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28. Kapitel

Diesmal geschahen solche dramatischen Dinge nicht. Windholz blieb volle zehn Tage zu Hause, und während dieser Zeit war Pfeffer meistens daheim, weshalb auch Flocki den Hof nicht verließ.

Nicht aus freien Stücken war der Schnauzer so häuslich. Sein Herr hielt ihn kurz. Er wollte, daß ihm« der Hund jederzeit zur Verfügung stand, da er die zehntägige Ruhepause benutzte, um Pfeffers artistisches Können zu vervollständigen. Denn Pfeffer war Artist. Alles das, was man von Hunden im Zirkus oder im Varieté sieht, und noch einiges mehr leistete dieser Schnauzer.

Im Laufe des Vormittags verschwanden Herr und Hund für gewöhnlich in einem leergeräumten Bodenraum des Hauses, der genügend Oberlicht hatte, und die Arbeit begann.

Da hörten dann die Hausgenossen die Schritte des Mannes, die hin und her liefen, die Sprünge des Hundes und manchmal das Fallen eines Holzgegenstandes. Diese Geräusche waren von dem Sprechen Windholz' begleitet, das sich hin und wieder zu einem kurzen Ausruf steigerte.

Nur sehr selten hörte man aus dem Dressurraum hartes Schelten oder gar Schläge. Die Zeit, in der das nötig war, lag schon zwei Jahre zurück. Damals hatte Windholz gegenüber dem harten Schädel seines Hundes einen schweren Stand. Pfeffer war anfänglich so dickköpfig, daß sein Herr mehrmals drauf und dran gewesen war, ihn fortzugeben, und nur die trotz aller Widerspenstigkeit deutlich erkennbare hohe Intelligenz des Hundes hielt Windholz davon ab. Er hatte Pfeffer erst im Alter von zwei Jahren in die Hand bekommen, und so mußte der Hund vieles lernen, das er, wenn er überhaupt Dressur haben sollte, längst hätte können müssen. Doch dann, nach einer Zeit schwerer Mühen, sollte sich die Geduld, die Windholz aufgewandt hatte, reich bezahlt machen.

Als Pfeffer nämlich den Widerstand aufgegeben hatte, zeigte es sich, wie verblüffend leicht er begriff. Er war das, was man bei einem Menschen ein Talent genannt hätte.

Jeder Varietékünstler von internationalem Ruf hätte für den Schnauzer mehrere tausend Mark bezahlt, wenn Windholz den Hund hergegeben hätte. Es wurde dem wandernden Musiker tatsächlich einmal ein solches Anerbieten gemacht. In einem kleinen Landstädtchen gab Windholz im Saal eines Gasthauses eine Vorstellung, nachdem dort ein landwirtschaftlicher Vortrag gehalten worden war.

Auf der kleinen Bühne, die von rot und goldenen pappenen Portieren umsäumt war, saß, in einen Stuhl zurückgelehnt, Pfeffer. Er hielt eine kleine Ziehharmonika vor sich in Brusthöhe, die ihm an die Pfoten geschnallt war.

Ungerührt durch das Lachen der Zuschauer saß der Hund. Darin begann er zu spielen. Er bewegte das Instrument in der richtigen Weise, wenn auch etwas zu gleichmäßig, hin und her und entlockte ihm damit eine sehr gut gespielte Serenade. Das Publikum war begeistert. Jetzt folgte eine Polka, die noch stärker wirkte, und als drittes ein Volkslied. Doch beim Vortrag dieser etwas schwermütigen Weise glaubte Pfeffer, ein übriges tun zu müssen, er begleitete sich selbst mit Gesang. Zwar stimmte das Lied nicht ganz mit der Begleitung überein, aber die Wirkung war zwerchfellerschütternd. Es war auch keineswegs das übliche Hundegeheul. Der Schnauzer ließ sich vielmehr sanft, ja geradezu schmelzend vernehmen. Langgezogen und klagend drangen die wunderlichsten Töne aus dem nur wenig geöffneten Fang des Hundes.

