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26.

Briefe, die André Lhéry am nächsten Tage erhielt.

»Den 18. September 1904.

Lieber Freund, wissen Sie ein Thema, das Sie erläutern sollten, und das sicherlich unter dem Abteilungstitel ›Im Harem‹ das interessanteste Blatt des ganzen Buches ausmachen würde? Das Gefühl von ›Leere‹, das in unserem Leben durch die Verpflichtung entsteht, nur mit Frauen zu sprechen, zu unserem Umgang nur Frauen zu haben, uns immer unter uns zu befinden, unter unseresgleichen! Unsere Freundinnen? O, mein Himmel! Die sind ebenso schwach und ebenso ermüdet wie wir selbst! In unseren Harems tut die Schwäche oder tun vielmehr die Schwächen, in solcher Weise vereinigt angehäuft, der Seele Schaden; alle leiden um so tiefer darunter, zu sein, was sie sind, und verlangen eine Kraft! O, nur einen, mit dem diese armen, verlassenen, erniedrigten Geschöpfe sprechen, ihre meistens so schüchternen, unschuldigen Gedanken austauschen könnten. Wir bedürfen eines Freundes, einer festen Manneshand, um uns darauf zu stützen, die stark genug wäre, uns wieder aufzurichten, wenn wir in Gefahr kommen zu fallen! Nicht um einen Vater, einen Gatten oder einen Bruder handelt es sich, sondern um einen Freund, den wir aus einer, die unsrige weit überragenden Sphäre erwählen würden; der ebenso streng wie gütig, ebenso zart wie ernst wäre, und uns aus beschützender Freundschaft liebte!

Man findet solche Freunde in Ihrem Kreise, nicht wahr?

Zeyneb.«

»Es gibt Existenzen, in denen nichts ist! ...

Fühlen Sie das Entsetzliche dieses Ausspruches? Arme Seelen, gegenwärtig beflügelt, die man gefangen hält; Herzen, in denen junge Säfte sprudeln, und denen die Tätigkeit untersagt ist, die nichts tun dürfen, nicht einmal Gutes, die sich verzehren oder hinsiechen in unerfüllbaren Träumereien. – Können Sie sich vorstellen, wie trübselig die Tage Ihrer drei Freundinnen verlaufen würden, wenn Sie nicht gekommen wären? Alle Tage ganz gleichmäßig, unter der vormundschaftlichen Bewachung alter Onkel, alter Frauen, deren stete Mißbilligung sie auf sich lasten fühlen.

Aus dem Drama meiner Heirat verblieb tief in meinem Innern ein unauslöschlicher Groll gegen die Liebe, wie man sie bei uns versteht. Ich wußte aber schon einigermaßen, daß die Liebe im Abendlande eine andere ist, und ich warf mich mit Leidenschaft auf das Studium alles Dahingehörenden in der Literatur und in der Geschichte. Und da erkannte ich denn die Liebe als Anstifterin vieler Torheiten, ja selbst so mancher Schlechtigkeiten, aber auch als Urheberin ebenso vieler schönen Handlungen wie auch zahlreicher Heldentaten! – Wie bitter empfand ich den Vergleich unserer unterdrückten Stellung mit der Freiheit der abendländischen Frauen! ... O, wie glücklich sind in jenen Ländern die Frauen, für die seit undenkbarer Zeit die Männerwelt gedacht, gekämpft und gelitten hat! Jene Glücklichen können ihre Hand nach freier Wahl vergeben, und sie haben das Recht, von dem Erwählten Beweise zu verlangen, daß er dieser Wahl würdig!

Während bei uns Frauen des Orients noch fast alles in Schlummer liegt. Das Bewußtsein unseres Wertes und unserer Unterdrückung ist kaum erst im Erwachen begriffen, und viele wenden sich sogar von dem beabsichtigten Verbesserungswerk, teils aus Trägheit, teils aus Unverstand, achselzuckend ab.

Und wird sich denn keine Stimme erheben, um den Männern ihre Verblendung vorzuhalten? Den im allgemeinen braven, guten und zartfühlenden Männern besonders, wie unseren Vätern, Gatten und Brüdern? ... Sollen die Türkinnen für ewige Zeit Sklavinnen bleiben, die man ihrer Schönheit wegen kauft, wohl auch heiratet, aber nur, um eine solche Sklavin mehr zu besitzen?!

Jetzt aber, André, sind Sie uns zu Hilfe gekommen, und wir drei stehen Ihnen völlig zu Diensten, sei es als Ihre Sekretäre oder als Berichterstatter, und wenn wir Ihnen nicht genügen, werden viele andere unserer Mitschwestern zu Ihrer Verfügung stehen.

