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Als der junge Mann ins Zimmer des Gefangenen trat, klang es abermals in seine Ohren: »Ist es endlich der Hauptmann Dispolsen?«
Diese Frage machte ein alter Mann, der, den Rücken der Thüre zugewendet, an einem Tische saß, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in beiden Händen. Er trug eine Art Schlafrock von schwarzer Wolle, und über einem Bette, das in einem Winkel des Zimmers stand, erblickte man ein zerbrochenes Wappen, um welches die ebenfalls zerbrochenen Elephanten- und Danebrogsorden hingen; unterhalb des Wappens war eine umgekehrte Grafenkrone, und die beiden Bruchstücke einer Hand der Gerechtigkeit machten das Ganze dieser seltsamen Zierathen vollständig. Dieser Greis war der Staatsgefangene Schuhmacher.
»Nein, gnädiger Herr,« antwortete der Kerkermeister. Hierauf sagte er zu dem Fremden: »Hier ist der Gefangene!«
Mit diesen Worten schloß er die Thüre, ehe er noch die Antwort des Gefangenen hören konnte, der in verdrießlichem Tone sagte: »Wenn es nicht der Hauptmann ist, so will ich Niemand sehen.«
Der Fremde blieb an der Thüre stehen, und der Gefangene, der sich allein glaubte, denn er hatte nicht einmal aufgeblickt, fiel wieder in seine vorige Träumerei zurück.
Plötzlich rief er aus: »Gewiß hat mich dieser Hauptmann auch verrathen und verlassen! Die Menschen . . . Ha! die Menschen sind wie das Stück Eis, das jener Araber für einen Edelstein hielt: er packte es sorgfältig in seinen Ranzen, und als er es suchte, fand er nicht einmal mehr einen Tropfen Wasser.«
»Ich gehöre nicht zu diesen Menschen,« sagte der Fremde.
Schuhmacher erhob sich rasch: »Wer ist hier? Wer hört mir zu? Irgend ein elender Scherge dieses Guldenlew?«
»Reden Sie nicht übel von dem Vicekönig, Herr Graf!«
»Herr Graf! Wollen Sie mir schmeicheln, daß Sie mich so nennen? Sie geben sich verlorene Mühe, ich bin nicht mehr mächtig.«
»Der, welcher mit Ihnen spricht, hat Sie nie in Ihrer Macht gekannt und ist doch Ihr Freund.«
»So hofft er noch irgend Etwas von mir. Die Erinnerung an Unglückliche knüpft sich stets an Hoffnungen, die noch übrig sind.«
»Ich sollte mich über Sie beklagen, Herr Graf, denn ich habe mich Ihrer erinnert, und Sie haben mich vergessen. Ich bin Ordener.«
Ein Strahl der Freude überzog die düstern Züge des Gefangenen.
»Willkommen, Ordener!« sagte er. »Willkommen, der aus der Ferne kommt und sich des Gefangenen noch erinnert!«
»Und Sie hatten mich vergessen?« fragte Ordener.
»Ich hatte Sie vergessen,« erwiederte Schuhmacher, der wieder in seinen düstern Ton zurückfiel, »wie man den vorüberstreichenden Wind vergißt, der uns die Wangen kühlt. Glücklich noch, wenn es kein Sturmwind wird, der uns unter Trümmern begräbt!«
»Graf Greiffenfeld,« fuhr der Fremde fort, »Sie glaubten also nicht an meine Rückkehr?«
»Der alte Schuhmacher glaubte nicht daran; es ist aber hier ein junges Mädchen, die mich heute erst daran erinnerte, daß Sie am letztverflossenen achten Mai vor einem Jahr abgereist sind.
Ordener bebte vor Freude: »Wie, mein Gott! Ist dieses junge Mädchen, das sich meiner erinnerte, Ihre Ethel?«
»Und wer sonst?«
»Ihre Tochter hat die Monate seit meiner Abreise gezählt! Wie viele traurige Tage habe ich inzwischen nicht verlebt! Ich habe ganz Norwegen bereist, von Christiania bis Wardhus; aber immer zog es mich wieder nach Drontheim hin.«
»Benützen Sie Ihre Freiheit, junger Mann, so lange Sie sich ihrer erfreuen. Aber sagen Sie mir endlich einmal, wer Sie sind. Ich möchte Sie unter einem andern Namen kennen. Der Sohn eines meiner Todfeinde heißt auch Ordener.«
»Vielleicht, Herr Graf, fühlt dieser Todfeind mehr Wohlwollen für Sie, als Sie für ihn.«
»Sie weichen meiner Frage aus. Doch behalten Sie Ihr Geheimniß; ich würde vielleicht erfahren, daß die von Außen lockende Pflanze tödtliches Gift enthält.«
»Herr Graf!« sagte Ordener mit Entrüstung. »Herr Graf!« wiederholte er im Tone mitleidigen Vorwurfs.
