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Vierter Teil

18.

Nach der veränderlichen Witterung des Monats Mai, wo der Wind des Schwarzen Meeres hartnäckig darauf besteht, noch viele mit kaltem Regen beladene Wolken herüber zu senden, hatte der Monat Juni plötzlich das tiefe Blau des südlichen Orients über die Türkei ausgebreitet. Und der alljährliche Umzug der Bewohner Konstantinopels nach dem Bosporus war vollzogen worden. Entlang der ganzen Küste hatten die Botschaften von ihren Sommerresidenzen an der europäischen Küste Besitz genommen.

André Lhéry hatte sich genötigt gesehen, dem allgemeinen Zuge zu folgen und sich in Therapia niederzulassen, einer Art weltbürgerlicher Kolonie, verunstaltet durch riesenhafte Hotels, in denen abends Tingeltangelmusik das Ohr belästigt; er lebte aber zumeist gegenüber auf der asiatischen Seite, die köstlich orientalisch geblieben ist, schattig und friedlich. Oft kehrte er auch nach seinem lieben Stambul zurück, von dem er jetzt durch eine Stunde Fahrt auf dem Bosporus getrennt war, der fortwährend von einer großen Anzahl von Schiffen und Barken belebt ist, die auf und nieder fahren.

In der Mitte der Meerenge, zwischen den beiden Ufern, die ohne Unterbrechung von Häusern und Palästen eingefaßt sind, fahren unaufhörlich Paketboote, kolossale moderne Dampfer oder auch schöne Segelschiffe der früheren Zeit, in ganzen Reihen segelnd, sobald sich ein günstiger Wind erhebt. Alles, was die Donauländer, Südrußland, selbst das ferne Persien und Buchara hervorbringen und außer Landes führen, zwängt sich in diese, mit grünem Rasen eingefaßte Wasserstraße, über die der Wind aus den Steppen des Nordens und aus dem Mittelländischen Meer hinstreicht.

Näher dem Ufer spielt sich der Verkehr der kleineren Fahrzeuge aller Art und Form ab: Boote, Caiques, Barken der Fischer, die hier ihre Netze auswerfen, ungeachtet des Gedränges, in dem sie ihr Tagewerk verrichten müssen. Längs des Bosporus, rechts und links, ziehen sich zwanzig Kilometer lang die Häuser hin, aus deren Fenstern man den ganzen Verkehr der Wasserstraße übersehen kann. Sie stammen aus den verschiedensten Zeiten, wie aus ihren Baustilen zu erkennen ist.

Auf der europäischen Seite findet man schon eine Anzahl moderner Bauten von zweifelhaftem Geschmack, die sich zwischen den stimmungsvollen alten türkischen Häusern sehr unvorteilhaft ausnehmen.

Auf der asiatischen Seite, wo nur Türken wohnen, die alle Neuerungen mißachten, findet man noch den ganzen Reiz des Orients, der ganz unberührt geblieben ist. Nach der Gewohnheit aus alter Zeit hat jedes Haus seinen eigenen kleinen Marmorkai, getrennt und fest verschlossen, wo die Frauen des Harems, leicht verschleiert, sich aufzuhalten das Recht haben, um von da aus dem Treiben auf der Wasserstraße zuschauen und sich daran ergötzen zu können.

Wenn man nach Konstantinopel hinabfährt, von Therapia und der Mündung des Schwarzen Meeres her, rollt sich die Szenerie des Bosporus in immer wachsender Großartigkeit ab, bis zur Schlußapotheose in dem Augenblick, da die Marmara sich öffnet und links Scutari erscheint und rechts, über den langen Marmorkais und den Palästen des Sultans sich die hohe Seitenansicht von Stambul mit seiner Unmasse von Kuppeln und Türmen erhebt.

Dies war das wechselvolle und an Ueberraschungen so reiche Bild der Gegend, in der André Lhéry bis zum Herbst wohnen sollte und seine Freundinnen, die drei kleinen schwarzen Schattenbilder, erwarten, die zu ihm gesagt hatten: »Auch wir werden während des Sommers am Bosporus sein!« ..., die aber seit so vielen Tagen kein Lebenszeichen von sich gaben. Wie sollte er jetzt erfahren, was aus ihnen geworden sei, da er doch kein Paßwort besaß für das alte Schloß in den Wäldern Mazedoniens?!


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