Wir können vielleicht noch ein- oder zweimal hier am Bosporus irgendwo zusammentreffen, bevor wir nach der Stadt zurückkehren. Aber ich habe Furcht! Nicht etwa vor dem Verlust Ihrer Freundschaft, sie ist in unsern Augen über jeden Zweifel erhaben, sondern ich habe Furcht vor dem Kummer ... späterhin, nach Ihrer Abreise ...!

Leben Sie wohl, André, unser Freund, mein Freund!

Möge das Glück Sie begleiten!

Djenane.«

*

»Sicherlich hat Djenane Ihnen etwas zu erzählen vergessen. Nämlich, die Dame in Rosa, die neulich abends bei Madame de Saint-Enogat Ihre Zigaretten rauchte – Madame de Durmont, um sie recht zu nennen – kam heute zu uns, um den Nachmittag bei uns zu ›verbringen‹ – das heißt: um Duos von Grieg mit Zeyneb zu singen. Und dann sprach sie so viel und mit solchem Enthusiasmus von Ihnen, daß eine uns befreundete junge Russin, die auch zugegen war, sich nicht genug darüber wundern konnte. Wir fürchteten, daß Madame de Durmont einen Verdacht hätte und uns eine Falle stellen wollte ... und da haben wir Sie denn gründlich schlecht gemacht, so daß auch nicht ein gutes Stück übrig blieb ... und dabei bissen wir uns in die Lippen, um nicht lachen zu müssen; jene aber stürzte in unsere Gegenfalle und verteidigte Sie mit größter Heftigkeit.

Mit anderen Worten: Ihr ganzer Besuch war nichts als eine Gegenüberstellung und ein Verhör über unsere Gefühle für Sie! ... Freund André, welch glücklicher Sterblicher sind Sie doch!

Wir haben einen ganzen Haufen von Plänen ausgeklügelt, um eine Zusammenkunft zwischen uns zu ermöglichen. Aber zunächst eine Frage:

Versteht Ihr Kammerdiener, den Sie uns als treu und zuverlässig rühmten, mit Pferden umzugehen und vom Bock aus zu fahren? Wenn ja ... dann müßte er mit einem Fes ausgeputzt werden, und wir könnten mit Ihnen eine Spazierfahrt im geschlossenen Wagen machen; ... aber das Ganze muß erst noch bei unserem nächsten Beisammensein genau verabredet werden.

Ihre drei Freundinnen senden Ihnen viele hübsche und zärtliche Wünsche!

Mélek.

P.S. Versäumen Sie wenigstens nicht den morgigen Tag der Süßen Wasser; wir werden versuchen, auch dort zu sein. Kommen Sie, wie früher auch, mit Ihrem Caique von der asiatischen Seite aus unter unseren Fenstern vorbei. Wenn man Sie durch ein Loch im Fensterrahmen den Zipfel eines weißen Taschentuches sehen läßt, so heißt das, daß man Ihnen nachfolgen wird ...; wenn das Taschentuch jedoch blau ist, so wird das bedeuten: ›Katastrophe! Ihre Freundinnen sind eingesperrt!!‹

M.«

*

Bis zum Schluß der Saison hatten sie noch bei den Süßen Wassern Asiens ihre stummen und versteckten Begegnungen. Jedesmal, wenn das Wetter schön war am Freitag, und auch am Mittwoch, der auch ein Tag der Versammlung auf dem hübschen schattigen Ufer ist, – kreuzte Andrés Caique mehrmals dasjenige der drei Freundinnen. Aber er gab nicht das leiseste Zeichen, das ihre Bekanntschaft den Hunderten von Frauen hätte verraten können, die am Ufer auf der Lauer standen.

Wenn die Gelegenheit günstig war, so wagten Zeyneb und Mélek ein leichtes Lächeln durch ihre schwarze Gaze. Djenane dagegen blieb ihrem dreifachen schwarzen Schleier treu, der ebenso vollkommen unkenntlich machte wie eine Maske. Man wunderte sich zwar darüber in den anderen mit Frauen besetzten Caiques, aber niemand wagte Böses dabei zu denken: der Ort war durchaus ungeeignet zu irgendeinem strafbaren Unternehmen.

Und die, welche die Insassen jenes Caiques an der Livree der Ruderer erkannten, beschränkten sich darauf, ohne boshafte Nebengedanken zu sagen: »Diese kleine Djenane Tewfik-Pascha war stets ein Original!« ...


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