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Der Strand von Norwegen ist so reich an engen Buchten, Schlupfhafen, Felsenriffen, Lagunen und kleinen Vorgebirgen, daß durch ihre Zahl und Namen das Gedächtniß des Reisenden ermüdet und die Geduld des Topographen erschöpft wird. Ehemals hatte, nach den Volkssagen, jede Landenge ihren bösen Geist, der da hauste, jede Bucht eine Fee zur Bewohnerin, jedes Vorgebirge seinen Heiligen, der es schützte, denn der Aberglaube mischt sich Gegenstände des Schreckens aus allen Religionen zusammen. Am Strande von Kelvel, einige Stunden nordwärts von der Grotte von Walderhog, war, nach dem Volksglauben, ein einziger Ort frei von der Gerichtsbarkeit der höllischen und himmlischen Geister. Es war eine lichte Stelle am Ufer, von einem Felsen beherrscht, auf dessen Gipfel man noch einige alte Ruinen von der Burg Ralphs des Riesen erblickte. Diese kleine wilde Matte, die nördlich vom Meer begrenzt und zwischen mit Buschwerk bewachsenen Felsen eingezwängt war, dankte ein solches Vorrecht dem bloßen Namen dieses alten norwegischen Ritters, ihres ersten Besitzers, denn kein höllischer oder himmlischer Geist hätte gewagt, sich zum Bewohner oder Beschützer des Orts zu machen, der vor alten Zeiten Ralph dem Riesen angehört hatte.
Allerdings reichte schon Ralphs furchtbarer Name allein hin, diesem an sich schon so wilden Ort einen Schrecken einflößenden Charakter aufzudrücken; aber die Rückerinnerung an einen Riesen ist doch nicht so erschreckend, als die Gegenwart eines Geistes, und niemals hatte ein Fischer, der hier Schutz vor dem Sturme suchte, höllische Geister und verdammte Seelen auf der Spitze der Felsen tanzen, noch die Fee in ihrem von leuchtenden Würmern gezogenen Wagen durch das Gebüsche fahren, noch den Heiligen nach verrichtetem Gebet wieder zum Himmel hinaufschweben sehen.
Wenn jedoch in der Nacht, welche auf jenen großen Sturm folgte, die Wellen des Meeres und die Gewalt des Windes irgend einen Seemann in diese gastliche Bucht getragen hätten, so würde ihn der Anblick von drei Männern, die mitten in der Matte um ein Feuer saßen, mit abergläubischem Schrecken erfüllt haben. Zwei dieser Männer trugen die großen Filzhüte und die langen weiten Beinkleider der königlichen Bergleute. Ihre Arme waren nackt bis zur Schulter, ihre Füße steckten in ungegerbten Thierfellen; ihre krummen Säbel und ihre langen Pistolen trugen sie in einem rothen Gürtel um den Leib. Beide hatten eine Trompete von Horn um den Hals hängen. Der eine war alt, der andere jung. Der dichte Bart des alten und die langen Haare des jungen Mannes machten ihre von Natur ernsten und düsteren Gesichter noch wilder.
In ihrem Gefährten erkannte man an seiner Mütze von Bärenfell, an seinem Wamms von geöltem Leder, an seiner Büchse, die in einem Bandelier über seinem Rücken hing, an seinen kurzen und engen Beinkleidern, an seinen nackten Knieen, an seinen Sandalen von Baumrinde, an der glänzenden Axt in seiner Hand, mit leichter Mühe einen Bergbewohner aus den nördlichen Theilen Norwegens.
Diese drei Männer drehten öfters den Kopf nach dem Fußpfad um, der von der Höhe zu Ralphs Matte führte, und nach ihren Reden zu urtheilen, erwarteten sie eine vierte Person.
»Wißt Ihr auch, Kennybol,« sagte der eine der Männer, »daß wir in der Matte des Räubers Tulbytilbet da drüben zu dieser Stunde den Abgesandten des Grafen Greiffenfeld nicht so ungestört erwarten würden, eben so wenig, als da unten in St. Cuthberts Bucht? . . .«
»Schweigt, Jonas, redet nicht so laut,« erwiederte der Bergbewohner dem alten Bergknappen, »gepriesen sei Ralph der Riese, der uns schützt! Möge mich der Himmel bewahren, daß ich je wieder den Fuß in Tulbytilbets Matte setze! Letzthin glaubte ich dort Weißdorn zu brechen, und ich pflückte Hexenkraut, das mich sengte und brennte, daß ich fast närrisch wurde.«
Der junge Bergmann lachte.
