Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

22.

Djenane an André.

»Am 17. August 1904.

Also wirklich, André, Sie bestehen darauf, die Fortsetzung meiner Geschichte zu erfahren? – Es ist ja doch nur ein recht armseliges Abenteuer, das ich anfing, Ihnen zu erzählen.

Wie tief schmerzt doch eine Liebe, die stirbt! Und wenn sie wenigstens mit einem einzigen Schlage stürbe! Doch nein, sie kämpft, sie wehrt sich ... und dieser Todeskampf ist das grausamste!

... Also, weil mir aus namenloser Ueberraschung meine kleine Handtasche aus den Händen glitt und zu Boden fiel, wobei ein Parfümflakon zerbrach, wandte infolge des dadurch entstandenen Lärmes Durdane den Kopf nach mir um. Sie war keineswegs verwirrt; ihre meergrünen Augen weit öffnend, lächelte sie mich mit einem wahren Pantherblick an. Ohne ein Wort zu sprechen, sahen wir uns beide in die Augen. Hamdi sah noch nichts; er hatte einen Arm um ihren Hals gelegt, und sein Gesicht sanft zu mir umwendend, sagte sie zu ihm in gleichgültigem Tone: ›Djenane!‹

Ich weiß nicht, was er daraufhin tat, denn ich zog mich zurück, um nichts mehr zu sehen. Instinktmäßig flüchtete ich mich zu seiner Mutter; sie las in ihrem Koran und grollte, in ihrer Andacht unterbrochen zu sein. Infolge meiner Mitteilungen erhob sie sich jedoch entrüstet, um zu den beiden hinaufzugehen. Als sie zurückkam, ich weiß nicht nach wieviel Minuten, sagte sie zu mir in sanftmütiger Ruhe:

›Geh in Deine Wohnung, mein armes Kind; ... die anderen sind nicht mehr dort.‹

Als ich mich in meinem Boudoir allein befand, schloß ich die Türen, warf mich dann auf eine Chaiselongue und weinte, ... bis ich vor Erschöpfung einschlief. – O! aber dann, bei Tagesanbruch, welches Erwachen! ... In seinem Gedächtnis alles wiederzufinden, ... anzufangen, darüber nachzudenken, ... sich zu sagen, daß ein Entschluß gefaßt werden müsse! ... Ich hätte ihn hassen mögen, aber ich empfand in mir nur Schmerz, keinen Haß: Schmerz und verletzte Liebe! ...

Es war noch sehr früh am Morgen, kaum daß der Tag begann. Ich vernahm Schritte, die sich meiner Tür näherten: meine Schwiegermutter trat ein, und ich überzeugte mich sogleich, daß sie geweint hatte. – ›Durdane ist abgereist,‹ – sagte sie, – ›ich habe sie weit weg von hier, zu einer unserer Verwandten geschickt.‹ – Sich alsdann zu mir setzend, fügte sie hinzu, daß solche Dinge sich alle Tage im Leben ereigneten; daß die Launen des Mannes weniger Dauer hätten als die des Windes; ... daß ich mich in mein Schlafzimmer begeben, mich recht schön machen und Hamdi zulächeln solle am Abend, wenn er aus dem Palais heimkäme. Er wäre ganz unglücklich, behauptete sie, – und wolle sich mir nicht nähern, bevor ich mich nicht getröstet haben würde.

Am Nachmittag brachte man mir seidene Blusen, Spitzen, Fächer und Geschmeide.

Abends kam Hamdi zu mir; er war ruhig, nur ein wenig bleich. Auch ich war ruhig und fragte ihn nur, ob er mich noch liebe. Er solle mir die Wahrheit sagen: ja oder nein! Ich hätte ihn freigegeben und wäre zu meiner Großmutter zurückgekehrt.

Er lächelte, nahm mich in seine Arme und sagte:

›Was bist Du für ein Kind! Könnte ich denn jemals aufhören, Dich zu lieben?‹ ... Und er bedeckte mich mit Küssen und berauschte mich durch Liebkosungen.

Ich fragte ihn jedoch noch, wie er denn die andere lieben könnte, wenn er mich immer geliebt hätte.

