ist.«

»Je nun,« fiel der Lieutenant ein, »was liegt dem Baron Thorwick an diesen Verwünschungen?«

»Mehr vielleicht, als Sie glauben,« erwiderte Ordener. »Uebrigens,« fügte er nach einer Pause hinzu, »ist Ihre berühmte Heirath noch nicht so gewiß, als Sie denken.«

»Fiat quod vis,« versetzte der Lieutenant mit einer ironischen Verbeugung. »Der König, der Vicekönig und der Kanzler wünschen und wollen zwar diese Heirath, weil sie aber dem fremden Herrn da mißfällt, so wird ohne Zweifel trotz des Königs, des Vicekönigs und des Kanzlers nichts daraus werden.«

»Da können Sie vielleicht Recht haben,« sagte Ordener trocken.

»Das ist gar zu spaßhaft,« rief der Lieutenant aus, und lachte wie toll. »Wenn doch nur der Baron Thorwick hier wäre, um zu hören, wie dieser fremde Prophet über seine Zukunft verfügt! Es scheint mir jedoch, mein gelehrter Herr, daß Ihr Bart noch nicht lang genug ist, um ein großer Zauberer zu sein.«

»Herr Lieutenant,« antwortete Ordener kalt, »ich glaube nicht, daß Ordener Guldenlew eine Frau heirathet, ohne sie zu lieben.«

»Und wer sagt Ihnen, mein Herr vom grünen Mantel, daß der Baron Ordener Guldenlew die Gräfin Ulrike von Ahlfeld nicht liebt?«

»Und wer sagt Ihnen, frage ich, daß er sie liebt?«

Hier wurde der Lieutenant durch die Lebhaftigkeit des Gesprächs hingerissen, eine Thatsache zu behaupten, welcher er nicht gewiß war: »Wer es mir sagt, daß er sie liebt? Eine spaßhafte Frage! Es thut mir leid um Ihre Prophetengabe, aber Jedermann weiß ja, daß diese Vermählung sowohl eine Neigungs- als eine Convenienzheirath ist.«

»Wenn Jedermann es weiß, so weiß ich wenigstens es nicht.«

»Sie also ausgenommen! Was liegt daran? Sie werden dadurch nicht hindern, daß der Sohn des Vicekönigs in die Tochter des Großkanzlers verliebt ist.«

»Verliebt?«

»Ganz toll verliebt!«

»Er müßte allerdings toll sein, wenn er in sie verliebt wäre.«

»Vergessen Sie nicht, von wem und mit wem Sie reden. Sollte man nicht meinen, der Sohn des Vicekönigs dürfte sich nicht in eine Dame verlieben, ohne zuvor diesen Bauer da um Erlaubniß zu bitten?«

Mit diesen Worten erhob sich der Offizier. Ordeners Augen blitzten.

Ethel trat zu ihm: »Ruhig, um Gottes Willen! Was liegt uns daran, ob der Sohn des Vicekönigs die Tochter des Kanzlers liebt?«

Ordener beruhigte sich. Der Lieutenant nahm seine alte muntere Laune wieder an.

»Das Fräulein,« rief er aus, »spielt mit unendlicher Grazie die Rolle der Sabinerinnen. Meine Worte waren nicht abgemessen genug; ich hatte vergessen, daß zwischen uns ein Band der Ritterlichkeit besteht, das uns verbietet, uns gegenseitig zu reizen. Ritter, Ihre Hand! Gestehen Sie ebenfalls, daß Sie vergessen hatten, daß Sie von dem Sohne des Vicekönigs mit seinem künftigen Schwager, dem Lieutenant Ahlfeldt, sprachen.«

Schuhmacher, der bisher gleichgültig zugehört hatte, sprang von seinem steinernen Sitze auf und stieß einen Schrei des Abscheus aus.