»In der That, Kennybol,« sagte er, »ich glaube, daß das Hexenkraut seine Wirkung auf Euren armen Hirnkasten nicht verfehlt hat.«
»Selbst armer Hirnkasten!« erwiederte der beleidigte Bergbewohner. »Seht doch, Jonas, er lacht über das Hexenkraut! Das ist das Lachen eines Wahnsinnigen, der mit einem Todtenkopf spielt.«
»Hm!« versetzte Jonas, »so mag er in die Grotte von Walderhog gehen, wo die Köpfe der von Han dem isländischen Dämon Erschlagenen jede Nacht um sein Lager von trockenen Kräutern tanzen und mit den Zähnen klappern, um ihn einzuschläfern.«
»Das ist ganz wahr,« sagte der Bergbewohner.
»Aber,« fiel der junge Bergmann ein, »der Herr Hacket, den wir hier erwarten, hat uns ja versprochen, daß Han der Isländer sich an die Spitze unseres Aufstandes stellen werde.«
»Er hat es versprochen,« antwortete Kennybol, »und mit Hülfe dieses Dämons werden wir unfehlbar alle grünen Röcke von Drontheim und Kopenhagen überwinden.«
»Desto besser!« rief Jonas aus, »nur will ich nicht in der Nacht Schildwache bei ihm stehen.«
Es krachte im Gebüsch, sie wandten die Köpfe um, und erkannten beim Scheine des Feuers den neuen Ankömmling.
»Er ist es! Es ist Herr Hacket! Ihr habt lange auf Euch warten lassen, Herr Hacket!«
Dieser Herr Hacket war ein kleiner, dicker, schwarzgekleideter Mann, dessen Gesicht, trotz seiner Jovialität, einen düsteren Ausdruck hatte.
»Meine Unkenntniß des Wegs und die Vorsichtsmaßregeln, die ich treffen mußte,« sagte er, »haben meine Ankunft verzögert. Ich habe diesen Morgen den Grafen Schuhmacher verlassen. Hier sind drei Geldbörsen, die ich Euch von ihm überreichen soll.«
Die beiden Alten griffen mit jener Habgier zu, welche allen Landleuten dieses armen Norwegens eigen ist. Der junge Bergmann wies die Börse zurück, welche ihm Hacket darreichte.
»Behaltet Euer Gold, Herr!« sagte er. »Ich würde lügen, wenn ich sagte, daß ich mich um Eures Grafen Schuhmacher willen empöre. Ich stehe auf, um die Bergmänner von der königlichen Vormundschaft zu befreien; ich empöre mich, damit das Bett meiner Mutter eine warme Decke habe.«
Herr Hacket erwiederte ruhig: »Also, mein lieber Norbith, will ich dieses Gold Eurer armen Mutter schicken, und sie soll sich zwei neue Decken anschaffen, welche sie gegen die Stürme des Winters schützen.«
Norbith nickte bejahend mit dem Kopfe.
