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Carpe diem! – ein holder Schleier soll sich über meine Augen legen – nachher meinetwegen die Nacht. Carpe diem! Der alte Horaz war ein Epikureer, und er hatte recht. Der Sinnspruch walle von jetzt ab als Panier über diesem Sarazenenschlosse.
Das erste Erwachen war köstlich. Einleitung – ein verwundertes Augenreiben, dann ein blinzelndes Gähnen. Auf dieser Welt wären wir noch, Rolf, obgleich wir es nur langsam begreifen. Ein sehr großes Gemach – ganz nach dem Geschmack des Puritaners, der ich ja bei der Arbeit bin. Die einzige Schlemmerei eine wunderbar weiche Ottomane und auf dem großen Marmortisch ein wilder Strauß blühender Kamelien als Gruß der Herzogin. Und die Sonne flutet durchs weite Bogenfenster – ein Lichtmeer, warm, wohlig, das mich von dem breiten, niedrigen französischen Bett aufscheucht. Draußen glitzert das Meer mit spöttischem Wellengekräusel. Cypressen rauschen so dicht, daß ich sie greifen könnte. Es ist neun Uhr, sonst meine beste Schlafenszeit. Hier jedoch will ich ein andrer sein, ein kluger Genießender, der sich selbst lieber die Stunde stiehlt als dem wonnigen Tag. Meine Toilette wie immer: viel Wasser, viel Wäsche, viel Unordnung. Den ich mir darauf im Spiegel besehe, ist der alte – und auch wiederum nicht. Salopp und soigniert, half and half – wie's meine Natur. Aber die Augen sind die eines Glücklichen. Der Diener klopft und fragt, wohin ich das Frühstück befehle. Auf Geratewohl sage ich: »In die Halle.« – Aber vor dem Weggehen hauche ich noch einen Kuß auf eine Kamelie. Es ist der schüchterne Morgengruß, der eigentlich dir gilt, angebetete Félicie. Herrgott, was habe ich die Frau doch lieb! . . . Ahnt sie, wie meine Nerven zittern nach dem ersten Blick, dem ersten Wort, dem ersten Rauschen ihres Kleides an diesem jungen lenzesfrohen Morgen?
In der Halle steht das Frühstück bereit. Stärkster Kaffee, mit dem ich mich systematisch ruiniere; auf silberner Schale die ägyptische Zigarette, deren blauer, kräuselnder Rauch so angenehm stimuliert in der Frühe. Die Herzogin muß alles selbst bestimmt haben. Sie errät kleine Schwächen so gern, dient ihnen so liebenswürdig. Wenn sie ahnte, daß ich im Grunde keine kleinen Schwächen mehr besitze, nur eine einzige große – sie! . . . Ich bin wie ein Schuljunge am ersten Ferientag. Ich streichle das feine Porzellan der kleinen Tasse, liebkose den Mokkalöffel, an dem das Bragansche Wappen prangt. Pour l'amour la mort! – Der Spruch steht nicht darauf. Und doch ist es mir, als wenn er das erste Willkommen riefe. Ich könnte ihn auch von heut im Wappen führen – ich ganz gewiß! Und dann sehe ich mich wieder argwöhnisch um, ob niemand hinter dem Fallgatter der Thür lauscht, oder ob nicht der neugierige Diener um die Ecke der Ahnengalerie guckt. Ich bin ganz allein. Nur der geharnischte Mann am Kamin schaut mich unverwandt aus den Löchern seines Stechhelms an – und die blauweißen Federn wogen leise dazu. Ich erhebe mich und gehe auf ihn zu und sage höhnisch: »Wollen wir eins stechen? – Denn ich bin dein Feind, ein Lehnsmann des fürstlichen Hauses Bragan, und reite gegen jeden, der die herzoglichen Farben zu führen wagt.« – Gert, man liebt nur einmal, ist nur einmal ein Thor. – Auch trotzige Gedanken überkommen mich. Ich schlage auf einen Schwertknauf, bis die blinkende Klinge wankt – und eine rostige Saufeder daneben muß klirren. In der dämmerigen gotischen Halle fühle ich mich beinahe als fahrender Ritter, der nur ins Schloß gekommen, dem Schloßherrn den Fehdehandschuh lächelnd vor die Füße zu werfen. »Du oder ich« . . . Mit der edeln Ritterei ist's ja doch lange vorbei! Was sich von ihr noch in dieser Halle gerettet, das sind verblaßte Paniere, die zu keinem Stegreifritt mehr wallen; das sind die eingelegten Rüstungen, die jeder Büchsenschuß durchdringt, und die Stachelsporen, die den flämischen Rittergaul nie mehr zum Lanzenbrechen unter Rittergewicht treiben werden. Diese Halle ist eine Spielerei, eine aufgeschminkte Thorheit. Jeder, der sie durchwandelt, weiß es und freut sich harmlos an dem gelungenen Bild. Ich fühle vielleicht allein mit diesen Zeiten – ein Maler und ein Romantiker zugleich, der Gefühle fühlt, die das sinkende Jahrhundert lächelnd verlernt hat.
