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14. Kapitel.

Unterdessen saßen die beiden Schwestern allein im Frauenzelt und erzählten sich ihre Unterredungen mit den Offizieren.

»Also du glaubst, daß sie uns jetzt fürchten und in Ruhe lassen werden?« fragte Zilli. – »Ich glaube, daß sie uns fürchten, aber ich glaube nicht, daß sie uns aufgeben.« – »Was sollen sie denn sonst tun?« – »Sie werden versuchen, uns unsere Waffen abzunehmen.« – »Das soll ihnen nicht gelingen und würde ihnen auch gar nichts helfen, wir sind ja bereits morgen in Fort Guadeloupe.« – »Daher werden sie sich Mühe geben, uns noch heute zu entwaffnen.« – »Ich werde mich wehren.« – »Ich auch.« – »Doktor Willmann wird mir beistehen. Er ist ein Caballero, der nicht dulden wird, daß man mich beleidigt.« – »So ist Señor Berthold auch.« – »Gehen wir jetzt zu ihnen? Sollen wir ihnen nicht lieber sagen, wer und was wir sind?« – »Nein, sie mögen uns immer Pepi und Zilli nennen und denken, daß wir ganz arme und gewöhnliche Mexikanerinnen sind.« – »Aber wenn sie die Wahrheit erfahren, werden sie uns vielleicht lieben!« – »Ich will geliebt sein um meiner selbst willen, nicht aber meines Standes wegen. Komm, laß uns gehen; aber vorsichtig, damit wir nicht bemerkt werden!«

Sie traten aus dem Zelt heraus und huschten über den von Schatten und Reflexen überzuckten Grasboden hin. Pepi erreichte das Zelt Bertholds, bog sich nieder, öffnete die verhängte Tür ein wenig und fragte leise:

»Schlaft Ihr bereits, Señor?« – »Nein«, antwortete es von innen. – »Darf ich eintreten?« – »Ja, ich bitte!«

Bei diesen Worten wurde von innen der Eingang so geöffnet, daß Pepi eintreten konnte. Es war vollständig finster; daher blieb sie stehen. Bald aber flackerte ein Zündholz auf, wurde ein Wachsstock angebrannt und nun war alles zu erkennen.

Das Zelt bestand aus einem einzigen Stück starken, wasserdicht gemachten Kirgisenfilzes, und selbst der Eingang legte sich so fest vor, daß, wenn im Innern Licht gebrannt wurde, kein Strahl desselben nach außen dringen konnte. Der Boden war mit einem dicken Teppich belegt, auf dem zwei gestickte Rollen lagen, die als Sitz oder Kopfkissen dienen konnten.

Der Inhaber des Zeltes war jung, schön und höchstens achtundzwanzig Jahre. Seine Kleidung, sein ganzes Äußere, seine goldene Brille, nichts von alledem wollte in die Savanne oder in die Teufelsberge hineinpassen, wo er sich befand.

»Setzt Euch, Señorita«, sagte er mit klangvoller Stimme, indem er auf die zweite Rolle deutete. »Ich versprach, Euer Kommen zu erwarten. Ihr bliebt aber sehr lange aus.« – »Ich mußte mit dem Oberleutnant speisen«, entschuldigte Pepi sich.

Bei diesen Worten zogen sich seine Brauen zusammen, und er entgegnete:

»Wieder bei ihm! Señorita, ich habe recht herzliches Mitleid mit Euch!«

Sie schwieg, als ob sie von einer schweren Schuld bedrückt werde, und er sah, daß sie sich alle Mühe geben mußte, aufsteigende Tränen zurückzudrängen.

»Ich sah in Mexiko, der Hauptstadt, ein Mädchen, dem Ihr außerordentlich ähnlich seid«, fuhr er fort. »Es war in der Kathedrale. Ich kniete dort und betete; da intonierte die Orgel leise; der Chor der Sänger hauchte leise Akkorde auf die Beter herab, und da plötzlich erklang eine herrliche, entzückende Altstimme laut und voll durch den weiten Raum, so rein und entzückend, daß sich aller Augen emporrichteten. Ich sah nur den Kopf der Sängerin. Es war ein wunderbar schöner Kopf, er mußte einem Mädchen in Eurem Alter gehören. Ich sah nur ihn, und ich hörte nur die Altstimme, die das Benedictus qui venit in einer Klangfarbe sang, wie ich sie so entzückend noch nie gehört hatte. Ich erkundigte mich nach der Sängerin, und seit jenem Tage sind mir der herrliche Kopf und dieses Benedictus nie wieder aus dem Sinn gekommen.«

