Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

41.

Der September war zu Ende gegangen. – Während des ganzen Sommers war es André und seinen drei Freundinnen nicht möglich gewesen, solche gemeinschaftlichen Spaziergänge wie im vorigen Jahre zu machen. Jetzt hatten sie aber zwei Ausflüge miteinander verabredet, die um jeden Preis ausgeführt werden sollten.

Das Ziel des heutigen Ausflugs, am 3. Oktober, war das kleine Wäldchen dort oben, bei der Ebene von Beicos, derselbe idyllische Punkt, den sie im vorigen Sommer entdeckt hatten.

Und sie waren nun tatsächlich alle vier zur verabredeten Stunde dort beisammen, am Rande des kleinen Teiches voll Wasserpflanzen.

Wie bei ihren vorjährigen Besuchen dieser lauschigen Stelle, die ihnen volle Sicherheit gewährte, setzten sie sich wieder auf die umherliegenden bemoosten Felsblöcke; aber eine eigentliche Unterhaltung wollte nicht zustande kommen. André hatte sogleich bemerkt, daß die Freundinnen nicht in ihrer gewöhnlichen Stimmung waren, sondern nervös oder abgespannt, jede nach ihrer Art: Djenane frostig, Mélek ungestüm.

»Jetzt will man uns alle drei wiederverheiraten,« sagten sie, sich gegenseitig die Sätze aus dem Munde nehmend, »um unser rebellisches Trio aufzulösen. Auch behauptet man, wir hätten ein viel zu unabhängiges Benehmen, und wir müßten Männer haben, die es verständen, uns zu bändigen –!«

»Was mich betrifft,« fuhr Mélek fort, »so ist die Sache im Familienrat am Sonnabend abgemacht worden; man hat zu meinem ›Bändiger‹ einen gewissen Omar Bei bestimmt, Kapitän der Kavallerie, ein sogenannter ›schöner Mann‹, mit hartem Blick. Man hatte sogar die Gnade, ihn mir eines Tages von meinem Fenster aus zu zeigen ... mithin soll das Geschäft baldigst vollzogen werden!«

Und sie stampfte dabei mit dem Fuß, die Augen abwendend, indem sie dürre Baumblätter, die ihr in die Hand gerieten, zornig zerdrückte.

André wußte nicht, was er dazu sagen sollte, er blickte die beiden anderen an und wollte schon Zeyneb, die ihm zunächst saß, fragen: »Und Sie?«, aber er befürchtete, daß sie, statt jeder Antwort, mit dem Blick der Dulderin, auf ihre Brust deuten würde, und deshalb richtete er an Djenane die Frage: »Und Sie?«

»O! Ich?« antwortete sie mit der etwas hochmütigen Gleichgültigkeit, die sie in letzter Zeit angenommen hatte: »Es ist ja die Rede davon, mich wieder an Hamdi zurückzugeben.«

»So? ... Und was werden Sie tun?«

»Mein Gott, ... was soll ich tun? ... Wahrscheinlich werde ich mich fügen. Wenn ich doch einen nehmen muß, ... warum nicht ihn, der schon einmal mein Gatte war? ... Diese Schmach wird mir weniger schwer erscheinen, als mit einem, der mir ganz unbekannt ist.«

André hörte ihr, starr vor Staunen, zu. Der dichte schwarze Schleier hinderte ihn, in ihren Augen zu lesen, was ernst sei und was nicht an dieser plötzlichen Ergebung?! – Ihre ganz unerwartete Zustimmung zur Rückkehr zu Hamdi war ja eigentlich für ihn das Erwünschteste, um einem unentwirrbaren Verhältnis ein Ende zu machen; aber erstlich glaubte er kaum daran, sodann aber machte er sich klar, daß diese Lösung ihm großen Schmerz bereiten würde.

Sie redeten nichts mehr über diesen Gegenstand, und es folgte ein langes Schweigen, während dessen sich jeder seinen Gedanken hingab.