Da höre ich hinter mir einen leisen, elastischen Schritt, ein weiches Rauschen. Ich könnte blind sein und taub, und würde doch den Schritt in den Nerven spüren und das Rauschen, und würde sie doch vor mir sehen, jung und reizend, wie sie mir ewig sein wird – die Herzogin Félicie! Sie kommt aus dem Garten, will mich beschleichen wie ein Wild, und es fehlte wenig, daß sie in holder Naivität die weißen, kühlen Hände auf meine Augen legte und scherzend fragte: ›Wer bin ich? Raten Sie!‹ – Ich würde unfehlbar antworten: ›Eine Fee!‹ – So weit bin ich nämlich in der Narrheit. Und ist es nicht doch schön, daß man noch so jung sein kann, daß man aus den wüsten Erfahrungen des Lebens, aus der heißen Orgie, dem eklen Rausch das höchste Menschliche unbefleckt hinübergerettet hat – das einzige Gefühl, das Wert hat, weil es die Welt schuf: die Liebe.
Die Frau Herzogin sehen wieder etwas welk aus, aber die Frau Herzogin lächeln dabei glücklich wie ein Kind. Ich küsse die Hand. – Wie gern ich sie küsse! . . . Ob von meinen Lippen nicht doch der feine Strom herüberdringt, der die Herzen schneller schlagen macht und heißer? . . . Natürlich weiß sie alles, weiß, daß ich sie anbete, sie sonnt sich vielleicht an dem leuchtenden Blick, mit dem ich ihre ganze zierliche Gestalt umfasse. Es thut allen Frauen wohl, so geliebt zu sein. Erst da empfinden sie ganz die eigne Macht, die eigne Güte . . .
Das erste Gespräch ist ein Gespräch über nichts, eine Tändelei, wenn Du willst, wo sie die leichten Bewegungen des Windspiels zeigt und ich die täppischen des Jagdhundes.
»Wie haben Sie geschlafen, Herr von den Raben? . . . Sie müssen gut schlafen bei uns! Oder ich werde Sie hypnotisieren, Ihnen einen Schlaf von mindestens vier Monaten suggerieren.«
»Herzogin, das ist aber gar nicht mehr nötig. Ich schlief einen so tiefen, traumlosen Schlaf . . .«
»Traumlos?« Und die Opalaugen suchen mich spöttisch zu durchdringen. »Wirklich traumlos, mein Herr? – Ganz traumlos?«
»Nein, Frau Herzogin, um die Wahrheit zu sagen –«
»Lügen Sie, lügen Sie! – O, Sie haben ganz sicher nicht geträumt, und Sie werden auch nie träumen hier!«
»Aber ich träumte ganz sicher – ich träumte etwas Wunderhübsches.«
Da ist sie wiederum gefangen, weil sie die Wahrheit fühlt. »Also erzählen Sie schnell!« – Und sie setzt sich zu mir an den Kaffeetisch, folgsam wie ein junges Mädchen und wieder mit jener mütterlichen Sorge, die auch die jüngste Hausfrau dem gern gesehenen Gast gönnt. – Gert, ich versichere Dir, ich habe wirklich von Félicie geträumt – in den wenigen Stunden meines Schlafes träume ich immer von ihr. Und doch schäme ich mich beinahe, es zu sagen. Sie war bei mir, sie saß auf dem niedrigen französischen Bett und lächelte und streckte mir ihre weiße Hand entgegen. Und wie's im Traum geht – ich wollte diese geliebte Hand erfassen und die Frau zu mir ziehen, ganz leise, ganz sacht, um die süßen kranken Lippen zu küssen. Aber konnte ich's? Ich lag schweißgebadet, die Nerven waren unsinnig gespannt, und doch vermochte ich den gelähmten Arm nicht zu rühren – nicht einen Zoll, nicht eine Linie. Es war ein so qualvoller Moment! Ich vermochte nur den kranken Riesentürkis am Hals anzuschauen wie das Prisma des Magnetiseurs, bis endlich die Frauenhand matt herabsinkt, das Lächeln weh wird, und wie im grauen Nebel die Nixengestalt mählich zerfließt – schemenhaft, wesenlos zuletzt. Und aus dem verschwimmenden Grau vermag ich nichts mehr zu unterscheiden als das böse grüne Auge des edeln Kiesels . . . Ich hätte der Herzogin den Traum so hübsch erzählen können – einen ersten Traum im fremden Haus, der immer ein wenig prophetisch sein soll. Statt dessen erzähle ich dürr, trocken, starre jetzt auch wieder den Riesentürkis an, bis sie mich befremdet unterbricht: »Gefällt er Ihnen nicht mehr? Und ich habe ihn doch gerade Ihretwegen angelegt, weil ich erraten zu haben glaubte, daß Sie diesen Stein an mir besonders lieben. Erkennen Sie denn auch das Kleid nicht mehr? Es ist dasselbe, das ich damals – Sie wissen schon – auf der Klippe trug.«
