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Der Mann, der sich den Offizieren näherte, war hoch und breit gebaut, und die flackernden Reflexe der Feuer schienen seine Gestalt in das Gigantische verlängern zu wollen. Er blieb gerade vor der Front bei dem Hauptmann stehen und grüßte:
»Guten Abend, meine Herren. Ich verbiete Ihnen, diese Damen zu beleidigen.«
Die Franzosen waren ganz erstaunt ob dieses Zwischenfalls. Die Gestalt und das gebieterische Verhalten dieses Mannes machten einen so verblüffenden Eindruck auf sie, daß erst nach einer Pause der Kapitän fragte:
»Mensch, was wagen Sie? Wer sind Sie?«
Der Mann stützte den Kolben seiner Büchse auf die Erde und antwortete ruhig:
»Ein Jäger bin ich, Monsieur.« – »Ein Jäger? Und Sie treten hier als Gebieter auf?« – »Wie Sie sehen und hören! Die Damen stehen unter meinem Schutz.« – »Ah, woher kommen Sie?« – »Aus Fort Guadeloupe.« – »Donnerwetter! Und wohin wollen Sie?« – »Nur hierher zu Ihnen!«
Der Kapitän war über diese Antwort ganz betreten. Er fragte:
»Hierher? Zu mir? Kennen Sie mich?« – »Ja.« – »Und wußten Sie, daß ich hier zu treffen bin?« – »Sehr genau.« – »Woher?« – »Ich habe von Chihuahua aus Ihre Spur verfolgt und Sie seit dem Nachmittag hier beobachtet.«
Der Offizier befand sich beinahe in Verlegenheit, was er von dem Mann zu halten habe. Die Sicherheit und Ruhe desselben imponierten ihm, und die ganze Szenerie war vollständig dazu angetan, den Eindruck dieser plötzlichen Erscheinung zu verzehnfachen. Als der Oberleutnant die Bestürzung seines Vorgesetzten sah, trat er, den Lasso in der Hand, näher, musterte den Fremden aufmerksam und fragte:
»Sie wußten, daß wir hier zu finden seien?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Sie haben uns also gesucht?« – »Gewiß.« – »So sind Sie ein Bote?« – »Nein.« – »Aber, zum Teufel, was wollen Sie denn da hier?« – »Ihnen sagen, daß die vier Personen, die dort an den Pfählen stehen, sich unter meinem Schutz befinden.« – »Sie sind einfach verrückt! Ich werde Sie festnehmen lassen, um zu sehen, was wir von Ihnen zu halten haben. Geben Sie Ihre Büchse ab.«
Der Leutnant streckte die Hand nach dem Gewehr aus, der Fremde aber trat einen Schritt zurück und antwortete:
»Sie erklären mich für wahnsinnig, weil ich, ein einzelner Jäger, es wage, der Vollstreckung eines ungerechten Urteilsspruchs mich zu widersetzen? Ah, wissen Sie, was hier im wilden Gebirge ein Jäger zu bedeuten hat? Sie haben zwei Unschuldige zum Tode verurteilt; dafür werde ich mich als Richter auf werfen und Sie selbst zum Tode verurteilen. In fünf Minuten lebt von Ihnen allen kein einziger mehr. Blut um Blut, das fordert das Gesetz der Savanne.«
Da erhielt der Kapitän die Sprache wieder. Er zog seinen Degen, trat hart an den Fremden heran und sagte:
»Mensch, aus Ihnen spricht entweder der Wahnsinn oder Verrat. Geben Sie Ihre Waffen ab und sagen Sie, wer Sie sind und wie Sie heißen.« – »Die Waffen abgeben? Pah, das wollen Sie doch nicht von mir verlangen! Die Kugeln werden Sie bekommen, aber die Büchse nicht. Ich brauche Ihnen nur meinen Namen zu nennen, so werden Sie es glauben.«
Der Fremde stand so ruhig und stolz vor dem Kapitän, als ob er mit einem Schulknaben spräche. Dies entflammte den Offizier zur Wut, und er gebot:
»Nun, so lassen Sie hören! Wie heißen Sie?« – »Man nennt mich den Schwarzen Gerard.«
Diese Antwort brachte allerdings eine nicht geringe Wirkung hervor. Im ersten Augenblick herrschte das tiefste Schweigen, im zweiten ging der Name die ganze Front hinab von Mund zu Mund, im dritten aber faßte der Kapitän den Sprecher bei der Brust und rief:
»Der Schwarze Gerard? Ah! Herbei, Ihr Leute, er muß unser werden!«
Sofort löste sich die militärische Linie auf, und man sprang herbei, um den berühmten und gefürchteten Jäger zu umzingeln. Dieser jedoch schüttelte den Kapitän leicht von sich ab und rief:
»Ich? Euer werden? Nein, nein, Ihr werdet unser!«
Damit erhob er die Büchse, und zwei Schüsse krachten. Der erste traf den Kapitän und der zweite den Oberleutnant durch den Kopf. Und in demselben Augenblick erscholl ein Geheul, von dem die Erde zu erzittern schien. Der ganze Talkessel wurde lebendig. Hunderte von wilden Gestalten warfen sich von allen Seiten auf die Franzosen, die vor Schreck gar nicht an Gegenwehr dachten. Schüsse wurden fast nicht gewechselt. Der fürchterlich Tomahawk und das heimtückische Bowiemesser wüteten. Es war eine entsetzliche Szene, bei der den Zuschauern die Haare zu Berge steigen konnten.
