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Draußen wartete Pirnero, um Juarez ein anderes Zimmer anzuweisen.
Als die beiden jetzt voreinanderstanden, sagte der Präsident zu dem alten Wirt:
»Pirnero, habt Ihr Familie?« – »Eine Tochter.« – »Keine Frau?« – »Nein.« – »Keinen Sohn?« – »Nein.« – »Wie alt seid Ihr?« – »Hm! Das weiß ich nicht genau; das steht in alten Kalendern, und die habe ich nicht mehr. Etwas über vierzig oder fünfzig oder sechzig; aber nicht viel!« – »Was soll denn einmal aus Eurem Geschäft werden, wenn Ihr sterbt?« – »Das bekommt Resedilla.« – »Und die versorgt es allein?«
Das war Wasser auf die Mühle des Alten. Er antwortete rasch:
»Das ist ja eben mein Leiden!« – »Was?« – »Die Geschichte mit dem Schwiegersohn.« – »Ah, gibt es denn da bereits eine Geschichte?« – »Leider nicht! Aber ich wollte, es gäbe eine. Aber das Mädchen will einmal nicht!« – »Nicht heiraten?« – »Erraten!« nickte Pirnero. – »So zwingt man sie.« – »Die zwingen? Sicher nicht! Was die einmal will, das setzt sie durch. Sie ist da ganz und gar wie ihr Vater, und das kommt von der Vererbung auf die Tochter, Señor, nämlich vom Vater aus, wohlverstanden!«
Der Präsident sah Pirnero pfiffig lachend an und entgegnete:
»Keine Faxen, Alter! Eure Tochter ist jedenfalls gescheiter als Ihr. Sagt einmal, habt Ihr nicht bemerkt, ob sie eine kleine Bekanntschaft hat?« – »Gar keine. Es müßte denn in neuer Zeit sein; aber der Bekannte paßt mir denn doch nicht, denn er spuckt zu viel. Der Geierschnabel spuckt ja wie ein Wollteufel!« – »Geierschnabel? Der berühmte Führer? Woher kennt Ihr den?« – »Er ist ja da!« – »Da? Hier bei Euch? Jetzt?« – »Ja. Heute ist er da. Er hat sogar mit gekämpft.« – »Den muß ich mir einmal ansehen. Er soll ein ganz närrischer Kauz sein.« – »Das ist er auch. Er spuckt nur Fenster und Bilder an. Zu sehen werdet Ihr ihn sehr bald bekommen, Señor, denn er will zu Euch.« – »Wer sagt das?« – »Er selbst.« – »So!« – »Wer weiß, was er hat.« – Also ihn liebt Eure Tochter?« – »Hm! Ich kann es eben nicht sagen. Mir gefällt er jedenfalls nicht. Aber ob ihr seine Spuckerei zusagt? Es ist alles möglich, denn die Frauen haben oft unbegreifliche Marotten. Ich werde ihr einmal auf den Zahn fühlen.« – »Das laßt fein bleiben! Also Ihr wäret nicht abgeneigt, einen Schwiegersohn zu haben?« – »Einen Schwiegersohn! Herrgott, Señor, das wäre mir ja ein Gaudium. Ein Schwiegersohn ist ja gerade meine Passion. In Pirna darf sich eine achtbare Familie ohne Schwiegersohn gar nicht sehen lassen!« – »Wo ist das?« – »Pirna? Das liegt in Sachsen, wo die vier Kreisdirektionen sind.« – »Dort scheint es vernünftige Menschen zu geben, besonders was die Schwiegersöhne betrifft. Aber ich will ein ernstes Wort mit Euch reden!« – »Immer redet ernsthaft, Señor; ich werde nicht lachen. Ein guter Diplomat weiß Scherz und Ernst voneinander zu unterscheiden.« – »Nun gut. Also, wenn Ihr einen Schwiegersohn hättet, so wäre das ein ganz anderes Ding. Ich könnte da ... hm! Ja!« – »Was könntet Ihr, Señor? Bitte sagt es immer heraus! Als guter Politikus bin ich immer verschwiegen.« – »Nein, sagen kann ich es erst, wenn Ihr einen Schwiegersohn habt!« – »Alle Teufel! Wenn ich ihn doch nur schon hätte!« – »So schafft Euch schnell einen an!«
Es lag klar auf der Hand, daß der Präsident nur scherzte. Pirnero aber war ganz Feuer und Flamme geworden. Er antwortete:
»Wenn man nur vorher erfahren könnte, was Ihr mit dem Schwiegersohn anfangen wollt, den ich meiner Tochter zum Mann gebe.«
Juarez machte ein geheimnisvolles Gesicht und erwiderte in wichtigem Ton:
»Nun, Ihr wißt, daß ich die Franzosen schlage ...« – »Gewiß.« – »Dann muß auch dieser Schattenkaiser fort; er kann sich nicht halten.« – »Ganz sicher.« – »Dann herrsche ich über das ganze Land. In diesem Fall liegt mir nur viel daran, einen guten Diplomaten hier in dieser Gegend zu haben, der einen Schwiegersohn besitzt, auf den ... hm, nein, ich darf mich doch nicht verraten! Ich kann nur so viel sagen, daß ich es sehr gut mit Euch meine!« – »Aber wo zum Teufel auch sofort einen Schwiegersohn hernehmen? Fatal! Höchst fatal! Muß es denn gleich sein, Señor?« – »Viel Zeit hat es allerdings nicht, das könnt Ihr Euch denken.« – »Aber – hm! Könntet Ihr mir nicht einen oder zwei vorschlagen?« – »Das ist eine schwierige Sache.« – »Nun, ich habe ja doch die Wahl!« – »Also der Geierschnabel spuckt zu viel?« – »Fürchterlich! Nicht zum Aushalten! Den mag ich nicht!« – »Nun, wer verkehrt denn noch hier?« – »Hm! Da wäre der Schwarze Gerard!« – »Spuckt der auch?« – »Ganz und gar nicht.« – »Hat er sonst einen Fehler?« – »Nein. Er ist ein tüchtiger Kerl.« – »Nun?« – »Ich habe ihn schlecht behandelt. Er wohnte hier bei mir, ohne daß ich wußte, wer er war. Da habe ich ihn dumm und liederlich geheißen, ihn blamiert und darüber gezankt, daß er nur einen Julep trinkt. Trotzdem hat er mich bewacht und den französischen Kapitän fortgeschafft, der als Spion zu uns gekommen war.« – »Das beweist eben, daß Ihr kein großer Politikus seid.« – »Oh, in der Politik und als Diplomat bin ich groß; da stelle ich meinen Mann; aber die verfluchten Heiratsgeschichten machen einem zu schaffen, obgleich man in Pirna geboren ist Ich will doch lieber zehn Republiken und zwanzig Kaisertümer verwalten, als ein einziges Mädchen verheiraten. Ein Kaisertum oder eine Republik nimmt einem jeder ab, eine Tochter aber wird zum Ladenhüter, ehe man es sich versieht, und dann ist es nichts mit dem Schwiegersohn. Weshalb ist man von Pirna nach Mexiko gezogen, als um auch einmal Großvater zu werden.«
Juarez, der sonst so wortkarge, ernste Mann, liebte doch zuweilen einen kleinen Scherz. Diese Unterredung gab ihm Spaß. Er fragte daher:
»Also denkt Ihr nicht, daß der Schwarze Gerard Euch den Gefallen tun wird?« – »Der sicherlich nicht. Mit dem habe ich es leider verdorben. Oh, Señor, wenn Ihr doch ein gutes Wort für mich einlegen wolltet.« – »Hm! Das ist eine heikle Sache. Was gebt Ihr Eurer Tochter mit?« – »Sie bekommt alles, alles!« – »Glaubt Ihr denn, daß er sie leiden kann?« – »Erst dachte ich es, sie standen einmal im Flur, und er hatte ihre Hand in der seinigen. Es sah so aus, als ob sie miteinander geredet hätten.« – »Das ist doch kein sicheres Merkzeichen!« – »Ja. Aber dennoch fuhr ich in die Höhe und spektakelte sie an. Seit dieser Zeit ist es aus. Sie können einander nicht mehr ersehen. Sie gucken einander gar nicht mehr an. Heute hat er uns aber doch alle gerettet, obgleich er selbst den Tod schon auf den Lippen hatte. Ich habe ihm darum mein bestes Zimmer gegeben. Aber denkt Ihr, daß das Mädchen ein einziges Mal nach ihm gesehen hat?« – »Das ist allerdings sehr schlimm, doch will ich versuchen, ob vielleicht etwas zu machen ist.« – »Ja, Señor, tut mir den Gefallen!« bat Pirnero. »Ich bin sehr gern zu jedem Gegendienst bereit. Solltet Ihr einmal einen guten, zuverlässigen Diplomaten brauchen, so schickt zu mir. Ich werde Euch die schwierigsten Sachen auseinanderfitzen.« – »Gut! Aber sagt einmal, alter Pirnero, warum habt Ihr Euch denn von diesen Franzosen so überrumpeln lassen? Habt Ihr denn gar nicht an Gegenwehr gedacht?