Während Berthold sprach, leuchtete sein Auge in heller Begeisterung, jetzt aber senkte er betrübt den Blick zur Erde. Er bemerkte nicht, daß auf ihrem Gesicht die Farbe wechselte, daß ihr Busen wogte. Doch sie beherrschte sich und fragte mit gedämpfter Stimme, wie um den Klang derselben nicht zu verraten:

»Ihr habt Euch also nach ihr erkundigt? Habt Ihr erfahren, wer sie war?« – »Ja. Sie war eine reiche Grafentochter.« – »Ah, und Ihr liebtet sie?« – »Hoffnungslos. Ich habe sie ja nicht wiedergesehen und erfuhr außerdem, daß sie Braut sei, Braut zugleich mit ihrer Schwester, und Mexiko verlassen habe.« – »Oh, warum bliebt Ihr nicht! Vielleicht hat sie auch Euch bemerkt.« – »Es war mir allerdings, als ob Ihr Auge auf mir ruhte. Aber selbst wenn dies keine Täuschung gewesen wäre, was hätte es mir genützt? Ich kämpfte mit mir, ich glaubte, dieser Liebe Herr geworden zu sein. Da erblickte ich Euch in Chihuahua, Señorita, als Ihr mit Eurer Schwester Euch unserem Zug anschloß, und da erwachte diese Liebe mächtiger wieder, als sie vorher gewesen war.«

Ihr Blick leuchtete für einen Augenblick wonnig auf, doch drückte sie die Hand auf das Herz, wie um dasselbe zu beruhigen, und fragte:

»So sehe ich ihr also wirklich ein wenig ähnlich?« – »Sehr, Señorita. Wenn ich Euch so vor mir sitzen sehe, so ist es mir, als ob ich vor Euch niederfallen müsse, um Euch anzubeten, oder als ob ich Euch an mein Herz drücken solle, als das Schönste, Reinste und Herrlichste, was es auf Erden gibt; aber dann ... muß ich mich fragen, was Ihr seid!« – »Ein armes, verlassenes Mädchen«, hauchte sie. – »Oh, wollte Gott im Himmel, daß Ihr arm und verlassen wäret, aber Ihr seid auch noch mehr. Oh, mein Gott, das ist traurig.«

Berthold beschattete sein Auge mit der Hand und lehnte den Kopf an die Zeltwand. Pepi sah das. Sein Weheruf drang ihr in die tiefste Seele. Sie glitt von der Rolle herab, so daß sie auf dem Boden kniete, erfaßte seine Hand, zog sie zu sich herab und bat mit bebender Stimme:

»Señor, um Gottes Barmherzigkeit willen, seht mich an! Ich schwöre Euch bei allen Heiligen, bei Gott und meiner Seligkeit, daß ich nichts bin als nur arm und verlassen. Ihr irrt Euch. Ich bin ganz so rein, ganz so schuldlos, wie die Sängerin des Benedictus. Glaubt es mir! Glaubt es mir!« – »Und geht mit französischen Soldaten in die Welt hinaus?«

Im Ton seiner Stimme lag ein förmlich niederschmetternder Vorwurf. Sie bebte zusammen. Sie ergriff auch seine andere Hand und legte sie auf ihr stürmisch klopfendes Herz. Sie wollte sprechen; sie wollte bitten und flehen, aber sie konnte nicht, denn in diesem Augenblick wurde die Tür gewaltig aufgestoßen, und der Kapitän stand vor den beiden, überflog die Szene mit einem in diesem Moment unbeschreiblichen Blick und sagte:

»Ah, Entschuldigung! Ich wollte wirklich nicht stören. Aber Señor, habt Ihr vielleicht einen Augenblick Zeit?« – »Gewiß«, antwortete Berthold schnell gefaßt. – »So habt die Güte, Euch einmal in mein Zelt zu bemühen. Es ist etwas geschehen, weswegen man sehr schnell Eurer bedarf.« – »Was ist es?« – »Es ist nichts für Damenohren. Übrigens wird es für die Señorita geraten sein, sich nach ihrem Zelt zu verfügen.«

Pepi war beim Anblick des Kapitäns ganz erschrocken vom Teppich emporgefahren und stand jetzt da, wie mit Blut übergossen. Der Doktor reichte ihr die Hand und sagte in ungewöhnlich sanftem Ton:

»Ja, es ist wahr, wir haben uns sehr verspätet. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Señorita!«

Damit folgte er dem Kapitän, während Pepi nach ihrem Zelt eilte.

