Johannes Richard zur Megede
Félicie
Johannes Richard zur Megede

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Zweites Kapitel

Bemühe Dich nicht wegen des Gothaischen! Die Herzöge von Lièges giebt es, und die Prinzen von Bragan auch. Wir haben nämlich die Frau Herzogin mit unsern sündigen Augen geschaut.

Es war beim Frühstück und ich gegen meine Gewohnheit rechtzeitig zur Stelle. Die Engländerinnen wallten in langem Zug vorüber. Eine blonde, kokette Trauerwitwe dabei, auf Stöckelschuhen ein kleiner französischer Fuß, also eine entartete Tochter Albions. Dann Pause. Die Flügelthüren öffnen sich besonders weit. Der Oberkellner, ganz Höfling, neigt das Haupt: »Wenn Durchlaucht die Gnade haben wollen, hier Platz zu nehmen.« – Alle Blicke: »Ah!« Auch die Herzoginnen haben die Höflichkeit der Könige. Es schlägt im Augenblick eins. Ich sehe mich halb um, das Monocle-Auge starr. Sie ist wahrhaftig von Geblüt. Die Gestalt wie biegsam, das Gesicht wie anmutig! Sie ißt natürlich auch allein. Zwei Schritte von mir. Wir verbeugen uns halb voreinander – sie tief, ich tiefer. Wenn ich ein Tasso wäre, diese Eleonore ist eine Sünde wert. Aber ich bin keiner, weder unglücklich noch Dichter. Dennoch begegnet mir hier die erste Frau, bei der ich nur Licht sehe und keinen Schatten. Leichtes Genre, wie ich überzeugt bin. Eben deshalb, ihr persönlicher Adjutant à la suite des Herzens möchte ich schon sein. Wie gewohnt beende ich mein Dejeuner von allen zuerst. In der Abschiedsverbeugung nehme ich all die eckige Eleganz zusammen, die mir der Kasinodrill einst gab. Es ist thöricht, eine reizende Begegnung nicht ganz auszukosten, aber es ist meine Natur so. Ich liebe die aussichtslosen Schwärmereien nicht.

Den Nachmittag kletterte ich in den Bergen. Sirokkograuer Himmel. Da steigt sich's schlecht. Als ich beim Rückweg die wunderbare Felsstraße hinauf will zu unserm Hotel, sehe ich am Meer die schwarze Schieferklippe ragen. Das Meer lockt mich immer. Ich schlendre die frisch beschotterte Straße hinab, die auch italienischen Pferden eine Qual sein muß. An die Frau von Mittag kein Gedanke, ich vergesse selbst reizende Weiber so schnell. Da sehe ich dicht am Riff eine Equipage halten. Elegante Viktoria mit hochgezogenen Rassepferden, hellblau livrierte Kutscher und Diener auf dem Bock. Ich denke: welch italienischer Grande mag schon jetzt seinen römischen Winteraufenthalt unterbrochen haben? Interessiert mich aber nicht besonders. Ich trete auf die riesige Felsplatte, die von Trümmern bedeckt ist. Erst jetzt bemerke ich, daß ich nicht allein bin. Eine Dame ist noch da, die sich soeben von ihrem Feldstuhl erhoben. Die Herzogin. Ich grüße, sie dankt mit einer wunderbar leichten Neigung des Kopfes. Charme hat sie, wahrhaftig, fabelhaft viel Charme! Dann schaut sie nach dem Meer, wo weit draußen die weißen Segel der Fischerboote unbeweglich liegen auf der öligen Flut. Sie schaut gespannt, die weiße Hand an der Stirn. Wie sie so dasteht, sehe ich sie erst recht: eine feine, schlanke Gestalt, ein blasses Kameenköpfchen, aber nervös, das blauschwarze, schlichte Haar im griechischen Knoten über einem beängstigend zarten Nacken. Von den Augen sah ich nur die lange, weiche, aufgebogene Wimper unter der schmalen, dunkeln Linie der Brauen schimmern.

Ich will gehen, weil der ungebetene Gast stört. Da stößt mein Fuß an Geröll. Sie wendet sich um, merkt die Absicht, kommt rasch auf mich zu und sagt im korrekten Deutsch einer Ausländerin: »Sie stören mich nicht! Und wenn ich Sie störe, sagen Sie es mir ruhig.«

»Durchlaucht sind zu gütig!«

Darauf lächelt sie und macht eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Warum ›Durchlaucht‹? . . . Übrigens . . . Gaston, portez un autre pliant, vous en avez deux.«

Der Diener auf dem Bock beeilt sich, bringt den Feldstuhl. Ich mache auch keine Einwendungen. Das Tete-a-tete entzückt den alten Viveur. . . . Sie hat übrigens auffallend große, opalfarbene Augen, liebe, warme Augen, deren Ausdruck bei jedem Lächeln wechselt. So sitzen wir brüderlich bei einander.