Gerard war nach seinen beiden Schüssen an die Pfähle gesprungen. Während er sich um die blutige Arbeit der Apachen nicht im geringsten kümmerte, schnitt er die beiden Gefangenen los, nahm ihnen die Fesseln und Knebel ab und beruhigte sie, als dies geschehen war, durch die Worte:
»Haben Sie keine Angst, meine Herren! Die Rothäute werden Ihnen nichts zuleide tun, denn Sie stehen unter meinem Schutz.« – »Auch wir?« fragte Zilli beim Anblick der dunklen Gestalten, die Skalpe erntend über den Platz huschten. – »Auch Sie, Mademoiselle. Bleiben Sie ruhig stehen, bis es zu Ende ist.« – »Mein Gott, welch ein Abend!« rief Berthold. »Aber woher kommen diese Indianer?« – »Wir halten den Platz bereits seit der Dämmerung eingeschlossen.« – »Und ist es wahr, was Sie sagten? Sie sind der Schwarze Gerard?« – »Ich bin es!« – »Aber warum lassen Sie dieses Morden zu?« –»Es ist Krieg, mein Herr, und meine Freunde wollen Skalpe haben.« – »So gibt es kein Erbarmen?« – »Nein.« – »Entsetzlich! Getrauen Sie sich, dies zu verantworten?« – »Ja.«
Gerard sagte dies so ruhig und in einem so bestimmten Ton, daß der andere schwieg. Die beiden Geretteten und die Mädchen mußten nun dem Morden zusehen, ohne Einhalt tun zu können, und das Grauen lief ihnen eiskalt am Körper herab, als die Todesschreie der Sterbenden die Luft erfüllten.
»Es ist mir unmöglich, länger zuzusehen«, sagte endlich Zilli. »Ich falle um.« – »So kommen Sie«, bat Gerard. »Ich werde Sie in Ihre Zelte bringen und Sie dort bewachen, denn auch Ihr Eigentum wird unverletzlich sein.« – »Sie meinen auch das unsrige?« fragte Doktor Willmann. – »Natürlich!« – »So sage ich Ihnen großen Dank. Wir haben wertvolle Manuskripte und Instrumente bei uns, die jetzt unersetzlich sein würden. Doch ja, die Mädchen haben recht. Dieses Blutvergießen ist geradezu fürchterlich. Lassen Sie uns die Zelte aufsuchen!«
Man sah noch beim Schein des Lagerfeuers die Apachen in ihrer gräßlichen Beschäftigung. Die Franzosen waren überrumpelt worden und hatten sich widerstandslos hinschlachten lassen. Einer von ihnen kam auf fünf Indianer, so lag es klar auf der Hand, daß sie in Zeit von wenigen Minuten überwältigt werden mußten. Sie fielen massenhaft, wie die Sperlinge vom Schrot. Die Apachen stritten sich um die Skalpe, und wenn einer von ihnen eine Kopfhaut erobert hatte, so schwang er sie triumphierend in der Luft und stieß dabei ein schrilles Siegesgeheul aus, das Mark und Bein durchschnitt.
Durch diesen wilden Tumult hindurch führte Gerard seine Schützlinge, die von den Roten respektiert wurden, denn der Indianer hält sein Wort auf jeden Fall.
Mitten in der wüsten Szene stand hochaufgerichtet Bärenauge. Er hatte nicht gekämpft, sondern die Feinde und deren Skalpe den Seinigen überlassen. Sein dunkles Auge überflog den Platz, nichts entging seinem Blick, und wenn sich einer der zum Tode verwundeten und bereits skalpierten Franzosen noch leise regte, so genügte ein einfacher Fingerzeig des Häuptlings, um über den Sterbenden das Beil des nächsten Apachen zu bringen.
