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9.

Seit dem tollen Streich von Tchibukli war ganz plötzlich der Frühling gekommen, dieser zauberhafte, aber nicht andauernde Frühling Konstantinopels.

Der unaufhörliche, eisige Wind des Schwarzen Meeres hatte sich mit einem Schlage gelegt. Auf dem Bosporus, auf den Marmorkais der Paläste sowie auf den alten Holzhäuschen, die schon teilweise im Wasser liegen, brütete eine gewaltige Sonnenglut. Stambul nahm in der klar und durchsichtig gewordenen Luft wieder seine unsäglich orientalische Ruhe an; das träumerische und beschauliche türkische Volk begann wieder im Freien zu leben, vor den tausend kleinen, stillen Kaffeehäuschen sitzend, in der Umgebung der heiligen Moscheen, bei den Fontänen und unter den alten Platanen; in den Straßen strömten viele tausende Nargilehs ihren berückenden Rauch aus, und die Schwalben umschwärmten jubelnd ihre Nester. Die alten Grabmäler und die grauen Kuppeln, im Sonnenlicht gebadet, lagen in namenloser Ruhe da, die unzerstörbar und endlos zu sein schien. Und die ferne Küste Asiens, sowie das unbewegliche Marmarameer, das zuweilen durchblickte, strahlten im Glanz der Sonne.

André Lhéry fand sich wieder zurecht, im türkischen Orient, mit vielleicht noch mehr Schwermut als zur Zeit seiner Jugend, aber auch mit ebenso großer Leidenschaft. Und eines Tages, als er im Schatten zwischen Hunderten von Träumern im Turban saß, weit von Pera und dem modernen Treiben, im Mittelpunkt, ja sogar im Herzen des fanatischen Alt-Stambul, fragte ihn Jean Renaud, der jetzt sein gewöhnlicher Begleiter war:

»Nun? Haben Sie keine Nachrichten mehr von den drei kleinen Gespenstern von Tchibukli?«

Man befand sich vor der Moschee Mehmed-Fatihs auf dem Großen Platz aus den früheren Jahrhunderten, den die Europäer sonst nie besuchen, und es war gerade die Stunde des Gebets, zu dem die Muezzins die Gläubigen riefen.

»Sie meinen die drei jungen Türkinnen?« erwiderte André. »Nein, nichts seit dem von allen dreien unterzeichneten Brief, den ich Ihnen ja zeigte. Ich bin der Meinung, daß das Abenteuer beendigt ist, und daß die drei selbst nicht mehr daran denken.«

Er nahm bei dieser Antwort eine gleichgültige Miene an, die Frage hatte indessen seine beschauliche Ruhe gestört; denn die ohne eine weitere Nachricht hingegangenen Tage erweckten in ihm die fast schmerzliche Idee, daß er wohl nie mehr Zahides so sonderbar sanft klingende Stimme hören werde. Die Zeit war vorüber, wo er sich des Eindrucks, den er zu machen vermocht, sicher fühlen konnte. Nichts beunruhigte ihn so tief, als der Verlust seiner Jugend, und er sagte sich voll Betrübnis:

»Sie hatten mich für jung gehalten und schämen sich nun ihrer Täuschung!«

Der letzte Brief schloß mit den Worten: »Wir werden Ihre Freundinnen, wenn Sie der unsrige sein wollen!« Gewiß, er verlangte nichts Besseres. Wo aber sollte er sie finden? Konnte er in dem großen Konstantinopel, wo man den Fremden stets mißtraut, nach drei Türkinnen suchen, von denen er weder die Namen noch die Gesichter kannte? – Das war einfach unmöglich.


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