Und da habe ich gelernt, die Männer zu beurteilen, – die unsrigen wenigstens! Dieser hier hatte nicht einmal den Mut seiner Liebe! ... Er antwortete mir:

›Jene Durdane? Nein, ich liebe sie nicht; es war nur eine Laune wegen ihrer grünen Pupillen und ihres schmiegsamen Körpers, wenn sie abends tanzte.‹ – Schließlich fragte er mich: was mir dies alles ausmachen könne? Ohne meine unvorhergesehene Ankunft würde ich ja nie etwas gewußt haben! ...

O! Welchen Widerwillen empfand ich da vor ihm, von ihr, ... und auch vor mir selbst; ... als ich dies hörte, denn ich wollte verzeihen. – Also ihre Augen und ihr schmiegsamer Körper, das war alles, was Hamdi an der anderen liebte? ... Wohlan! Ich wußte mich hübscher als sie; ich hatte auch grüne Pupillen, von einem dunkleren, selteneren Meergrün als das ihrige, und wenn es ihm also genügte, daß man hübsch und liebreizend war, ... so wollte ich jetzt beides sein! ...

Und der Kampf um die Wiedereroberung begann; währte nicht lange. Die Erinnerung an Durdane lastete bald nicht mehr schwer auf Hamdi. Aber nie in meinem Leben hatte ich jammervollere Tage gekannt als damals! Ich fühlte alles Hohe und Reine in mir erbleichen und entblättern, wie die Rosen verwelken in der Nähe des Feuers. Ich hatte schon keinen anderen Gedanken mehr als den: ihm zu gefallen, ihm die Liebe der anderen durch eine größere Liebe in Vergessenheit zu bringen!

Aber welches Entsetzen ergriff mich, als ich bald darauf gewahrte, daß mit meiner immerfort wachsenden Selbstverachtung auch allmählich in mir der Haß gegen den entstand, für den ich mich so erniedrigte, denn ich war für ihn nichts weiter geworden als eine Puppe zu seinem Vergnügen!

Mein Boudoir wagte ich gar nicht mehr zu betreten, aus Furcht vor den stummen Vorwürfen meiner Bücher und Schriften, in denen Gedanken herrschten, die von meinen jetzigen so sehr verschieden waren.

Die Djenane der Gegenwart konnte sich nicht enthalten, die Djenane der Vergangenheit zu beweinen, die versucht hatte, eine Seele zu haben. Und wie soll ich Ihnen die Folter beschreiben, als ich endlich deutlich fühlte, daß in mir die Liebe erloschen war. Er aber liebte mich jetzt mit einer Glut, die für mich zum Entsetzen wurde. Was sollte ich tun, mich seinen Armen zu entziehen, um meine Schmach nicht zu verlängern? Ich sah keinen anderen Ausweg als den Tod, ... und ich hatte dazu schon alle Vorbereitungen getroffen ... zu einem schnellen, sanften Tod. Das Mittel befand sich, schnell erreichbar, auf meinem Toilettentisch in einem silbernen Flakon.

Soweit war es mit mir gekommen, als ich eines Morgens in den Salon meiner Schwiegermutter Emire Hanum trat und dort zwei Besucherinnen antraf, die im Begriff waren, ihre Tcharchafs umzunehmen, um sich zu entfernen: Durdane und die Verwandte, die sie bei sich aufgenommen hatte. Durdane lachte wie immer, diesmal aber mit einer triumphierenden Miene, während die beiden alten Damen etwas verlegen waren. Ich hingegen fühlte mich ganz ruhig. Ich bemerkte aber, daß Durdanes Robe in der Hüfte nicht fest anschloß, und daß ihre Bewegungen schwerfällig geworden waren. – Sie befestigte gemächlich ihren Tcharchaf und ihren Schleier, grüßte uns und ging.

›Was hatte sie hier zu schaffen?‹ fragte ich meine Schwiegermutter leichthin, als wir allein waren. Emire Hanum zog mich neben sich auf einen Sitz, reichte mir ihre beiden Hände, zögerte aber noch mit der Antwort, und ich sah Tränen auf ihren runzligen Wangen. Und dann kam's heraus: Durdane werde bald ein Kind gebären, und dann müsse mein Gatte sie heiraten! eine Frau ihrer Familie könne nicht Mutter sein, ohne verheiratet zu sein; überdies habe ein Kind Hamdis von Rechts wegen seinen Platz in diesem Hause. Sie sagte mir alles weinend und hatte mich dabei in ihre Arme geschlossen. – Ich hatte sehr ruhig zugehört: das war ja die Befreiung, dir mir winkte, in demselben Augenblick, da ich mich schon verloren glaubte! Ich erwiderte deshalb sogleich, daß ich das alles sehr wohl einsähe, daß Hamdi frei sei, und ich bereit wäre, mich so bald wie möglich scheiden zu lassen, ohne deshalb irgendwem böse zu sein!