Da erblickte er Gerard, der, auf seine Büchse gestützt, als Schutzwache bei den Zelten stand. Langsam schritt er auf ihn zu und sagte:
»Diese weißen Hunde sterben wie die Ratten. Das Herz eines Kriegers der Apachen hat mehr Mut, als sie alle.« – »Sie hätten sich gewehrt, aber sie sind ganz unvermutet überfallen worden«, antwortete Gerard in gerechter Würdigung der Umstände. »Ich habe die beiden Anführer erschossen. Will mein Bruder ihre Skalpe haben?«
Da machte Bärenauge eine unbeschreiblich geringschätzige und abwehrende Armbewegung und erwiderte mit einem stolzen Kopfschütteln:
»Bärenauge nimmt nur die Skalpe derer, die er selbst erlegt hat.« – »Aber warum kämpft mein Bruder heute nicht? Warum holt er sich keinen Skalp?« – »Weil der Feinde zu wenige sind. Ich habe so viele Skalpe, daß ich sie nicht in meine Hütte bringe. Meine Krieger sollen auch welche haben.«
Das war eine Selbstlosigkeit, eine Rücksicht für die Seinen, die man bei einem Indianer höchst selten treffen wird. Es war jedenfalls das beste Mittel, die Begeisterung für sich zu erwecken und zu erhöhen.
»Ein Weißer nimmt keine Skalpe«, meinte Gerard. »Was tue ich mit den beiden? Ich werde sie deinen Leuten überlassen.«
Da schüttelte Bärenauge abermals den Kopf und antwortete:
»Ein Apache nimmt niemals einen Skalp geschenkt; er würde verachtet werden von allen tapferen Kriegern. Die beiden Anführer der Bleichgesichter mögen gefressen werden von den Geiern mit Haut und Haar. Ihre Kopfhaut ist wie das Fell des Präriehundes. Kein Händler gibt einen Abschnitt seines Fingernagels dafür.«
Die Apachen waren jetzt mit den Leichen fertig und machten sich über die Beute her, die beim Schein der Feuer herbeigetragen und zur Verteilung geordnet wurde.
Bärenauge aber sagte:
»Sie mögen alles unter sich teilen; Bärenauge mag nichts davon. Er nimmt alle sieben Tage einem Weißen den Skalp, um den Tod seines Bruders Bärenherz zu rächen, der ein großer Mann war unter den Häuptlingen der Indianer. Das ist ihm genug.«
Dann schritt er davon, um die Beuteverteilung zu überwachen, die so ruhig ihren Verlauf nahm, als ob es sich um eine Preisverteilung für irgendeine europäische Konkurrenzarbeit handle.
Nach kurzer Zeit öffnete Doktor Berthold vorsichtig sein Zelt und trat zu Gerard. Er war kein furchtsamer Charakter, aber das Blutbad hatte ihm die Haare auf dem Kopf emporgesträubt, obgleich ihm die Ermordeten nach dem Leben getrachtet hatten.
»Ist das Morden vorüber, Señor?« erkundigte er sich bei dem Jäger. – »Ja.« – »So bin ich mit meinem Freund vollständig sicher?« – »Ja. Ihr waret es schon vorher, denn ich hatte Euch mir ausgebeten.« – »Sie stehen mit diesen Wilden auf dem Fuß der Freundschaft?« – »Pah, nennen Sie diese Leute nicht wild. Sie verteidigen ihr rechtmäßiges Vaterland, ihr Eigentum mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Da nennt man sie wild und Barbaren. Ich bin kein Gelehrter und auch kein Politikus, aber ich habe vielleicht mehr gesehen und erfahren als alle die Herren, die aus den roten Männern Barbaren machen. Es ist nichts Neues, daß Gewalt vor Recht geht.« – »Leider. Und der Fluch unserer Zeit ist, daß wir unser Unrecht in ein heuchlerisches Gewebe von Recht zu kleiden suchen. Wir rühmen uns, die Werkzeuge des göttlichen Willens und höherer Zwecke zu sein, aber mit Unrecht.« – »Ich ahne, was Sie sagen wollen. Ein sogenannter ›Halbwilder‹ charakterisierte die Eroberungsseuche sehr treffend mit dem Satz: ›Erst sendet Ihr einen Missionar, um zu sehen, was wir machen; dann schickt Ihr einen Konsul, um zu sehen, was der Missionar macht, und endlich sendet Ihr eine Armee, um zu sehen, was der Konsul macht.