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18. Kapitel.

Gerard war mit André nach der erwähnten Hazienda geritten, und der alte Pirnero hatte nun wieder Ruhe im Haus, denn die beiden deutschen Doktoren waren in den Fremdenzimmern untergebracht, während die mexikanischen Schwestern das Zimmer bewohnten, wo Gerard vor kurzem so gut und lange geschlafen hatte.

Jetzt nun saß Pirnero an seinem Fenster und Resedilla an dem ihrigen. Er trommelte emsig an den Scheiben. Tat er das aus Mißmut über das schöne Wetter? Das war abzuwarten, denn eben jetzt begann er:

»Prachtvolles Wetter!«

Die Tochter antwortete nicht wie gewöhnlich, und darum wandte er sich nach ihrer Seite hin und sagte in strengem Ton:

»Nun? Schönes Wetter!« – »Sehr schön«, stimmte sie bei. – »Aber doch ärgerlich!« meinte er. »Weil er sich sonst eher den Anzug gekauft hätte.«

Die Tochter wußte genau, wen er meinte, fragte aber dennoch: »Wer?« – »Nun, das kannst du dir wohl nicht denken? Der Schwarze Gerard natürlich!« – »Du meinst, er hätte den Anzug eher gekauft?« – »Ja; er sagte es ja selbst! Dann hätte ich auch eher erfahren, wer er war.« – »Aber, Vater, ich denke, du bist Diplomat!« lächelte sie. – »Das will ich meinen. Aber weißt du, mit wem Diplomaten sich beschäftigen?« – »Nun, mit wem denn?« – »Mit Präsidenten, Ministern und Generälen, aber nicht mit liederlichen Jägern. Darum habe ich ihn gar nicht beachtet.« – »Aber dich doch stets mit ihm gezankt!« – »Alle Wetter, ärgere mich nicht, Mädchen! Du weißt, woher ich bin!« – »Aus Pirna!« – »Nun also! Wir aus Pirna ärgern uns nicht gern. Ich möchte wissen, wie es gekommen ist, daß ich ihn sogar für einen französischen Spion gehalten habe! So etwas kann eigentlich nicht einmal dem schlechtesten Diplomaten passieren. Seine schmutzige Jacke hat mich ganz und gar irregemacht.« – »Mich nicht!« – »Ja, du warst dieses Mal klüger als ich, brauchst dir aber darauf nicht etwa viel einzubilden, denn diese Klugheit hast du nur durch die Vererbung vom Vater auf die Tochter. Was sagte er denn, als du mit ihm da draußen im Hausflur standest?« – »Nichts.« – »Er hatte doch deine Hand gefaßt!« – »Ja. Aber muß er denn dazu etwas gesagt haben?« – »Das versteht sich. Wenn ich jemanden bei den Händen, bei den Ohren oder überhaupt bei der Parabel nehme, muß ich doch etwas zu ihm sagen, sonst weiß er ja gar nicht, weshalb ich ihn anfasse. Hat er dir etwa einen Antrag gemacht?« – »Nein.« – »Auch nicht von Liebe gesprochen?« – »Nein.« – »Auch nicht so leise vom Schwiegersohn gemunkelt?« – »Aber, Vater!« – »Oder gesagt, daß du hübsch bist?« – »Auch nicht.« – »Hm! Er ist ein berühmter Jäger, aber ein dummer Kerl! Weißt du nicht, ob die beiden Mexikanerinnen droben Frauen oder Mädchen sind?« – »Jedenfalls Mädchen.« – »Warum denkst du dies?« – »Das sieht man doch sofort.« – »Ja, du hast heute deinen gescheiten Tag. Aber könntest du nicht wenigstens den Kleinen André leiden?« – »Vater, ich bitte dich!« – »Unsinn! Er hat Nuggets!« – »Ich bin größer als er!« – »Er hat Depositen in New York!« – »Er ist sechsunddreißig Jahre alt!« – Aber er kann Bier brauen!« – »So laß dir welches brauen; ich aber brauche keins von ihm!«

Resedilla stand auf und verließ das Zimmer. Er sah ihr mürrisch nach.

