Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Kapitel.

In einem der Zelte, die in der Mitte des Platzes errichtet worden waren, saßen die bereits erwähnten fünf Mexikanerinnen. Vielleicht gehörten sie nicht zu den Verlorenen. Die Mexikanerin ist Südländerin und als solche feurig. Das Blut pulsiert glühend durch ihre Adern und läßt dem Verstand nicht Zeit zu einer kühlen Abschätzung dessen, was der Sitte entsprechend ist oder nicht.

Dazu kommt noch, daß die Gewohnheiten des Landes keine so strengen sind wie bei uns.

Die Damen liebten die Uniformen und die Träger derselben; sie waren ihnen gefolgt, um ihnen die Reise und das öde Lagerleben zu würzen, darin lag nach ihren Begriffen keine Sünde; darum saßen sie jetzt in ihrem Zelt und erzählten sich ganz unbefangen, indem sie auf den Ruf zum Abendmahl warteten, die Erfolge, die sie bisher errungen hatten.

Das Zelt stand offen, und so drang der Schein des Feuers herein, der das Dunkel in ein rötliches Zwielicht verwandelte.

Drei von ihnen saßen so, daß sie von dem Feuer hell beleuchtet wurden. Es war ja ihre Absicht, von draußen gesehen zu werden. Zwei aber hatten sich in den tiefsten Hintergrund zurückgezogen. Dicht aneinandergeschmiegt, flüsterten sie leise. Es waren Pepi und Zilli, die beiden Schwestern, von denen der Kapitän mit dem Premierleutnant gesprochen hatte.

»Also du liebst den Kapitän nicht?« fragte Pepi. – »Ich hasse ihn«, klang es leise, aber in sehr bestimmten Ton zurück. – »Warum?« – »Er ist ein Tyrann. Und du? Liebst du diesen Oberleutnant?« – »Pah, ich verachte ihn!« – »Warum?« – »Er blickt mich nur durch das Monokel an, etwa so, wie man durch das Mikroskop ein gefangenes Insekt beobachtet Er ist ein Ignorant.« – »Und diesen beiden sollen wir unsere Liebe schenken?« – »Ich nicht.« – »Ich auch nicht. Aber sagst du auch die Wahrheit, Zilli?« – »Ich schwöre es dir zu. Diesem Kapitän ist es zwar gelungen, einige Male den Arm um meine Taille zu legen, aber den Mund habe ich ihn nicht berühren lassen. Und du, Pepi? Wie steht es mit deinem Leutnant?« – »Pah! Ich habe ihm erlaubt, die Hand zu küssen, weiter nichts. Gestern war er aber so kühn, mich an sich zu drücken, da gab ich ihm einen Stoß vor die Nase, daß ihm das Monokel zerbrach. Heute hat er ein anderes. Er muß sehr viele dieser Augenklemmer bei sich haben.« – »Hast du die Blicke gesehen, mit denen wir heute beobachtet wurden?« – »Ja.« – »Wie hast du sie gefunden?« – »Sehr zur Vorsicht mahnend.« – »Ich ebenso. Mir ist, als ob mir ein Unheil drohe.« – »Ich habe dasselbe Gefühl. Ich glaube, diese beiden Offiziere haben etwas vor, was uns Unglück bringen kann. Wer wird uns da schützen?« – »Die beiden Deutschen.« – »Glaubst du?« – »Sicher.« – »Oh, sie lieben uns doch nicht!« – »Aber sie sind edel und mutig. Sie werden nicht dulden, daß man uns kränkt.« – »Ich habe diese Zuversicht nicht. Oder ist Doktor Willmann gestern liebenswürdiger gegen dich gewesen?« – »Nein.« – »Aber er hat dir wenigstens erlaubt, wiederzukommen?« – »Ja. Und Doktor Berthold?« – »Auch er ist sich gleich geblieben. Ich habe ihn so unendlich lieb und mußte weinen. Das rührte ihn, so daß er mir sagte, ich dürfte heute abend wieder mit ihm sprechen.« – »Hat er dich noch nicht geküßt?« – »Nein. Und der deinige?« – »Auch nicht. Ach Pepi, was sind wir doch für unglückliche Geschöpfe!« – »Wir lieben so heiß, so innig. Wir würden alles tun, was man von uns verlangt, und doch werden wir mit solcher Kälte zurückgestoßen!« – »Vielleicht sind die Deutschen alle so kalt.« – »Ja, vielleicht. Denke dir nur, was ich gemacht habe, um die Kälte dieses Doktor Berthold zu schmelzen. Dir darf ich es ja sagen, denn wir verstehen uns. Ich habe seine Hand ergriffen. Und diese Hand habe ich dann gedrückt, sehr fest, so daß er hätte Gewalt anwenden müssen, um sie zu befreien, aber ich habe den Doktor nicht besiegt.« – »Nicht?« fragte Zilli ganz verwundert. – »Nein. Er zog die Hand wieder zurück, so ruhig, als ob ihn eine Puppe berührt hätte.« – »Du Arme! Da du aber so aufrichtig bist, will ich es auch sein, denn ich habe mich desselben Manövers bedient wie du.« – »Und welchen Erfolg hattest du?« – »Gar keinen. Er zog die Hand sofort wieder zurück.« – »Gott! Das ist ja geradezu eine Beleidigung!« – »Allerdings«, seufzte das traurige Mädchen. »Einem anderen hätte ich sogleich den Dolch ins Herz gestoßen. Aber ich ...!« – »Ihn könntest du nicht töten?« – »Oh, ich liebe ihn ja so sehr!«