Sie nimmt das Gespräch zuerst wieder auf: »Durchlaucht, wozu? Das sagen die Leute. Bei Ihnen in Deutschland hätte ich darauf wohl sowieso kein Recht: regierende Herren waren wir nie. Nennen Sie mich ruhig Herzogin, wie ich's gewohnt bin. Als Mädchen war ich Prinzessin. Das klang meinen Ohren eigentlich angenehmer. Ich würde Sie auch einfach Baron nennen. Also Baron von den Rabén . . .« Bei meinem Namen errötet sie auf einmal leicht und beißt sich auf die schmalen Lippen. »Was müssen Sie für einen Begriff von mir bekommen! Ich falle fremde Herren auf der Landstraße an, weil sie mir im Hotel unerreichbar sind. Ich wohne nämlich gar nicht da. Ich habe da nur gefrühstückt, weil ich allein nicht essen kann. Und da man neugierig wird, wenn man immer mit seinem Mann allein ist, habe ich mich nach dem Namen des Herrn erkundigt, der ebensowenig wie ich mit der Allgemeinheit etwas zu thun haben wollte. Neugierig bin ich auch wohl von Natur . . .«

»Sie entzücken mich durch diese menschliche Schwäche, Herzogin.« Wäre ich Leutnant, würde ich unterthänig gefragt haben, ob ich sie nicht vielleicht Königin nennen dürfte. Das dazu gehörige »meines Herzens«, das ergänzt sich eine verführerische Frau selbst. Und Eitelkeit gedeiht auch unter Kronen. Aber hochmütig, wie ein Raben nun einmal ist, thue ich das nicht, sondern erkläre ihr die Geschichte unsers Freiherrntitels und daß ich ihn keineswegs liebe. Ich verstehe in der That noch heute nicht, wie der Vater von dem schrulligen Onkel diesen Titel gerade für uns beide als Anhängsel des zu erbenden Gutes annehmen konnte. Von den Raben: das klingt nach nichts, ist aber etwas; Freiherr zu North: das klingt nach etwas und ist nichts. Wer die Geschichte solcher koburgischen Nobilitierungen aus den sechziger Jahren kennt – und wer kennt sie nicht? –, der muß sich doch immer versucht fühlen, unsereinen zu fragen: »Wie teuer in Thalern Preußisch Kurant kam doch Ihrem Herrn Onkel diese Nobilitierung?« Nee, ich heiße von den Raben, bloß von den Raben, und kann es leider nicht hindern, daß die Leute auf Briefcouverts mich Baron schimpfen. Was heißt das überhaupt heutzutage noch: so ein angeflogener Titel ohne jedes Verdienst?! Wäre ich als Herr Müller geboren, so wollt' ich Herr Müller bleiben mein Leben lang und im Grunde meines Herzens dennoch denken: ›Ich bin zehnmal vornehmer als ihr allesamt!‹

Die Herzogin versteht vollkommen, ehrt auch meine Gefühle, winkt aber dessenungeachtet mit reizender Naivität ab. »Aber nun sind Sie doch einmal Baron! Lassen wir es doch dabei: Ich weiß nämlich wahrhaftig nicht, wie ich einen Edelmann unter dem Baron anreden sollte.«

Ich bin's zufrieden . . . »Herzogin sind zum erstenmal hier?«

»Aber nein! Jedes Jahr um diese Zeit kommen wir und gehen nicht vor April. Sonst leben wir in Brüssel, aber nur wenige Wochen, dann auf unserm Schloß in Flandern. Die ewigen Schlösser langweilen mich schon etwas. Dachten Sie übrigens wirklich, ich logierte hier im Hotel?«

»Allerdings, Herzogin. Ich hatte sogar meine Hoffnungen auf Sie gesetzt.«

»Ich nicht! Wissen Sie, Baron, daß Sie mir einen direkt unangenehmen Eindruck machten? Nachher sah ich Sie mit Ihrem Hunde weggehen, und wie das Tier mit Inbrunst geradezu nach Ihnen aufsah, da dachte ich, vielleicht thue ich ihm bitter unrecht durch mein vorschnelles Urteil. Ich habe viele, viele Fehler; aber jemand wissentlich unrecht gethan zu haben, das thut mir selbst am wehesten.«

»Herzogin beschämen mich wahrhaftig durch so ungewohnte Güte.«

»O, das ist die Meinung nicht! . . . Ich will Ihnen nur erklären, warum ich Sie angesprochen habe.«

»Und das Endergebnis?« Ich sehe Frauen bei solchen Gewissensfragen immer scharf an. Sie errötet aber nicht, was ihr einen fast kindlichen Reiz giebt; auch das Auge weicht nicht aus.