»Da hat man es!« murmelte er. »Jetzt habe ich es wieder mit ihr verdorben! Denkt sie denn etwa, der heilige Christ kommt, um sie zu heiraten? Zuletzt muß sie froh sein, wenn ein alter Vaquero anlangt und sie wegnimmt!«

Pirnero hatte trotz des schönen Wetters wieder schlechte Laune bekommen, denn er trommelte so laut an die Fensterscheibe, daß er es gar nicht hörte, wie die Tür sich öffnete und wieder schloß. Doktor Berthold war eingetreten. Er kam, um seinen Wirt kennenzulernen, und setzte sich in dessen Nähe nieder.

Jetzt erst bemerkte Pirnero die Anwesenheit seines Gastes, nickte ihm grüßend zu und fragte:

»Wollt Ihr etwas trinken, Señor?« – »Was habt Ihr?« – »Alles, am meisten aber Julep.« – »So gebt mir ein Gläschen.«

Pirnero holte das Getränk und nahm dann seinen Platz wieder ein. Daß er dabei dem Gast den Rücken zukehrte, nahm dieser als ein Zeichen, daß der Wirt keine Lust habe, mit ihm zu sprechen. Er schwieg daher. Dies war aber keineswegs Pirneros Absicht, denn nach einer Weile sagte er:

»Ausgezeichnetes Wetter!« – »Sehr schön«, antwortete Berthold lächelnd. – »Seit heute morgen!« – »Ja, gestern regnete es.« – »Und wie! Fast wie in Pirna, wenn es gießt.« – »Was, Ihr nennt den Namen Pirna?« fragte der Doktor. – »Ja.« – »Kennt Ihr diese Stadt?« – »Das will ich meinen. Und Ihr?« – »Ich war öfters dort.« – »Von Wien aus?« – »Ah, Ihr wißt, daß ich ein Wiener bin?« – »Freilich!« – »Wer hat es Euch gesagt?« – »Der Kleine André.« – »Ah, der kleine Jäger, den wir heute fingen! Ja, ich war einige Male in Pirna, um ärztliche Studien auf dem Sonnenstein zu machen.« – »Sapperlot, Señor, wolltet Ihr etwa verrückt werden?« – »Nein; das war meine Absicht nicht. Aber woher kennt Ihr Pirna?« – »Es ist ja meine Vaterstadt!« – »Zum Teufel, warum sprecht Ihr denn da nicht deutsch, wenn Ihr aus Pirna seid?« – »Kennen denn die Wiener unser Pirnsches Deutsch?« – »Verstehen können sie es auf alle Fälle. Aber wie kommen Sie aus Sachsen hierher in dieses Land, Señor?« – »Das will ich Ihnen erklären. Wissen Sie vielleicht, was ein Diplomat ist?« – »Ich denke.« – »Und ein Politikus?« – »Ja.« – »Nun sehen Sie, ich hatte dazu die größten Anlagen; aber in Pirna fehlte dazu das Feld, die Gelegenheit, meine Politesse an den Mann zu bringen. Ich wollte mein Licht leuchten lassen, und darum bin ich nach Mexiko gegangen.« – »Leuchtet es denn hier?« – »Das will ich meinen. Wenn Sie es jetzt noch nicht sehen sollten, so werden Sie es doch jedenfalls bald merken. Kennen Sie den Kaiser Max?« – »Ja.« – »Den Marschall Bazaine?« – »Ja.« – »Den Präsidenten Juarez?« – »Ja.« – »Nun sehen Sie, mit diesen Leuten beschäftige ich mich. Wäre ich aber in Pirna, so würden sie mich gar nichts angehen; ich wäre ein Spießbürger geblieben und schnupfte aus einer Birkendose und äße Pflaumenmus mit Kartoffeln. Für welchen nehmen Sie Partei?« – »Für keinen.« – »Sapperlot, ist das möglich?« – »Wie Sie sehen!« – »So sind Sie also kein Diplomatikus?« – »Nein.« – »Und kein Politikus?« – »Auch nicht.« – »Aber hören Sie, was soll denn da im ganzen Leben aus Ihnen werden? Sogar Nudelmüller und Breetenborn politisieren im Dorfbarbier, und Sie als Wiener wollen die Weltgeschichte mit Verachtung strafen? Aber halt, jetzt fällt mir ein, was der Grund sein kann! Sind Sie verheiratet?« – »Nein.« – »Da hat man es! Habe ich es mir nicht gleich gedacht? Wer nicht heiratet, aus dem wird nichts Gescheites, nicht einmal ein Diplomat. Sie sind Doktor, wie ich höre?« – »Ja.« – »Was denn für einer? Doktor der Zahnzieherei oder der Medizin?« – »Der Medizin.« – »Da sollten Sie doch eigentlich wissen, daß es Bestimmung der Menschen ist, sich erstens zu verlieben und zweitens zu verheiraten.« – »Das weiß ich allerdings.« – »Warum befolgen Sie es nicht selbst?« – »Bisher habe ich keine Zeit dazu gehabt.« – »Keine Zeit? Mein Gott, wie man nur so reden kann. Zum Verlieben gehört eine einzige Stunde und zum Verheiraten eine halbe, wenn der Pfarrer es kurz genug macht. Anderthalb Stunden werden Sie doch sicherlich erübrigen können!«