»Ahlfeldt! Ein Ahlfeldt vor meinen Augen!»rief er aus. »Fort Schlange! Warum erkannte ich nicht an dem Sohne die Züge seines schändlichen Vaters! Laßt mich in Ruhe in meinem Kerker, ich bin nicht zu der Strafe verurtheilt, Euch zu sehen! Jetzt fehlte mir nur noch der Sohn jenes Guldenlew neben diesem Ahlfeldt! Feige Verräther! Am Ende kommen sie noch selbst, sich an meinem Jammer zu ergötzen! Abscheuliches Geschlecht! Fort von mir, Du Sohn Ahlfeldts!«

Der Lieutenant, der im Anfang bestürzt war, ging bald zum Zorn über. »Willst Du schweigen, alter Narr! Willst Du aufhören, Deine teuflischen Litaneien zu singen!«

»Fort,« rief Schuhmacher, »und, nimm meinen Fluch mit Dir, meinen Fluch über Dich und das elende Geschlecht der Guldenlew, das sich dem Deinigen vermählen will!«

»Zum Teufel! Doppelte Beschimpfung! . . .«

Ordener hielt den Lieutenant, der ganz außer sich war.

»Lieutenant,« sagte er ruhig, »Ihr Feind ist ein Greis. Wir haben uns bereits Genugthuung zu geben, ich nehme auch die Beleidigungen des Gefangenen auf mich.«

»Meinetwegen, Sie machen eine doppelte Schuld ab,« erwiederte der Lieutenant. »Das wird ein Kampf auf Leben und Tod werden, denn ich habe meinen Schwager und mich selbst zu rächen. Vergessen Sie nicht, daß Sie mit meinem Handschuh auch den für Ordener Guldenlew aufheben.«

»Lieutenant Ahlfeldt,« sagte Ordener, »Sie führen die Sache der Abwesenden mit edelmüthiger Hitze. Bedenken Sie, daß ein unglücklicher Greis, dem das Unglück einiges Recht gibt, ungerecht zu sein, auch Mitleid verdient.«

Ahlfeldt gehörte zu den Menschen, bei denen man durch Lob eine Tugend wecken kann. Er drückte Ordeners Hand und trat auf Schuhmacher zu, der, durch seine Entrüstung erschöpft, auf den Stein zurück in die Arme seiner trostlosen Tochter gesunken war.

»Herr Schuhmacher,« sagte der Offizier, »Sie haben Ihr Alter mißbraucht, und ich war vielleicht im Begriff, meine Jugend zu mißbrauchen, wenn Sie nicht einen Verfechter gefunden hätten. Ich bin diesen Morgen zum letzten Mal in Ihr Gefängniß gekommen, um Ihnen anzukündigen, daß Sie, laut besondern Befehls des Vicekönigs, von nun an in dem Ihnen angewiesenen Raume frei und unbewacht bleiben können. Empfangen Sie diese erfreuliche Nachricht aus dem Munde eines Feindes.«

»Gehen Sie!« sagte der alte Gefangene mit dumpfer Stimme.

Der Lieutenant verbeugte sich und ging, innerlich vergnügt, einen beifälligen Blick Ordeners erlangt zu haben.

Schuhmacher blieb eine Zeitlang in Gedanken versunken; dann warf er einen Blick auf Ordener und fragte: »Nun?«

»Herr Graf, Dispolsen ist ermordet.«

Das Haupt des Greises sank auf seine Brust herab.

Ordener fuhr fort: »Sein Mörder ist ein berüchtigter Räuber, Han der Isländer.«

»Han der Isländer!« sagte Schuhmacher.

»Han der Isländer!« wiederholte Ethel.

»Er hat den Hauptmann beraubt,« fuhr Ordener fort.

»Haben Sie,« fragte der Greis, »von keiner kleinen eisernen Büchse, die mit dem Greiffenfeldischen Wappen versiegelt war, etwas vernommen?«

»Nein, Herr Graf!«

Schuhmacher stützte seine Stirne in beide Hände.

»Ich werde Ihnen diese Büchse verschaffen, verlassen Sie sich darauf. Der Mord ist gestern Morgen geschehen, Han ist nach Norden geflohen. Ich habe einen Führer, der seine Schlupfwinkel kennt, und ich selbst habe oft die Berge von Drontheimhus durchstrichen. Ich werde den Räuber auffinden.«

Ethel erbleichte. Schuhmacher stand auf, sein Blick hatte etwas Freudiges; er schien vergnügt, noch Tugend unter den Menschen zu finden.