Ob ich das Kleid erkenne! Ich bilde mich ja an dieser Frau ungewollt zum Kostümmaler aus, unterscheide die kleinste Nuance der Spitze, den andern Volant. – Und bei dem Unwesentlichsten von allen, dem Kleid, gewinne ich endlich meine kühle Sicherheit wieder, schmeichle, bewundere, ein Kenner scheinbar und doch nur der verliebte Primaner, dem auch diese Kleiderfrage eine Herzensfrage ist. Die Herzogin hört gern zu. Die Wolken des Weihrauchs umwallen sie so angenehm, so schmeichelnd, sie glaubt den Maler sprechen zu hören und horcht dem verliebten Thoren. Sind Männer denn so ganz anders geartet als Frauen? Gehören Kleider, Schmuck zu diesen wie etwas Körperliches, Untrennbares? Empfinden sie jede Bewunderung derart als eine Huldigung für sie selbst, für die Schönheit, für den Geist? – Das soll kein Vorwurf der Flachheit sein. Denn wahrscheinlich ist der Wert aller Dinge ein relativer, anerzogener, ererbter – und was bei uns der Verstand, die Energie, das ist bei ihnen das gut sitzende Kleid, der graziös beschuhte Fuß. Und wirklich versteht sich die Herzogin anzuziehen wie keine! Das Niezuviel, das die Intimität des Kostüms ausmacht, bewunderte ich noch stets an ihr. Sie ist auch darin eine kleine Zauberin. Immer schwarz, immer distinguiert und immer jene lächelnde Anmut darüber, jenes Persönliche, als sei jeder Stoff für sie allein gewoben und jeder Schnitt für sie allein erfunden. Das ist gar nichts Aeußerliches mehr, das ist etwas Innerliches, jenes seltene Gleichmaß, das das Wesen der Anmut ausmacht, das vom Schein zum Wesen hinüberleitet wie eine goldene Schale zum goldenen Kern . . . Du wirst gleich sagen, Gert: ›Weil sie äußerlich krank ist, ist sie's auch innerlich. Der zauberische Reiz, den sie auf dich ausübt, liegt auf einem kranken Gebiet des Empfindens, und sie tippt unbewußt nicht auf die vielen gesunden Stellen deines Herzens, sie tippt auf die einzige wehe.‹ – Ganz fehlgeschossen, mein Bruder! Dieser erste Tag, den ich in diesem Schloß verlebe, soll zum Beweis dafür vorüberziehen wie ein Wandelbild – von dem Moment ab, wo das heimliche Rauschen ihres Seidenrocks meine Nerven prickelnd durchströmte, bis zu dem geflüsterten »gute Nacht«, das mich für heute so reich macht und vielleicht für später so arm.
Sie hat sich wieder erhoben. Mir erlaubt sie's nicht. »Erst austrinken, mein Herr! Dann ein Zug Zigarette . . . Die Herren lieben das ja, ehe sie ins Freie gehen. Denn nachher müssen Sie mit in den Garten. – Mein Mann läßt sich entschuldigen. Er ist wie alle Sportsleute ein Frühaufsteher und manövriert schon stundenlang mit der ›Félicie‹, die in Nizza wieder Chancen haben soll . . . Ich sagte Ihnen schon: Mein Patenkind hat Glück.« Dann fügte sie leiser hinzu: »Warum erkundigten Sie sich noch nicht nach meinem Mann? Eigentlich hätte es doch die erste Frage sein sollen an mich . . .«
»Das wäre leere Phrase gewesen, Herzogin. Ich liebe den Herzog gar nicht besonders – ich liebe im allgemeinen Männer nicht. Und an der Riviera scheinen sie mir nur dazu da zu sein, unsereinen zu ärgern, zu erbittern, den häßlichen Gedanken wachzurufen: ›Wie schön könnte die Welt sein ohne euch!‹«
»Das klingt nicht hübsch!«
»Dafür ist es ehrlich. Ich thue nur, was Sie befehlen, Herzogin.«
Aber diese Ehrlichkeit stößt sie wohl ab. Immer zu! Heut bin ich mutig. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Die reizende Frau nimmt darauf ein lilaseidenes Tuch, das ihr über den Arm hing, um die zarte Schulter und sagt leichthin: »Wie gefiel Ihnen der Maler neulich?«
»Genial, aber schmutzig, Herzogin.«
»Pfui! Ich bin ganz entgegengesetzter Ansicht.«
»Da hätten wir ja den ersten Streit, Herzogin.«
»Sie vielleicht – ich nicht! Ich will überhaupt nicht mit Ihnen streiten, ich hab' an dem einen Mal genug . . . Aber Sie sind und bleiben ein Undankbarer. Sie werden nie zufrieden sein. Und statt froh zu sein, daß Ihnen dieser Maler ein so hübsches Atelier besorgt hat, sprechen Sie schlecht über ihn . . . Soll ich vielleicht auch lieber früh morgens mit aufs Meer, obgleich's mir der Arzt verboten hat?«