Das Mädchen gab sich Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken. Es fühlte, daß auch die Schwester weinte, denn die Tränen derselben fielen ihr auf die Hand.

»Vielleicht sind wir gar nicht so hübsch, wie wir denken«, flüsterte Pepi. – »Ja, vielleicht sind wir häßlich«, entgegnete Zilli, »wenigstens ich.« – »Du? O nein, du bist sehr hübsch. Du weißt ja, daß alle mit dir tanzen wollten, wenn wir zur Tertullia oder Fantasia gingen.« – »O nein, du hast viel, viel mehr getanzt, denn du bist unendlich hübscher als ich. Wäre ich ein Mann, so müßtest du meine Frau werden, und ich würde glücklich sein, eine so schöne, reizende Frau zu besitzen.« – »Das sagst du nur aus Liebe zu mir, denn der Mann, der dich bekommt, müßte geradezu ein Idiot sein, wenn er sich nicht glücklich fühlen wollte.«

Die Mexikanerinnen hätten sich vielleicht in dieser Weise noch länger zu trösten versucht, wenn nicht ein Soldat erschienen wäre, um Zilli zum Hauptmann zu bitten.

Sie erhob sich wortlos, versuchte ihre Tränen zu trocknen und begab sich dann nach dem Zelt des Hauptmanns. Pepi blieb zurück; aber bald hörte sie einen zweiten Soldaten sagen:

»Der Herr Premierleutnant ersucht Señorita Pepi, mit ihm zu speisen!«

Sie mußte diesem in Form einer Bitte gegebenen Befehl, geradeso wie ihre Schwester, Gehorsam leisten. Sie nahm daher eine möglichst unbefangene Miene an und begab sich nach dem Zelt des Premiers, der sich, wie der Hauptmann, allein in demselben befand.

»An, da sind Sie, meine liebe Kleine!« sagte er, indem er sie durch das Monokel betrachtete. »Nehmen Sie Platz!«

Es gab zwei Feldstühle hier, aber sie lagen in der Ecke. Das Essen stand am Boden auf einer Decke, und daneben war ein Teppich ausgebreitet, auf welchem sich der Premier lang ausgestreckt hatte. Es war sehr leicht zu ersehen, daß er es so eingerichtet hatte, daß Pepi sich gerade neben ihn placieren mußte. Dennoch sagte sie:

»Ich danke, Señor, ich würde Sie belästigen. Erlauben Sie, daß ich einen der Feldstühle nehme?«

Ehe er es verhindern konnte, hatte sie den Stuhl ergriffen, schlug ihn auseinander und setzte ihn so, daß das Essen zwischen sie und den Offizier zu liegen kam.