»Edler Ordener, leben Sie wohl!« sprach der Greis feierlich, hob die Hand gen Himmel und verschwand im Gebüsche.

Als Ordener sich umwandte, fiel sein erster Blick auf Ethel. Die Jungfrau saß auf dem von Moos gebräunten Felsstück, bleich wie ein Marmorbild auf einem schwarzen Fußgestell.

»Gerechter Gott!« rief er aus. »Was ist Dir?«

»Ordener,« erwiederte sie mit zitternder Stimme, »wenn Du mich liebst, wenn ich Dir theuer bin, wenn Du meinen Tod nicht willst, so gib diesen thörichten Vorsatz auf, ich beschwöre Dich im Namen des Himmels, bleib! Suche diesen Räuber, diesen Dämon nicht auf! Warum willst Du ohne Grund Dein Leben aufs Spiel setzen?«

»Du machst Dir unnöthige Unruhe, meine Ethel! Der Himmel wird mit mir sein, und ich suche nicht ohne Grund diesen Räuber auf; es geschieht für Euch, diese eiserne Büchse enthält . . .«

»Was soll mir diese eiserne Büchse, mag sie enthalten, was sie will, wenn sie Dein Leben in Gefahr bringt!«

»Warum denkst Du denn, daß mein Leben in Gefahr sei?«

»Ha! Du kennst diesen Han, diesen höllischen Geist nicht! Weißt Du, welches Ungethüm Du aufsuchst? Weißt Du, daß er über alle Mächte der Finsterniß gebietet? Daß er Berge umstürzt und Städte verwüstet? Daß unterirdische Höhlen unter seinem Fußtritt einbrechen? Daß sein Hauch die Leuchtthürme auf dem Felsen auslöscht? Und diesem von der Macht der Hölle beschützten Riesen willst Du entgegentreten?«

»Beruhige Dich, liebe Ethel, man hat Dir die Macht und Stärke dieses Räubers viel zu übertrieben geschildert. Er ist ein Mensch wie ein anderer; er gibt den Tod und empfängt ihn.«

»Du willst mir also nicht folgen? Was soll aus mir werden, wenn Du ferne bist, wenn ich Dich von Gefahr zu Gefahr irrend weiß? Gewiß, Du kennst dieses Ungeheuer nicht, es hat ganze Bataillone vernichtet.«

»Beste Ethel, ich muß. Es handelt sich um Euer Glück, um Euer Vermögen . . .«

»Was liegt an meinem Glück, an meinem Vermögen?«

»Ethel, es handelt sich um das Leben Deines Vaters.«

»Um das Leben meines Vaters?« rief sie erbleichend aus.

»Ja, dieser Räuber, den wahrscheinlich Deines Vaters Feinde gedungen haben, hat dem Hauptmann Dispolsen Papiere abgenommen, an denen Deines Vaters Leben hängt. Diese Papiere will ich ihm wieder abnehmen, und sollte ich sie mit meinem Blute bezahlen.«

»Um meines Vaters Leben!« wiederholte die trostlose Jungfrau, wandte dann langsam die Augen auf Ordener und sprach: »Was Du thun willst, ist fruchtlos, aber thue es!«

»Edelmüthige Tochter!« rief der Jüngling begeistert aus und faßte ihre Hand. »Der Himmel wird mich schützen, ich kehre bald zurück, um Dich nie mehr zu verlassen. Ich will der Retter Deines Vaters werden und verdienen, sein Sohn zu sein.«

»Gehe, mein Ordener, und wenn Du nicht wiederkehrst, wird auch mich der Schmerz tödten. Diesen Trost habe ich.«

Sie verließen Hand in Hand den Garten. Unter der Pforte schnitt Ethel eine ihrer schwarzen Locken ab und gab sie Ordener.

»Ordener,« sprach sie, »denke an mich, ich will für Dich beten!«


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