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Gerard verließ das Zimmer durch eine Seitentür und befand sich in einem kleinen Raum, der zur Aufbewahrung überflüssiger Gerätschaften diente. Es war kein Licht da; er brannte sich daher die Laterne an, und als er beim Schein derselben die Kleidung eines Dieners auf einem Stuhl liegen sah, zog er die seinige aus und legte diese an. Dann horchte er.
Bald vernahm er Stimmen. Der Major war gekommen. Er hatte ihn von diesem Stübchen aus bereits einige Male belauscht und kannte seine Stimme.
»O Dios, wie schön sind Sie heute, Señorita!« hörte er ihn sagen. – »Sie schmeicheln«, antwortete Emilia, »ich muß im Gegenteil ein recht müdes und angegriffenes Aussehen haben.« – »Inwiefern, meine Gnädige?« – »Ich leide bereits den ganzen Tag an den allerheftigsten Kopfschmerzen.« – »Ah, Migräne!« – »Ja. Ich würde gar nicht zu sprechen sein, wenn ich Ihnen die Erlaubnis, mich zu besuchen, nicht so bestimmt gegeben hätte.« – »Welch ein Unglück! Sie werden mich fortschicken?« – »Nicht sogleich. Ich will sehen, wie lange meine Nerven gutwillig sind. Nehmen Sie Platz!«
Gerard war mit dieser Einleitung sehr zufrieden. Er schob das Laternchen zu und steckte es in die Tasche. Dann verließ er das Stäbchen, trat auf einen erleuchteten Korridor und forschte, ob sich jemand da befinde. Als er niemanden bemerkte, huschte er denselben hinab, zog einen Schlüssel hervor, den er erhalten hatte, steckte ihn in das Schloß einer Tür und öffnete dieselbe. Der Schlüssel war der Hauptschlüssel, er öffnete alle Türen. Rasch trat Gerard ein, und er befand sich nun in den Räumen, die der Major bewohnte und die er kannte, da er bereits heimlich hier gewesen war.
Emilia hatte das ganze Haus gemietet und dem Major diese Wohnung abgetreten.
Gerard zog die Laterne wieder hervor und öffnete sie, nachdem er die Tür von innen verschlossen hatte. Er befand sich in einer Art von Vorzimmer, in dem er sich nicht aufhielt.
Neben demselben lag das Arbeitszimmer des Majors, wenn in Mexiko bei einem französischen Major von Arbeit überhaupt die Rede sein konnte. Es hatte zwei Fenster, deren Läden geschlossen waren, so daß kein Lichtschein hindurchdrang. Gerard brauchte also keine Sorge zu haben, von draußen entdeckt zu werden.
Es standen drei Tische da, auf denen Karten, Pläne, Bücher und Notizen lagen. Mit diesen Dingen begann der Präriejäger sich eingehend zu beschäftigen.
Er durchsuchte alles, er mußte Wichtiges gefunden haben, denn er zog Papier aus einem Schubfach und fing an, sich schriftliche Notizen zu machen und von verschiedenen Skripturen Abschriften zu nehmen.
Dies ging alles in fliegender Eile, denn die Zeit von einer Stunde schien ihm kurz bemessen zu sein für das wichtige Material, das er vorfand. Sie war beinahe verflossen, als er endlich fertig war.
Nun brachte er alles ganz genau in dieselbe Lage, wie er es vorgefunden hatte, und steckte seine Notizen und Abschriften zu sich. Die leeren Bogen, die er dazu verwandt hatte, würde der Major ja wohl schwerlich vermissen, da deren eine ganze Menge vorhanden war.
Nun löschte er die Laterne aus und steckte sie ein, denn er brauchte sie nicht mehr, begab sich im Dunkeln zur Vorzimmertür zurück und öffnete sie leise. Ein Diener kam den Korridor herabgeschritten. Den ließ er erst vorüber, trat dann hinaus, verschloß eilig und huschte nach der Tür des Kämmerchens, von dem seine Rekognoszierung ausgegangen war.
Er kam dort pünktlich an und wechselte die Kleidung. Er pflegte ja, wenn er sich hier befand und nach der Wohnung des Majors ging, stets andere Kleidung anzulegen, um im Fall, daß er gesehen würde, für einen Bediensteten gehalten zu werden.