»Kann ich Ihnen denn trauen, da Sie immer mir gegenüber die Parthie des unversöhnlichen Guldenlew nehmen?«
»Der Vicekönig,« unterbrach ihn der junge Mann feierlich, »hat eben erst Befehl ertheilt, daß Sie im Innern des ganzen Schlosses des Löwen von Schleswig künftig frei und ohne Wache sein sollen. Ich habe dies zu Bergen erfahren und man wird es Ihnen ohne Zweifel bald bekannt machen.«
»Das ist eine Gunst, die ich nicht zu erlangen hoffte, und so viel ich mich erinnere, habe ich von meinem Wunsche nur mit Ihnen gesprochen. Uebrigens vermindert man das Gewicht meiner Eisen, so wie das meiner Jahre sich vermehrt, und wenn die Gebrechlichkeiten des Alters mich hinfällig gemacht haben werden, so wird es ohne Zweifel heißen: Jetzt bist Du frei!«
Bei diesen Worten lächelte der Greis bitter und fuhr fort: »Und Sie, junger Mann, haben Sie noch immer Ihre thörichten Gedanken von Unabhängigkeit?«
»Hätte ich sie nicht, so wäre ich nicht hier.«
»Wie sind Sie nach Drontheim gekommen?«
»Wie? Zu Pferd!«
»Wie nach Munckholm?«
»In einem Nachen.«
»Armer Thor! Sie glauben frei zu sein, und Sie bedürfen eines Rosses und einer Barke! Das sind nicht die Glieder deines Leibes, die deinen Willen thun, sondern ein Thier und ein lebloser Stoff, und das nennst du Willen!«
»Ich zwinge Wesen, mir zu gehorchen.«
»Ueber gewisse Wesen das Recht auf Gehorsam üben, heißt Andern das Recht auf Befehl geben. Unabhängigkeit ist nur in Vereinzelung.«
»Sie lieben die Menschen nicht?«
Der Greis lächelte traurig: »Ich weine, daß ich Mensch bin, und ich lache über den, der mich tröstet. Sie werden es erfahren, wenn Sie es noch nicht wissen, das Unglück macht mißtrauisch, wie das Glück undankbar. Sagen Sie mir, da Sie von Bergen kommen, ob der Hauptmann Dispolsen guten Wind gehabt hat? Es muß ihm etwas Glückliches begegnet sein, weil er mich vergißt.«
Ordener wurde verlegen und traurig.
»Dispolsen, Herr Graf! Um mit Ihnen über ihn zu sprechen, kam ich heute. Ich weiß, daß er Ihr ganzes Vertrauen besaß . . .«
»Sie wissen es?« unterbrach ihn der Gefangene mit Unruhe. »Sie irren sich. Kein menschliches Wesen besitzt mein Vertrauen. Dispolsen hat allerdings sehr wichtige Papiere von mir in Händen. In meinen Angelegenheiten ging er nach Kopenhagen zum König. Ich gestehe sogar, daß ich ihm mehr traute, als jedem Andern, denn so lange ich mächtig war, habe ich ihm nie eine Gunst erwiesen.«
»Herr Graf, ich habe ihn heute gesehen . . .«
»Ihre Verwirrung sagt mir das Uebrige, er ist ein Verräther.«
»Er ist todt.«
»Todt!«
Der Gefangene ließ das Haupt sinken und kreuzte die Arme über die Brust, dann hob er das Auge und starrte den jungen Mann an: »Als ich Ihnen sagte, daß ihm etwas Glückliches begegnet sei . . .«
Jetzt wandte sich sein Blick der Mauer zu, an welcher die Trümmer seiner vergangenen Größe hingen, und er winkte mit der Hand, als ob er den Zeugen eines Schmerzes, den er zu überwinden suchte, entfernen wollte.
