Johannes Richard zur Megede
Félicie
Johannes Richard zur Megede

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Viertes Kapitel.

Wird es Dir genügen, Rolf, nur eine hübsche Erinnerung auf dem überladenen Nipptisch einer belgischen Herzogin zu sein?‹ – Was soll das nun eigentlich heißen, Gert? Du scheinst wahrhaftig zu denken, ich sei bis über die Ohren verliebt! Ganz so weit sind wir noch nicht. Auf der andern Seite halte ich es für viel wahrscheinlicher, daß die reizende Félicie eine Erinnerung auf meinem Nipptisch sein wird. Ihr nehmt mich noch immer für ein Kind, das die große Kinderkrankheit der Liebe doch noch einmal durchmachen muß. Wenn erwachsene Menschen wie ich Kinderkrankheiten bekommen, sterben sie unfehlbar daran. Du siehst, wie pessimistisch ich die Liebe betrachte. Weil ich Euern rauhen Osten nun doch nicht beehre, sondern thatenlos an der Riviera herumstrolche, wähnt Ihr, ein schweres Scharlachfieber tobe schon durch meine Adern. Ihr möchtet mich schleunigst ins Bett bringen, damit der Ausschlag herauskommt und nicht, gewaltsam zurückgepreßt, sich auf edle Teile werfe, als da sind: Herz und Nieren. Ein Nesselfieber habe ich allerdings, ein angenehmes, erwartungsvolles Prickeln über den ganzen Körper. Unschuldiger Reiz! Manche Leute bekommen nach Erdbeergenuß diese Erscheinungen, und ich habe noch nie gehört, daß einer daran gestorben wäre.

Auf deutsch: Ich stehe ein wenig unter dem Zauber dieser reizenden Frau! Ich treibe in einem warmen, wohligen Strome, wo ich überall Grund finde zum Stehen, sobald ich will. Eben weil ich dies letztere so genau weiß, lass' ich mich behaglich treiben, neugierig, wie lange der Scherz dauert. Denn eines Tages krieche ich doch ans Land, schüttle mich, strecke mich ins sonnenbeschienene Gras und sage: ›Hübsch war's, hübscher noch jetzt, da es vorbei . . .‹ Seid doch nicht so schwerfällig, Ihr Ostelbier! Weil ein wehes Frauenlächeln und eine kranke Frauenhand mir das schöne echte Mitleid für ein paar Tage weckten, bin ich selbst doch noch kein Kranker. Mein Lieber: Die Herzogin ist jung, die Herzogin ist reizend, sie lächelt so träumerisch süß, wie ich noch nie eine Frau lächeln sah. Laß also dem Künstler, was des Künstlers ist! . . . Der Mann ist eben ein Blinder, die Frau liebt den Flirt.

Ich habe neulich meinen Anstandsbesuch im Schloß gemacht. Félicie war allein und nahm mich an. Eine volle, nicht ganz gesellschaftsmäßige Stunde einer entzückend leichten Konversation. Dazu die Sonne und das Lächeln und das Boudoirparfüm . . . Es lebe der Leichtsinn! Mir schwerblütigem Burschen wird die Reaktion bald genug kommen.– Ich habe übrigens dieser Antiquitätensammlung im Schloß unrecht gethan. Es kommt eben nur darauf an, wer einen führt. Ist's der langweilige Duc – langweilig; ist's die reizende Herzogin – reizend. Und die Frau hat Geschmack, Blick, sie hat's in den Fingerspitzen, schmalen, kühlen, feinen Fingerspitzen, die ich erst ein einziges Mal im Kusse berühren durfte. Auf den schweren englischen Händedruck verzichte ich jetzt freiwillig zu Gunsten meines Mundes. Und wie einem die Frau Gemälde zeigt, auf Antiquitäten tippt! Sie hält's nicht immer mit dem Kostbaren, sie hält's mit dem Hübschen, Zierlichen. Das ist ja auch der natürliche Rapport zwischen ihr und den Dingen. Eine zierliche Sèvresfigur in dieser Hand gesehen, geradezu ein Genuß! Sie weiß das natürlich wie alle Frauen, sie kennt auch ihren Zauber über mich so ganz genau. Der bezauberte Künstler macht ihr Spaß, der, auf große antike Kameen scheinbar interessiert gebeugt, plötzlich aufsieht zu ihr und langsam den feinen Profilriß studiert, kopfschüttelnd zuletzt, als wollte er sagen: ›Was sind das doch alles für Lächerlichkeiten, die schönste Kamee der ganzen Sammlung bist du ja, Herzogin Félicie!‹ Sie versteht, sie ist sicher kokett, aber in einer so naiv kindlichen Art, mit einem so holden Erröten, daß ich den Brummbär von Duc nicht verstehen kann, der tagelang in den Bergen herumsteigt oder mit seiner Jacht auf See liegt. Es that mir ehrlich leid, als ich die ins Endlose gedehnte Visite abbrechen mußte.