»Herzogin!«
»Um Gottes willen, jetzt kommt der elegische Ton! . . . Schnell, schnell in den Garten, in die freie Luft! Sie haben wieder etwas Unglaubliches auf der Zunge.«
Der Garten, Gert, sage ich Dir, ist ein Bijou. Ein Stück Fels, wenn Du willst, das man unterminiert hat, ausgehöhlt. Nirgends die weiten Flächen eurer englischen Parks, das Saftgrün der Wiesen und die ruhigen Linien der Baumgruppen! Hier ist alles Kunst – eine Kunst ohne Künstelei, die die fiebernde Mittelmeersonne so heiß vergoldet. Regen und Licht haben jahrtausendelang gegen den steinernen Fels gekämpft. Das Wasser hat ihn zermorscht, die Wärme zerbröckelte ihn, und aus den Fugen des verwitterten Gesteins brach eine bunte, lustige Welt von Blumen und Gräsern. Vögel trugen den Samen der Bäume hin – die Steineiche hob schützend ihre stachelichten Blätter, und die graue Olive zwängte ihren wunderlichen, zerklüfteten Stamm in den Fels. Ein Kampf ums Dasein, wenn man scharf sieht – denn immer wieder versucht die neidische Sonne ihre eignen Kinder zu versengen. Aber die sind auch halsstarrig, sie lassen sich wohl mit dem weißen Staub bedecken, vom Brand scheinbar aussaugen und bewahren sich dabei doch tief innen die Lebenskraft wie alle harten Emporkömmlinge . . . Und dann wurde den Menschen der Sinn für Fels und Meer wach, sie sehnten sich aus ihren dumpfen Städten in diese Welt von Licht, wo der Vernichtungskampf der Natur genau so erbarmungslos tobt, aber ein so anmutig lächelndes Gesicht zeigt. Und sie trieben ihre Kunststraßen in den Fels, bauten ihre weißen Villen, nahmen die Zwingburgen des Meeres, die Sarazenentürme und Kastelle als Ruine oder hübsch restauriertes Schloß in den Rahmen dieses neuen Kulturbildes auf. Sie bedeckten den Fels mit fruchtbringender Erde, pflanzten die hohen, düstern Cypressen, die goldenen Orangen, den wuchernden Bambus. Der Mandelbaum blühte, die Feige öffnete ihr Fingerblatt. An der Zisterne aber trabte der unglückliche Esel mit verbundenen Augen im Kreis, und die Schöpfräder hoben das Wasser empor, das in kleinen Rinnsalen den verschmachtenden Boden tränkte . . . Ihr da oben denkt immer, Italien sei das Land des freiwilligen Ueberflusses, der verschwendenden Natur, während es das Land der heißen, erbarmungslosen Sonne und der schweren Fronarbeit ist.
Was wußte ich übrigens davon an jenem Morgen? – Die reizendste Frau führt ja. Es sind verschlungene Pfade, mühsam in den Fels gesprengt. Graugrüne Agaven erheben ihre stachlichten Häupter, Kakteen wuchern in den brennenden Ritzen. Insekten summen, Eidechsen huschen über den Stein. Von einem überhängenden Ast löst die weiße Hand selbst die kühlende Orange und reicht sie mir. »Es ist nur ein Scherz, Sie sollen sie nicht etwa gleich essen!« – Ich wandle wohl in dem Zaubergarten von »Tausend und eine Nacht«, vor mir die Fee, leichtfüßig, lächelnd. Vielleicht sauge ich all diese Eindrücke zu gierig auf. Es ist ungesund, zu viel . . . Und wenn sie plötzlich verschwände, herniedertauchte ins Feenreich, dem sie entstiegen? – Wie grau und tot wäre mir der Fels, wie mitleidlos brennend das Licht! – Denn sie ist ja im Grunde der Edelstein, der all die Farben, die Lichter mir reflektiert – bunt, bethörend . . . Es sind so enge, schwindelnde Pfade, auf denen sie sich arglos bückt, mir eine seltene Blume zu zeigen, oder sie hascht nach einem Schmetterling. Ich hebe immer schützend den Arm. Sie lacht dazu, sie ist lustig, sie eilt wie eine Gazelle, und keine Spur von Schwindel, keine Angst, daß das fleischige Agavenblatt vielleicht nachgeben, der Fels vielleicht rutschen und sie selbst in die Tiefe des Meeres unten ziehen könnte. Sie weiß, daß ich für sie bange. Und vielleicht deshalb biegt sie sich immer kecker vor auf graziös wippendem Fuß, hinabzuschauen nach der donnernden Brandung, die in scharf gegipfelten, gläsernen Bergen heranrollt und im funkelnden Gischt wutschnaubend zerstiebt.
»Aber Herzogin, Vorsicht! Haben Sie Mitleid wenigstens mit mir!«
Und da rutscht wirklich ein Stein, rollt in die Tiefe, so daß ich blaß werde.