Djenane war die erste, die dieses Schweigen unterbrach, indem sie im ruhigsten Tone sagte:

»Sprechen wir lieber von unserem Buch!«

»Ja richtig: das Buch!« fiel André ein, sich von seinem stillen Sinnen losmachend, »wir haben seit langer Zeit nicht davon gesprochen. – Lassen Sie hören, was ich darin von Ihren Wünschen sagen soll? ... Daß Sie abends in die Gesellschaften gehen wollen, und am Tage schöne Hüte mit Blumen und vielen Federn tragen wie die ›Pérotes‹?«

»Seien Sie nicht so boshaft, André, ... dicht vor unserer Trennung!«

Er hörte ihnen also aufmerksam zu. Ohne sich den geringsten Täuschungen zu überlassen, hinsichtlich des Erfolges seiner Tätigkeit für ihre gute Sache, wollte er die Anhängerinnen der Reformen doch nicht in einem abenteuerlichen, falschen Licht darstellen, und nichts schreiben, was ihren Ideen nicht entspräche. Das Höchste ihrer Ansprüche war, daß man sie zukünftig als denkende, freie, verantwortliche Menschen behandle; daß es ihnen erlaubt sei, gewisse Männer zu empfangen, allenfalls verschleiert, wenn man es verlange, – und mit jenen Männern zu sprechen, namentlich, wenn es sich um einen Bräutigam handle.

»Mit diesen Zugeständnissen,« – bestätigte Djenane, »würden wir uns für befriedigt erachten, wir und alle, die uns nachfolgen werden, wenigstens ein halbes Jahrhundert lang, bis zu einer noch weiter fortgeschrittenen Zeit. Sagen Sie das deutlich, Freund, damit man uns nicht für toll oder für aufrührerisch hält! Uebrigens fordere ich jeden heraus, mir zu beweisen, daß im Buch unseres Propheten irgendeine bestimmte Satzung enthalten ist, die sich unseren Wünschen entgegensetzte!«

Als André bei niedersinkendem Abend von den Freundinnen schied, fühlte er, daß Méleks Hand, die sie ihm reichte, wie Feuer glühte.

»Oho!« sagte er erschrocken zu ihr, »Sie haben ja heftiges Fieber!«

»Ja, seit gestern ein immer zunehmendes Fieber. Um so schlimmer für den Kapitän, Omar Bei! Heute abend aber geht es mir besonders schlecht; ich fühle einen furchtbaren Druck im Kopf ... Hätte ich nicht Sie zu sehen gewünscht, so wäre ich heute nicht aus dem Bett aufgestanden!« Und sie stützte sich beim Gehen auf Djenanes Arm.

In der Ebene angekommen, mußten sie sich trennen. – André sah den sich langsam entfernenden Freundinnen lange Zeit nach, mit dem schmerzlichen Gefühl, daß er diese Gruppe wohl zum letztenmal sähe. – Als sie gänzlich seinen Blicken entschwunden waren, begab er sich nach den Kaffeehütten, die dort unter den Bäumen errichtet waren; er ließ sich ein Nargileh bringen und setzte sich am Fuße einer der Riesenplatanen nieder, um nachzudenken.

Für ihn hatte ein förmlicher Zusammenbruch stattgefunden; Djenanes Entschluß zerstörte seinen ganzen Traum! ... Ohne es selbst zu wissen, hatte er darauf gerechnet, daß dieser Traum auch nach seiner Abreise aus der Türkei noch fortdauern werde. Doch nein! Wieder vereint mit ihrem Hamdi, der schön und jung war, und den sie vermutlich trotz alledem noch immer geliebt hatte, war sie für ihn verloren! Er sagte sich:

»Sie liebte Dich wohl überhaupt nicht; das Ganze war für sie nichts als ein hübsches Abenteuer, mit viel ›Literatur‹ darin – und nun ist's zu Ende! – Ich bin so alt, wie ich bin! Und ich zähle weder bei ihr noch bei einer anderen noch etwas! ... Diese Lehre will ich wenigstens daraus zu ziehen!«


 << zurück weiter >>