»Wissen Sie, daß Sie ein kleiner Teufel sind?« fragte er. – »Und Sie kein großer Engel«, antwortete sie. – »Engel oder Teufel; wir wollen zunächst essen, denn ich habe Hunger.«

Mit diesen Worten machte sich der Premier über die Speisen her. Es befand sich kein Licht im Zelt, sondern dasselbe wurde durch den Schein des Lagerfeuers erleuchtet, allerdings so spärlich, daß man die verschiedenen Speisen kaum zu unterscheiden vermochte.

Das Mahl war einfach und verlief wortlos. Pepi langte wenig zu. Der Gastgeber war ihr unsympathisch, und so mochte sie auch von seinen Speisen nichts wissen. Der Premier hingegen ließ es sich sehr gut munden, bis nichts mehr vorhanden war, dann schob er schleunigst das Geschirr zur Seite, so daß er Platz fand, an das schöne Mädchen heranzurücken.

»So, mein Schatz«, meinte er. »Jetzt hat der Leib das seinige, und nun können wir für die Bedürfnisse des Herzens sorgen.«

Er wollte sich ihr nähern, sie aber stieß ihn ziemlich energisch zurück.

»Ich danke, Señor«, sagte sie. »Für die Bedürfnisse meines Herzens ist bereits gesorgt.« – »Ah!« meinte er fast perplex, »wie meinen Sie das?« – »Daß ich diese Bedürfnisse am besten kennen muß.« – »Ah, vielleicht weiß ich, wo Sie diese Bedürfnisse empfinden würden.« – »Das ist mir gleichgültig. Ich mag es nicht hören.« – »Ich werde es Ihnen dennoch sagen. Wenn dieser Deutsche, Doktor Berthold, hier an meiner Stelle läge, würden Sie dann auch so spröde sein?« – »Sie haben kein Recht, mich so zu fragen.« – »O doch, Señorita. Sie vergessen Ihre Stellung zu mir ganz und gar.« – »Ich glaube nicht. Es müßte dies wenigstens erst bewiesen werden.« – »Ich werde es Ihnen beweisen, doch nur unter einer Bedingung.« – »Eine Bedingung? Welche?« – »Geben Sie mir Ihr schönes Händchen, daß ich es küsse!« – »Hier!«

Bei diesem sehr gleichgültig gesprochenen Wort gab sie ihm die Hand, die er feurig an seine Lippen drückte. Der gute Leutnant war wirklich ganz und gar in die reizende mexikanische Libelle verliebt.

»Nun?« fragte sie, ungeduldig mit den kleinen Füßchen stampfend. – »Wir ließen bekanntmachen, daß wir zu unserer persönlichen Bedienung einige junge Damen suchten, welche Mut genug hätten, uns zu begleiten.« – »Ist das Ihr ganzer Beweis?« – »Nein. Sie meldeten sich mit Ihrer Schwester und wurden engagiert.« – »Von wem?« – »Vom Kapitän.« – »Ich bin weder zur Bedienung des Hauptmanns, noch zu der Ihrigen engagiert worden. Wir haben gefragt, ob die beiden Doktoren auch der Bedienung bedürften, dies wurde bejaht. Für sie haben wir uns gemeldet.« – »Da liegt ein Irrtum vor. Um die Angelegenheiten dieser deutschen Zivilisten kümmern wir uns nicht so weit, daß wir ihnen zur Unterhaltung junge Damen engagieren.« – »Sie bedienen sich sehr starker Ausdrücke, Señor. Sie kennen uns Mexikanerinnen schlecht!« – »Oder Sie uns Franzosen nicht!« – »Möglich. Vielleicht ist es in Frankreich gebräuchlich, sich Liebe durch rohe Gewalt zu erzwingen. Aber selbst diese Roheit würde in Mexiko zu keinem Ziel führen.« – Alle Teufel, Sie werden giftig«, fuhr er auf. – »Nur zuweilen.« – »Ich werde Sie zähmen.« – »Sparen Sie die Mühe! Ich sehe gar wohl ein, daß ich mich aufrichtig und ohne alle Scheu erklären muß, Ihnen Ihren Standpunkt klarzumachen.« – »Tun Sie es! Ich bin neugierig und werde ein eifriger Zuhörer sein.«