»Was ist geschehen?« fragte Berthold unterwegs den Hauptmann. – »Ihr werdet es gleich sehen. Kommt nur mit«, antwortete dieser.

Bei seinem Zelt angekommen, öffnete er dieses und schob den Deutschen hinein.

»Hier ist er; fest, Jungens.«

Diesen Befehl des Kapitäns hörte Berthold noch, dann fühlte er sich von mehreren Händen gepackt, gleich darauf preßten zwei Fäuste ihm die Kehle zusammen, so daß er keinen Laut von sich geben konnte; dann wurde er gebunden, geknebelt und zu Boden geworfen, wo er vollständig hilflos liegenblieb.

Zilli, die jüngere Schwester, war unterdessen in das Zelt Willmanns getreten, das ganz denselben Stoff und Bau wie dasjenige seines Freundes hatte. Willmann stand wohl in dem gleichen Alter wie dieser, doch war er nicht schwarz, sondern blond. Sein blaues Auge schien einen harten, scharfen Glanz zu haben; wer ihn aber genau kannte, der wußte, daß er ein zartes, weiches Gemüt und ein tieffühlendes Herz besaß.

»Guten Abend, Señor!« grüßte sie leise und verlegen.

Er saß auf einer Rolle, wie sein Freund, hatte einen Wachsstock brennen und las in einem Buch. Er blickte von demselben auf und antwortete:

»Guten Abend, Señorita. Was wollt Ihr?«

Das klang so scharf, so abweisend. Sie erbleichte und antwortete:

»Ich meinte, Ihr hättet mir gestern für heute den Zutritt erlaubt, Señor.«

Da besann er sich und sagte schnell:

»Ach ja! Setzt Euch.«

Zilli nahm nun auf der zweiten Rolle ihm gegenüber Platz, während er wieder in das Buch sah und weiterlas, ohne die geringste Notiz von ihr zu nehmen. Sie saß so demütig, so ergeben vor ihm; er bemerkte es nicht. Ihr Auge wurde feucht. So vergingen fünf Minuten und abermals fünf; da war es ihm, als wenn er einen eigentümlichen Laut höre, gerade so, als wenn man ein schweres Schluchzen mit aller Gewalt niederkämpft. Er blickte auf und auf Zilli hin. Sie saß leichenblaß vor ihm, so schön, so wunderschön, als ob ein Bildhauer eine Statue geschaffen und mit der malerischen mexikanischen Tracht verhüllt habe. Aber diese Statue hatte Leben. Der Busen hob und senkte sich in schneller Bewegung, die Mundwinkel zuckten krampfhaft, und über die marmornen Wangen tropfte eine schwere Träne nach der anderen.

»Warum weint Ihr?« fragte er kurz. – »Ich bin so traurig«, antwortete sie in leise, verzagtem Ton, indem sie einen langen, unbeschreiblichen Blick in sein scheinbar kaltes Angesicht warf und schwieg. Da sprach auch er nicht und begann wiederum weiter und weiter zu lesen. Aber immer öfter kehrte sein Auge zu ihr zurück, die es nicht wagte, zu ihm aufzublicken. Endlich drang ein warmer, weicher Laut an ihr Ohr:

»Zilli!«

Sie blickte schnell und fragend zu ihm empor.

»Gerade solche weinenden Augen habe ich bereits einmal gesehen.« – »Wo, Señor?« fragte sie bebend. – »In Mexiko. Ich wurde zu einer Schwerkranken gerufen, bei der ich fast stets eine junge Dame traf, die die Alte aus Mitgefühl besuchte. Ich habe ihr Gesicht nur einmal flüchtig gesehen, denn so oft ich eintrat und sie zugegen war, verschleierte sie sich augenblicklich. Dies Gesicht war schön, so schön und rein, aber ich sah mehr die Augen als dieses Gesicht, denn sie standen voller Tränen. Diese Dame besaß ein reiches, tiefes Gemüt; sie war ein Engel, den ich nicht vergessen habe und zu dem ich auch noch jetzt bete. Und ihre Augen waren ganz genau diejenigen, die ich jetzt bei Euch hier sehe.« – »Ihr liebtet sie, Señor?«