»Kommen Sie noch manchmal auf die Klippe, Baron Raben?«

»Selten, Herzogin.«

»Aber es ist doch so hübsch da und einsam.«

»Gehen Frau Herzogin auch noch manchmal hin?«

»Vormittags. Aber da dürfen Sie natürlich nicht kommen. Ich meinte das vorhin auch nur so.«

Lieber Gott, ich bin doch keineswegs ein Narr und werde von jetzt ab jeden Vormittag auf der Klippe lauern.

Die ersten Tage mißglückte es. Vielleicht genierte sich die reizende Félicie, vielleicht war es ihr auch ernst mit der Mahnung an mich. Aber ich blieb halsstarrig – und wurde belohnt. Eines Sonntags nach der Frühmesse ein leichtes Wagenrollen, das mir die Ohren spitzt. Ich liege, in meine Decke gehüllt, auf dem Fels und blinzle teilnahmlos ins Wasser. Schauspielerei! Ich höre einen leichten Schritt auf dem Geröll, der aber meine Nerven vibrieren macht. Dann eine liebliche, klangvolle Stimme: »So früh am Tage schon Siesta, Baron?«

Ich springe auf. »Ah, Herzogin kamen doch!«

»Ja, aber nur auf fünf Minuten. Was sollen denn sonst Kutscher und Diener denken! Aber es ist hübsch hier, reizend. Sie haben sich auch die sonnigste Stelle ausgesucht. Ach, die Rivierasonne, nicht wahr? Mir thut sie so gut! Mein nervöses Herz schlägt sofort ruhiger und freudiger zugleich, wenn sie scheint.«

Ich biete der Herzogin natürlich meine Decke an; ich verstehe sie zu einem Ruhepolster zusammenzulegen, so weich, wie es auch die verwöhnteste Odaliske nicht zurückweisen würde. Die Herzogin aber weist es lächelnd zurück. »Wo denken Sie hin, Baron? Mein Mann kommt zu Fuß gleich hinterher; seine Demut verbietet ihm nämlich, zur Messe zu fahren . . . Wenn er uns nun hier zusammen sieht . . .«

»Ja, was soll er dabei finden, Herzogin?«

»Sie sind gefährlich, Baron! Weil Sie es so wollen, finden Sie es richtig. Zuletzt glaube ich es Ihnen auch. Aber sagen Sie ehrlich: Ist es nicht furchtbar unpassend? . . . Ueber unsre erste Begegnung habe ich mir nämlich schon große Vorwürfe gemacht. Ich bin zuweilen so unvorsichtig und kindisch!«

Ich beruhige sie, so gut ich kann. »Was wäre am Ende dabei, wenn uns der Herzog bei solchem Rendezvous überrascht!«