Diese Worte wurden in einem impertinenten Ton gesprochen. Das Mädchen beachtete dies aber nicht im geringsten, sondern fuhr in belehrendem Ton fort:

»Wir Mexikanerinnen sind anders, als die Damen Frankreichs. Wenn wir lieben, so lieben wir mit Leib und Seele; dies wird bei Ihnen ebenso sein, nur daß Ihre Damen vielleicht nicht aufrichtig genug sind, dies einzugestehen. Wenn wir aber nicht lieben, so kann uns keine Macht der Erde dazu zwingen. Versucht man diesen Zwang, so sind wir imstande, zum Dolch zu greifen, und ich geben Ihnen mein Wort, daß wir ihn zu führen verstehen.« – »Ah, Sie sind wirklich ein Teufel.« – »Weiter! Unsere Verhältnisse sind andere als die Ihrigen. Bei Ihnen wird eine Dame sich vielleicht scheuen, einem Offizier offen in das Feld zu folgen. Bei uns ist das eine Heldentat Mit einem Schritt wie diesem ist nicht die mindeste Unehre verknüpft. Man liebt den Mann, man schließt sich ihm an, man nimmt Teil an seinen Entbehrungen, an seinen Taten, und später wird man seine Frau.« – »Ah, wirklich?« – »Sicher. Kein Mexikaner ist ehrlos genug, eine solche Aufopferung, ein solches Vertrauen zu mißbrauchen. Fühlt er, daß er die Dame nicht lieben kann, so weist er sie zurück. Sie aber, Señor, kommandieren die Dame tyrannisch mit sich fort und glauben, Liebe befehlen zu können, wo keine vorhanden ist. Sie begehen den Fehler, uns nach Ihnen zu beurteilen, und das kann sehr leicht verhängnisvoll werden.« – »Sie sprechen wie ein Pfarrer!« – »Spotten Sie immerhin, ich spreche dennoch weiter. Bin ich dann mit meiner Rede fertig, so bin ich zugleich fertig mit Ihnen. Sie rechnen mich und meine Schwester zu einer gewissen Kategorie von Mädchen, aber Sie irren sich. Glauben Sie es oder nicht, das ist mir sehr gleichgültig, aber ich sage Ihnen, daß es noch kein Mann gewagt hat, sich mir zu nähern, wie Sie es beabsichtigen. Ich hatte noch nie geliebt, bis ich Señor Berthold sah. Er stand mir fern, und ich konnte mich ihm nicht nahen. Da hörte ich von Ihrer Offerte und meldete mich. Jetzt erst erhielt er die Gelegenheit, mich kennenzulernen. Ist es nun auch ihm möglich, mich zu lieben, so werde ich ein glückliches Weib sein, liebt er mich aber nicht, so kehre ich zurück und werde in einem Kloster meine unglückliche Neigung zu besiegen versuchen.«

Dieses offene Geständnis war so bestimmt, so fest und sicher ausgesprochen, daß der Offizier an die Wahrheit desselben glauben mußte; sein Leichtsinn bekam aber sofort wieder die Oberhand, und er fragte:

»Ah, Sie lieben also diesen Monsieur Berthold, und er Sie ebenfalls?« – »Ich weiß es nicht.« – »Ihm würden Sie also die Bitte erfüllen, die ich vergebens an Sie stelle?« – »Ja.« – »Und wenn er Sie dann verließe?« – »Dies würde er nicht tun, er ist ein Ehrenmann. Ein Deutscher ist kein Franzose.« – »Danke, Señorita, für dieses Kompliment! Aber wenn er Sie doch verließe? Wenn es sich doch herausstellte, daß er kein Ehrenmann ist und daß Sie sich geirrt hätten?« – »So würde ich vor Gram sterben, ihm aber vorher den Dolch ins Herz stoßen. Glauben Sie wirklich, daß eine Mexikanerin sich einem Mann anvertraut, ohne einen Dolch zu besitzen?« – »Das klingt sehr romantisch! Wie viele Leihbibliotheken haben Sie durchgelesen?« – »Keine einzige. Aber um Sie zu überzeugen, so fühlen Sie!«

Der Offizier verspürte plötzlich ein kaltes, scharfes Eisen an seiner Wange, er fuhr erschrocken zurück.

»Donnerwetter, seien Sie vorsichtig!« warnte er. – »Ich gebe Ihnen diesen Ruf zurück. Eine Mexikanerin pflegt nur zweimal abzuwehren. Das erste Mal zerbricht sie das Monokel und das zweite Mal ...« – »Sticht sie zu, wollen Sie doch nicht etwa sagen?« – »O doch, gerade das will ich sagen.« – »Sie scherzen! Eine so gefährliche Waffe gehört nicht in Frauenhände. Man wird sie Ihnen zu entreißen wissen.« – »Versuchen Sie es um Gottes willen nicht! Die Spitze ist mit Kurare vergiftet. Selbst wenn Sie Ihre ganze Kompanie aufböten, mir den Dolch zu nehmen, würden Sie nicht zum Ziel kommen, denn der kleinste Riß tötet augenblicklich.« – »Bei Gott, Sie sind eine Furie!« meinte da der Offizier mit hörbarem Entsetzen, während er sich schleunigst so weit als möglich zurückzog. »Wie alt sind Sie, Señorita?« – »Achtzehn.« – »Und Ihre Schwester?« – »Siebzehn.« – »Alle Teufel! Achtzehn und siebzehn und bereits so giftig und entschlossen! Sagen Sie mir, ob Señorita Zilli auch einen Dolch besitzt.« – »Natürlich.« – »Und sie hat ihn bei sich?« – »Das versteht sich!« – »Auch dann, wenn sie sich beim Kapitän befindet?« – »Dann erst recht und ganz sicher.« – »Mon dieu! Es wird doch nichts passieren!« – »Vielleicht nicht. Es kommt auf das Verhalten des Hauptmanns an.« – »So muß ich ihn schleunigst warnen.« – »Ah, das ist unnötig. Zilli wird ihn schon selbst warnen.« – »Das ist nicht genug. Es ist meine Pflicht, sofort selbst zu ihm zu gehen.« – »So gehen Sie.« – »Und Sie? Was werden Sie einstweilen tun?« – »Ich gehe auch, oder denken Sie, daß ich mich in Ihrem Zelt so übermäßig glücklich fühle, daß ich es nie verlassen möchte? Gute Nacht, Señor.« – »Gute Nacht, Señorita.« – Auf Wiedersehen morgen.« – »Aber nicht in meinem Zelt, hoffe ich.«

Sie ließ abermals ihr halblautes, metallisches Lachen hören und ging. Er aber stand an der hintersten Wand des Zeltes, wartete, bis sie verschwunden war, und sagte zu sich:

»Alle Teufel, war das ein Schreck! Ich habe da wirklich tagelang nur mit dem Tode gespielt Eine ganz verteufelte Katze! Dieses Kuraregift ist fürchterlich, ich danke ergebenst. Aber nun bin ich noch viel toller in sie verliebt als vorher. Ein Mädchen von diesem Kaliber kann einen ganz verrückt vor Liebe machen. Man muß warten, bis sie einmal ihren Dolch zufälligerweise nicht bei sich hat. Oder man überfällt sie unerwartet, hält sie fest, so daß sie sich nicht rühren kann, und läßt ihr das Werkzeug entreißen. Jener Berthold aber soll es mir entgelten. Wehe ihm, wenn sie heute noch zu ihm geht! Ich werde sofort den Kapitän aufsuchen, um ihn zu warnen und das Nötige mit ihm zu besprechen. Vorwärts!«

Der Offizier verließ sein Zelt und trat hinaus ins Freie.