Willmann zögerte zu antworten, entgegnete dann aber mit einem tiefen Seufzer:

»Leider, ja! Auch wir Männer sind ja schwach. Sie war ein reiches Grafenkind und noch dazu Braut, ebenso wie ihre Schwester. Ich wollte meinem Leiden entfliehen und verließ Mexiko, habe es aber ich Chihuahua doppelt wiedergefunden, denn Ihr seid ganz das Ebenbild jenes herrlichen Wesens, ganz so jung, so schön und scheinbar ebenso reich und tief an ... scheinbar, oh, warum nur scheinbar?«

Er wandte sich ab. Sein Gesicht hatte plötzlich einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Es war, als ob er alle Kraft zusammennehmen müsse, um ein schweres Leid hinabzukämpfen; ja, als ob er gar mit Tränen ringe.

Da sprang sie von ihrem Sitz empor, ergriff mit einer jähen Bewegung seine Hände, zog sie an sich und sagte mit flehender Stimme:

»Señor, nicht weinen, nicht weinen! Ich kann Euch nicht traurig sehen! Ihr zweifelt an mir, doch Ihr irrt, denn ich versichere Euch, daß ...«

Sie hielt erschrocken inne, denn die Tür war geöffnet worden, und der Hauptmann stand vor ihnen, überflog die Gruppe mit einem grimmigen Blick, beherrschte sich aber doch und sagte in einem möglichst freundlichen Ton:

»Verzeihung, Señor, Doktor Berthold läßt Euch schleunigst bitten!« – »Wozu? Wo ist er?« – »In meinem Zelt.« – »Was wünscht er von mir?« – »Er hat einen meiner Leute in Behandlung. Der Mann ist ganz plötzlich krank geworden und leidet die fürchterlichsten Schmerzen. Ich glaube, er ist von einer Klapperschlange gebissen worden.« – »Klapperschlange? Hier in dieser Gegend und so kurz nach einem solchen Regenwetter? Das ist sehr unwahrscheinlich. Wenn es hier wirklich Klapperschlangen gibt, so haben sie sich jedenfalls vor der Feuchtigkeit verkrochen. Aber wenn der Mann gebissen worden ist, so muß man ihm so viel Spirituosen zu trinken geben, daß er besinnungslos wird. Ich werde sogleich kommen.« – »Ich soll Euch mitbringen.« – »Gut, ich gehe ja schon.« Und sich zu dem Mädchen wendend, fügte Willmann hinzu: »Verzeihung, Señorita! Ihr seht, daß ich in Anspruch genommen werde. Vielleicht sprechen wir dieser Tage weiter über das Thema, das jetzt unterbrochen wird. Gute Nacht!« – »Ja, gute Nacht«, meinte auch der Hauptmann zu Zilli. »Für junge Damen ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen Zurückgezogenheit außerordentlich rätlich.«

Die Señorita tat, als ob sie die in diesen Worten liegende Beleidigung gar nicht herausgefühlt habe, und ging, ohne ein Wort zu erwidern. Den Deutschen aber verdroß die Taktlosigkeit des Kapitäns, obgleich er es für unter seiner Würde hielt, ein Wort darüber zu verlieren. Er folgte dem Kapitän lautlos bis an dessen Zelt, wo der Hauptmann den Eingang öffnete und sagte:

»Tretet ein, Señor!«

Der Arzt folgte der Aufforderung, fühlte sich aber sofort von mehreren Fäusten gepackt und niedergerissen. Er wollte um Hilfe rufen, kaum aber öffnete er den Mund, so wurde ihm ein zusammengeballtes Tuch in denselben geschoben. Dann band man ihn so, daß er sich nicht regen konnte.

Hierauf wurde ein Licht angebrannt, bei dessen Schein er sah, daß sein Kollege, gerade so gefesselt wie er, neben ihm lag. Vor ihnen standen der Kapitän mit dem Oberleutnant und einige Soldaten, die bei dem hinterlistigen Überfall mit tätig gewesen waren, soeben im Begriff, sich vor das Zelt zurückzuziehen.