Sie aber lächelt fatalistisch. »Und wär' ich's wirklich – was schadete das? Ich hänge so wenig am Leben.«
»Herzogin, sagen Sie das nicht! Sie dürfen das nicht sagen!«
»Weil ich Ihnen gefalle, Baron? Sie sind ein schlimmer Egoist! Mir wäre da unten viel wohler . . . Ich habe keine Furcht vor dem Tode. Was kann er mir Schlimmes bringen? Ruhe und Vergessen – wie Sie glauben, – den Himmel, wie ich glaube . . . Etwas Fegefeuer werde ich wohl doch durchmachen müssen. Ein Mann hat sich mal meinetwegen erschießen wollen – aber er hat sich nicht erschossen. Er ist sogar recht glücklich geworden und dankt Gott, daß er nun eine gesunde Frau hat statt einer kranken wie mich . . . Ach, das Herz, das dumme Herz! Es macht mir immer zu schaffen – so oder so. Es quält mich, es raubt mir den Schlaf und mahnt mich täglich, daß ich sterben muß. Das letztere ist eigentlich noch das netteste von ihm. Ich will jung sterben! Heute – morgen – es gilt mir ganz gleich. Nur keine langen Qualen! Ich leide ja so schon genug, ich will nicht noch mehr leiden . . . Und wenn ich's dennoch muß – das Leiden macht so schnell alt, häßlich. Häßlich möchte ich nicht werden! – Ich möchte nicht in jeder Gesellschaft flüstern hören: ›Die sah mal ganz passabel aus! Aber jetzt – scharfe Züge, graues Haar!‹ . . .Ja, wenn ich Kinder hätte! . . . Mein lieber, kleiner René ist schon seit Jahren tot – eigentlich ein Glück für das Kind . . . Und ich habe es doch so lächerlich lieb gehabt und hab's mit solchen Seelenqualen wieder hergegeben! – Sie sehen mich immer lächeln, Herr von den Raben, und ahnen doch nicht, daß ich so unglücklich sein kann, so dumpf verzweifelt . . . Nein, kommen Sie, wir wollen von ganz etwas anderm sprechen!«
Sie führt mich auf eine kleine Steinbank am Weg – der graue Olivenhang fällt da steil zu Meer. Es ist ein schöner freier Punkt, das Meer so weit. Ich liebe die uferlose Wasserwüste. Nirgends hat man sonst das Gefühl der fremden Größe und der eignen Kleinheit so niederziehend. Nirgends empfindet man so das Lächerliche alles Irdischen. – Wie ich Dir das schreibe, bin ich ein Weiser und demütig. An jenem Morgen war ich sicher ein ganz andrer. Wenn eine grenzenlos geliebte Frau neben einem sitzt – man berührt ihr Kleid, fast ihre Hand, man fühlt den Hauch ihres Mundes – und wenn diese Frau noch träumerisch lächelt! . . . Was ist das uferlose Meer da draußen gegen das uferlosere Meer des eignen Gefühls? Dies Meer ist so viel klarer, so viel tiefer – und doch sieht man den silbrigen Grund schimmern und wähnt, daß nur kostbare Perlen da unten ruhen können – nie aber die Ungeheuer der Tiefe . . . Ich hätte beinahe Lust, der reizenden Herzogin die abgeschmackte Redensart zu sagen: ›Königin, das Leben ist doch schön.‹ – Und Gert, es ist schön – es ist schön! Man darf nur nicht rückwärts schauen und nicht vorwärts, man muß genießen wie ein Kind, das am sonnigen Strande spielt und die Wolken nicht sieht und den Sturm, der unfehlbar kommen muß . . . – Die Herzogin bohrt derweil den Sonnenschirm in den Fels – ein thöricht Vergnügen – aber so sind die Frauen . . .
Und wieder wie beim ersten Male seh' ich ein Segel auftauchen – weiß, winzig und doch die schwere Wolke meines Glücks. Ich werde mich hüten, der Herzogin das Schiff zu verraten. Die Wolke da bannt auch das Lächeln auf ihren Lippen.
Dennoch hat sie's erblickt und erkannt. Sie sagt gelassen: »Wieder die ›Félicie!‹ . . . Wir haben schlechten Wind. Sie werden wieder lange kreuzen müssen . . . Aber mögen sie! – Charles ist's ein Vergnügen. Er vermißte wohl lieber mich als die Jacht . . . Das ist natürlich Unsinn! . . . Lieben Sie Sport, Baron?«
»Ja – und nein, Herzogin. Ich ritt mal ganz gern und ganz gut . . .«
»Und warum nicht mehr?«
»Ich überlasse das jüngeren Leuten . . .«
»Sie thun auch wie ein Greis . . .«
»Und doch war ich es in keinem Augenblicke meines Lebens weniger.«
Sie überhört das wohl absichtlich und fährt fort: »Ich liebte Sport auch einmal – ich segelte sogar leidenschaftlich gern. Das ist jetzt vorbei, ganz vorbei. Erstens mal taugt's mir nicht – und seitdem ich bei Charcot war . . .« – Pause – Dann fügt sie fast leidenschaftlich hinzu: »Seitdem hasse ich den Sport beinahe. Ich kann den Lebenszweck nicht mehr fassen, den so viele meinesgleichen daraus machen.«
»Das klingt hart, Herzogin.«
»So ist's auch gemeint . . . Kommen Sie! Ich störe Sie nun schon wieder auf – die Sonne meint's aber zu gut!«
Wir gehen – ich noch mit einem argwöhnischen Blick auf das Segel, sie nicht. Es ist ein andrer Weg – weniger verschlungen, weniger gefährlich; zwischen Seepinien hindurch glitzert das Meer, die Brandung grollt unsichtbar. Wir sind bald wieder am Schloß. Es ist wirklich heiß geworden, und die feuchte Kühle, die der steinerne Turm aushaucht, muß wohlthun danach. Tip kommt mir wedelnd entgegen. Der mißratene Köter zeigt der reizenden Frau, die ihn in unbesieglicher Liebenswürdigkeit wieder streicheln will, knurrend die Zähne. Tip ist auch eine Dame – und Damen lieben sich selten. Dessenungeachtet schlage ich ihn mit dem Stock, daß er aufheult.
