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Forcieren à tout prix!« – Weißt Du, wo dies gut gemeinte Telegramm mich erreicht hat? – In Kairo, nach vielen Irrfahrten sicherlich und jetzt fein säuberlich in ein Briefcouvert eingeschlossen. Genau vier Wochen nach seiner dringlichen Absendung . . . Es war zu spät, viel zu spät. Aber ich hätte auch sonst deinen klugen Rat nicht befolgt. Nur keine Reiterstückchen gegenüber so feinfühlenden Frauen! Hat sie mich von Herzen lieb gehabt, dann stärkt, wie bei mir, die Entfernung das Gefühl. War's nur eine Episode des Herzens, dann hält kein Gott die fliehende Empfindung.
Also ich bin in Kairo – und nicht in Indien. Der unbegreifliche Umweg über Deutschland war ja für beide Reiseziele nur eine Kateridee. Ich hielt's nur bis Suez auf dem Schiffe aus. Noch vier Wochen und länger, immer die flimmernde Hitze über einem wunderbar leuchtenden Meer. – Dazu sind die Wunden noch zu frisch, schmerzen noch zu brennend. Aber hauptsächlich vertrieb mich eine Frau – Deutsche und sehr Dame –, die mit ihrer Kammerjungfer eine Weltreise macht. Wir sahen uns allmorgendlich auf Deck, das heißt, sie suchte meine Bekanntschaft mehr, wohl weil ich etwas leidend aussah und sie von meinem Metier gehört hatte. Die noch junge, elegante Frau trug alles auf Seide gearbeitet wie Félicie – und allein das Knistern dieser Seide an jedem Morgen versetzte meine Nerven in peinlichste Schwingungen. Den ganzen Rest des Tages dann wieder das Meer von Schwermut wegen dieses einzigen Tones . . . Aegypten jetzt ist ein Wahnsinn. Wüstenglut und ekler Staub. Ich will auch bald zurück in irgend ein deutsches Seebad. Auch Schwäche. Eine eventuelle Nachricht von ihr braucht bis Kairo zu viel Zeit. Indessen treibe ich mich mit einem Fellachenjungen und einem Esel in der Wüste 'rum oder inspiziere die gigantischen Trümmer einer glücklicheren, weil längst vergangenen Zeit. Die Wüste ist so köstlich stumm – ich bin ja auch von Geburt für die Wüste bestimmt. Bei den Ruinen muß ich an unsern Vater denken, der sagte doch immer, er würde sicher nicht eher sterben, als bis er die Pyramiden von Gizeh noch einmal gesehen hätte. Er starb, und der Glaube nutzte ihm nichts. Ich werde auch sterben, ohne Félicie noch einmal gesehen zu haben.
Ich male wieder, das heißt ich stümpere – und ich, der ich immer die düsteren Seiten des Lebens krankhaft bevorzugte, finde mich bei sentimentalen Vorwürfen wieder. So färbt man ab.
Der Briefwechsel zwischen mir und Félicie ist im Gange. Sie schreibt nach Hamburg, wie verabredet, und erst Wochen später bin ich im Besitz der geliebten Zeilen. Sie ist so gut, sie sorgt sich so um meine Gesundheit – aber sie gehört zu den Frauen, wo man das andre zwischen den Zeilen lesen muß. Das ist ein sehr unsicheres Kalkül, weil man bald zu viel, bald zu wenig herausliest, je nach der Stimmung. Auch der Herzog und ich wechselten höfliche französische Schreiben. Sie sind bereits in Biarritz und die Hochzeitsvorbereitungen im Gange. Der Prinzbruder kommt schicklicherweise erst im letzten Moment, und das ist sehr viel später . . . Nach dem allen könntest Du vielleicht annehmen, das Schlimmste sei bei mir vorüber. Leider nicht. Der Karren bewegt sich längst nicht mehr, weil die Rutschbahn zu Ende – aber ich sitze noch immer drin. Ich lebe thatsächlich von dem Wunder, um das ich nicht mehr bete, und an das ich nicht mehr glaube. So kommt man 'runter. Aber ich kann nun einmal kein Ende machen, weder im Guten noch im Schlimmen. Ich bin einmal in meinem Leben mit meinem Gefühl weit über mich selbst hinausgegangen – darum bin ich der Sklave meines Gefühls. Ich habe das alles auch wohl Félicie geschrieben, aber cachiert, gemildert. Die Kabinettsfrage wie Du denkst – geht nicht! Ich fühle, daß meine Position in dem Augenblicke ganz verloren ist, wo ich dringend werde oder mich so schwach gebe, wie ich in Wahrheit bin.