›Scheiden lassen?‹ rief sie unter einem Tränenstrom. ›Du willst Dich scheiden lassen? Aber mein Sohn betet Dich ja an, ... und wir lieben Dich alle! Du bist die Freude meiner Augen!‹ ...

Arme Frau! Wenn ich dieses Haus verlasse, wird sie die einzige sein, von der ich mich mit Bedauern trenne. – Um mich von meiner Absicht zurückzubringen, begann sie, mir als Beispiel die Frauen ihrer Zeit anzuführen, die glücklich zu sein verstanden in ähnlicher Lage wie die meinige. Sie selbst, Emire Hanum, hatte sie nicht die Liebe ihres Paschas mit anderen Frauen teilen müssen? Als ihre Schönheit zu verblühen begann, hatte sie nicht eine, zwei, drei junge Frauen sich im Harem folgen sehen? Sie nannte sie ›ihre Schwestern‹; nie hatte eine von ihnen die ihr schuldige Achtung aus den Augen gesetzt, und der Pascha kam nur zu ihr, wenn er eine vertrauliche Mitteilung zu machen, einen Rat zu erbitten hatte, oder wenn er sich krank fühlte.

Hatte sie unter alledem zu leiden gehabt? Kaum; denn sie wußte sich nur eines einzigen Kummers während ihres ganzen Lebens zu entsinnen: das war, als die kleine Sahida starb, die letzte ihrer ›Rivalinnen‹, die ihr vertrauensvoll ihr Bébé hinterließ. Der jüngste Bruder Hamdis, der kleine Ferid, war nicht ihr eigener Sohn, sondern das Söhnchen der armen Sahida. – ›Dies, André, erfuhr ich erst in jener Stunde.‹ – Durdane sollte schon am folgenden Tage ihren Einzug in den Harem halten. – Was kümmerte mich im Grunde diese Frau? Aber sie sollte mir zum Vorwand dienen, den ich sofort zu verwerten gedachte; ich machte deshalb, ohne Zeitverlust, meine ›halbe Unterwerfung‹. Vor dieser weinenden Mutter kniend, erbat ich nur die Erlaubnis – und erhielt sie ohne weiteres – mich für zwei Monate zu meiner Großmutter nach Khassim-Pascha in das Zimmer zurückziehen zu dürfen, das ich als junges Mädchen bewohnt hatte. – ›Ich bedürfte dessen, um mich zu fassen, sagte ich, und würde hernach wieder zurückkommen.‹

Ich war schon abgereist, bevor Hamdi von Iildis nach Hause kam.

Das war die Zeit, André, zu der Sie in Konstantinopel ankamen. –

Nach Ablauf jener zwei Monate wollte mich mein Gatte natürlich zurückhaben; ich ließ ihm sagen, daß er mich lebendig nicht erhalten werde! Das kleine silberne Flakon verließ mich nicht mehr. Es entstand ein heftiger Kampf bis zu dem Tage, wo Seine Majestät der Sultan die Gnade hatte, ein Irade zu unterzeichnen, das mich freimachte!

Darf ich Ihnen gestehen, daß ich noch in der ersten Zeit nachher manche Pein erduldet habe? Wider Erwarten verfolgte mich das Bild jenes Mannes, der mich so oft geküßt, und den ich vielleicht ebenso geliebt wie gehaßt habe, noch wochenlang.

Heute jedoch ist alles beruhigt! Ich habe ihm verziehen, daß er aus mir fast eine Buhlerin machte; er flößt mir jetzt weder einen Wunsch noch Haß ein; das ist zu Ende!

Ich habe meine Würde zurückerobert und meine Seele wiedergefunden.

Antworten Sie mir nun, André, ich bitte Sie, damit ich weiß, ob Sie mich verstehen, ... oder ob Sie, wie so viele andere, mich für eine arme kleine Irrsinnige, auf der Suche nach dem Unmöglichen, halten?

Djenane.«


 << zurück weiter >>