Aber der Herzog kommt nicht. Er hat sich wie durch ein Wunder in irgend ein Seitenthal der Küstenberge verloren. Da acceptiert seine Gattin endlich das Polster. – Ein wunderbarer Sonntag. Eine lachende blaue See, tief und ruhig in der Bucht, während weit draußen im offenen Meer die Schaumkämme hüpfen. Knappe zwei Minuten interessiert uns auch das Bild, das heißt von Anfang an interessierten mich die Opalaugen der Herzogin mehr. Es war ein reizendes halbes Stündchen, das wir, vom lauen Seewind befächelt, hier verplauderten. Wir haben uns sogar gestritten, ein sehr unschuldiger Streit trotz des sehr heiklen Themas. Diese Herzogin aus Flandern ist nämlich heimliche Antideutsche. Preußen sind ihr Räuber, Lothringer Heilige. Sie lieben uns doch alle nicht im Auslande. Deutschland ist der große Parvenü unter den europäischen Völkern. Nicht mal Bismarck gilt dieser reizenden Legitimistin.

»Monsieur de Bismarck, oh non, non, non . . .« Im Eifer spricht sie französisch und will sich auf keine andern Weiterungen einlassen als: »Er hat dem Papst seinen Kirchenstaat genommen, er hat die Katholiken Deutschlands geknechtet.« – Ich bin auch einer von ihnen, aber der große Mann wird mir durch die Maigesetze nicht wesentlich kleiner. – Die Herzogin kämpft nicht etwa mit der sprühenden Deutschenfeindschaft der Vollplutpariserin, sie thut es mit der liebenswürdigen, lächelnden Naivität, die ihre zierliche Gestalt wie ein Zauber umfließt. Diese Deutschenhasserin empört mich gar nicht! . . . Kennst Du hier den verbissenen preußischen Chauvinisten wieder, der jeden niederschlagen möchte, der unsre große Nation anzuzweifeln wagt? – So schlanke Frauenhände gängeln gar geschickt, haben gerade in ihrer Kraftlosigkeit so viel unbegreifliche Kraft.

Dennoch wage ich scherzend zu bemerken: »Da ich bis zum letzten Blutstropfen Deutscher, nur Deutscher bin; wie können Sie eigentlich den Erbfeind auch nur fünf Minuten ertragen, Herzogin?«

Sie macht eine wegwerfende Bewegung mit dem helllila Sonnenschirm. »Ach Sie, Baron! . . . Sie können meinetwegen Chinese, Mongole sein – Heide sind Sie so wie so – Sie sind eben Sie! . . . Werden Sie auch nicht eitel werden, wenn ich Ihnen das sage, oder denken: ›Welch merkwürdige Avancen macht mir Félicie von Lièges?‹ Das letztere dürfen Sie auf keinen Fall, denn dann würden Sie mich völlig mißverstehen. Ich wollte Ihnen damit wohl etwas Nettes sagen, aber nichts, woraus Sie ein Recht auf mehr herleiten könnten . . . Ich habe überhaupt ein wenig Angst vor Ihnen. Sie wissen so genau wie ich, was gesellschaftlich ist, Sie sind in gewissem Grade viel zugeknöpfter und steifer, als ich, dennoch können Sie, welche Gesellschaft es auch sei, und wem gegenüber es auch sei, urplötzlich etwas so Unglaubliches sagen, daß Sie alles ansieht . . .«

»Auch Ihnen gegenüber, Herzogin?«

Sie bewegt zweifelnd das Köpfchen. »Mir gegenüber vielleicht nicht. Wenigstens nicht, wenn ich Sie ansehe, denn dann glaube ich Sie immer in Schach halten zu können. Aber allen andern gegenüber unfehlbar! . . . Zum Beispiel neulich an meinem Geburtstag. Es wurde gerade die soziale Frage leise gestreift. – Ah, ich konnte damals schon so gut in Ihrem Gesicht lesen! – Ich liebe übrigens unsre Aristokratie gar nicht übermäßig, sie ist teilweise flach, hat wenig gelernt, aber ich gehöre doch nun einmal zu ihr. Und Sie waren neulich im Begriff, meinem Onkel, dem Prinzen, eine so scharfe, vielleicht ungerechte Antwort zu geben, daß Schweigen die einzige Kritik gewesen wäre. Da sah ich Sie zur rechten Zeit bittend an. Sie verstanden mich. Denn sonst . . . Habe ich recht?«