Die Herzogin sieht mich groß an. »Warum das, Baron? Das Tier hat nun einmal eine Abneigung gegen mich. – Lassen Sie ihm sein Recht! . . . Härte liebe ich in keiner Form.«
Sie ist mir deswegen nicht etwa dauernd böse. Denn auf der Wendeltreppe noch fragte sie mich schelmisch: »War's nicht ein schöner Morgen, Herr von den Raben?«
»Der schönste meines Lebens, Herzogin.«
Das scheint ihr zu viel des Weihrauchs. »So etwas könnten Sie vielleicht dem Herzog sagen, der glaubt Ihnen, Sie meinten wirklich den Morgen . . .«
»Und was glauben Sie, Herzogin?«
»Ich glaube, daß ich wie immer sehr thöricht bin – und daß man sich vor Ihnen hüten muß.«
Es ist zwölf Uhr.
Ich wollte mich noch auf die weiche Ottomane strecken und träumen die Stunde bis zum Dejeuner. Aber das Licht floß zu aufdringlich hinein, und die Fliegen summten zu gemächlich von der Hand auf die Stirn, von der Stirn auf die Hand. Ich hatte ja auch viel mehr Sehnsucht nach einem kühlen, dämmerigen Raum, wo das Licht durch die Jalousieritzen kriecht, und wo man wirklich träumen kann . . . träumen. Im Schloß mittägliche Stille. Nur vom Souterrain herauf zuweilen ein diskretes Tellerklappern, unterdrücktes Kichern. Die Jungfer schäkert da mit dem Diener. – In der Bücherei vernahm man auch davon nichts mehr. Ich schnellte mit der Hand ein paar Billardbälle über das Tuch, aber das weiche Zusammenschlagen klang jetzt wie ein fremder, störender Laut. Dann setzte ich mich auf den Armstuhl, wo die Herzogin neulich geweilt. Eine lauschige, erwartungsvolle Siestastimmung lag über dem halbdunklen Raum. – Das Rauschen der Meeresbrandung drang einförmig herauf. Wer ihr lange lauscht, schlummert rettungslos ein. Mir wäre es auch so gegangen – und der alte Marc Aurel, der von hoher Konsole ernst auf mich herabsah, hätte nichts dagegen gehabt, noch weniger die verhangenen Bücherschränke, deren mattes Glas auch die vorübersummende Mücke als geheimnisvollen Schemen reflektierte. Ich selbst sah mich deutlich in diesem improvisierten Spiegel – auch etwas gespenstisch grau, jedoch ganz scharf . . . Mollige Einsamkeit! Draußen schwankte ein Stechpalmenzweig gegen den geschlossenen Laden, und unsichere Blätterschatten zogen über das weiße Fensterbrett. Ich war wirklich dem Schlaf nahe – da, von der Ahnengalerie her, das leise Oeffnen einer Thür – eine gedämpfte Lakaienstimme, die sich französisch gegen einen Vorwurf verteidigt. Eine Frauenstimme auch – weich, jedoch sehr bestimmt im Klang. »Wenn er schlafen sollte – nicht wecken!« Dies französisch . . . Darauf ein elastischer Schritt über den knarrenden Stabeichenboden des gotischen Korridors – ein leises, träumerisches Singen. Es ist die Herzogin – die ich außerdem in meinem Spiegel sofort erkenne. Sie geht in meiner Richtung. Ich rühre mich nicht, sitze so tief im dunkeln Hintergrund. Ich bin neugierig. – Jetzt betritt sie das Zimmer, geht, ohne sich umzusehen, auf einen Bücherschrank zu, den entferntesten von mir. Sie wählt lange, wie gelangweilte Frauen stets. Doch sie schleudert nicht etwa nach Mädchenmanier die Juchtenbände enttäuscht zurück, sondern setzt sie wieder achtsam ins Fach. Sie findet nichts. Wie sie die verhangene Glasthüre schließt, sieht sie ihr eigen Bild. Sie sieht's träumerisch, mit einem halben Lächeln. Es gefällt ihr und gefällt ihr nicht. Sie schüttelt den Kameenkopf, glättet eine schwarze Strähne, die sich gelockert. Dann kräuselt sich auch der Mund. – Mir macht's Scherz. Ich muß den Atem anhalten, um mich nicht zu verraten. Das halb enttäuschte, halb befriedigte Mienenspiel der Belauschten ist so reizend! . . . Sie kritisiert auch undankbar, wo sie rückhaltlos bewundern könnte . . . Zuletzt streicht sie über eine Falte – eine ganz entzückende, kleine Falte am Opalauge. Und als die nicht sofort weichen will, macht sie eine ärgerliche Bewegung mit der Hand, die wohl sagen soll: ›Warum muß das Alter bei mir mit fünfundzwanzig Jahren schon kommen? – Häßlich bin ich beinah.‹
Da sage ich ohne aufzusehen, ruhig und hart wie ein Automat: »Und doch ist es die reizendste Frau, die Sie sehen!«
Die Herzogin fährt mit einem leisen Schrei zusammen. Dann lachen wir beide – ich ironisch, sie verlegen. »Sie haben mich auf den Tod erschreckt, Herr von den Raben! . . . Und warum müssen Sie noch dazu höhnen?«
»Ich spreche Ihnen gegenüber nur die reinste Wahrheit, Herzogin.«
»Wollen wir nicht lieber einen Laden aufmachen, Baron? Es ist fast zu dämmerig hier.«
»Wie Sie befehlen, Herzogin.«
»Ach, befehlen thue ich Ihnen nichts. Lassen wir es also . . . Ich ärgere mich nur, daß ich Ihnen gar nicht böse sein kann – Sie sagen alles so direkt . . .«
»Ist Ihnen das so etwas Schreckliches?« frage ich.