Pfeffer hatte einen nicht enden wollenden Applaus, doch gab er keine Zugabe, sondern streifte sich das Instrument von den Pfoten und verschwand von der Bühne. Die Ziehharmonika blieb liegen. Das Publikum klatschte und rief immer noch. Da plötzlich kam der »Virtuose« noch einmal auf die Bühne gesprungen, faßte die Ziehharmonika mit den Zähnen und verschwand mit ihr hinter die Kulissen.

Gleich darauf klang von dort ein so blendend gespielter Marsch auf demselben Instrument, daß selbst dem Naivsten im Zuschauerraum dieser Hund anfing unheimlich zu werden.

Die zweite Nummer war weniger ungewöhnlich, jedoch in der Ausführung vorzüglich. Wieder kam Pfeffer allein auf die Bühne, doch diesmal, indem er drei bis vier Saltos hintereinander drehte. So gelangte er in die Mitte der Bühne. Dort hing von oben eine starke Schnur herab, an der unten eine Lederschlaufe befestigt war. Die Lederschlaufe befand sich etwa mannshoch vom Boden entfernt. Mit einem kleinen Anlauf sprang Pfeffer danach und erreichte sie. Es war ein braver Sprung, und die Zuschauer klatschten. Doch was nun geschah, war überraschend.

Pfeffer hielt sich mit dem Gebiß an der Schlaufe fest, und so, in der Luft hängend, entschwebte er plötzlich nach oben. Ganz still hing der zum Himmel fahrende Hund und verschwand hinter der Deckenkulisse.

Die Menschen, die so blendend von einem Tier unterhalten wurden, hatten sich gerade von ihrer Verblüffung erholt, als hinter ihnen kräftiges Hundegebell laut wurde und, aus dem Hintergrund des Saales kommend, Pfeffer, immer laut bellend, durch den Mittelgang zwischen den Stühlen der Zuschauer zur Bühne lief und dort, die kleine Seitentreppe benutzend, wieder auf die Bretter gelangte, die die Welt bedeuten.

Als der Vorhang zum dritten Male in die Höhe ging, war der Schnauzer wieder allein auf der Bühne. So ungewöhnlich die Leistungen dieses Hundes an sich schon waren, daß er sie scheinbar ohne einen Menschen vollbrachte, der ihm die Kommandos gab, machte sie zu etwas noch nicht Dagewesenem.

Doch es schien, als wäre es dem Hund nun selbst zum Bewußtsein gekommen, daß er der alleinige Darsteller sei, jedenfalls wandte er sich gegen die Kulisse, hinter der er hervorgekommen war, und begann, indem er sich setzte, zu bellen. Er bellte mit kleinen Pausen immer wieder, und die gespitzten Ohren sowie der aufmerksame Kopf waren unverwandt auf die Kulisse gerichtet. Als sein Bellen keinen Erfolg hatte, lief er dorthin, verschwand und trat gleich darauf rückwärts wieder in Erscheinung. Doch kam er nur stückweise hervor. Zuerst sah man das Hinterteil mit der heftig wedelnden Stummelrute, dann trat nach und nach der ganze Rumpf in Erscheinung, und es war, als wenn der Hund etwas hinter sich herzerrte.

Endlich waren nur noch Hals und Kopf unsichtbar, und Ruck um Ruck erschienen nun auch diese. So zog Pfeffer unter dem stürmischen Gelächter der Zuschauer seinen Herrn auf die Bühne. Er hatte ihn am Ärmel gefaßt und brachte ihn, der stumm alles mit sich geschehen ließ, in die Mitte der Bühne. Dort ließ er los, stellte sich vor ihn hin und bellte anhaltend.

Plötzlich sprang er ihn an, stand im nächsten Augenblick mit den Hinterläufen auf den zusammengehaltenen Händen Windholz', der ihn über den Kopf nach rückwärts schleuderte, wo Pfeffer einen Salto machte, bevor er auf allen vieren am Boden landete. Von dort lief er durch die Beine seines Herrn wieder in den Vordergrund der Bühne. Eine knatternde Salve klatschender Hände belohnte die beiden so ungleichen Artisten. Dann kam das schon oft gezeigte »Totschießen«. Doch Windholz und sein Pfeffer gaben ihm eine besondere Note.