Erfreut, daß sein Streich gelungen war, trat er endlich an die andere Tür und horchte. Der Major schien aufbrechen zu wollen, denn er hörte ihn sagen:
»Ich bin wirklich ganz unglücklich, nicht länger verweilen zu dürfen.« – »Und ich fühle mich ebenso unglücklich, Sie wegen meines Leidens verabschieden zu müssen«, antwortete Emilia. – »Sie haben mir heute nicht die mindeste Gunst erwiesen, Señorita.« – »Sie wissen, daß Patienten nicht liebenswürdig zu sein pflegen.« – »Ich gebe das zu; eine Bitte aber werden Sie mir doch erfüllen. Sie ist nicht groß, sondern sehr bescheiden.« – »Keine Einleitung. Ich bin zu nervös, um viel sprechen oder viel anhören zu können. Ich bedarf dringend der Stille und Ruhe.« – »Einen Kuß, ein einziges, kleines Küßchen, Señorita.« – »Ich muß verzichten!« – »O bitte, bitte!« – »Es geht nicht. Ich muß es Ihnen versagen. Gute Nacht.« – »Sie sind wirklich grausam. Wann darf ich wiederkommen?« – »In vier Wochen.« – »In vier Wochen?« fragte er erstaunt. »Warum erst nach so langer Zeit?« – »Weil ich hoffe, mich dann erholt zu haben.« – »Ah, sie läßt ihn an der Angelschnur zappeln!« dachte der Lauscher. – »Eher nicht?« fragte der Major. – »Die Migräne ist ein hartnäckiges Übel.« – »Nun, so bestimmen wir lieber gar keine Zeit. Ich komme, sobald Sie genesen sind.« – »Ich stimme gern bei.« – »Sie werden die Güte haben, es mich wissen zu lassen, Señorita?« – »Gewiß.« – »Ich danke! Dann komme ich auf den Flügeln der Liebe herbeigeeilt, um Ihnen zu Ihrer Genesung freudigst zu gratulieren. Gute Nacht, Emilia.«
Der Major ging. Diese Unterredung hatte Gerard sehr viel Spaß gegeben. Er zögerte einzutreten, da der Major ja unter irgendeinem Vorwand oder aus irgendeiner Ursache zurückkehren konnte. Da aber öffnete Emilia selbst die Tür und fragte in das dunkle Zimmer hinein: »Bist du da?« – »Ja.« – »Ah, du hast gelauscht?« – »Natürlich. War es etwa unrecht von mir, boshafte Emilia?« – »Wahrhaftig, dieser Mensch hat gehorcht!« lachte sie. »Denkst du, du bist im Urwald, wo es gilt, verdächtige Leute zu beschleichen?« – »Pah, das war keine Urwaldszene! Aber, mit Respekt gesagt, dieser Major scheint mir ein großer Esel zu sein. Es war dir die Malice ja anzuhören.« – »Die Liebe macht blind und taub, mein Guter.« – »Hat er dir heute etwas erzählt?« – »Nein!« – »O weh! Gerade da ich hier bin, um vieles zu erfahren!« – »Ich sah mich ja zur Einsilbigkeit gezwungen und durfte nicht so viel sprechen, wie nötig gewesen wäre, ihn auszuhorchen. Übrigens dachte ich, daß du selbst finden würdest, was du brauchst« – »Zum Glück ist es gelungen.« – »Ah, du hast etwas entdeckt?« – »Ja, sehr viel.«
Emilia setzte sich neben ihn auf den Diwan und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Zunächst mußt du wissen, daß die Kompanie bereits nach Fort Guadeloupe abgegangen ist«, sagte er. – »Davon weiß ich kein Wort. Wann?« – »Heute beim Morgengrauen.« – »So ist das tiefste Geheimnis dabei bewahrt worden. Aber ich denke, daß der Kapitän gesagt hat, der Major soll nichts davon erfahren?« – »Er kennt auch wirklich den Ort nicht, wohin die Leute marschieren sollen.« – »Woraus schließt du das?« – »Ich habe nur eine kurze Bemerkung darüber vorgefunden. Sie lautet: Zweite Kompanie heute früh vor Tag abmarschiert auf Rekognoszierung.« – »Das ist bedenklich. Das ist sogar schlimm!« – »Warum?« – »Die Leute haben nun einen Vorsprung von einem vollen Tag vor dir.