»Nein, nein, das nicht! . . . Daß ich hübsch bin, weiß ich allein, und ich hör's auch, wie jede Frau, gern, wenn's hinter dem Rücken gewispert wird, oder wenn's die Augen sagen – aber von Ihnen – ich weiß nicht – Sie sind Maler, kennen die halbe Welt und haben gewiß so vielen Frauen schon dasselbe gesagt! Ja, wär's in Paris, Brüssel oder in Ihrem geliebten Berlin bei einem großen Fest, wo die hübschesten Köpfe Ihr Künstlerauge nicht so fesseln wie ich – dann würde ich vielleicht äußerlich sehr empört sein über die Schmeichelei und mich innerlich doch rasend freuen . . . Aber hier, hier – auf Meilen in die Runde giebt's nichts Hübsches; und Italienerinnen sind ja schon mit zwanzig Jahren verblüht oder verziert. Hier bin ich die einzige passabel hübsche Frau. Und weil keine andre da, sagen Sie das liebenswürdig mir, was Sie sonst unfehlbar der andern gesagt hätten . . .«
»Und wenn ich dasselbe überall sagen würde, Herzogin – auf jedem Erdteil, in jeder Gesellschaft, in jeder Stunde – und wenn diese Ansicht unwandelbar durch mein ganzes Leben bestehen würde? . . . Ja, wenn ich Ihnen das sagen müßte, immer wieder sagen müßte auf die Gefahr hin . . .« Ich sage das abgebrochen, nüchtern – und doch zittert meine Hand dabei so, daß sie die Elfenbeinkugel fallen lassen muß, die sie gerade hielt.
Die Herzogin sieht mich unsicher an und murmelt leise: » . . . Dann hätten Sie vielleicht nie hierher kommen sollen . . .«
»Und Sie wußten das nicht? . . . Wußten das nicht schon lange?«
Sie zittert etwas. Ein kaum gehauchtes: »Vielleicht.« . . . Dann sieht sie mich ängstlich an. »Habe ich etwas Häßliches gethan, wenn ich's wußte? Sagen Sie!«
Ich trete näher auf die Frau zu. Sie weicht zaghaft zurück; ich aber denke: Jetzt oder nie! Und: »Muß ich es Ihnen denn wirklich noch sagen, Herzogin, daß ich Sie wahnsinnig liebe?«
Sie bedeckt blitzschnell das hold errötete Gesicht mit beiden Händen und fleht: »Sagen Sie das nicht, Herr von den Raben – sagen Sie das nicht! . . . Daß Sie mich lieb haben, weiß ich. Aber warum so lieb? . . . Das ist ein Unglück, das darf nicht sein! . . . Gestehen Sie es, es war ein Scherz, ein schlechter Scherz, mit dem Sie mich versuchen wollten, häßlich versuchen wollten!«
Ich gehe jetzt mit langen Schritten am Billard auf und ab, von kurzem Atem und schwerem Puls. Endlich würgt sich's heraus: »Es mußte einmal gesagt sein, Herzogin!«
»Warum? Ich fühl's ja auch so! . . .«
»Weil ich wissen will, ob nur das Mitleid, die Güte gegen den Einsamen aus Ihren angebeteten Augen mir entgegenlächelt. Weil ich wissen muß – noch in dieser Stunde – ob ich wenigstens von dem winzigsten Hoffnungsschimmer leben darf . . . Ich verlange nicht viel – ich verlange etwas – beinahe nichts . . . Aber nicht etwa großherziges Mitleid! Von dem kann und will ich nicht leben . . . Sondern den leisesten Lichtschimmer der Liebe, und sei er auch noch so fern! . . . Herzogin, ich will Liebe! . . .« Es ist die Thorheit, die jeder redet. Man verlangt beinah nichts und verlangt damit mehr wie alles – das weiß jede Frau. – Die Herzogin hält noch immer das Gesicht bedeckt – bis ich endlich frage: »Soll ich gehen?«
»Lassen Sie mich doch!« murmelt Félicie. »Der Weg vom Herzen zu den Lippen ist so weit . . . Ich wähnte einmal, er wäre kurz – und blieb erschöpft auf staubiger Straße liegen . . .« Dann nimmt sie plötzlich die Hände von dem dunkelroten Gesicht, die Augen fiebern. Sie sagt hastig: »Ja, ja! . . . Aber verlangen Sie nie mehr von mir!« . . . Dann wieder die blitzschnelle Bewegung der Hände nach den Augen, die sie schließt und bedeckt . . . »Ich bin schlecht – sehr schlecht! . . .«
Sie ist wohl keine Natur, die leicht weint, so weich sie scheint. Vielleicht ist sie eine Natur von langem oder eigensinnigem Entschluß. Ich weiß es nicht recht, ich verstehe sie nicht ganz. Mein Kopf ist so leer und mein Herz so voll. – Träumte ich's oder sagte sie wirklich: »Nicht wahr, wir berühren den Punkt nie mehr? – Unser Zusammensein soll uns doch eine hübsche Erinnerung sein, die wir lieb haben, die wir gern hervorholen, die uns tröstet, wenn das Herz weh. Aber keine häßliche, vor der wir erröten, deren wir uns schämen müssen, weil sie unsrer nicht würdig ist?«
Eine Erinnerung? Ja, lieber Gott, wenn das mir von der Liebe bleiben soll – meiner Liebe? . . . Ich habe wohl die Frauen nie recht verstanden – und was mein fieberndes Herz hier von einer fordert, das fordert nur ein nie zufriedener Sinn? – Die Liebe – eine Erinnerung? Eine Erinnerung vielleicht, an der man zeitlebens krankt, an der man rettungslos stirbt . . . Aber eine liebe Erinnerung? – Nie! – Ich gehöre nun einmal nicht zu den Menschen, die von solchen Erinnerungen leben können. – Von solchem Haß könnte ich vielleicht leben – an solcher Liebe müßte ich sterben . . . Ich bin nicht etwa enttäuscht, die Frau wird mir nicht kleiner durch dieses letzte Wort, mit dem sie sich vielleicht vernünftig belügt, weil ihr vor dem Versinken graut, dem Verkommen. Dennoch läuft's mir eisig über den Rücken. Verstanden wir beide uns denn vorhin nicht? Verstehen wir beide uns vielleicht nie? . . . Das Glück ist schon rein, wenn man es nur nicht selber thöricht beschmutzte.