Die Mehrzahl der Soldaten schlief bereits, die Pferde weideten ringsum und stießen zuweilen jenes Schnaufen aus, das den Eingeweihten die Nähe feindlicher Menschen verkündet. Sie witterten die Apachen. Die Franzosen aber hatten kein Verständnis für dieses Zeichen. Die Feuer waren ziemlich niedergebrannt, so daß ringsum ein eigentümliches Halbdunkel herrschte, in dem jede Bewegung eines Tieres oder eines Zweiges ein gespenstisches Aussehen erhielt. Daher zogen die Soldaten es vor, sich diesem Eindruck zu entziehen und, in ihre Decken gewickelt, den Schlaf herbeizugähnen.

Der Oberleutnant trat an das Zelt des Hauptmanns. Er konnte dies ungehört tun, da das Gras seine Schritte dämpfte. Er lauschte und hörte Stimmen, die sich halblaut miteinander unterhielten. Da die Wand des Zeltes nur aus dünnem Gummi bestand, konnte er jedes Wort verstehen.

»Also Sie wollen mir nicht angehören?« fragte soeben der Hauptmann. – »Nie.« – »Ah, das ist aufrichtig! Ihr Herz gehört einem andern?« – »Ja.« – »Und der andere ist dieser verdammte Doktor Willmann?« – »Ja.« – »Merken Sie denn nicht, daß Ihr Widerstand eine Lächerlichkeit ist?« – »Oh, ich weiß mir eine gründliche Hilfe. Hier, fühlen Sie, Señor!«

Es entstand eine kurze Pause, worauf der Hauptmann erschrocken ausrief:

»Alle Wetter, was war das? Das war ja ein Stahl, ein Dolch! Geben Sie her!« – »Um Gottes willen, Señor, greifen Sie nicht zu! Die Spitze ist vergiftet!«

In demselben Augenblick stand auch schon der Oberleutnant am Eingang und bestätigte:

»Ja, vergiftet mit dem fürchterlichen Kurare. Um aller Heiligen willen, befehlen Sie, daß dieses Mädchen sich entfernt!«

Der Hauptmann war aufgesprungen, vor Schreck und auch vor Überraschung, daß der Premierleutnant so plötzlich vor ihm stand.

»Donnerwetter, Sie haben uns belauscht?« fragte er zornig. – »Ich habe nur die letzten Worte gehört. Ich kam, Sie vor dem Kuraredolch zu warnen. Die andere hat einen ebensolchen Dolch. Sie drohte mir mit demselben.« – »Ah, gerade wie diese hier!« – »Darum habe ich sie fortgeschickt. Ich rate Ihnen, dasselbe zu tun. Der kleinste Hautritz wirkt augenblicklich tödlich.« – »Wetter! So muß ich Ihrem Rat folgen. Señorita, gehen Sie!« – »Ich gehe«, sagte das Mädchen. »Und ich hoffe, nicht wieder in die Lage zu kommen, mit meiner Waffe drohen zu müssen. Merken Sie sich das, Señores! Gute Nacht!«

Zilli ging. Der Kapitän blickte ihr wortlos nach, bis sie in ihrem Zelt verschwunden war, dann wandte er sich an den Leutnant mit der Frage:

»Dies war jedenfalls nur ein Theatercoup?« – »Gott bewahre! Die Dolche sind wirklich vergiftet. Diese Mexikanerinnen sind eine höchst gefährliche Sorte.« – »Das war ein ganz verteufeltes Intermezzo. Ich glaubte, dem Sieg schon nahe zu sein.« – »Hol's der Teufel! Auch ich koche vor Grimm. Die meine ist in diesen Doktor Berthold bis über die Ohren verliebt.« – »Hat sie es Ihnen gestanden?« – »Versteht sich! Frank und frei!« – »Und die meinige in Doktor Willmann. Es ist zum Zerplatzen! Was tut man da? Ich bin, glaube ich, in diese Hexe nun erst recht verliebt!« – »Gerade so geht mir's ja auch. Wenn nur die vermaledeiten Dolche nicht wären.« – »Hm, man könnte sie ihnen abnehmen.« – »Mit Gewalt nicht. Diese Pepi hat mich schüchtern gemacht. Man müßte sie höchstens überraschen. Und da weiß man nicht, ob man den Zweck erreicht.« – »So wendet man List an! Die Mädchen sind in die beiden Deutschen vernarrt, man tut, als ob man den beiden Kerlen an das Leben wolle und sie nur durch Übergabe der Dolche loskaufen lasse.« – »Dieser Gedanke ist sehr gut. Wann führen wir ihn aus?« – »Natürlich heute noch. Morgen abend sind wir ja bereits in Fort Guadeloupe, dann ist es zu spät.« – »Einverstanden!«

Die Offiziere traten hinter das Zelt zurück. Dort blieb der Kapitän für einen Augenblick stehen und lauschte.

»Was ist's?« fragte der Leutnant. – »Es war mir, als hätte ich gesehen, daß sich dort das Gras bewegte.« – »Ich sah nichts.« – »Und als hörte ich ein leises Knacken, als ob es von Handgelenken herrührte.« – »Pah, die Luft hat mit einem dürren Ast gespielt.« – »Jedenfalls. Die Wachtfeuer bringen eigentümliche Schatten hervor. Man möchte zuweilen denken, daß jeder Grashalm Leben habe. Legen wir uns nieder.«

Der Kapitän hatte jedenfalls sehr recht gesehen. Das ganze Rondell war von Apachen besetzt. Sie hatten die Franzosen kommen sehen und alles beobachtet. Der Schwarze Gerard aber fühlte bei dem Gedanken, daß so viele Menschen getötet und skalpiert werden sollten, ein inniges Mitleid. Er sprach Bärenauge zu; dieser aber forderte unbedingt die Skalpe. Daher nahm Gerard sich vor, erst einmal zu lauschen, ob er nicht etwas entdecken könne, was geeignet sei, als Grund zur Gnade zu dienen. Er glitt daher nieder und huschte unbemerkt bis an das Zelt des Leutnants, wo er jedes Wort hörte, das zwischen diesem und Pepi gesprochen wurde. Als das Mädchen das Zelt verlassen hatte und der Premier nach demjenigen des Kapitäns ging, huschte der Jäger hinter ihm her und war nun auch Zeuge der jetzt folgenden Unterredung. Endlich, als er genug gehört hatte, schlich er zurück und zwar gerade noch zur rechten Zeit; denn hätte er nur einen Augenblick länger gewartet, so wäre er von dem Kapitän gesehen worden. So aber gewann er glücklich den Rand des Tales und stieg hinter den Sträuchern bis dahin empor, wo der Apachenhäuptling stand.