Berthold wußte wirklich nicht, was er denken und sagen sollte; darum meinte er, indem er seine Heiterkeit zu verbergen suchte:

»Ist es bei Ihnen denn so schnell gegangen?« – »Das versteht sich! Verlieben Sie sich in Mexiko; da geht alles sehr schnell. Werden Sie in diesem Land bleiben?« – »Wohl nicht.« – »Das ist schade! Sie würden hier eine sehr gute Praxis finden. Wir haben nämlich hier keinen Arzt im Fort und ebensowenig in der Umgebung.« – »Gibt es hier häufig Krankheiten?« – »Freilich. Vor sechs Jahren hatte ich einen Schwären, vor elf Jahren litt meine selige Frau an Fußaderknoten, und vor zwei Jahren hatte sich meine Tochter in den Finger gebrannt Es ist noch gar nicht lange her, da schnitt sich einer meiner Vaquero in die Hand. Er hat wohl ein Viertelpfund Schwamm auflegen müssen, ehe es heilte.« – »Solche Krankheitsfälle, zumal sie so häufig auftreten, sind nun freilich imstande, einen Arzt Veranlassung zu geben, sich hier niederzulassen.« – »Sehen Sie!« – »Ich ziehe mir aber doch die Heimat vor!« – »Nun, ich will Sie nicht bereden, denn wenn Sie sich hier zu sehr anstrengen würden, daß Sie selbst erkrankten, so bekäme ich Vorwürfe. Aber Ihr Freund, ist der nicht auch Doktor?« – »Ja.« – »Der Theologie?« – »Nein, auch der Medizin.« – »Aber wenigstens er ist verheiratet!« – »Nein.« – »Will er etwa ledig bleiben?« – »Ich habe über diesen Punkt noch nicht mit ihm gesprochen.« – »Herrgott, das ist ja der Hauptpunkt im Leben, über den man mit jedem Menschen reden soll! War er noch nie verliebt?« – »Ich habe ihn noch nicht gefragt.« – »So fragen Sie ihn so bald wie möglich, und sagen Sie es ihm, daß es nichts Besseres gibt, als Schwiegersohn zu sein. Ist man Arzt, und der Schwiegervater hat einen Kramladen, so kann man sehr leicht eine Apotheke errichten. Tee wächst im Wald genug, und das Pflaster kann man sich von den Vaqueros sieden lassen.« – »Ich danke, Señor! Sobald ich Zeit finde, werde ich mit ihm sprechen. Adieu.«

Der Arzt kehrte kopfschüttelnd in sein Zimmer zurück, der Wirt aber war ebenso mit ihm unzufrieden. Er hatte überhaupt heute trotz des guten Wetters eine sehr üble Stimmung.

Am Nachmittag kehrte Gerard mit dem Kleinen André von der Hazienda zurück. Er fand die Apachen noch auf derselben Stelle lagernd, wo sie am Vormittag sich versteckt gehalten hatten. Da der Häuptling der Ansicht war, daß sofort aufgebrochen werden sollte, so fand Gerard kaum Zeit, noch einmal nach dem Fort zu reiten, um von Resedilla Abschied zu nehmen. Er traf sie nicht unten im Zimmer und auch nicht daneben in der Küche. Er stieg daher die Treppe empor und klopfte an der Tür ihres Zimmers. Sie öffnete, und als sie bemerkte, daß er es war, überflog ein tiefes Rot ihr schönes Gesicht.