»Ich leugne es nicht, Herzogin.«

Sie lächelt wieder, unendlich liebenswürdig. »Sie sind mir doch nicht etwa böse, Baron? Ich dachte nur als Hausfrau: ›Hier muß beruhigt werden!‹ Und wenn Sie selbst das wegwerfende Zucken Ihrer Nasenflügel in solchen Augenblicken beobachten könnten!«

»Aber Herzogin, üben Sie doch Gnade! Ich lasse mich so gern erziehen . . .«

Ja, glaub's oder glaub's nicht, Gert. Sie erzieht mich. Ich bin seitdem viel gleichmäßiger, liebenswürdiger, während doch sonst meine sehr ausgesprochene Individualität nur von der absoluten Gleichgültigkeit zur bissigen Verachtung hinüberwechselt. Das hat die reizende Person mit ihrem Lächeln auf einmal geändert. Damit gebe ich Dir zu, es ist die einzige Frau, die mich reizt, die ich vielleicht vermissen könnte . . . ja sehnen. Trotzdem denke ich sehr kühl über das baldige Ende unsrer Beziehungen.

Ja, wo zum Kuckuck liegt dieser besondere Reiz? Daß sie eine eminent weiche, weibliche Natur ist? . . . Eine weibliche Natur ist ja jeder Künstler auch mit seiner Aufnahmefähigkeit für allerlei Eindrücke. Und doch soll sich gerade das Ungleiche anziehen im Leben der Geschlechter . . . Wenn's nur die uralte unausrottbare Neigung des Deutschen für das Fremde wäre? Denn zuweilen entschlüpft ihr ein französisches Wort, sie verwechselt die Fälle – natürlich äußerst selten. Dann wird mir erst klar, daß sie eine Ausländerin ist, und das unrichtige Wort, von diesem weichen Organ gesprochen, hat für mich einen so prickelnden Reiz, daß ich es in den Nerven fühle. Ich markiere ihr die Fehler immer durch ein mokantes Lippenzucken, worauf sie in liebenswürdiger Verlegenheit sagt: »Sprach ich denn wieder französisch?« . . . Nein, nein, das alles ist es nicht! Ich bin jetzt au fait. Es ist die Frau, die eigentlich alles weiß und wissen darf, aber die gefährliche Wissenschaft mit einem so hübschen Schleier kindlicher Naivität umgiebt. Darin bin ich eben Franzose wie alle etwas verlebten Weltreisenden. Mir thut's nie ein Mädchen an, mir muß es die Frau sein, wo man nicht mehr zu belehren braucht oder zu verderben, wo man nur antippt mit einem Wort, einem Lächeln – und all die verbotenen Thüren offen findet, die bei der Jungfrau unbedingt verschlossen sind. Die Franzosen sind doch große Psychologen. Gefährlich sind nur die Frauen, weil sie uns kennen und unsre Achillesfersen.

*

Die Klippe, ja die Klippe. Schiffe zerschellen an Klippen.

Der alte Badearzt im Hotel erinnert mich doch etwas an Dich, Gert. Denn als ich neulich mit ihm eine halbe Nacht zusammensaß im ernsten Gespräch über das Herz überhaupt, das Thema Herzogin aber unberührt, sah er mich plötzlich scharf an.