»Ich weiß noch nicht, Baron, ich weiß wirklich noch nicht! . . . Aber nun zu etwas anderm. Sehen Sie da drüben, wo diese Riesenbucht so im scharfen Bogen vorspringt, auf der halben Höhe des Berges eine weiße Linie schimmern?« Sie muß ein Auge haben so scharf wie eine Möwe. »Es ist die Straße. Da ist ein großer, grüner Fleck und mitten drin etwas Gelbliches, Verwittertes. Es könnte ein riesiger Felsblock sein, es ist jedoch ein Schloß, ein alter Sarazenenturm, wie sie dutzendweise die Küste entlang aus grauen Olivenwäldern herausschauen oder von unwegsamen Klippen herabdräuen. Das ist unser Schloß. Wir haben es ausgebaut und den einen Flügel drangeklebt. Erst im vorigen Jahr wurde es fertig. O, ich habe eine Mühe gehabt mit dem Architekten! Es sollte etwas besonders Hübsches werden, bizarr und doch nicht aufdringlich. Und es ist wirklich nett geworden. Ich bin stolz darauf, selbst von hier gesehen. Können Sie die schmalen Luken des Turmes erkennen und daneben die ganz große Fensteröffnung? – Das ist unser Speisesaal . . . Aber Sie können natürlich nichts sehen, mit Ihrem Einglas nun schon ganz gewiß nicht! Das tragen ja die Herren nur der Mode halber oder aus schlechter Gewohnheit.«

»Ohne dies Glas, Herzogin, wäre ich auf weite Entfernungen fast blind.«

»Na, gut. Ihnen will ich's gestatten, obgleich ich's nicht ausstehen kann . . . Sagen Sie, Baron, malen Sie nicht auch?«

»Allerdings.«

»Zum Vergnügen?«

»Nein, das ist mein Beruf.«

»Das interessiert mich! . . . Aber Sie stellen doch nur aus und verkaufen nicht?«

»Ich verkaufe an die Meistbietenden, früher für wenig, jetzt nur für schweres Geld.«

»Wenn Gott den Schaden besieht, dann sind Sie am Ende ein ganz bekannter Mann und alle meine Fragen nicht nur neugierig, sondern ungezogen . . . Warten Sie mal! . . . In Brüssel bin ich immer zu den Ausstellungen gewesen, auch mal bei der Eröffnung des ›Salon‹ in Paris. Soll ich Ihnen noch etwas sagen, Baron, was Ihnen auch den Rest von Sympathie für die Herzogin von Lièges nimmt? Im ›Salon‹ haben mich hauptsächlich die Toiletten interessiert . . .«

»So sind Sie wenigstens ehrlich, Herzogin, während andre heucheln.«

»O, sagen Sie das nicht! Andre Frauen haben natürlich ein Rieseninteresse dafür, mir aber fehlt der Sinn. Ich liebe Musik . . . o ja, Musik! Nichts zu Schweres! Ich muß dabei träumen können . . . Wenn man eben nicht viel Geschmack hat . . .«

»Hat man das in der That nicht?« Und ich lasse dabei den gewissen ungläubigen Blick über die schlanke Grazie dieser Formen gleiten. Frauen verstehen ihn immer. Er soll heißen: ›Aber Gnädigste, wer so viel Geschmack hat wie Sie! . . .‹ Und wirklich muß einem hier der Gedanke kommen. Das Kleid schwarz, hoch geschlossen, in der venetianischen Spitzenkrause ein brillantgefaßter Riesentürkis von so krankem Grün, wie ich es selten sah. Es ist die raffinierte Einfachheit, die ich liebe, darüber der Hauch von Welt und naiver Koketterie – Du weißt, daß eine Berliner Freundin sich einst sklavisch nach meinen Angaben in Sachen des Kleidergeschmacks richtete und auf dem Opernhausball Sensation erregte, obgleich sie mehr chic war als schön.

