Victor Hugo
Han der Isländer. Band 1
Victor Hugo

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XIX.

Der General Levin von Knud saß nachdenklich vor seinem mit Papieren überlegten Schreibtisch. Ein vor ihm stehender Sekretär wartete auf seine Befehle.

»Zum Teufel auch,« rief er nach einer langen Pause, »wer hätte je gedacht, daß diese verdammten Bergleute es so weit treiben würden? Sie sind sicherlich durch geheime Umtriebe zu diesem Aufstand angereizt worden. Aber die Sache ist ernsthaft. Ihr müht wissen. Wapherney, daß fünf- bis sechshundert Schufte aus den Inseln Faroer bereits ihre Minen verlassen und unter einem alten Banditen Namens Jonas zu den Waffen gegriffen haben, daß ein junger Brausekopf, Norbith genannt, sich an die Spitze der Mißvergnügten von Gulbransthal gestellt hat, daß zu Sund-Moer, zu Hubfallo, zu Kongsberg, die Unzufriedenen, die nur auf das Signal warteten, vielleicht schon im Aufstand begriffen sind, daß die Bergbewohner unter der Anführung des alten tapfern Kennybol sich an die Empörer angeschlossen haben, und daß der gefürchtete Räuber Han an der Spitze der ganzen Insurrektion steht. Was sagt Ihr zu Allem dem, Freund Wapherney? Hm!«

»Euer Excellenz werden wissen, welche Maßregeln . . .«

»Es ist bei dieser ganzen Geschichte noch ein Umstand, den ich mir nicht entziffern kann, nämlich, daß unser Staatsgefangener Schuhmacher Urheber des Aufstands sein soll. Niemand wundert sich darüber, und mich wundert das am meisten. Ein Mensch, bei welchem sich unser ehrlicher Ordener gefiel, kann kein Staatsverräther sein. Inzwischen sind die Empörer, wie man versichert, in seinem Namen aufgestanden: sein Name ist ihr Loosungswort; sie legen ihm die Titel bei, deren ihn der König entsetzt hat . . . Das Alles scheint gewiß . . . Aber woher kommt es, daß die Gräfin Ahlfeldt schon vor sechs Tagen alle diese Sachen wußte, wo doch kaum in den Minen die Empörung sich kundgegeben hatte? Gleichviel, man muß der Sache abhelfen. Gebt mir mein Siegel, Wapherney!«

Der General schrieb drei Briefe, siegelte sie und übergab sie dem Sekretär.

»Dieses Schreiben,« sagte er, »an den Baron Voethaün, Oberst der Arquebusirer zu Munckholm, daß sein Regiment sogleich gegen die Empörer aufbreche. Hier an den Festungscommandanten zu Munckholm, der Staatsgefangene Schuhmacher soll sorgfältiger als je bewacht werden: ich werde ihn selbst verhören. Diesen Brief nach Skongen an den Major Wolhm, daß er einen Theil seiner Truppen gegen die Rebellen abschicke. Schnell Wapherney!«

Der Sekretär ging und ließ den Gouverneur in seinen Gedanken verloren zurück. Alles das, dachte er, ist sehr beunruhigend. Diese Empörer da, diese ränkevolle Kanzlerin hier, dieser Narr von Ordener, man weiß nicht wo! Vielleicht mitten unter den Rebellen, während er mir seinen Schuhmacher auf dem Halse läßt, der sich gegen den Staat verschwört, und seine Tochter, um deren Unschuld willen ich die Compagnie, in welcher Friedrich von Ahlfeldt dient, habe detachiren lassen . . . Nun, die ist vielleicht gerade am rechten Orte, die ersten Bewegungen der Rebellen aufzuhalten . . . Wahlstrom, wo sie in Besatzung ist, liegt nahe am See Smiassen und an den Ruinen von Arbar. Diesen Punkt muß der Aufstand bald erreichen . . .«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre.

»Was wollt Ihr, Gustav?« fragte der General.

»Ein Bote, mein Herr General!«

»Was gibt es da wieder Neues? Laßt ihn herein!«

Der Bote überreichte dem Gouverneur ein Schreiben: »Excellenz, von Seiten Sr. Erlaucht des Vice-Königs!« sagte er.

»Bei Sankt Georg!« rief der General aus, nachdem er gelesen hatte, »ich glaube, sie sind alle närrisch geworden! Beordert man mich gar nach Bergen! Auf Befehl des Königs in dringenden Angelegenheiten . . . Dazu ist die Zeit gut gewählt . . . Der Großkanzler, der gegenwärtig die Provinz bereist, wird Sie einstweilen ersetzen . . . Ein sauberer Ersatzmann . . . Der Bischof wird ihn unterstützen . . . Zwei herrliche Befehlshaber in einem empörten Lande, ein Kanzler und ein Bischof! . . . aber was ist zu machen! . . . Unmittelbarer Befehl des Königs . . . Man muß . . . Ich will doch vor meiner Abreise Schuhmacher noch verhören. Ich sehe wohl, daß man mich in ein Chaos von Intriguen begraben will, aber ich habe einen Compaß, der nie irreleitet: ein gutes Gewissen.«


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