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48. Kapitel

Heinrich Windholz erwachte erst am Nachmittag dieses Tages wieder zu vollem Bewußtsein. Er lag im Bett, sein Bein war verbunden, und hinter dem Kopfende stand jemand am Fenster.

Heinrich versuchte sich aufzurichten, doch es war ihm unmöglich, der Blutverlust hatte ihn zu sehr geschwächt.

Jetzt hörte er vom Fenster des Oberförsters Stimme sagen; »Na, wieder aufgetaucht? Aber vor allem ruhig liegen. Unser alter Futterknecht hat Sie leider zu spät gefunden. Der Doktor war hier und meinte in seiner rauhen Art, Ihnen wäre der Saft so ziemlich ausgelaufen. Aber nun, da Sie von alleine wieder aufgewacht sind, werden wir Sie schon wieder auf die Beine bringen.«

Windholz sah aus einem Gesicht zu dem Oberförster auf, das nur noch der Schatten des früheren war. Die grauen Augen allein schienen vergrößert und waren sehr klar. Seine Worte kamen nur leise von den blutleeren Lippen, als er den Oberförster fragte: »Was ist aus Duro geworden?«

»Der ist gesund. Er meinte es gut, aber seinem Denkfehler ist es zuzuschreiben, daß Sie so lange haben auf Hilfe warten müssen. Er lief erst nach Hause, als er mich aber dort nicht fand, muß er sich wohl erinnert haben, daß ich mit dem Wagen zur Bahn gefahren war, und dort an der Bahnhofsperre blieb er stundenlang, bis ich kam, denn eines anderen Menschen Hilfe nahm er in dieser ernsten Lage nicht für voll.«

Windholz lächelte ein wenig. Dabei fielen ihm die Augen wieder zu. Auf den Zehenspitzen verließ der Oberförster das Zimmer.

Erst am nächsten Tage war Windholz soweit gekräftigt, daß er Aufschluß über das Unglück geben konnte.

»Im großen und ganzen«, meinte der Oberförster, »kann ich mir ja alles zusammenreimen. Die Hunde haben Sie vor dem Hirsch geschützt, und dabei ist Ihr prächtiger Pfeffer ums Leben gekommen. Sie sind dann verwundet durch den Zaun gekrochen und später gefunden worden. Nun aber sagen Sie mir um alles in der Welt nur das eine: Warum sind Sie zu dem Hirsch in das Gatter hineingegangen? Es ist mir bisher nicht gelungen, dafür einen vernünftigen Grund zu finden.«

Windholz hob die Hand von der Bettdecke und ließ sie wieder sinken: »Weil ich für meinen Onkel ein Stück verwachsenes Eschenholz haben wollte, mußte mein kleiner Pfeffer seine Treue mit dem Leben bezahlen.«

Windholz drehte sich zur Wand. Der Oberförster verließ ihn wieder, ohne noch etwas zu sagen. Er wußte, hier gab es keinen Trost. Und die Sache mit dem lächerlichen Stückchen Eschenzweig, die konnte er auch verstehen. Er selbst hatte in früheren Jahren eine Alraunensammlung besessen, die durch ihn selbst und seinen Waldarbeiter jedes Jahr um ein oder zwei Stücke bereichert wurde. Später schenkte er diese Sammlung von Wurzelmännchen an das Landesmuseum.

In Gedanken über das Gewirr von Ursache und Wirkung, das nicht nur des Menschen Leben, sondern auch das der Tiere bestimmt, rief der alte Waidmann seinen Hund und ging ins Revier.

*

Unter der sorgsamen Pflege der Oberförsterin erholte sich Windholz stetig, wenn auch langsam. Der Arzt, eine von den rauhen, aber biederen Naturen, die sich nur auf dem Lande zu ihrer ganzen Originalität entwickeln können, gab sich sehr viel Mühe. Es gelang ihm auch, die bei Verwundungen durch Hirschgeweihe sehr große Gefahr der Blutvergiftung zu bannen. Zu diesem Erfolg verhalf ihm eine besondere Art von Toleranz, die er gegenüber einem alten Weibe aus der Umgebung bewies.

Die alte Böttcher war an die Neunzig, und obwohl sie sich nur mühsam voranbewegte, war sie zäh und ausdauernd. Sie kannte die Wälder in der Runde viele Ortschaften weit und ging vom Frühjahr bis in den Herbst die weitesten Wege ihrem Berufe nach.

Die Alte war eine Kräuterkennerin, wie sie heute nicht mehr zahlreich herumlaufen. Natürlich war sie bei denen, die nicht nachdenken und alle Dummheiten nachsprechen, als Hexe verschrien. Wahr ist auch, daß sie den Mädels auf Verlangen Liebestränke gab. Sie war eben der Meinung: Einbildung macht viel, und außerdem konnte sie jeden Groschen gebrauchen.

Wenn nun auch manche Maid der Alten fluchte und sie wohl gar verleumdete, weil der Trank, der hauptsächlich aus Wasser bestand, seine Wirkung verfehlte, so gab es doch rundum keinen Bauern, der die Alte nicht gelten ließ, da so mancher sein Pferd oder seine Kuh ohne sie verloren hätte.

Zeichnung: Hans Hyan

Der Landarzt war vernünftig genug, die große Kräuterkenntnis der Alten anzuerkennen und auch davon Gebrauch zu machen. Er hatte seit Jahren mit Mutter Karoline ein Abkommen getroffen, das die Alte verpflichtete, gegen eine Bezahlung, wie sie sie sonst nirgends erhielt, eine Anzahl bestimmter Kräuter zu bestimmten Jahreszeiten zu liefern.

»Die sind besser als viele der Medikamente, die ich mir aus der Stadt kommen lasse, und billiger sind se och ...«, äußerte sich der Doktor einmal gegenüber der Oberförsterin.

Der alten Kräuterkaroline war es zu verdanken, wenn Windholz verhältnismäßig schnell geheilt wurde.

Nach vier Wochen wurde er im Wagen nach Christophswalde gefahren. Er mußte noch am Stock gehen, und es war nicht sicher, ob er jemals wieder laufen konnte, ohne zu hinken. So nahm er denn Abschied vom Oberförster und seiner Frau und auch von Duro, dem Braven, der ihm die eigene Rettung so treu vergolten hatte, indem er Pfeffer half, seinen Herrn zu retten.

Heinrich hatte drei Freunde, zwei Menschen und einen Hund, gewonnen und seinen besten Freund, den Gefährten auf allen seinen Wegen, verloren.


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