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25. Kapitel

Der Polterabend und die darauf folgende Hochzeit, auf der Heinrich Windholz gespielt hatte, waren nun auch schon wieder halb vergessen. Nicht so schnell vergaß Heinrich die liebe Kleine mit den schönen Augen, die so reizend zu ihm gewesen war.

Schmerzlich und beglückend zugleich war solche Erinnerung. Einem so kurzen Erlebnis haftete all der Zauber an, der das Fremde und das Schnellvergängliche umgibt. Ein Schmetterling, so überraschend stark in seiner Wirkung für den, der ihn unverhofft in der sommerlichen Wiese sieht, und doch so schnell seines Schmelzes beraubt, wenn man ihn einfängt ... Eine Landschaft mit wogenden Kornfeldern vor dunklen Kiefern, einem weiten Ausblick über Wiesen, zu anderen Wäldern, die unter blauem Schleier in der Ferne stehen ... davor das Dorf mit Malven und Studentenblumen in den Gärten, die zum See hinunterführen, der silbern, von Rohrwäldern umstanden, sich bis zu neuen Wäldern erstreckt: welch einen Zauber erweckt solche Landschaft in der Brust des Vorüberfahrenden, und welche Wehmut überkommt den, der diese Welt der Harmonie so schnell wieder entschwinden sieht!

Zeichnung: Hans Hyan

Wer jedoch den Zwang der Tagesketten zerreißt, sich frei machend von allem, was vernünftig und klug scheint, und dort seinen Wohnsitz wählt, wo alles lebendig zu ihm spricht, dem wird nach einiger Zeit der Zauber, der früher über all dem lag, schwinden, und die Nadelstiche kleiner Alltagsärgernisse werden ihn unempfänglich für die Schönheit und Größe seiner Umgebung machen.

Der fahrende Musikant nahm das Leben, wie es kam. Er wollte nie und nimmer auf die verheißungsvolle Ferne, die den Dingen unserer Welt den Zauber gibt, verzichten, darum reiste er durch das Land und zu andern Menschen, obwohl er dabei weit öfter den Schmerz der Trennung empfinden mußte als andere. Sein kleines Haus, am Ende eines Dorfes, altmodisch gebaut, zwischen Fliederbüschen und hohen Bäumen, war ein Zuhause, in dem man sich wohl fühlen konnte. Heinrich hatte auch immer Sehnsucht danach, sobald er eine Reihe von Tagen fern von ihm war, doch hielt es ihn dort nie länger als höchstens eine Woche, es sei denn, er war krank, was bei seiner Konstitution selten genug vorkam.

Schon nach drei, vier Tagen trat er alle halbe Stunde auf die Straße und gab sich den Anschein, als spähe er nach irgend etwas aus. Dann wußte seine Umgebung schon, es würde wieder nicht lange dauern, bis er aufs neue verschwand. Wenn er so voll Unruhe zehn- bis zwölfmal am Tage das Haus verließ, dann sagte sein alter Onkel, den er bei sich wohnen ließ, mitunter; »Heinrich pumpt schon wieder wie 'n Maikäfer, er wird wohl bald losburren.«

Was allen unverständlich und geradezu gruselig vorkam, war, daß Windholz auch bei Sturm und Regen, ja sogar bei grimmiger Kälte seine Wanderungen antrat. Wenn die Wandersehnsucht über ihn kam, hatte er, wie er selbst sagte, innerlich so viel Wärme, daß ihm die Nässe und Kälte von außen nichts anhaben konnte.

Bewundernswert war bei alledem der Hund. Pfeffer war immer bereit, seinen Herrn zu begleiten, das Wetter konnte sein, wie es wollte. Glücklicherweise hatte die Natur ihm ein Kleid mitgegeben, das ihn hinreichend vor der Kälte schützte. Soweit es das rauhe Haar nicht konnte, half auch dem Schnauzer das Temperament, denn er war genau so versessen aufs Vagabundieren wie sein Herr.

Eine ältliche Schwester Heinrichs führte das Haus. Sie war gutmütig, aber rauh im Umgang. Im aussichtslosen Kampf mit dem Bruder übertrug sie ihre Einstellung auch auf Pfeffer, der, wie sie sagte, noch schlimmer wäre als sein Herr.

Als Windholz einmal bei außergewöhnlicher Kälte das Haus verlassen wollte, um eine seiner Fahrten zu beginnen, verlangte Regine, die Schwester, kategorisch, daß Pfeffer diesmal hierbleiben müsse, denn der Hund würde sich ja bei solcher Kälte – es war allerdings unter dreißig Grad Celsius – die Pfoten erfrieren. Schweren Herzens willigte Windholz ein, denn daß der Hund Schaden nehmen sollte, wollte er nicht verantworten.

Tiefbekümmert schlich Pfeffer in seine Ecke, denn das Niedagewesene war eingetreten: Herrchen nahm ihn nicht mit.

Die bei diesen beiden Kumpanen auf alles gefaßte Regine schloß alle Türen zu, denn Pfeffer konnte jede Klinke aufmachen. So saß sie in der Küche, während Pfeffer leise winselnd auf der Bank stand, die Vorderpfoten auf das Fensterbrett stellte und mit schiefem Kopf und gespitzten Ohren durch die Scheiben sah.

Dort drüben führte die Straße entlang, auf der sein Herr bald auftauchen mußte. Nach einigen Minuten erschien er wirklich. Pfeffer brach in ein wildes Geheul aus, das durch die Scheiben bis zu Windholz drang. Der drehte sich um und winkte mit dem Arm ...

Da packte den Hund eine mächtige Sehnsucht, bei seinem Herrn zu sein. Er warf sich zurück, schnellte dann vor und sprang mit aller Kraft gegen die Scheibe, die in tausend Splitter zerfiel.

Tief gefallen war Pfeffer nicht, so sauste er ohne Aufenthalt durch den Garten, übersprang den Zaun und war in wenigen Augenblicken bei seinem Herrn.

Nach der ersten, ungeheuren Wiedersehensfreude – der Hund hatte seinen Herrn ganze zehn Minuten nicht gesehen – versuchte Windholz mit Hilfe der laut lamentierenden Schwester, die herbeigeeilt war, den Hund wieder zurückzubringen. Doch das erwies sich als unmöglich. Als er merkte, was kommen sollte, hielt er sich einige Meter von den beiden lockenden und drohenden Menschen entfernt. Da half alles nichts, Pfeffer mußte mit, denn um lange zu stehen und zu rufen, dazu war es zu kalt.

Das war das erste und letzte Mal, daß man den Versuch machte, Herrn und Hund, wenn auch in guter Absicht, zu trennen.

Die Pfoten erfror er sich übrigens nicht, dazu hielt er sich zu sehr in Bewegung.

Obwohl Windholz immer wieder sein Heim floh, war er bemüht, Haus und Hof instand zu setzen, auszubessern und zu erneuern. Er verschwendete das Geld, das er mit seiner Ziehharmonika verdiente, keineswegs, sondern steckte es in den Hafen, den er, wenn er zu alt und schwach zum Wandern geworden war, für immer anlaufen wollte.


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