Die Herzogin kennt den Blick der Kennerbewunderung wohl und sagt eilig: »O, mich zieht man leicht an, weil mir alles steht!« Ja, den Deuwel, sie zieht natürlich nur an, was ihr steht. Und jetzt kommt, was sie von der grande dame so reizend unterscheidet. Nicht etwa eine ermutigende Bewegung mit dem Sonnenschirm oder ein Blick, der zu mehr auffordert. Für sie habe ich eben nicht als Mann gesprochen, sondern als Künstler. Das Zuviel der Bewunderung liebt sie nicht. Sie will lieber mehr von meinem Handwerk wissen. Wie lange ich's triebe und wie gern? Ihr ist's verwunderlich, daß ich nach den tollsten Seitensprüngen erst auf meinen Beruf gekommen bin und doch vom Fleck ihn als Künstler und nicht als Amateur übte. Die guten Leute können sich eben schwer vorstellen, daß jede Kunst zum kleinsten Teil Vergnügen und zum größten Arbeit ist. Und allgemach mag der Herzogin auch dieser Mann imponieren. Ich erzähle ja nie schlecht, wenn ich warm werde. Das Gemisch von Ernst und Ironie, das mir eigentümlich, reizt die Frauen; sie möchten gern mehr wissen, weil sie dahinter immer ein Geheimnis wittern, eine magisch treibende Kraft, die vielleicht eine ihres Geschlechtes übte. Wenn die Gute ahnte, daß mir die Frau nie etwas andres war als eine gewisse Anregung, und daß auch sie weiter nichts ist in diesem Augenblick! . . .

»O, ich verstehe Sie sehr gut, Baron! Solch Beruf ist Passion, solch Beruf ist Glück!«

»Kaum, Herzogin.«

»Wie meinen Sie das?«

»Weil Glück Anlage ist, und ich diese Anlage nicht habe.«

»Das mag stimmen . . . Das stimmt ganz gewiß . . . Ich glaube, unendlich wenig Menschen haben Anlage zum Glück . . . Aber Sie dürfen mir das nicht sagen, Baron, Sie nicht! – Sehen Sie, Sie erzählen so hübsch, mir wird auch warm dabei, und nachher sollt' ich denken: ›der Mensch redet das nur so hin und empfindet die Wärme selbst gar nicht!‹ . . . Ich will Ihnen etwas sehr Schlimmes vorschlagen: Sie dürfen mich ruhig auslachen oder ärgerlich abwinken. – Sie müssen sich unsern Sarazenenturm ansehen; nicht etwa so ein steifer Besuch, wo Sie im Frack und ich in der Empfangstoilette. Den machen Sie später einmal, wenn's durchaus sein muß. Fürs erste sollen Sie nicht uns, sondern unsre Villa besuchen. Ich werde dem Diener sagen, daß er, wenn ein Baron von den Raben kommt, alles ungemeldet und ungestört ansehen lassen soll, was ich nur sehr bevorzugten Landsleuten gestatte. Vielleicht doch, daß Ihr Malerauge da etwas interessiert, daß Sie eine Anregung finden. Es gehen Sagen bei uns um von eingemauerten Christenknaben, und meine Kammerjungfer graut sich während der ganzen Andreasnacht vor einem Türken mit krummem Säbel und rotem Turban, der im Keller umgehen soll. Das sind natürlich Kindereien. Solche Gespenster sah ich nie, es giebt aber andre . . . Oder Sie verlieben sich in den Park! Den werden Sie sogar ganz gewiß hübsch finden. Er ist nur klein, aber es wachsen so seltene Bäume dort, namentlich uralte Cypressen, und in der Tiefe blaut nirgends an der ganzen Riviera hüben und drüben das Meer so leuchtend klar . . . Und wenn Sie der Diener doch verraten haben sollte – ich fürchte, er wird es thun –, werden Sie es zudringlich finden, wenn ich mich nach Ihrem Befinden erkundige oder über die Schulter in die angefangene Skizze sehe?«

»Aber, Herzogin!«

»Nein, keine Liebenswürdigkeiten, die nicht von Herzen kommen! Ist's Ihnen aber nur um die Kunst zu thun, dann führe ich Sie gleich zu meinem Mann. Der versteht was von Gemälden oder glaubt es wenigstens . . . Was da für Kuriositäten und bric-à-brac aller Art zusammengetragen sind bei uns . . . Also, Sie kommen, Baron?«