»Nicht ihn beklage ich,« sagte er, »es ist nur ein Mensch weniger auf der Welt. Nicht mich beklage ich, was habe ich zu verlieren? Aber meine Tochter, mein unglückliches Kind! Ich werde das Opfer dieser schändlichen Umtriebe werden, und was wird aus meinem Kinde werden, wenn man ihm den Vater nimmt?«
Der Greis kehrte sich lebhaft Ordener zu: »Wie ist er gestorben? Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Ich sah ihn im Spladgest; man weiß nicht, ob er durch Selbstmord oder durch Meuchelmord umgekommen ist.«
»Daran liegt Alles. Ist er ermordet worden, so weiß ich, woher der Schlag kommt. Dann ist Alles verloren. Er überbrachte mir die Beweise des Complotes, das sie gegen mich spinnen. Diese Beweise hätten mich retten und sie verderben können . . . Sie wußten sie zu vernichten! Unglückliche Ethel!«
»Herr Graf, ich werde Ihnen morgen sagen, ob er ermordet worden ist.«
Ohne zu antworten, folgte Schuhmacher dem hinausgehenden Ordener mit einem Blicke, worin sich die Ruhe der Verzweiflung malte, die schrecklicher ist, als die Ruhe des Todes.
Ordener trat in das einsame Vorzimmer des Gefangenen, ohne zu wissen, nach welcher Seite er sich wenden sollte. Es war Nacht, der Saal dunkel. Er öffnete eine Thüre und befand sich in einem großen Vorplatz, der bloß durch das helle Licht des Mondes beleuchtet war. Er ging einem röthlichen Scheine zu, der vom äußersten Ende des Corridor ihm entgegen leuchtete.
Durch eine halb offene Thüre erblickte er ein junges schwarzgekleidetes Mädchen auf den Knieen vor einem einfachen Altar. Sie hatte schwarze Augen und lange schwarze Haare. Beides eine Seltenheit im hohen Norden. Ordener bebte, er erkannte die Betende.
Das Mädchen betete für ihren Vater, für den gestürzten Gewaltigen, für den verlassenen Gefangenen. Sie betete noch für einen Andern, dessen Namen sie nicht nannte. Ordener entfernte sich, das einsame Gebet der Jungfrau ehrend.
Das Gebet war zu Ende. Die Jungfrau kam mit dem Licht in der Hand durch den Corridor. Ordener drückte sich an die Mauer.
»Mein Gott!« rief sie, als sie ihn erblickte.
Die Lampe entfiel ihrer Hand. Ordener stürzte herbei, die Ohnmächtige zu halten.
»Ich bin es!« sagte er mit sanfter Stimme.
»Ordener ist es!« flüsterte sie. Sie hatte den Ton dieser Stimme im Lauf eines Jahres nicht vergessen.
Sie wand sich, schüchtern und verwirrt, aus seinen Armen los und sagte: »Herr Ordener ist es!«
»Er selbst, Gräfin Ethel!«
»Warum nennen Sie mich Gräfin?«
Die Jungfrau schwieg lächelnd. Der Jüngling schwieg und seufzte.
Sie unterbrach zuerst das Stillschweigen: »Wie sind Sie denn hieher gekommen?«
»Verzeihen Sie, wenn meine Gegenwart Sie belästigt. Ich kam, um mit dem Grafen, Ihrem Vater, zu sprechen.«
»Also,« sagte die Jungfrau mit bewegter Stimme, »also sind Sie nur meines Vaters wegen gekommen?«
Der junge Mann senkte das Haupt, denn diese Worte dünkten ihn sehr ungerecht.
»Sie sind ohne Zweifel,« fuhr die Jungfrau im Tone des Vorwurfs fort, »Sie sind ohne Zweifel schon lange zu Drontheim? Ihre Abwesenheit aus dieser Festung wird Ihnen nicht lange vorgekommen sein.«
Ordener, tief gekränkt, antwortete nicht.
»Ich verdenke es Ihnen nicht,« fuhr das Mädchen mit einer Stimme fort, die vor Schmerz und Zorn zitterte; »aber ich hoffe, Herr Ordener,« fügte sie in stolzem Tone hinzu, »daß Sie mir nicht zugehört haben, als ich mein Gebet verrichtete.«
»Doch, Gräfin, ich habe Ihnen zugehört.«
»Ah! Herr Ordener! Es ist nicht schicklich zu horchen.«
»Ich habe nicht gehorcht, sondern gehört.«
»Ich betete für meinen Vater,« sagte die Jungfrau, ihn starr anblickend, als ob sie auf so einfache Worte eine Antwort erwarte.