‹« – »Vielleicht hatte der Mann recht.« – »Vielleicht? Nein, jedenfalls. Diese Indianer waren Besitzer des Landes. Man hat es ihnen gestohlen und geraubt. Jetzt verteidigen sie das letzte Stück. Es handelt sich um Sein oder Nichtsein. Jeder von ihnen ist der beste Kerl, den ich kenne, aber selbst der schlägt zu, wenn man ihm eine Ohrfeige gibt oder ihm die Uhr aus der Tasche zieht.« – »Zu welchem Stamm gehören sie?« – »Es sind Apachen.« – »Und ihr Häuptling, den ich dort so stolz stehen sehe?« – »Es ist Bärenauge, ein junger Krieger, aber ebenso geachtet wie berühmt wie der älteste, weiseste und erfahrenste Indianerhäuptling. Sie stehen, wie ich Ihnen bereits versicherte, unter meinem Schutz, und er wird infolgedessen Ihr Freund sein und sie nach besten Kräften beschützen.« – »Aber, Señor, wie kommt es, daß Sie sich gerade unserer so nachhaltig annehmen?« – »Das ist sehr einfach. Ich habe heute abend das Lager belauscht. Ich lag unter den Franzosen hinter den Zelten und habe da die Unterredungen in denselben gehört Ich erfuhr, daß man sich Ihrer entledigen wollte und daß Sie Deutsche sind. Ich liebe die Deutschen, und so beschloß ich, Sie zu retten.« – »Ich danke Ihnen! Was werden die Apachen über uns bestimmen?« – »Nichts. Sie sind frei und können tun, was Ihnen beliebt.« – »So möchte ich am liebsten zurückkehren.« – »Allein? Durch die Berge und die Prärie?« – »Was bleibt uns anderes übrig? Ist die Gegend so unsicher?« – »Jetzt jedenfalls. Ich darf Ihnen vielleicht sagen, daß es in nächster Zeit hierherum viele Kämpfe gegen wird, und kann Ihnen darum nur eins raten: Wir werden morgen früh nach Fort Guadeloupe reiten. Schließen Sie sich uns an. Dort sind Sie sicher und können warten, bis der Weg wieder offen und sicher ist.« – »Wir sind in der Nähe des Forts?« – »Ganz nahe.« – »So werden wir Ihren Rat jedenfalls befolgen.« – »Daran tun Sie recht Aber erlauben Sie mir eine Erkundigung.« – »Sehr gem.« – »War der Kapitän, den ich erschoß, als Sie am Pfahl standen, wirklich der Hauptmann der vernichteten Kompanie?« – »Nein. Der eigentliche Kommandeur befindet sich bereite in Fort Guadeloupe. Er wird erschrecken, wenn er hört, daß seine Leute tot sind.« – »Er wird nicht erschrecken, denn auch er ist tot.« – »Ah! Er wurde getötet? Von wem?« – »Von mir. Eine Kugel aus dieser Büchse streckte ihn nieder.«
Der Doktor sah in Gerard einen Helden, dennoch schreckte er zurück.
»Señor«, sagte er, »man hat mir nicht zu viel gesagt. Sie sind wirklich ein furchtbarer Gegner.« – »Aber meinen Freunden ein aufopfernder Freund. Doch sehen Sie, wie es sich die Roten jetzt bequem machen! Sie dämpfen die Lagerfeuer und stellen Wachen aus. Sie werden hier unter Skalpierten ebenso ruhig schlafen wie daheim in ihren Wigwams. Auch Sie können ohne Sorgen der Ruhe pflegen, denn es wird kein Haar Ihres Hauptes gekrümmt werden.« – »So werde ich diese beruhigende Botschaft den beiden Damen bringen.« – »Tun Sie das. Aber sagen Sie, waren nicht noch mehrere Damen im Lager?« – »Noch drei.« – »Wo sind sie?« – »Ich weiß es nicht. Vielleicht wurden sie getötet.« – »Möglich, vielleicht aber sind sie auch entflohen. Ich werde nachsehen. Gute Nacht.« – »Gute Nacht!«
Nach diesem Gruß ging Berthold zu dem Frauenzelt. Als er den Eingang desselben öffnete, wurde er von Pepi erkannt. Sie trat zu ihm.
Er ergriff ihre Hand, drückte dieselbe freundlich und sagte:
»Señorita, ich habe Sie verkannt.«
Sie schwieg; aber seine Worte taten ihr unendlich wohl.