»Herzogin sind zu gnädig . . .«

»Ja oder nein?«

»Ich verspreche nie etwas, was ich nicht halten kann.«

»Aber wissen Sie, daß das direkt unhöflich ist, Baron?«

»Und Sie sagten doch zu Anfang, Herzogin, daß . . .«

»Ach, das sagt man ja nur so! . . . Uebelnehmen will ich Ihnen auch die Weigerung nicht, aber es thut mir weh.«

»Warum eigentlich?«

»Das grübeln Sie sich selbst aus.« –

Dessenungeachtet bin ich entschlossen, ich will nicht auf dieses Sarazenenschloß. Es ist der Eigensinn eines Kindes, das froh sein sollte, wenn es eine reizende Fee protegiert. Stufflich ist's auch . . . Bin ich schon jetzt eifersüchtig auf den Duc? Das bin ich nun ganz gewiß nicht! Ich bin wohl eher empfindlich, daß sie von meiner Meisterschaft keine Ahnung hat, eine Meisterschaft, die ja auch nur für hysterische alte Jungfern existiert.

Nun schweigen wir uns auf unsern Feldstühlen eine ganze Weile aus. Tip hat sich zwischen uns gepflanzt mit einem Ausdruck im Auge, so scharf und argwöhnisch, als wittere er einen Feind. Die Herzogin lockt ihn mit der Hand; er bleckt als Antwort die spitzen Zähne unter einem leisen Knurren.

»Pfui, schäme dich! Bist du tollgeworden, Tip?«

Doch die Herzogin sagt nur lächelnd: »Es ist Ihr Hund.«

Ich verstehe den Stich. Der Gesellschaftsmensch, der ich einst war, besinnt sich und antwortet ebenfalls lächelnd: »Ich werde kommen, Herzogin.«

»Ich wußte das, Baron.«

»Können Sie Gedanken lesen?«

»Zuweilen.«

»Ich leider nicht.«

»Soll ich Ihnen etwas sagen? Wir sehen uns zum erstenmal, aber wir kabbeln uns sicher nicht zum letztenmal. Sie sind empfindlich, ich empfindsam. Darum müssen wir uns gegenseitig erziehen . . . Aber hat gegenseitiges Erziehen überhaupt einen Sinn?«

Die Unterhaltung ruht. Der Herzogin springt ein kranker Zug um den weichen Mund. Wir starren beide aufs Meer. Die Fläche ist schwer, weit, die Sirokkoluft drückt. An dem schwarzen Riff murmelt schläfrig die Welle. Die Fischerboote haben sich zerstreut. Bei mattem Wind kreuzen die einen heim, das schwere Ruder des andern taucht in die dicke Flut. Am uferlosen Horizont verschwimmen Meer und Wolken. Da bricht wie zum Abschied eine elende Sonne aus dem hängenden Dunst, blinzelt über den Wassern. Ich döse vor mich hin und wühle mit dem Stock im dunkeln Geröll. Als ich aufsehe, zittert ein letzter Sonnenstrahl auf einem weißen Segel, das, klein wie ein Punkt, noch weit, weit seewärts liegt. Auch die Herzogin träumt.

»Was mag das sein, – ein Segelschiff, eine Jacht . . .?« frage ich halblaut.

Sie zuckt leicht zusammen. »Es ist eine Jacht.«

»Herzogin sehen wunderbar scharf!«

»Es ist die ›Félicie‹.«

»Hübscher Name.«

»Mein Name.«

»Endlich mal ein Name, der nicht enttäuscht.«

»Meinen Sie?«

»Félicie heißt so viel wie Glück.«

» . . . Ich weiß es . . .«

Wieder Pause.

»Sie erwarten mit der Jacht den Herzog?«

»Nein . . . doch, doch . . .

Dann steht sie auf und sagt mit etwas müdem Lächeln: »Die ›Félicie‹ dort hat viel Glück. Zweimal hintereinander in Klubregatten den Großen Preis . . . Mein Mann ist ein leidenschaftlicher Segler . . . War jetzt zwei Tage weg, drüben an der andern Küste bei Spezia . . . Bei dem Winde kann es noch viele Stunden dauern, bis er herankommt. – Und nun verzeihen Sie, daß ich Sie verabschieden muß. Die Nachtluft bekommt mir nicht. Auf Wiedersehen, Baron!«

»Auf Wiedersehen, Herzogin!«

Ich trotte meines Weges. Wo die Felsstraße eine Biegung macht, schaue ich noch einmal zurück. Die Herzogin Félicie geht eben nach dem Wagen, sehr vornehm, sehr chic, dennoch jetzt ohne eine Spur der federnden Eleganz ihres Ganges. Aufsehend erblickt sie mich und winkt mit dem Schirm, diesmal die lässige Grazie selbst. Sie, weiß, daß ein Künstlerauge auf ihr ruht . . . Arme Thörin, die du vielleicht glaubst, schon die erste Begegnung habe mich bezaubert! Erst werde ich deine Reize zergliedern, so lange, bis du mir häßlich bist. Dann vergesse ich dich. Das ist mein Verhängnis bei Frauen, und noch keine entging ihm. Hübsche Larve, was bildest du dir eigentlich ein? Die Lüste, die du weckst, wohnen weit vom Herzen.