»Mein Bruder hat viel gewagt«, bemerkte dieser. – »Nicht sehr viel«, antwortete Gerard. »Diese Leute kennen die Savanne nicht.« – »Aber es brannten viele Feuer!« – »Ich verstehe das Anschleichen wohl zur Genüge!« – »Mein Bruder ist ein guter Jäger. Er war sicher. Wenn er entdeckt worden wäre, so würden wir sofort über diese dummen Leute hergefallen sein. Was hat er da unten gesehen und gehört?« – »Nicht viel Gutes. Ich bat vorhin meinen roten Bruder, mir das Leben aller dieser Männer zu schenken; sie sollten nur gefangen sein und nach Fort Guadeloupe transportiert werden.« – »Ich muß nein sagen. Meine Apachen ziehen auf den Pfad des Krieges, um sich die Skalpe ihrer Feinde zu holen.« – »Mein Bruder hat recht. Diese Männer kommen nach Mexiko, um die Einwohner zu töten, das Land zu verwüsten und einen guten Mann, der ein deutscher Prinz ist, in das Verderben zu stürzen, aber einige Leben sollte mir mein Bruder dennoch schenken. Ich nehme dafür nichts von der Beute weg.« – »Wie viele Leben forderst du?« – »Das Leben der Frauen.« – »Die tapferen Krieger der Apachen führen nicht mit Frauen Krieg«, antwortete Bärenauge stolz. »Der Skalp eines Weibes gilt so wenig, wie das Fell einer Maus. Das Leben der Frauen sei dir geschenkt.« – »Ich danke dir. Aber es sind noch zwei Männer dabei, die ich schonen möchte, weil sie nicht Feinde dieses Landes, sondern gute Menschen sind.« – »Sind es Krieger?« – »Nein; es sind kluge Medizinmänner, die nur kommen, um die heilsamen Kräuter dieser Gegend kennenzulernen.« – »So müssen auch sie sterben, denn wenn sie in ihrem Land erzählen, welche Kräuter es hier gibt, so werden bald Tausende von Bleichgesichtern kommen, um uns diese Kräuter zu nehmen und das Land mit unseren Jagdgründen dazu. Die Bleichgesichter tun es stets so.« – »Und dennoch weiß ich einen Grund, daß du mir ihre Leben schenkst.« – »Sage mir ihn! Bärenauge ist gerecht und gütig; er tötet nicht gern einen Menschen, wenn es einen guten Grund gibt, ihm das Leben zu schenken.« – »Du kennst den Namen Sternau?« – »Ja. Er war der größte Jäger der Weißen und wurde der ›Fürst des Felsens‹ genannt. Er liebte die Kinder der Apachen und hat nie einen ihrer Krieger getötet.« – »Und du kennst auch den Namen Helmers?« – »Ja. Er wurde Donnerpfeil genannt und war ein Freund meines großen Bruders Bärenherz, dem ich alle sieben Tage das Leben eines Bleichgesichtes opfere. Sternau und Helmers zogen fort mit Bärenherz, und nun sind sie verschollen.« – »Weißt du, aus welchem Land die beiden großen Jäger waren?« – »Ich habe es auf der Hacienda del Erina erfahren. Sie waren aus dem fernen Land Germania, dessen Bewohner alle Freunde der Apachen sind.« – »Nun wohl! Die beiden Männer, deren Leben ich von dir erbitte, sind aus demselben Land Germania.« – »Weiß mein Bruder dies genau?« – »Ja.«

Der Apache schwieg eine ganze Weile, dann sagte er:

»Um meines Bruders Bärenherz willen sei dir das Leben dieser beiden geschenkt. In welchem Zelt befinden sie sich?« – »Sie haben jeder ein eigenes Zelt. Die beiden Wigwams stehen hart nebeneinander dort, wohin der Schein des hellsten Feuers fällt.« – »So werde ich jetzt meinen Kriegern befehlen, das Leben dieser beiden und das der Frauen zu schonen, da sie das Eigentum meines Bruders sind.« – »Und ich werde wieder hinuntergehen, um sie zu schützen.« – »Befinden sie sich in Gefahr?« – »Ja. Sie sollen vielleicht gar von den Franzosen getötet werden.« – »Diese neunmal zehn Franzosen werden sterben, bevor es ihnen gelungen ist, die Schützlinge meines Bruders anzurühren. Ich werde meine Krieger jetzt vorrücken lassen, und mein Bruder mag mir ein Zeichen geben, wann wir beginnen sollen.« – »Gut. Sobald ich den ersten Schuß abfeure, kann es losgehen.«

Gerard schlich sich ebenso leise und vorsichtig wieder hinab, wie er heraufgekommen war.


 << zurück weiter >>