»Verzeihung, Señorita, daß ich es wage, Euch hier aufzusuchen!« sagte er. »Ich muß augenblicklich aufbrechen, wollte dies doch nicht tun, ohne Euch Lebewohl gesagt zu haben.« – »Tretet ein, Señor.«

Er tat dies, und da stand er nun in demselben Raum, wo er sie an jenem Abend gesehen hatte. Auch sie schien daran zu denken, denn ihr Gesicht drückte eine reizende Verlegenheit aus. Aber dabei ruhte ihr Auge mit sichtlichem Wohlgefallen auf seiner hohen Gestalt, die sich in dem neuen Gewand ganz anders ausnahm als in dem alten.

»Ich dachte nicht, daß Ihr das Fort so bald verlassen würdet, Señor«, sagte sie. – »Ich ebensowenig, bis morgen wenigstens glaube ich noch bleiben zu dürfen.« – »Und ich darf wissen, wohin Ihr geht?« – »Ja, denn ich weiß, Ihr werdet mich nicht verraten. Wir gehen nach dem Saladofluß, um einen Transport gegen die Komantschen zu verteidigen.« – »Ihr seid der Anführer?« – »Bärenauge und ich.« – »Oh, so wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen. Setzt Euch nicht unnötigerweise den Gefahren aus, die Euch da entgegentreten.« – »Ich werde vorsichtig sein, Señorita. Aber warum wünscht Ihr dies?«

Sie blickte zu Boden und antwortete nicht. Da ergriff er ihre Hand und fragte:

»Zürnt Ihr mir, daß Euer Vater uns heute überraschte?« – »Nein«, antwortete sie leise. – »Und auch nicht, daß ich ihn zurückwies, als er Euch mir zuführen wollte?« – »O nein, Señor. Wenn Vater doch anders sein wollte!« – »Ich verstehe Euch. Ihr habt da manche Kränkung zu erdulden. Jetzt aber muß ich scheiden, Señorita. Darf ich wiederkommen?« – »Ich bitte Euch darum.« – »Und bald?« – »Ja.«

Gerard blickte ihr in die Augen, die sich mit Tränen zu füllen begannen. Er zog die geliebte Maid eng an sich, und sie widerstrebte nicht. Ihr Busen ruhte warm an seinem Herzen; ihre Hand lag auf seiner Schulter. Er aber führte die andere Hand an seine Lippen und flüsterte:

»Darf ich an Euch denken, Resedilla?« – »Oh, bitte, tut es, und recht oft!« antwortete sie. – »Und Ihr?« – »Ich werde Euch keinen Augenblick vergessen!« – »Ist dies wahr?« – »Oh, Ihr dürft es mir schon glauben, Señor!« versicherte sie leise.

Da zog er sie noch inniger an sich, küßte ganz leicht ihr Haar und sagte:

»Gott segne Euch für dieses Wort, Señorita! Ihr macht mich unendlich glücklich damit. Nun gehe ich getrost den Komantschen entgegen, denn ich kenne einen Mund, der vielleicht für mich beten wird.«

Er hörte, daß sie ein Schluchzen unterdrückte; sie antwortete:

»Ja, ich werde für Euch beten, Señor, darauf könnt Ihr Euch verlassen!« – »So lebt wohl, Señorita!« – »Lebt wohl!«

Gerard ging. Sie sah durch das Fenster, wie er zu Pferde stieg. Wie sah er heute doch so ganz anders aus! Ihr Herz klopfte vor Stolz und Freude, und dennoch mußte sie weinen. Worüber? Daß er von ihr gegangen war? Ja. Aber es gab noch einen anderen Grund. Es trägt ein jedes Mädchen ein Ideal in seinem Herzen. So war es auch mit Resedilla gewesen. Sie hatte an demselben treu festgehalten und alle Bewerber abgewiesen. Und nun endlich derjenige kam, in dem ihr Ideal sich verkörpert zu haben schien, da riß er sie aus ihrem Entzücken durch das offene, aber unvorsichtige Bekenntnis, daß er ein Verbrecher gewesen sei.

Sollte sie da nicht weinen? Hatte ihr Ideal nicht den Glanz, den Nimbus, die Reinheit verloren? Oh, sie hatte diesen Gerard lieb, unendlich lieb, und dennoch mußte sie weinen, weinen, weinen!


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