Hacket fuhr fort: »Aber hütet Euch, unbedachtsam zu sagen, daß Ihr nicht für Schuhmacher, Grafen von Greiffenfeld, die Waffen ergreift.«
»Gleichwohl . . . . gleichwohl . . . .« murmelten die beiden Alten, »wissen wir, daß man die Bergleute unterdrückt, aber diesen Grafen, diesen Staatsgefangenen kennen wir nicht . . .«
»Wie!« rief der Abgesandte aus. »Könnt Ihr so sehr undankbar sein! Ihr seufzet unter der Erde, des Lichtes und der Luft beraubt, um Euer Eigenthum betrogen, Sklaven der unerträglichsten Vormundschaft! Wer ist Euch zu Hülfe gekommen? Wer hat Euern Muth entflammt? Wer hat Euch Gold und Waffen gegeben? War es nicht mein erlauchter Gebieter, der edle Graf von Greiffenfeld, der noch unglücklicher ist, als Ihr selbst? Und jetzt, von ihm mit Wohlthaten überhäuft, wollet Ihr zaudern, seine Freiheit mit der Eurigen zu erfechten?«
»Ihr habt Recht,« unterbrach ihn Norbith, »das wäre übel gethan.«
»Ja, Herr Hacket,« sagten die beiden Alten, »wir wollen für den Grafen Schuhmacher kämpfen.«
»Recht so, meine Freunde! Muth gefaßt, erhebt Euch in seinem Namen, tragt den Namen Eures Wohlthäters von einem Ende Norwegens zum andern! Alles begünstigt Eure gerechte Sache. Ihr werdet von einem furchtbaren Feinde, dem General Levin von Knud, Gouverneur der Provinz, befreit werden. Die geheime Macht meines edlen Herrn, des Grafen von Greiffenfeld, wird ihn für eine Zeit nach Bergen berufen lassen. Sagt mir nun, Kennybol, Jonas, und Ihr, mein lieber Norbith, sind alle Eure Kameraden bereit?«
»Meine Brüder zu Guldbransthal,« antwortete Norbith, »warten nur, daß ich ihnen das Zeichen gebe. Morgen, wenn Ihr wollt . . .«
»Morgen! Sei es! Die jungen Bergmänner, an deren Spitze Ihr steht, müssen den Aufstand beginnen. Und Ihr, wackerer Jonas?«
»Sechshundert Eisenarme der Inseln Faroer, die seit drei Tagen in dem Walde von Bennaltag von Bärenfett und Gemsenfleisch leben, harren nur auf den Hörnerschall ihres alten Hauptmanns Jonas aus dem Flecken Loewig.«
»Ganz gut! Und Ihr, Kennybol?«
»Alle, die in den Schluchten von Kole eine Axt führen, und ohne Knieleder die Felsen erklettern, sind bereit, sich an ihre Brüder, die Bergleute, anzuschließen, sobald ihr Horn erschallt.«
»So ist es in der Ordnung. Jetzt kündigt Euern Kameraden, damit sie des Sieges gewiß seien, an, daß Han der Isländer sich an ihre Spitze stellen wird.«
»Ist das sicher?« fragten alle drei zumal mit einer Stimme, in welcher sich Hoffnung mit Schrecken gemischt kundgab.
»Innerhalb vier Tagen, zu der nämlichen Stunde,« sagte der Abgesandte feierlich, »erwarte ich Euch mit Euern vereinigten Haufen in der Mine von Apsyl-Corh, bei dem See Smiassen, unter der Ebene des blauen Sternes. Dort werde ich mit Han dem Isländer eintreffen.«
»Wir werden uns einfinden,« erwiederten die drei Anführer, »und möge Gott diejenigen nicht verlassen, denen der Teufel hilft!«
»Fürchtet nichts von Seite Gottes,« sagte Hacket höhnisch. »Ihr werdet in den alten Ruinen von Crag Fahnen für Eure Truppen finden. Vergeßt nicht den Ruf: Es lebe Schuhmacher! Laßt uns Schuhmacher befreien! Jetzt müssen wir uns trennen, es will Tag werden. Zuvor aber schwört mir das unverbrüchlichste Stillschweigen über Alles, was zwischen uns vorgeht.«
Alsbald öffneten sich die drei Anführer mit ihren Säbeln eine Ader am linken Arme, ergriffen sofort Hacket's Hand und ließen jeder einige Tropfen seines Blutes darauf fließen.
»Ihr habt unser Blut!« sagten sie.
Norbith fügte feierlich hinzu: »Möge all' mein Blut aus meinen Adern strömen, wie dieses, möge ein böser Geist alle meine Pläne zu nichte machen, wie der Wind einen Strohhalm vor sich her bläst, möge mein Arm von Blei sein, wenn ich eine Schmach rächen will, mögen Fledermäuse auf meinem Grabe laufen, mögen mich im Leben die Todten umgaukeln, und im Tode die Lebenden entweihen, mögen meine Augen Thränen weinen, wie die eines alten Weibes, wenn ich je den Mund aufthue, von dem zu sprechen, was zu dieser Stunde auf der Matte Ralphs des Riesen geschehen ist! So mögen mir alle Engel im Himmel beistehen, daß ich meinen Schwur halte! Amen!«
»Amen!« wiederholten die beiden Alten.