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24. Kapitel

Der Polterabend bei Walters wurde mit der bei Bauern üblichen gediegenen Fröhlichkeit gefeiert. Man aß sehr viel und gut, und die biederen Landbewohner ließen solche Mengen Fleisch, Geflügel, Wurst und Käse verschwinden, daß man hätte glauben sollen, sie fräßen Küche und Speisekammer leer. Doch die Hausfrau, derb, rotwangig, mit straff zurückgestrichenen blonden Haaren, blieb in heiterem Gleichmut – es mußte wohl genügend da sein. Bier und Schnaps wurden gleichfalls nicht knapp, obwohl niemand die Bestände schonte, und so war man geräuschvoll vergnügt.

Windholz war mit seinem Pfeffer gegen sieben Uhr erschienen, beide konnten an der Abendtafel teilnehmen.

Der Hund wurde von der Bäuerin geduldet, obwohl das eigentlich gegen die Sitte war. Einerseits konnte man die Anwesenheit Pfeffers gut ertragen, denn er war besser erzogen als mancher der Gäste, und andererseits wäre man, hätte die Frau den Hund nicht geduldet, mit Windholz schlecht gefahren, und das wollte man nicht riskieren.

Es war seinerzeit eine Geschichte bekanntgeworden, die deutlich zeigte, daß, wer mit Knautschenheinrich auskommen wollte, nett zu Pfeffer sein mußte. Daß es auch geraten war, zu dem Herrn freundlich zu sein, wenn man es nicht mit dem Hund verderben wollte, das wußte man schon lange.

Im vergangenen Jahre also war der Musiker zu einer Hochzeit geholt worden, um zu spielen. Alles war vorbereitet, man saß beim Essen, war guter Dinge, und die jungen Leute freuten sich schon auf das Tanzen. Pfeffer hatte anfänglich unter dem Tisch bei seinem Herrn gesessen. Nun fing er an, die Runde zu machen. Er ging von Stuhl zu Stuhl, und überall bekam er einen Happen.

So gelangte er denn auch zu der Hausfrau, der Brautmutter. Die bemerkte ihn erst, als er ihr die Pfote auf den Schoß legte.

»Wat denn, 'ne Töle bi de Hochzeit? Nee, nee, dat wull ick nich, de Köter muß wech!«

Der Bauer, ein behäbiger, die Ruhe liebender Mann, wollte die Alte beschwichtigen, aber sie wurde nur noch bissiger.

»Nee und nee, keen Köter will ick nich bi de Hochzeit hebben, dat hürt sek nich!«

Die harte Stimme der Märkerin war laut geworden, und die Stimmung am Tische war dahin. Jetzt wollte auch der Bräutigam für den Schnauzer stimmen, aber Windholz hatte sich schon erhoben, seinen Pfeffer gerufen und war zur Tür gegangen.

Die Bauern glaubten zuerst, der Musiker wollte seinen Hund auf den Flur bringen, doch bald merkten sie, daß Windholz nicht wiederkam. Tatsächlich hatte er bereits den Hof verlassen, als die Braut selber hinterhergelaufen kam, um ihn zurückzuholen. Vergeblich. Das wurde eine trübselige Hochzeit.

Das Brautpaar und der Altbauer waren auf die Bäuerin böse, diese wiederum auf die ganze Welt, was sie sich auch nicht bemühte zu verbergen. Die hagere Frau blieb auf der ganzen Hochzeit wortkarg. Die Falten um ihren Mund hatten sich verschärft, sie sahen aus wie mit dem Messer geschnitten. Die Ersatzmusik, die herbeigeholt wurde, eine Violine und eine Flöte, war herzzerbrechend, und ehe drei Stunden vergangen waren, wurde nicht mehr getanzt, sondern nur noch Karten gespielt. Das besorgten die Männer. Die Frauen und Mädchen langweilten sich, klatschten und gingen, als ihnen das auch keinen Spaß mehr machte, nach Hause. Und es hätte doch so schön werden können.

Dies böse Beispiel war in aller Gedächtnis, und niemals wieder forderte jemand das Verschwinden Pfeffers, denn kein Bauer oder keine Bäuerin wollte erleben, daß der Sänger grollend das Haus verließ.

In Wahrheit hatte es niemand zu bereuen, der Pfeffer gastlich aufnahm, denn der Hund bewies sich im Laufe des Abends jedesmal als Attraktion.

Heute nun war es noch nicht so weit, vorläufig trat der Schnauzer nicht in Erscheinung.