Ordener schwieg.
»Ich habe auch,« fuhr sie unruhig fort, »für Jemand gebetet, der Ihren Namen führt, für den Sohn des Vicekönigs, des Grafen Guldenlew; denn man muß für Jedermann beten, selbst für seine Widersacher . . .«
Die Jungfrau erröthete, weil sie die Unwahrheit sagte, aber sie war erbittert über den Jüngling und glaubte in ihrem Gebet seinen Namen genannt zu haben.
»Ordener Guldenlew,« sagte der Jüngling, »ist sehr zu bedauern, wenn Sie ihn unter Ihre Widersacher zählen; inzwischen fühlt er sich glücklich, eine Stelle in Ihrem Gebet zu finden.«
»Nicht doch,« sagte die Jungfrau, bestürzt über den kalten Ton des Jünglings, »ich habe nicht für ihn gebetet . . . Ich weiß nicht was ich that, nicht was ich sage. Den Sohn des Vicekönigs, den verabscheue ich . . . ich kenne ihn nicht . . . Sehen Sie mich nicht so finster an! Habe ich Sie denn beleidigt? Können Sie denn einer armen Gefangenen nichts verzeihen, Sie, der seine Tage bei irgend einer schönen Edeldame verlebt, die frei und glücklich ist, wie Sie!«
»Ich, Gräfin!« rief Ordener aus.
Der Jungfrau stürzten die Thränen aus den Augen. Der Jüngling sank ihr zu Füßen.
»Hatten Sie mir nicht selbst gesagt,« fuhr sie durch Thränen lächelnd fort, »daß Ihnen Ihre Abwesenheit kurz vorgekommen ist?«
»Wer, ich? Gräfin!«
»Nennen Sie mich nicht so, ich bin für Niemand mehr Gräfin, am wenigsten für Sie.«
Der Jüngling sprang vom Boden auf und drückte sie an seine Brust.
»Angebetetes Wesen!« rief er im Taumel der Leidenschaft, »nenne mich Deinen Ordener! Sprich, liebst Du mich?«
Er verschlang ihre Antwort in dem seligen Kuß der ersten Liebe. Beide schwiegen, sie konnten keine Worte mehr finden. Ethel richtete sich zuerst aus den Armen ihres Geliebten auf. Beide betrachteten sich mit trunkenen Blicken.
»Warum haben Sie mich denn erst gemieden, als Sie in diesem Gange waren?« fragte das Mädchen.
»Ich habe Sie nicht gemieden; ich war ein unglücklicher Blinder, der nach langen Jahren wieder Licht sieht, und der sich einen Augenblick von ihm abwendet, weil seine Augen zu schwach geworden sind, es zu ertragen.«
»Auf mich paßt Ihr Gleichniß besser, denn während Ihrer Entfernung kannte ich kein anderes Glück, als den Umgang mit meinem unglücklichen Vater. Ich verbrachte meine langen Tage damit, ihn zu trösten und auf Ihre Rückkehr zu hoffen. Ich las meinem Vater die Fabeln der Edda vor, und wenn er an den Menschen verzweifelte, las ich ihm das Evangelium, damit er doch den Glauben an den Himmel behalte. Ich sprach von Ihnen; er schwieg, und das beweist, daß er Sie liebt. Wenn ich über den Meerbusen hin auf die ferne Straße und auf die landenden Schiffe blickte, schüttelte er bitter lächelnd den Kopf. Ich weinte. Das Gefängniß, in dem ich mein ganzes Leben zugebracht habe, wurde mir jetzt zum einsamen Kerker. Mein Vater füllte es nicht mehr aus, meine Gedanken schweiften in die Ferne; ich sehnte mich nach der Freiheit, die ich nie gekannt habe.«
»Und ich, ich will jetzt diese Freiheit nicht mehr, die Du nicht mit mir theilen kannst!«
»Wie, Ordener, Sie wollen also immer hier bleiben?«
Diese Worte riefen dem Jüngling Alles ins Gedächtnis zurück, was er vergessen hatte.