»Wollen Sie mir etwas nicht übelnehmen, Baron?«

»Wenn's nicht zu toll kommt, nein.«

»Packen Sie noch heut abend Ihre Siebensachen! Ich beobachte Sie nämlich scharf bei Tisch: Sie essen nichts mehr, trinken nur. Der Grund liegt zwei Meilen von hier auf der halben Höhe des Kaps. Die Herzogin und Sie sind nämlich das Stadtgespräch . . . Obgleich Sie mich auslachen werden: Gehen Sie, solange Sie noch können! Der Landsmann steht mir in diesem Falle näher als die Patientin. Die Ehe da drüben ist nicht glücklich, aber solche Leute halten auch ohne Glück sehr gut aus. Die Herzogin wird ihrem Gemahl nie durchgehen, obgleich ich als Arzt es, weiß Gott, nicht verstehe. Ueberlassen Sie also die schöne Frau ihrem Schicksal, das wohl erst sehr viel später kurz und schmerzlos mit einem Herzschlag beendet sein wird. Es giebt aber schwerere Herzkrankheiten, Leiden, wo der Arzt nichts mehr helfen kann, nur der Tod. Ich fürchte, Sie könnten zu den Leuten gehören, die prädestiniert sind zu solcher Krankheit. Und ich sage Ihnen: Kein lächelnder Frauenmund verdient, daß ein bedeutender Mensch vielleicht armselig an ihm zu Grunde geht.«

Der Mann meint es gewiß gut. Trotzdem gab ich ihm eine sehr ungezogene Antwort . . . Haltet ihr klugen alten Leute mich denn alle für ein Kind? Die Herzogin ist die hübscheste Episode in meinem Leben, weiter nichts.

Auf der Klippe treffen wir uns jetzt täglich, Zufall natürlich, mathematisch berechneter Zufall. Wir sind jetzt in der Periode der kleinen Reibereien. Sie hatte keine Ahnung, was Malen heißt, und dabei doch ein reizend naives Interesse für mein Handwerk. Da hab' ich ihr denn den Gefallen gethan. Ich mit Aquarellkasten und allem Krimskrams vorne auf dem Fels, sie hinter mir voller Neugierde. Sie geniert mich gar nicht. Sie kann so gut schweigen, so verständig, und ein Lächeln von ihr sagt dann mehr als das blödsinnige: »Sehr interessant! . . . Ach wie stimmungsvoll!« andrer. Die Skizze war ein Stück See, ein weiß umbrandetes Kap, ein paar unmögliche Wolken dahinter. Schön ist ganz anders! Landschaft war ja auch nie meine Force. Aber das Ganze doch immerhin von einem Malerauge gesehen, von einer Malerhand gemalt. Die Herzogin war entzückt und wollte es gleich mitnehmen. Ich schlug's ihr ab, weil ich zu Hause noch ein paar Striche ändern wollte, damit es nicht zu geschmiert aussah. Am andern Tag war ich damit zur Stelle, ein kühn geschnörkeltes »Raben« prangte in der linken Ecke. Die Herzogin etwas gedrückt, verlegen. Als ich ihr das Blatt geben will, zögert sie. »Nein, Baron, ich habe mir's heute nacht überlegt, es ist doch nicht passend . . .«

»Wieso?« frage ich verwundert.

Da lächelt sie ganz entzückend. »Es wäre ein zu kostbares Geschenk. Und eigentlich ist es doch nur eine Hotelbekanntschaft, die wir haben.«

Das empörte mich direkt, weil eine gewisse Feigheit drin lag, die ich ihr gar nicht zutraute. »Dann nicht, Herzogin . . . Aber das hätten Sie mir ebensogut gestern schon sagen können.«

»Ja, ich weiß . . . ich weiß . . .«

Und ich wollte mit einer kurzen Verbeugung mich empfehlen.

Die Herzogin hielt mich zurück. »Aber so bleiben Sie doch, Baron! Ich will Ihnen auch sagen, wie's wirklich ist. Mir ist's nur so peinlich . . . Gestern abend tippte ich nämlich bei meinem Mann deswegen an, daß Sie eine Skizze vollendet hätten und die mir vielleicht als Andenken schenken würden. Da fuhr er auf: ›Was bildest du dir für Thorheiten ein, Félicie! Das wäre einfach unpassend. Der Mann hat dir nichts zu schenken – und denkt auch nicht daran.‹ Sofort war mir die Freude natürlich vergällt.«