« – »Gegenwehr? Natürlich! Erst wollte ich in die Gewehrniederlage gehen, wo ich die Büchsen liegen habe, die zum Verkauf da sind. Aber dann überlegte ich mir, daß es wegen der paar Mann doch schade ist, ein neues Gewehr anzuschießen. Darauf wollte ich in meine Schlafkammer, wo ich meinen Stutzen hängen habe; aber an dem einen Lauf fehlt der Hahn, und am anderen Hahn der Lauf. Ich dachte nun, ein Speisemesser zu holen, die meinigen sind aber vorn rund, und da muß man ewig quetschen und drücken, ehe man sie jemanden in den Leib bringt. Eine Lanze habe ich zwar auch, spitz und scharf wie Gift, aber die wird als Wäschestange benützt, und ehe ich alle Hemden und Strümpfe heruntergebracht hätte, wären die Franzosen längst ausgekniffen gewesen, denn Angst hatten sie alle; das sah man ihnen an.« – »Ja, Ihr seid ein Mordskerl!« lachte Juarez. – »Aber den Grund habe ich noch nicht gesagt, Señor Juarez!« – »So sagt ihn mir also jetzt.« – »Nun, ich überlegte mir in der Geschwindigkeit diplomatisch, daß Hilfe kommen werde. Darum brauchte ich mich mit diesen Kerlen auch nicht herumzuärgern, und ich habe das anderen überlassen. Einem guten Diplomaten fällt es aber nicht ein, sich auf dem Schlachtfeld töten zu lassen. Er macht den Krieg, and das andere Volk führt ihn. Das ist diplomatisches Herkommen.«
Juarez war plötzlich ernst geworden.
»Ihr habt recht, Pirnero. Der ›Neffe des Onkels‹ in Paris hat uns den Krieg gemacht! Er ist der Diplomat. Und unser Volk muß sich infolgedessen hinschlachten lassen. Ich hatte Mexiko den Frieden gegeben und hätte ihm denselben erhalten. Man gehorchte mir, weil man mich liebte, achtete und fürchtete. Da kamen diese Landfriedensbrecher mit ihrer Macht. Jedes Volk hat das Recht sich selbst zu regieren. Dieses stand auf meiner Fahne geschrieben, und ich habe mit dieser Fahne fliehen müssen bis nach Paso del Norte, dem äußersten Winkel des Landes. Ein anderer hätte abgedankt. Ich nicht denn mein Recht ist stark genug, es mit dem französischen Usurpator aufzunehmen. Ich lasse daher meine Fahne wehen und werde wiederkommen, schneller, als ich gegangen bin, um sie in Mexiko, der Hauptstadt, aufzupflanzen, zum Zeichen, das jede Nation sich ihre Geschichte selbst machen darf und daß hier auf dem westlichen Kontinent es noch offene Augen gibt, die durch französisches Flitterwerk nicht geblendet werden können.«
Warum sprach der berühmte, charakterfeste Mann solche Worte zu dem einfachen Mann, der doch nur ein Ignorant genannt werden mußte?
Nun einfach, weil wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, auch an einem nicht dazu geeigneten Ort. Juarez hatte die Last des Unglücks getragen, des unverschuldeten Unglücks. Er muß, will man unparteiisch sein, der bedeutendste Mann genannt werden, den bisher die rote Rasse hervorgebracht hat. Er hatte es treu und gut mit seinem Volk gemeint. War es ein Wunder, daß während seines unverschuldeten Exils sich Gedanken in ihm angesammelt hatten, die nun das Bestreben zeigten, nach außen hin zu explodieren?
Er reichte dem Wirt die Hand und sagte mit einer scherzhaften Wendung:
»Ihr seht, Señor Pirnero, daß nicht alle Diplomaten glücklich sind. Laßt Euch aber davon nicht abhalten, ein guter Politikus zu sein, denn wenn man es wirklich ehrlich meint trägt man doch stets noch den Sieg davon.« – »Ja, wir werden siegen!« rief der Wirt. »Ihr in Mexiko und ich mit meiner Heiratsgeschichte! Wir werden siegen, denn Ihr nehmt Euch meiner und ich nehme mich Eurer an; darauf könnt Ihr Euch verlassen!« – »Gut so! Nun geht. Sendet mir Essen und Trinken, und wenn meine Beamten nach mir fragen, so sagt ihnen, in welchem Zimmer ich bin.«