»Geliebtes Wesen,« sagte er, »ich muß Dich diesen Abend noch verlassen. Morgen sehe ich Dich wieder, und muß wieder gehen, bis ich zurückkehre, um immer zu bleiben.«
»Ach!« unterbrach ihn schmerzlich die Jungfrau, »noch einmal fort!«
»Ich komme bald wieder, um Dich aus diesem Kerker zu reißen, oder mich mit Dir darin zu begraben.«
»Gefangen mit ihm!« sagte sie sanft. »O, täusche mich nicht, darf ich ein solches Glück hoffen?«
»Welchen Schwur verlangst Du? Was begehrst Du von mir? Sage es, Geliebte!« rief der Jüngling aus und schloß sie stürmisch in seine Arme.
»Ich bin Dein!« flüsterte die Jungfrau.
Eine männliche Stimme lachte nahe bei ihnen laut auf. Ein Mann schlug seinen Mantel zurück, zog eine Blendlaterne hervor und leuchtete den Beiden ins Gesicht.
»Muth gefaßt, mein schönes Paar!« sagte er lachend. »Nur Muth gefaßt!«
Es war der Lieutenant, der seine nächtliche Runde machte. Er hatte das liebende Paar von ferne erblickt und seine Laterne unter dem Mantel versteckt.
Ethel machte eine Bewegung, sich von Ordener loszureißen, aber, bestürzt wie sie war, trieb sie der Instinkt, Schutz bei ihm zu suchen, und sie verbarg ihr glühendes Gesicht an seiner Brust.
Der Jüngling blickte stolz auf und sagte: »Wehe dem, der Dich zu beleidigen wagt!«
»In der That, ja,« erwiederte der Lieutenant, »wehe mir, wenn ich so tölpisch war, die zarte Madonna zu erschrecken!«
»Herr Lieutenant,« rief Ordener hochfahrend, »schweigen Sie!«
»Herr Unverschämter,« versetzte der Offizier, »belieben Sie zu schweigen!«
»Haben Sie es gehört?« donnerte Ordener. »Erkaufen Sie Ihre Begnadigung durch Schweigen.«
»Tibi tua,« antwortete der Lieutenant, »behalten Sie Ihren guten Rath für sich, erkaufen Sie Ihren Pardon durch Schweigen!«
»Schweigen Sie!« rief Ordener donnernd, setzte die Jungfrau auf einen alten Stuhl nieder und faßte den Offizier kräftig am Arme.
»Ho, Bauer!« sagte dieser halb erzürnt, halb lachend, »Ihr seht nicht, daß dieser Aufschlag, den Ihr so plump anfaßt, vom feinsten Sammt ist.«
Ordener sah ihn starr an: »Lieutenant, mein Degen ist länger, als meine Geduld.«
»Ei, seht doch!« erwiederte der Offizier, »Ihr macht Ansprüche auf eine solche Ehre. Wißt Ihr auch, wer ich bin? Nein, nein! Prinz gegen Prinz! Bauer gegen Bauer! wie der schöne Leander gesagt hat.«
»Männer gegen Männer!« sagte Ordener gelassen.
»Ich würde böse werden, mein sehr wackerer Bauersmann, wenn Ihr eine Uniform trüget.«
»Einen Säbel trage ich, lieber Freund!«
Mit diesen Worten warf Ordener den Mantel zurück und faßte den Griff seines Säbels. Die Jungfrau, aus ihrer Betäubung erwachend, fiel ihm mit einem Schrei in den Arm.
»Ihr thut wohl daran, schöne Dame,« sagte der Lieutenant, der sich ruhig in Positur gesetzt hatte, »zu hindern, daß dieser Jüngling für seine Kühnheit gestraft werde, denn Cyrus war im Begriff, es mit Cambyses aufzunehmen, obwohl diesem Lehensmann da noch zu viel Ehre geschieht, wenn man ihn mit Cambyses vergleicht.«
»Im Namen des Himmels, Herr Ordener,« sagte Ethel, »lassen Sie mich nicht Ursache und Zeugin eines solchen Unglücks sein!«
Ordener stieß langsam die halb gezogene Klinge in die Scheide zurück.