Der Kapitän verschränkte die Arme über die Brust, warf einen höhnisch befriedigten Blick auf seine beiden Opfer und sagte:

»So, es ist gelungen! Euch werden wir schon unschädlich machen, für uns unschädlich und für die Mädchen.«

Und der Oberleutnant legte ihm die Hand auf den Arm und sprach:

»Herr Kapitän, überlegen wir uns, wie dies am sichersten und schnellsten geschehen kann. Ich habe eine Idee. Untersuchen wir die Habseligkeiten dieser beiden Herren. Sie sind Deutsche. Man weiß, daß die Herren Österreicher jetzt gegen uns Franzosen konspirieren. Dieser Erzherzog Max, den wir erst zum Kaiser gemacht haben, scheint dies vergessen zu wollen. Man muß vorsichtig sein und alle Maßregeln ergreifen, um sich gegen geheime Gefahren zu sichern.« – »Wie meinen Sie dies? Was hat dies mit dem gegenwärtigen Fall zu tun?« – »Sehr viel. Wenn wir unter den Effekten dieser Leute nun etwas fänden, was uns Veranlassung gäbe ... hm!«

Da nickte der Kapitän zustimmend mit dem Kopf und erwiderte:

»Sie haben recht, Oberleutnant. Ich gebe diese Angelegenheit in Ihre Hände; aber beeilen Sie sich gefälligst; wir haben keine Zeit zu verlieren, da wir bereits morgen nach Fort Guadeloupe kommen werden. Untersuchen Sie die beiden Zelte genau; ich werde einstweilen hierbleiben, um unsere geehrten Gefangenen zu beaufsichtigen. Gehen Sie!«

Der Oberleutnant ging, und der Hauptmann blieb bei den Gefangenen. Da er nicht sprach und die zwei ihrer Knebel wegen nicht reden konnten, so herrschte im Zelt eine tiefe Stille, bis nach einer halben Stunde der Premierleutnant mit befriedigter Miene zurückkehrte.

»Nun, haben Sie gefunden?« fragte ihn der Kapitän. – »Oh, genug«, antwortete der Gefragte triumphierend. »Zwei Briefe. Bei jedem einen. Diese Herren hatten allerdings eine Unzahl von Korrespondenz bei sich; ich habe jedoch nur diejenigen beiden Schreiben fortgenommen, deren Inhalt hinreichend ist, sie um den Kopf zu bringen.« – »So geben Sie schnell her!« rief der Kapitän erfreut, zog dem Oberleutnant das eine Schreiben aus der Hand, öffnete es, trat damit zum Licht und las:

 

»Mein lieber Doktor!

Schicken Sie mir das Opiat; es wird hoffentlich den gewünschten Erfolg haben. – Übrigens haben Sie hinsichtlich unserer letzten Unterredung vollständig recht. Bazaine spielt falsche Karten. Man muß ihm auf die Finger klopfen.

Baron d' Huart.«

 

Der Kapitän sah die Zeilen nochmals durch, schüttelte leise den Kopf und fragte:

»Nun, Oberleutnant, inwiefern meinen Sie, daß dieses Schreiben kompromittierend sei?« – »Ah, das ahnen Sie nicht? Kennen Sie denn diesen Baron d'Huart nicht? Er ist Hauptmann und Ordonnanzoffizier Seiner Königlichen Hoheit des Grafen von Flandern.« – »Was geht das uns an? Was hat Flandern mit Mexiko zu tun?« – »Oh, sehr viel, Herr Kapitän!« erwiderte der Oberleutnant im Ton der Überlegenheit. – »So erklären Sie dies.« – »Nun, Graf von Flandern ist der jedesmalige Nachfolger des Kronprinzen von Belgien. Es ist jetzt eine außerordentliche belgische Gesandtschaft bei dem Kaiser Max. Kaiserin Charlotte, die frühere Erzherzogin, ist ja eine belgische Prinzessin. Nun wird Ihnen ja wohl alles klar sein.« – »Allerdings«, nickte der Kapitän. »Dieser Hauptmann Baron d'Huart ist also in nächster Nähe des Kaiserpaares in Mexiko?« – »Das versteht sich.« – »Er sagt, daß der Marschall falsche Karten spiele.« – »Wie Sie gelesen haben!« – »Und daß man ihm auf die Finger klopfen müsse.« – »Was jedenfalls so viel heißt, daß man Bazaine unschädlich machen solle.« – »Natürlich!« – »Und dabei spricht der Baron von einem Opiat!« – »Donnerwetter, Leutnant, jetzt erst wird mir klar, was Sie meinen!« rief der Kapitän, sich die Hände reibend. »Ja, das ist wahr! Bei wem fanden Sie den Brief?« – »Bei Doktor Berthold.« – »Er soll also ein Opiat liefern, um den Marschall Bazaine zu vergiften.« – »Jedenfalls!« – »Ja, das ist doch so deutlich, daß es gar keines weiteren Beweises und auch keines Verhöres bedarf. Meinen Sie nicht auch, Herr Oberleutnant!« – »Ich bin ganz dieser Ansicht.« – »Nun gut, so geben Sie mir den anderen Brief!«