Als die ausgedehnte Abendmahlzeit beendet und abgetragen war, räumte man Tisch und Stühle beiseite, und die Vorbereitungen zum Tanz begannen. Sie bestanden allerdings in nichts anderem als darin, daß man vier Stühle so aneinanderstellte, daß sie eine Plattform ergaben. Darauf wurde der fünfte Stuhl gestellt, und auf dem nahm Windholz Platz. Seine Ziehharmonika war ein alter Kasten. Die Bässe waren noch zum Ausziehen, wie bei einem Harmonium, und das Instrument, das dreireihig war, hatte weit größere Dimensionen, als man sie heute baut.

Nun fing der Musiker an zu spielen. Sein Spiel besaß alles das in Vollendung, was das Wesen des Ziehharmonikaspiels ist. Er verstand es meisterhaft, die Melodie an- und abschwellen zu lassen, er ließ sie stark und gewaltig aufspringen und heranstürmen wie Reiter, und er konnte ein Lied zu einem Hauch verklingen lassen. Windholz hatte eine große Technik, doch sein Spiel wirkte ganz ursprünglich. Die jungen Burschen und Mädchen tanzten nach seiner Musik bis zum äußersten, ja selbst die Alten vergaßen ihre Jahre, und die altmodischen Röcke der grauhaarigen Bäuerinnen fegten die Holzdielen und weiteten sich zu kreisenden Rädern, daß alle, die zusahen, ihre Freude hatten.

Heinrichs Bierglas wurde nicht leer, auch guter, alter Korn wurde ihm angeboten. Doch trank er nur wenig. Der Alkohol in zu reichlichen Quantitäten minderte seine musikalischen Fähigkeiten, und das hätte seinem Ruf geschadet. Vor allem aber machte ihm sein Instrument Freude. Immer wieder fand er neue Abwandlungen für alte Melodien, und seine musikalischen Einfälle waren oft so originell, daß jeder, der nur etwas Gehör hatte, lachen mußte.

Als Knautschenheinrich die erste Pause machte, war es Pfeffer, der für die Einlage aufkam. Sein Herr behauptete beiläufig, der Hund könne rechnen. Das stieß auf lebhaften Widerspruch. Da stellte sich Windholz vor den Hund hin und ließ ihn sich setzen. Mit gespitzten Ohren, den klugen, buschigen Kopf zu seinem Herrn erhoben, wartete Pfeffer.

Der Musiker sprach nun zu dem Tier, als wäre es ein Kind von ungefähr zwölf Jahren. »Also, Pfeffer, mein Hund, die Leute wollen nicht glauben, daß du rechnen kannst. Nu nehmen wir mal an, ich würde hier für das Spielen zwanzig Mark kriegen.«

An dieser Stelle wurde das Gesicht des Bauern ernst, und verschiedene der Gäste räusperten sich. Windholz fuhr fort, zu seinem aufmerksam lauschenden Hunde zu sprechen.

»Mit diesen zwanzig Mark würden wir nachher in den Laden gehen, ich würde mir Briefpapier, Tinte für die Füllfeder und zwei Paar Strümpfe kaufen. Alles in allem für vier Mark Ware. Im Laufe der nächsten Woche würde ich weitere zehn Mark für dies und jenes ausgeben. Am Sonnabend, nehmen wir an, würde ich im Skat zwei Mark gewinnen, und am Sonntag träfe ich den alten Weiler und würde ihm die drei Mark zurückgeben, die ich ihm noch schulde. Wieviel Mark hätte ich nun noch in der Tasche, mein Hund?«

Windholz sah seinen Schnauzer intensiv an. Pfeffer bellte einmal und noch einmal. Der Blick seines Herren ruhte nach wie vor fest auf ihm. Wieder bellte der Hund, und noch zweimal bellte er, dann war er still. Er hatte genau fünfmal gebellt.

Die Bauern waren platt. Doch einzelne meinten, das wäre der reine Zufall gewesen, und einer der Gäste, ein verschmitzt aussehender, kleiner, dürrer Mann, wollte sich eine Aufgabe ausdenken, die der Hund bestimmt nicht lösen könnte.

Das solle er ruhig tun, aber die Aufgabe stellen müsse er selber, meinte Windholz, denn nur seinem Herrn antworte Pfeffer. Damit war der Bauer einverstanden, und er gab dem Musiker leise die Aufgabe bekannt.