»Meiner Treu, Ritter, ich weiß nicht, ob Sie einer sind, aber ich gebe Ihnen diesen Titel, weil Sie ihn zu verdienen scheinen; ich und Sie handeln nach den Gesetzen der Ehre und Tapferkeit, aber nicht nach denen der Galanterie. Die Dame hat Recht, Auftritte solcher Art dürfen nicht unter den Augen von Damen vor sich gehen, obwohl häufig Damen die Ursache davon sind. Wir können also hier schicklicherweise bloß von einem duellum remotum reden; und Sie als der Beleidigte haben die Waffen zu bestimmen.«
»Wohl denn, Ritter,« erwiderte Ordener; »ich werde Ihnen durch einen Freund Zeit und Ort bekannt machen lassen.«
»So sei es,« antwortete der Lieutenant, »und es ist mir um so lieber, weil ich jetzt Zeit habe, der Vermählung meiner Schwester anzuwohnen, denn Sie müssen wissen, daß Sie die Ehre haben werden, sich mit dem künftigen Schwager eines hohen Herrn, des Sohnes des Vicekönigs von Norwegen, Baron Ordener Guldenlew, zu schlagen, der bei Gelegenheit dieses erlauchten Beilagers zum Grafen von Danneskiold erhoben und zum Oberst und Ritter des Elephantenordens ernannt werden wird, während man mich, den Sohn des Großkanzlers beider Königreiche, zum Hauptmann ernennen wird . . .«
»Ganz gut, ganz wohl, Lieutenant Ahlfeldt!« fiel ihm Ordener ungeduldig ins Wort, »Sie sind noch nicht Hauptmann und der Sohn des Vicekönigs ist noch nicht Oberst . . . und Säbel sind immer Säbel.«
»Und Lümmel bleiben Lümmel, was man auch thue, sie zu sich zu erheben,« murmelte der Offizier zwischen den Zähnen.
»Ritter,« fuhr Ordener fort, »Sie kennen die Vorschriften des Ritterthums, Sie werden nie mehr in diesen Thurm kommen und über diese Sache Stillschweigen beobachten.«
»Was das Stillschweigen betrifft, so verlassen Sie sich auf mich, ich werde so stumm sein, als Mucius Scävola, als er die Faust über die Kohlpfanne hielt. In diesen Thurm werde ich nicht mehr kommen, weder ich, noch irgend ein Argus der Besatzung, denn ich habe eben den Befehl erhalten, in Zukunft Schuhmacher ohne Wache darin zu lassen, welchen Befehl ich ihm diesen Abend mitgetheilt hätte, wenn ich nicht ein Paar neue polnische Stiefel hätte anprobiren müssen, was meine ganze Zeit in Anspruch nahm. Dieser Befehl ist, unter uns gesagt, sehr unklug. Soll ich Ihnen meine polnischen Stiefel zeigen?«
Während dieses Gesprächs war Ethel, welche jetzt die Beiden friedlich sah und nicht wußte, was duellum remotum heißt, verschwunden, nachdem sie zuvor Ordener ins Ohr geflüstert hatte: »Morgen also!«
»Lieutenant Ahlfeldt, ich wünsche, daß Sie mir dazu behülflich wären, aus der Festung zu kommen.«
»Recht gerne, obwohl es schon spät oder vielmehr früh ist. Aber wie wollen Sie einen Nachen finden?«
»Das ist meine Sache.«
Der Lieutenant begleitete nun Ordener bis an das äußerste Thor, das er ihm öffnen ließ.
»Auf Wiedersehen, Lieutenant Ahlfeldt!«
»Auf Wiedersehen! Und hiebei erkläre ich, daß Sie ein wackerer Kämpe sind, obwohl ich Ihren Namen nicht weiß.«
Die Eisenpforte schloß sich und der Lieutenant kehrte zurück, eine Melodie von Lulli summend, seine polnischen Stiefel betrachtend und aus einem französischen Roman deklamirend.
Ordener zog seine Kleider aus, wickelte sich in seinen Mantel und befestigte sie mit seiner Degenkuppel auf dem Kopfe: dann warf er sich in die See und schwamm dem Spladgest zu.
Als er sich diesem Gebäude näherte, hörte er innen ein Geräusch von Stimmen; ein schwaches Licht schimmerte aus der oberen Oeffnung. Hierüber verwundert, schlug er heftig an die Pforte; das Geräusch hörte auf, das Licht verschwand. Er klopfte abermals, und als das Licht wieder erschien, sah er etwas Schwarzes durch die obere Oeffnung auf das Dach gleiten. Er klopfte zum dritten Mal mit dem Griff seines Säbels und rief: »Oeffnet, im Namen Sr. Majestät des Königs! Oeffnet, im Namen Sr. Erlaucht des Vicekönigs!«
Die Thüre öffnete sich endlich langsam, und unter ihr erschien Spiagudry's lange, hagere Gestalt, die Kleider in Unordnung, mit stierem Blick, verwirrten Haaren, blutigen Händen, einer Lampe in der Hand.