« – »Das ficht mich wenig an. Ich werde sie sicher einholen. Sie können die Pferde nicht so wechseln wie ich, und sie können ebensowenig so galoppieren wie ich. Eine Kompanie braucht Platz, sie kann nicht jede beliebige Richtung und jeden beliebigen Weg wählen, ich aber reite geradeaus durch dick und dünn.« – »Wer hätte dies früher in dem schwerfälligen Schmied gesucht!« – »Hm! Man muß etwas lernen, und das Schicksal nimmt den Menschen in die Schule!« – »Aber dennoch kann die Kompanie nur zur Rekognoszierung ausgeritten sein.« – »Inwiefern?« – »Du hättest ihnen begegnen müssen.« – »Dies ist nicht der Fall. Ich hörte von dem Kapitän, daß sie am linken Ufer des Rio Conchas hinabreiten würde; ich bin daher am rechten Ufer heraufgekommen, um nicht von diesen Leuten bemerkt zu werden. Diese Angelegenheit befindet sich ganz in Ordnung.« – »Was hast du noch erfahren?« – »Daß der Kommandant bereits von den dreißig Millionen weiß, die der Präsident der Union unserem Juarez zugesagt hat.« – »Das bringt uns fürs erste doch in keine naheliegende Gefahr!« – »O doch, denn er weiß, daß ein Teil dieses Geldes unterwegs ist. Morgen gehen zwei Kompanien nach der Grenze des Llano estacado ab, um diesen Transport aufzufangen.« – »O weh! Werden sie ihn bekommen?« – »Nein. Ich werde dafür sorgen, daß wir sie bekommen.« – »Wenn ihr sie findet!« – »Keine Sorge! Ich kenne die Marschroute; ich habe sogar Einsicht in ihre Karten und Pläne genommen. Es würde auch gelingen, wenn ich es nicht erfahren hätte.« – »Diese Franzosen vergessen, daß Juarez sich noch lange nicht am Ende seiner Macht befindet, halb Mexiko wartet nur auf seinen Ruf, um aufzustehen.« – »Und das soll in kurzer Zeit geschehen, darauf kannst du dich verlassen. Aber nun bin ich hier fertig, ich muß aufbrechen.« – »Schon?« fragte Emilia erschrocken. Und ihn an sich pressend, fügte sie hinzu. »Warte nur noch eine Stunde. Ich bekomme dich ja so selten zu sehen.« – »Unmöglich, die Pflicht ruft, und du sagst ja selbst, daß der Feind einen Vorsprung von einer Tagereise hat. Ich darf keine Minute versäumen.« – »Gut, ich sehe es ein. Wenn wir die Feinde baldigst vertreiben, wird auch die Zeit kommen, in der ich dich öfter sehe. Aber wenigstens so lange kannst du noch warten, bis ich dir einen Vorrat von Proviant eingepackt habe.« – »Ich danke dir; ich brauche nichts. Ich muß so leicht wie möglich sein und bekomme auf jeder Hazienda, was ich brauche. Ich kann nicht warten.«
Gerard erhob sich und stand auf. Sie standen einander gegenüber, eins so hoch und stolz wie das andere, er ein Bild männlicher Kraft und sie ein Beispiel weiblicher Schönheit.
»O Gerard, warum haben wir uns nicht in Paris geliebt?« klagte sie. – »Es wäre unser Unglück gewesen«, antwortete er, »wir wären elend geworden. Aber meine Zeit ist da. Lebe wohl, Emilia!« – »Lebe wohl!«
Sie umschlang ihn und drückte ihn an sich. Ihre Lippen legten sich so fest auf seinen Mund, als ob sie nicht wieder von ihm lassen könnte. Dann bat sie:
»Denke an mich, Gerard!« – »Gewiß, Emilia.« – »Sehr oft?« – »Sehr!« – »Und schone dich! Ich würde vor Gram sterben, wenn ich erführe, daß du deinen schweren Aufgaben erlegen bist. Wann kommst du wieder?« – »Das weiß ich nicht, denke aber, so bald wie möglich. Also gute Nacht!«
Er verließ das Zimmer auf demselben Weg, den er gekommen war, um sich von der alten Gärtnerin, die ihn zu empfangen pflegte, gegen die Mönchskutte sein Gewehr wieder einzutauschen. Er ahnte nicht, daß er einer schweren Gefahr geradezu in die Hände lief.