Der Leutnant reichte dem Kapitän das Schreiben. Es war auf sehr abgegriffenes Papier geschrieben und in spanischer Sprache abgefaßt Dabei war die Schrift so eigentümlich, daß der Offizier sich alle Mühe geben mußte, sie zu entziffern. Die Zeilen lauteten in deutscher Übersetzung:

 

»Ich benachrichtige Sie, daß ich mit den Österreichern Frieden geschlossen habe, aber jeden Franzosen niederschießen werde.

Juan Franzisko,
Herrscher der freien Kuato-Komantschen.«

 

»Das klingt allerdings gefährlich«, sagte der Kapitän. »Dieser Juan Franzisko ist unser grimmigster Feind.« – »Sein Brief zeigt«, entgegnete der Oberleutnant, »daß wir von ihm und den Deutschen verraten werden.« – »Bei wem fanden Sie die Zeilen?« – »Bei Doktor Willmann.« – »Ohne allen Zweifel.« – »Ein todwürdiges Verbrechen!« – »Und zwei so gefährliche Menschen haben wir in unserer Mitte. Man muß sie sofort unschädlich machen.« – »Hm! Ja! Doch wie?« fragte der Kapitän im Tone des Bedenkens, obgleich er seinem Untergebenen vollständig beistimmte. – »Wir füsilieren sie.« – »Das sind wir allerdings unserer eigenen Sicherheit und dem Marschall schuldig. Aber sie sollen, obgleich sie den augenblicklichen Tod verdient haben, ein rechtmäßiges Urteil empfangen. Gehen Sie, Oberleutnant, und rufen Sie die Chargierten zusammen. Wir werden augenblicklich ein Kriegsgericht konstituieren.«

Der Leutnant ging und holte in aller Stille die Leute herbei. Der Kapitän hielt an dieselben eine kurze Ansprache, verlas die Briefe und erklärte, daß solche Verbrechen mit dem sofortigen Tode zu bestrafen seien.

»Wir befinden uns auf dem Marsch in Feindesland«, sagte er. »Formalitäten sind überflüssig, ja, vielleicht gefährlich. Im Kriege handelt man schneller als in Zeiten des Friedens. Ich fordere unbedingt sofortige Vollziehung des Urteils, das die Herren aussprechen wollen. Wie lautet es?«

Die Untergebenen errieten den Wunsch ihres Vorgesetzten und stimmten alle für den Tod der beiden Deutschen, zu vollziehen durch das Gewehr.

Nur ein Unteroffizier wagte zu fragen, ob es nicht geraten sei, die Angeklagten vorher reden zu lassen.

»Pah, was sollen sie reden!« erwiderte der Kapitän. »Ihre Schuld ist erwiesen. Nehmen wir ihnen die Knebel fort, so heulen sie uns die Ohren voll. Das können wir vermeiden. Schlagt zwei Pfähle in die Erde und bindet sie daran, so, wie sie jetzt sind, und ruft die Kompanie zusammen. Wir verkünden das Urteil, und sechs Mann sind genug, es zu vollziehen, für jeden drei.« – »Dann müssen wir die Feuer heller machen«, meinte der Oberleutnant. – »Besorgen Sie das«, stimmte der Kapitän zu.

In kürzester Zeit flammten die Feuer auf. Am Rand des Waldes wurden zwei Stämme abgeschnitten und zwischen den Lagerfeuern in die Erde geschlagen. Dann befestigte man die Gefangenen daran, und nun ertönte das laute Kommando: »In Reih und Glied mit den Offizieren vor der Front!«

Hierdurch war natürlich ein Lärm erregt worden, der die beiden Schwestern in ihrem Zelt aufmerksam machte. Sie traten aus demselben hervor.