»Ich habe Ihnen sehr viel zu danken«, fuhr er fort. – »Das sagen Sie ja nur«, flüsterte sie zagend. – »O nein; denn hätten Sie sich nicht unserer so mutig angenommen, so hätten die Indianer wohl nicht Zeit gehabt, noch im rechten Augenblick heranzukommen.« – »Sie täuschen sich, Señor! Die Indianer haben uns jedenfalls bereits seit Anfang des Abends umzingelt und nur den passenden Augenblick abgewartet. Was aber wird nun mit uns geschehen?« – »Wir sind frei.« – »Wirklich?« fragte sie in ungläubigem Ton. – »Ja. Der Schwarze Gerard hat mir die Versicherung gegeben. Morgen reiten wir nach Fort Guadeloupe, um dortzubleiben, bis der Rückweg sicher ist.« – »Sie?« – »Ja, und Sie natürlich mit. Aber sagen Sie, was Sie getan hätten, wenn der Lasso dieses Oberleutnants Sie wirklich getroffen hätte? Sie wären von demselben ja umschlungen und niedergerissen worden.«
Da stieß sie ein kurzes, metallisches Lachen aus und erwiderte:
»Sie sind kein Mexikaner, Señor, sonst wüßten Sie, daß man keinen Lasso zu fürchten braucht, wenn man darauf vorbereitet ist und einen Dolch oder ein Messer in der Hand hält Der Riemen ist durchschnitten, ehe er sich zusammenziehen kann. Übrigens stand ja meine Schwester bei mit. Wäre die eine getroffen worden, so hätte die andere den Lasso durchschnitten. Und wehe dem, der sich in unsere Nähe gewagt hätte!« – »Sie hätten sich wirklich mit dem Dolch verteidigt?« – »Das versteht sich!« – »Und er ist faktisch mit Kurare vergiftet?« – »Ja. Der kleinste Hautritz ist tödlich, und zwar binnen einer Minute.« – »Alle Wetter, was seid Ihr Mexikanerinnen für gefährliche Frauen! Muß man nicht eine junge Dame lieben, die sich so furchtlos bereit erklärt, einen gegen eine ganze Kompanie Soldaten zu verteidigen?«
Er bog sich nieder, um den Arm um sie zu legen. Sie aber entschlüpfte ihm.
»Wartet, bis Ihr an mich glaubt, Señor.«
Mit diesen Worten zog sie ihre Hand aus der seinigen und verschwand hinter dem Türvorhang ihres Zeltes. Er blieb in Gedanken versunken stehen.
»Ein unbegreifliches Wesen!« dachte er. »Oh, diese Mexikanerinnen, wer kann aus ihnen klug werden!«
Er kehrte nach seinem Zelt zurück. Da mußte er bei demjenigen seines Kollegen vorüber. Dieser stand im Begriff, dasselbe zu verlassen und erkannte ihn.
»Ah, Berthold, du? Wie steht es?« fragte er. – »Gut. Diese Apachen sind unsere Freunde, und morgen reiten wir mit ihnen nach Fort Guadeloupe, um abzuwarten, wann wir zurückkehren können.« – »Welch ein Glück! Dem Tode so nahe und doch gerettet!« – »Das haben wir nur diesem Schwarzen Gerard zu verdanken.« – »Ich weiß es; aber es ist mir völlig unbegreiflich, weshalb er sich gerade für uns so interessiert.«
Berthold erklärte es ihm, soweit er selbst es soeben erfahren hatte. Dann fragte er:
»Hast du eine Ahnung von der eigentlichen Ursache, aus der man uns töten wollte?« – »Das versteht sich, der Kapitän war in Zilli verliebt.« – »Und der Oberleutnant in Pepi. Diese beiden Mexikanerinnen wären schuld gewesen an unserem Tode, aber sie haben uns dafür desto energischer verteidigt Hattest du jenes Schreiben wirklich von Juan Franzisko?« – »Nein. Ich ließ es mir vom Grafen La Tour schenken, um ein Autograph des berühmten Parteigängers zu besitzen. Aber dein Brief?« – »War auch ein ganz ungefährliches Schriftstück. Ich sollte d'Huart eine Dosis Opium gegen ein Magenleiden schicken. Die Bemerkung, die er über Bazaine machte, war eine ganz zufällige und stand mit dem Marschall nicht in der geringsten Beziehung.« – »So hätten wir beide unschuldig sterben müssen, wenn wir die beiden Mädchen nicht gehabt hätten. Ich werde trotz der späten Stunde die kleine Zilli aufsuchen, um mich bei ihr zu bedanken.« – »Ich habe dies bei Pepi bereits getan.« – »Ah! Und wie hat sie es aufgenommen?« – »Sehr spröde.« – »So werde ich sehen, ob ich mehr Glück habe!«