Ich erwidere kühl: »Warum sagten Sie nicht gleich die Wahrheit, Herzogin? Ich dränge mich niemand auf. Und wenn der Herzog von Lièges sich einbildet, ich sei auch nur einen Augenblick weniger als er, so machen Sie ihm, bitte, bei Gelegenheit klar, daß ich in meinem Leben noch niemand für mehr gehalten hätte, den Herzog Charles zuletzt.«

Es war eine Kleinigkeit. Sie that alles Erdenkbare, mich zu versöhnen. Dennoch wurmte es mich tagelang. Nicht Eitelkeit, bei Gott nicht! Aber daß sie mich so nasführen wollte, mich! Ich bin leicht ungerecht. Ich fragte mich damals sofort: ›Langt's bei der Frau je zu einem großen Gefühl? Und langt's wirklich dazu, langt's denn auch zu einer großen That?‹ . . . Ich bin eben ein Sonderling. Am Ende verstehe ich sie wirklich nicht und nehme für feige Zaghaftigkeit, was nur übergroße Feinfühligkeit ist. Sie ist eben kein Mann.

Jetzt sind wir wieder nach einer Verknurrung von zwei Tagen auf der Klippe zusammen. Sie hat nämlich das ganze italienische Nest von Fischern zu einer Bettlerhorde gemacht. Sobald die herausbekommen hatte, wo die herzogliche Siesta jetzt stattfindet, waren wir von soldoheischenden Kindern umringt. Sie liebt Kinder so sehr, sie hat eine mütterliche Zärtlichkeit sogar für diese schmutzstarrenden, undankbaren Geschöpfe. Und wie sie da verschwendet! Die unzähligen Soldis langen nie. Es ist mir ein beinah wehmütiges Vergnügen, diese schmalen, weißen Kinderhände das Geld ausstreuen zu sehen. Die Hände sind wieder so krank, und das Lächeln ist so weh! Ich bitte ihr alles ab, was ich je gegen sie gesagt, gedacht oder geschrieben. Den im Grunde Guten zieht's zur Guten. Denn sie ist gut. Und das ist vielleicht das stärkste Band zwischen uns. Sie ahnt, weiß möglicherweise, daß auch ich nicht glücklich bin, und jedes Lächeln, das sie mir schenkt, jedes freundliche Wort ist auch nur das Almosen eines guten Herzens. Die Kinder schreien und purzeln übereinander, und wer einen Soldo erwischt, steckt ihn flugs in die Tasche und hebt mit verschmitzter Heuchelei gleich wieder ganz verzweifelt die kleine braune Faust. Ich bin vielleicht auch nicht besser als diese bettelnden Kinder, ich will immer mehr von der Guten . . . Und doch ist mir der Vergleich mit dem Almosen gar nicht recht. Wer nimmt gern die Almosen einer reizenden Frau? . . . Wenn ich eines Tages viel mehr wollte, ja alles, könnte oder wollte sie dann geben? Lieber Gert, der Mensch ist eine komplizierte Maschine äußerlich und innerlich noch viel mehr. Ja, wenn sie es mir dann nicht geben könnte, weil sie eben nur Almosen zu geben gewohnt ist . . .

Das sind so Tage, wo auch ich irre an mir werde, Angst bekomme für mich wie Du. Das nennt man eben Wallungen, über die man immer mit einem schlechten Witz hinwegkommt. Und dann habe ich auch manchmal urplötzlich das Gefühl, als wenn der Strom, in dem ich schwimme, breiter und breiter werde, reißend, tief, ohne Möglichkeit, daß der Fuß den bodenlosen Grund erreichte. Aber die Ufer sehe ich noch immer, und ich bin ein vorzüglicher Schwimmer . . . Wenn eines Tages mir auch die Ufer verschwänden und der Strom, der mich kosend jetzt noch auf seiner Oberfläche schaukelt, ebenso erbarmungslos hinabrisse in die Tiefe? . . . Was schadete dem Verlorenen das auch! . . .



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