Dann mußte ich den Fensterladen doch noch aufmachen. Es war die gebotene Komödie, denn jeden Augenblick konnte der Diener kommen, die Frau Herzogin zum Frühstück zu rufen. Wir standen dessen gewärtig vor dem wieder geöffneten Bücherschrank, und Gleichgültiges wurde gesprochen. Die Frau Herzogin empfahl mir ein Buch, dessen Lektüre das beste Schlafmittel. Als der Diener endlich erschien, fand er zwei verständige Leute, die einen Fensterladen geöffnet hatten – sonst weiter nichts . . . Auch darin bin ich nicht mehr der alte. Wer so oft und so kühl mit fremden Gefühlen spielte, ein Meister des gleichgültigen Wortes zu rechter Zeit, der sollte doch nicht beinah vor einem glattrasierten Domestikengesicht erröten. Ich mußte meinen ganzen Verstand zusammennehmen, sonst hätte ich in dem Augenblick etwas unsagbar Dummes gestammelt. Ein Narr selbst, der andre so oft zum Narren machte!
Lächle nicht, Gert, lächle nicht!
Das Frühstück zu zweien war beinah peinlich. Wir sprachen wenig – nur der gewisse schuldbewußte Blick, das verlegene Lächeln. Félicie mußte mir nach Tisch sagen, daß ich mich besser zusammennehmen sollte. Ich werde es. Es ist ja nur eine Sache der Gewöhnung.
Nachmittags kam der Duc. Ich blieb unsichtbar – abends auch. Ich sei bei der Arbeit, hieß es. Armselige Lüge! Ich hatte eine vor Monaten begonnene Skizze auf den Tisch gelegt. Vor der döste ich stier, ohne sie anzusehen. – Abends hörte ich im Nebenzimmer noch ihre Stimme, leise, gedämpft – seine auch. Es ist wohl ihr Toilettenzimmer – doch weiß ich's nicht genau. Er mußte ihr etwas sehr Spaßiges erzählt haben, denn sie lachte einmal hell . . . Wie kann man lachen an so einem Tag?
Ich habe das Buch, das sie mir empfahl, nicht gelesen. Ich ging erst mit dem grauenden Morgen zu Bett. Ich kämpfte immer mit der Flucht. – Ich kann noch fliehen, Gert – nach dem Lachen kann ich noch fliehen! . . . Ich bin aber eigensinnig, will nicht. Ich muß aus der Frau klug werden und aus mir.
So gegen zwei Uhr bekam ich auch vernünftigere Gefühle. Ich bin undankbar. Ich sollte mich dieses Tages freuen – ich freue mich auch . . . Die geliebteste Frau, denk mal, Gert, die einem sagt: ›Ja, ich liebe dich etwas!‹ – Daran will ich mich klammern, damit will ich all die thörichten Gedanken fortscheuchen.
Es war eine wunderbare, kühle Nacht. Ich sog, im offenen Fenster liegend, den starken Duft eines Rivieraparks ein. Moskitos umtanzten mich freundlich. Es ist mir auch, als wenn ich einen Vogellaut gehört hätte – das war wohl sehr fern . . . Die beiden Riesencypressen gerade gegenüber meinem Zimmer starrten so düster, daß mich wieder die Kirchhofstimmung überkam. – Erinnerungen und Kirchhöfe! Ich habe mir damals erst klar gemacht, daß zwischen den beiden eigentlich so eine intime Beziehung ist. Vielleicht lege ich mir auch mal so einen Kirchhof voller Erinnerungen an und bin ganz glücklich zwischen seinen toten Cypressen. –
Die Sonne blinzelt schon violett über einer eiskalten, stahlgrauen See. Zeit zum Schlafengehen für unsereinen. – Ich bin aber doch ein Undankbarer. – Und ich küßte noch demütig das gleichgültige Buch, nur weil es ihre weiße Hand berührt. – Schlaf wohl, Félicie!