Zeichnung: Hans Hyan

»Pfeffer, man glaubt dir hier nicht, die Leute denken, wir machen Hokuspokus. Also, Vater Schindler hat auf seinem Hof vierzehn Gänse laufen. Außerdem sechsundzwanzig Hühner nebst einen Hahn. Im Herbst schlachtet er alle Gränse, und von den Hühnern müssen acht ihr Leben lassen. Sein Sohn bekommt zwei Paar Tauben geschenkt. Aber nun reißt in einer einzigen Nacht der Marder von den Hühnern zwölf. Wieviel lebendes Federvieh behält Vater Schindler auf dem Hof?« Den Kopf zu seinem Herrn erhoben, bellte Pfeffer, wenn auch mit kleinen, zögernden Pausen, elfmal. Das gab begreiflicherweise einen Aufstand. Der Bräutigam schlug vor, den Hund von jetzt ab Herr Doktor zu nennen. Alle waren voll freudigen Staunens. Nur ein altes Weiblein, das die ganze Zeit über stumm und mit zusammengekniffenen Augen den Schnauzer angesehen hatte, sagte, hier könne sie nicht bleiben, der Hund wäre mit dem Teufel im Bunde. Ihr wäre das Tier gleich so sonderbar vorgekommen, und jetzt wisse sie genug.

Kein Mensch war imstande, das Mütterchen zurückzuhalten, sie verließ, vor sich hin murmelnd, das Haus.

Später, in vorgerückter Stunde, nahm sich der Brautvater den Herrn des Wunderhundes beiseite. Die beiden Männer kannten sich seit langem, und einer wußte, was er vom andern zu halten hatte.

»Sag mal, Knautschenheinrich, wie geit denn dat zu? Dat is jo all nich menschenmöglich, wat de Hund mit seinen Kopp machen dut. Dat kann ja kaum en Mensch utrechnen, wat de Köter zustande bringt. Du kennst mi ja nu all ok sit twintich Johren, Hinrich, mi kannst du dat doch vertellen, wie ehr beede dat maken dut.«

Doch mußte der alte Bauer noch eine ganze Weile bohren, bis Windholz, nachdem er sich fest hatte versichern lassen, daß der Alte zu niemandem ein Wort davon sprechen würde, den wahren Sachverhalt darlegte.

»Sieh mal, Walters Vater, ich kenne dich ja als einen Mann, der den Mund halten kann, da will ich dir die Sache also erklären. Rechnen tue nur ich, und bei der Aufgabe, die sich der alte Schindler ausgedacht hatte, da habe ich mich verdammt zusammennehmen müssen, damit ich selbst das richtige Resultat rausbekam.

Während ich nun dem Pfeffer die Aufgabe stelle, gucke ich meistens an ihm vorbei, vermeide es jedenfalls, ihn fest anzusehen. Ist aber die Aufgabe gestellt, dann sehe ich ihn intensiv an, lasse seine Augen nicht eher los, als bis er so oft gebellt hat, wie er soll. Früher, als ich ihm das Lautgeben beigebracht habe, begleitete ich den angespannten Ausdruck des Gesichts stets mit der Aufforderung: ›Gib Laut!‹ Darauf bellte Pfeffer immer einmal. Dann, als er es wirklich konnte, ließ ich das Kommando erst manchmal, dann gänzlich fort, und seitdem dirigiere ich ihn nur mit den Augen.«

Der Bauer hatte seinen Spaß an der Lösung dieses Rätsels, aber allen anderen gegenüber hielt er aufrecht, daß Pfeffer besser rechnen könne als die meisten Menschen. Der alte Walter war selbst ein Schalk, und es machte ihm viel zuviel Vergnügen, auf Kosten anderer zu lachen, als daß er die beiden Rechenkünstler verraten hätte.

In der Nacht gab es nochmals Kaffee und Kuchen. Berge von Streusel-, Käse-, Obst- und Napfkuchen standen auf dem an die Wand gerückten Tisch.

Pfeffer, der schon vorher gut versehen worden war, wurde nun nach seiner Leistung als Rechenkünstler so lange gestopft, bis er die Annahme verweigerte. Doch als die Älteren noch bei Tisch saßen, erhoben sich bereits wieder ein paar junge Mädchen, um zu tanzen. Sie warfen dem Musikanten lustige und bittende Blicke zu, bis er zur Ziehharmonika griff und ihnen den Gefallen tat zu spielen. Jetzt tanzten die Mädels wie besessen durch den Raum, der ihnen ganz allein gehörte. Die eine, eine derbe mit roten Backen, die immer lachte, führte. Die andere, feingliedrig, aber doch rundlich, hatte ein Gesicht, das gar nicht bäurisch war. Unter dunklen Haaren ein volles Oval. Kinn, Nase und Mund, alles war hübsch und nett, und darüber ein Paar herrlicher dunkler Augen. Sie sah beim Tanzen immer zu Windholz hinüber, und auch wenn sie lachte, versäumte sie nie, den Musikanten anzusehen.

Heinrich drückte seine Ziehharmonika dem alten Feldhüter, einem Verwandten des Hauses, in die Hände, »der olle Jochen« spielte ganz nett, und tanzte mit der kleinen Dunklen.

Es war sehr schön, und sie versprach ihm, als er darum bat, so lange zu bleiben, bis aufgebrochen würde.


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