Ist sie kokett oder natürlich? . . . Was denke ich über diese Frau nach? . . . Sie ist die leichte, wetterwendische Art, eitel, hohl . . .

Siehst Du, Gert, was wir Tüncher nicht alles erleben! Das liest sich wie ein hübscher, kleiner Liebesrausch. Gefahrlos! Prinzessinnen halten's mit Adjutanten oder Lakaien. Das ist eine verschwiegene Liebesform, für die ich weder Anlage noch Verständnis besitze.

Damit Du aber nicht denkst, daß ich, ein wenig verrückt geworden, unter die Briefschreiber gegangen bin, – mit der Arbeit geht's nämlich absolut nicht. Ich muß einige Wochen aussetzen, aber ganz als Nichtsthuer halte ich's nicht aus. Daher diese Reiseberichte, die Du lesen sollst als das, was sie sind: die leichtfertigen Beichtgeheimnisse eines Dekadenten.

*

Noch immer ist die Herzogin meine einzige Bekanntschaft, ausgenommen natürlich der Badearzt. Ich bin nämlich wieder reumütig zu meiner absoluten Schlaflosigkeit zurückgekehrt. Die Luft ist hier zu trocken und zu bewegt. Weiß ich allein. Aber nach vier Wochen langweiligen Aufenthaltes wieder in ein andres, noch langweiligeres Rivieranest, wo die Bergformen zur Abwechslung etwas weicher sind, – danke! . . . Je eher, desto besser. Du kennst meine Ansichten über das Glück eines langen Lebens.

Von der Duchesse sprach ich mit dem bejahrten Medizinmann übrigens auch. Er klagt über die schreckliche Unwissenheit vieler deutscher Aerzte in Bezug auf die klimatischen Winterstationen. Sie machten so wenig Unterschied, weil ihnen die Riviera nur ein Sammelbegriff sei für Wärme, Windstille, Nebellosigkeit! Und ich muß ihm recht geben. War neulich mal in Bordighera und bin von da nach Ospedaletti hinübergebummelt. Ein Katzensprung, aber welch ein Kontrast! In B. nahm mir der Küstenwind den Strohhut vom Kopfe, und hier diese staubgesättigte Treibhausluft ohne Spur von Bewegung. Die Schwindsüchtigen da beneide ich auch nicht gerade . . . Der alte Herr wurde nach dem Dinerchartreuse etwas geschwätzig . . . »Ja, Aerzte und Patienten, die wollen eben manchmal nicht sehen! Da ist die Herzogin von Lièges . . . Sie hat mal hier gegessen, vermutlich nur, weil ein Brief des Prinzbruders nach dem Hotel adressiert war . . .« – »Ist die Herzogin denn krank?« – »Gewiß ist sie krank; Herz, nicht mal leichte Sache . . . Wissen Sie, die Frau hat sich fabelhaft jung verheiratet. Vernunftehe. Das bildhübsche, liebenswürdige Geschöpf hätte wohl auch einen Ebenbürtigen für das Herz kriegen können, aber im Augenblick war nur der eine Herzog disponibel. Da nahm sie den denn. Zuweilen rächt sich so etwas, meistens nicht . . . Es spielen da noch andre Dinge mit, die ich Ihnen nicht näher erörtern kann . . . Kurz und gut, nervös und zart war sie immer veranlagt. Dann ist das Herz in Mitleidenschaft gezogen worden. Man soll's nicht laut sagen, aber dieses verwünschte alte blaue Blut mit noch älterem gemischt, das soll eine vernünftige Rassenzüchtung sein und ist heller Wahnsinn. Altes blaues Blut ist vorzüglich, wenn das ganz rote dazu kommt. Bringen Sie das den Leuten bei – unmöglich! . . . In dem speziellen Falle kann ich mich auch irren. Die Ehe ist sehr glücklich, ohne irgendwelche Scene, eine beiderseitige Rücksichtnahme zartester Art . . . Ich bin alter Demokrat und denke mir im stillen: Blutig gezankt und heiß geliebt, das giebt allein gute, lebensfrohe Geschlechter. Werde mich hüten, Herzogen so etwas zu sagen . . . Ihnen, Baron, kann man solche Weisheitssätze schon vorsetzen. Blaublütig ist Ihre Sorte auch höllisch, aber sie hat immer die verständige Angst vor der zu großen Blaublütigkeit . . . Also zur Sache bemerkt: die Luft hier und die Höhenlage des Schlosses sind direktes Gift für das Herzleiden der Herzogin. Jedoch des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Und wenn sie vielleicht irgendwo anders alt werden könnte und hier durchaus jung sterben will, so wird sie wohl ihre Gründe dafür haben . . . Gute Nacht, Baron, Sie bleiben ja auch hier, obgleich es Ihnen nichts taugt.«