»Was ist das?« fragte Pepi erstaunt. – »Die ganze Kompanie versammelt, mitten in der Nacht?« fügte Zilli hinzu. – »Und dort – oh, Zilli, siehst du?« – »Wo?« – »Zwischen den beiden Feuern!« – »Heiliger Gott, Doktor Willmann an einen Pfahl gebunden!« – »Und Doktor Berthold neben ihm! Was ist das?«

Die beiden Mädchen waren im ersten Augenblick mehr erstaunt als erschrocken. Da erhob der Hauptmann seine Stimme, um Achtung zu rufen.

»Sie sind gefangen!« sagte Pepi. – »Man hat sie von uns fortgelockt!« meinte Zilli. – »Oh, man will sie töten, töten aus Eifersucht unsertwegen! Ich leide es nicht, nein, ich leide es nicht! Komm, Zilli!«

Die beiden Mädchen eilten auf die Reihe Soldaten zu. Sie hörten, was der Kapitän mit lauter Stimme sprach; sie erfuhren, daß die beiden geliebten Männer wegen Einvernehmens mit dem Feind und wegen Mordanschlags gegen den Marschall sofort erschossen werden sollten. Sie waren heißblütige, mutige Mexikanerinnen. Sie flogen mit webenden Gewändern um den Flügelmann herum und auf die Offiziere zu.

»Das ist falsch! Sie sind unschuldig! Sie sind keine Verräter!« rief Pepi. – »Zurück mit euch!« gebot der Kapitän. »Hier ist kein Platz für euch.« – »So gehen wir dahin, wo unser Platz ist!« entgegnete das mutige Mädchen. »Eure Kugeln sollen erst uns durchbohren, ehe sie die Unschuldigen treffen.«

Damit schritt Pepi auf die Gefangenen zu und stellte sich vor Berthold hin, während ihre Schwester Willmann mit ihrem Leib deckte.

»Unsinn!« rief der Kapitän. »Korporal Gradon, nehmen Sie drei Mann und schaffen Sie die Mädchen fort!«

Der Korporal wollte gehorchen, doch als er in die Nähe der kühnen Mexikanerinnen kam, zogen diese ihre Dolche, und Pepi drohte:

»Halt, bleibt stehen! Wer uns anrührt, muß sterben. Diese Klingen sind mit Kurare vergiftet!«

Da machte der Korporal mit seinen drei Mann halt und blickte den Hauptmann an, um dessen neuen Befehl zu erwarten.

Dieser befand sich in augenscheinlicher Verlegenheit. Er wollte Zilli nicht gewaltsam behandeln, aber auch keinen seiner Leute verlieren. Endlich riß ihn der Oberleutnant aus der schwierigen Lage, indem er sagte:

»Das sind ganz verteufelte Mädchen. Man darf ihnen nicht zu nahe kommen, und doch will man ihnen nicht wehetun. Soll ich sie unschädlich machen, Kapitän?« – »Ja. Aber wie?« – »Hm, wissen Sie nicht, daß ich mich in letzter Zeit geübt habe, Lasso zu werfen?« – »Ah, gut, schön, das ist prächtig! Haben Sie einen Lasso?« – »Ja, im Zelt.« – »Holen Sie ihn sogleich.«

Das tat nun der Leutnant nicht; er gab vielmehr seinem Diener einen Wink, der das Verlangte sogleich brachte. Der Leutnant nahm darauf den Riemen, wickelte ihn kunstgerecht auf und schritt dann auf die Pfähle zu.

Es war ein eigentümlicher Augenblick. Zwei Mädchen hielten eine ganze Kompanie Soldaten in Schach. Sie wußten, welche Furcht man vor dem Kurare hatte. Ungefähr zwölf Schritt von ihnen entfernt blieb der Leutnant stehen und gebot:

»Geht fort, sonst werfe ich!« – »Versuchen Sie es!« antwortete Pepi trotzig.

Der Leutnant machte Miene, zum Wurf auszuholen, wurde aber durch eine fremde Stimme davon abgehalten, die in kräftigem Baß Halt gebot. Er drehte sich langsam um, und mit ihm sah die Kompanie einen Mann vom Rand des Gebüsches her auf die Stelle zuschreiten, wo die Offiziere standen.


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