Der Herr zog einen Revolver aus der Tasche und schoß auf seinen fünf Schritt vor ihm sitzenden Hund. Es gab einen erheblichen Knall, Pfeffer sank um und bewegte kein Glied mehr. Jetzt warf sein Herr die Waffe fort, stürzte mit viel Geräusch an der »Leiche« seines einzigen Freundes nieder, wie er laut schluchzend beteuerte, und den Leblosen schüttelnd und rüttelnd rief er seinen Namen so laut, daß er Tote hätte erwecken können, aber eben nicht diesen.

Dann rief er dem Wirt zu, er möchte ihm zum Trost etwas zu trinken bringen. Der Wirt beeilte sich, sofort diesem Wunsche nachzukommen, und brachte auf einem kleinen Tablett ein Glas Bier und ein Gläschen Korn. Das reichte er dem immer noch Lamentierenden hinauf.

Windholz trug es zum Hund, um es dort zu sich zu nehmen, doch stolperte er, und mit Getöse und Geklirr fielen Tablett und Gläser zu Boden. Pfeffer lag unbeweglich wie alle Toten.

Windholz, vor Schreck zurücktaumelnd, rannte gegen einen Stuhl, und der Stuhl sowohl wie der Mann fielen krachend auf die Bretter, ohne daß Pfeffer auch nur die Ohren gespitzt hätte. Beim Hinfallen griff der unglückliche Herr des verendeten Hundes in eine der Glasscherben, wenigstens tat er so, und nun hob er ein gewaltiges Geschrei an. Auf das Gebrüll eilte der Wirt herbei und fragte, ob er denn nicht etwas leiser sein könnte, es wären doch noch mehr Leute im Raum, und ob er ihm nicht etwas zu essen bringen solle, das helfe immer.

Ja, das wäre gut, meinte Windholz, der sein Lamento unterbrochen hatte – was denn der Wirt hätte.

Das könne er ihm nicht so laut sagen, sonst wollten es die anderen Herrschaften am Ende auch haben, und so viel hätte er nicht, meinte der Wirt. Jetzt näherte sich Windholz dem dicken Mann mit der grünen Schürze und beugte sich von der Bühne herunter, während sich der Wirt zu ihm emporreckte und ihm leise, aber deutlich »Schnitzel« ins Ohr sagte. Im selben Augenblick, da dieses Zauberwort, wenn auch ganz leise, erklungen war, sprang der »tote« Hund empor, rannte zum Wirt und bellte ihn herausfordernd an.

Unter dem donnernden Beifall des Publikums schloß damit die Vorstellung.

Windholz wollte gerade aus dem Hinterausgang den Gasthof verlassen, nachdem ihn der sehr zufriedene Wirt anständig bezahlt hatte, als ihn ein Herr in dem kleinen Raum aufsuchte, der als »Garderobe« gedient hatte.

Dieser Herr wollte am nächsten Tage das Städtchen wieder verlassen, doch, wie er sich ausdrückte, »nie und nimmer ohne diesen Wunderhund«. Windholz wehrte diese Bezeichnung höflich ab, ebenso die Zumutung, Pfeffer zu verkaufen. Doch der Fremde, ein Artist von Ruf, der mit Tieren arbeitete, bot den schönen, runden Preis von tausend Mark.

Das rührte jedoch Windholz nicht, der den Hund auch für den zehnfachen Preis nicht verkauft hätte, weil er ja alles, was er brauchte, hatte: ein Haus, Geld genug zum Leben, und als Wertvollstes seine Freiheit. So lehnte er denn auch ein Angebot von zweitausend Mark und dann von dreitausend Mark ab, worauf der Artist verstimmt davonging, obwohl er den wunderlichen Kollegen gut verstand, denn seinen »Hoko«, den Schimpansen, würde er auch um keinen Preis hergeben. Windholz aber ging in einen kleinen, abgelegenen Gasthof und bestellte sich »Schnitzel«, und Pfeffer bekam seinen Teil davon ab.


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