Die Frau Herzogin schneiden mich. Was um so peinlicher, als wir uns fast täglich begegnen. Auf der Landstraße – eh bien! – wenn die in Staub gehüllte Equipage mit dem Fuchsgespann vorüberjagt und ein Kameenprofil sich zu förmlichem Gruß senkt, da wäre nicht einmal Zeit, bei dem Fußgänger zu halten. Aber in der Stadt, in den engen Gassen, wo sich die edeln Traber zu unwilligem Schritt bequemen müssen, da könnte sie wohl einmal dem ehrerbietig Grüßenden die feine Hand herüberstrecken und sagen: ›Nun, wie geht's, Baron? Konnten Sie den Weg zu uns immer noch nicht finden?‹ Dann würde ich den Weg ganz gewiß finden, während ich ihn jetzt aus Trotz nicht finde. –

Neulich jedoch wieder das erste Wort. Ein Ausweichen war auch nicht möglich. Ich ging gerade zur Frühmesse: ich thue das in Italien zuweilen, aber der Kirche, der Volkstypen und des gewissen katholischen Parfüms wegen, jedoch nicht aus Herzensbedürfnis. Als ich eintrat, hob eben so ein elender Krüppel die Thürdecke zu meinem Empfang, und ein vollkommen verdorrter Arm streckte mir seine Mumienfinger bettelnd entgegen. Mit dem Mitleid packt mich zugleich der Ekel. Ich werfe dem Unglücklichen einen halben Franken zu, die zitternde Hand verfehlt ihn, und das Geldstück klirrt auf den Steinen. Während er sich danach bückt, rauscht die Herzogin an mir vorüber und sagt, ohne mich anzusehen: »Das ist häßlich, das kränkt! Man wirft einem Bettler nicht das Almosen hin, man giebt es ihm, zumal in der Kirche, wo wir doch alle Bettler sind . . .« Ich hatte nicht Zeit, zu antworten, zu erklären, daß dies keineswegs Hochmut, sondern Nervosität und der feige Wunsch sei, über so traurige Begegnungen schnell hinwegzukommen. In der Kirche hatte ich keine rechte Andacht, nur zuweilen trugen mir die Schallwellen etwas von Fuoco, Fegefeuer, ewiger Höllenpein zu, unter denen das Fischervolk stöhnte. Die Herzogin fesselte mich ganz. Sie kniete hinter der letzten Bank so demütig, wie nur ganz große Damen zu knieen pflegen. Eigentlich doch ein hübscher Tadel, den sie mir zurief vorhin: vielleicht Verräter eines großen, warmen Herzens! Wie sie so kniete, vornehm und doch von beinah jungfräulicher Bescheidenheit, da erinnerte sie mich an irgend jemand. Ich grüble darüber noch jetzt vergebens. Die Sonne fiel gerade durchs bunte Kirchenfenster, und der neblige Lichtstreif ruhte auf dem Haupte einer Heiligen. Ja, einer Heiligen! . . . Es war nur ein Moment. Eindrücke verwischen sich auch so schnell. Als sie dann zum Wagen ging, leichtfüßig, elegant, frappierte mich wieder der Gegensatz zwischen dem, was ich sehe und was ich gesehen. Ich wollte ihr auch schon nacheilen. Ich unterließ es. Vielleicht wollte sie gerade mir entgehen . . .

*

Man selbst entgeht seinem Schicksal doch nicht. Eine Woche später – ich kaufte gerade in einem Filigrangeschäft unnütze Zieraten für Deine Kinder –, da donnerte eine Equipage vor. Die Herzogin tritt herein, kommt auf mich zu, diesmal direkt und mit einem gütigen Lächeln auf dem jungen Gesicht: »Guten Tag, Baron. Wie geht's? – Ich suche Sie . . . Eine Frage: Sind Sie in der Nacht vom 21. zum 22. November vorigen Jahres über den Gotthard gefahren?«

»Allerdings, Herzogin.«

»Dann sind Sie mir auch schon längst bekannt und warm empfohlen . . . Erinnern Sie sich vielleicht einer älteren Dame, die mit Ihnen im Coupé fuhr?«

»Ob ich mich erinnere! Ich hatte mit ihr ein für mein Gefühl sehr peinliches Tete-a-tete.«

»Das weiß ich auch schon . . . Aber damit Sie orientiert sind: die Dame war eine sehr entfernte Verwandte von mir und eine Art mütterlicher Freundin. Da meine beiden Eltern sehr früh starben, hat sie mich eigentlich erzogen. Sie ist eine Deutsche – ein bißchen sonderbar – von ihr habe ich aber so viel Deutsch gehört, daß ich manchmal doch nicht weiß, ob es nicht meine Muttersprache ist. Nun, sie hat mir schon vor einem halben Jahre von einem Bild ›Die Liebe‹ geschrieben, das ich unter allen Umständen sehen müsse. Wir haben uns lange nicht gehabt, und deshalb wollte ich ihr den Gefallen thun und zu diesem Zweck im Sommer nach Berlin gehen, das ich bloß aus einer einzigen Gesellschaft bei einem Botschafter kenne, dessen Tochter mit mir im Kloster war . . . Das Bild hatte ich natürlich längst vergessen. Gestern schrieb sie mir noch einmal deshalb und namentlich von einer höchst merkwürdigen Begegnung mit dem Maler selbst. Ihren Namen lesen, Baron, und auf fünf Minuten zur Salzsäule zu erstarren, war eins. Dann habe ich mich wieder kindisch über unser Abenteuer auf der schwarzen Klippe gefreut. Bin ich nicht scharfsinnig? Hab' ich nicht Glück? . . . Sie mögen nur gedacht haben: Ist die Dame aber dreist! Innerlich bin ich das aber keineswegs. Sie sollen mich wirklich besser kennen lernen . . . Und wie ich Sie verstehe! . . . Ach, ich verstehe Sie auf einmal so gut! . . . Nein, ich bin Ihnen gar nicht mehr böse, daß Sie nicht kamen. Kommen müssen Sie aber doch . . . Sie müssen wieder unter Menschen. Morgen oder übermorgen werden Sie eine gestochene Einladung kriegen, wo der Herzog und die Herzogin von Lièges sich die Ehre geben, den Herrn von den Raben, sonst genannt Freiherrn zu North, zum Geburtstagsdiner der geborenen Prinzessin Félicie von Bragan einzuladen. Besuch vorher unnötig. Sie werden schon kommen, Baron.« Und dabei lächelt der weiche Mund freundlich, die Opalaugen lächeln auch, als wenn sie sagen wollten: ›Wir wissen ja, wie du gelitten hast, und deshalb wollen wir dich unter unsern herzoglichen Schutz nehmen.‹

Mit einer stummen Verbeugung meinerseits trennen wir uns.

In begreiflicher Gedankenlosigkeit kaufte ich darauf Deiner jüngsten Tochter eine silberne Streichholzbüchse, was ihr viel Vergnügen machen würde, aber gefüllt in so unnützen Kinderhänden schreckliche Brände auf Deinem Gehöft erzeugen könnte. Du siehst, lieber Gert, daß es Vergnügen und Verdruß zugleich ist, bekannt zu werden. – Natürlich geh' ich zu dem Diner. Verbrannte Flügel kennt Dein Bruder nicht, weil er ein zu weiser Schmetterling ist. Die reizende Herzogin ist doch etwas eitel und kokett und innerlich fest überzeugt, daß ich nach einer Wanderung durch die herzogliche Gemäldegalerie liebestoll zu ihren Füßen niederfalle Und flehe: »Wenn ich Sie malen dürfte, angebetete Félicie, es wäre mein Traum, mein Glück!«

Wie hübsch bei unsereinem die Phantasie doch noch arbeitet! Der Maler ist aber auch in diesem Geschreibsel lebendig und gruppiert gar hübsch all die hübschen Kleinigkeiten um eine gar hübsche Frau. Du bist der einzig Leidtragende, denn Du mußt alles lesen.



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