*
Heute ein Brief von ihr. Ich wartete schon lange sehnsüchtig auf ihn. Nun lag er im Hotel mitten auf dem Flurtisch wie die andern Briefe von den paar übrig gebliebenen Touristen auch – Engländern, die ich nicht kenne. – Ein Brief von ihr zwischen andern Briefen! Jeder x-beliebige Krämer darf ihn anfassen, die Adresse lesen, ihn ärgerlich wieder auf den Tisch werfen, weil er nicht für ihn bestimmt, als wenn diese etwas glatte Handschrift einer viel korrespondierenden Dame von Welt nicht etwas ganz, ganz andres wäre. Ein Brief von ihr – ich bitte Dich! . . . Ich nehme mir nicht mal Zeit, mit ihm auf mein Zimmer zu gehen. Ich öffne ihn auf der Stelle mit fiebernder Hand. Ein nervöser Brief, ein oberflächlicher Brief, ein Brief, wer weiß wo geschrieben, ein Brief, der mich eigentlich empört. Ich wollte gerade zum Diner gehen und verlor sofort das letzte Atom von Appetit . . . Ich möchte einen Brief von ihr, wo sie sich wenigstens in einem Worte selbst giebt! – Dafür nur diese etwas müde Liebenswürdigkeit, die sich ängstlich hütet vor dem Zuviel! . . . Diese charakteristische Angst vor dem Zuviel! . . . Vermögen überhaupt die Frauen zu lieben, die niemals großherzig das Zuviel geben? Wer immer bangt, ob er nicht thörichte Hoffnungen weckt, der hat nie selbst thöricht gehofft. Und solche Menschen sind doch arm!
Ich beantwortete den Brief auf der Stelle. Ich schrieb kalt, sarkastisch, ich wollte die Frau treffen. Ich habe ein Recht auf ein ganzes Gefühl oder auf gar keins. Das sollte die Feinfühlige doch begreifen! Sonst lieber der unheilbare Bruch, das Adieu für immer. Wenn sie immer nach rechts und nach links sieht und nie mutig geradeaus, so vermag sie nur sich und andre unglücklich zu machen . . . Ich bin ungerecht gegen sie – aber ich will's sein! Ich lese meinen Brief noch nicht mal durch – ich weiß auch so, daß er eine einzige blutige Thräne ist . . . Solche Ausbrüche des Grolls sind gut, weil sie ehrlich sind und wie reinigende Gewitter auch frei machen. Ich fühlte mich danach matter, aber ich fühlte mich auch freier als lange.
Uebermorgen gehe ich nach Europa zurück. – Ich fühle auch keine Reue wegen des Briefes am Abend. Am Morgen kommt sie. Das ist die verwünschte Schwäche.
P.S. In dem Augenblick, als ich abfahren will und noch gerade die letzte Post durchstöbere – ein Brief von ihr. Ein ganz andrer Brief! Sie hat auf der Stelle gefühlt, daß der letzte falsch aufgefaßt werden könne. Sie schreibt rührend, reizend, ich thue ihr leid in meiner Einsamkeit. Aber kein Wort von Liebe, auch kein Wort über ihren Mann – aber trotzdem der Brief eines guten Herzens, eines Herzens, das ringt. Der eine Schritt vorwärts natürlich nie! Aber wenigstens der warme Trost für den Verlassenen . . . Ist die Frau nur gut? – Ich weiß doch nicht, ob sie mir Mitleid gab oder Liebe. Sie selbst ist sich darüber wohl nicht klar. – Mir thut's leid, daß ich den verletzenden Brief geschrieben. Aber sie muß ihn verstehen, sie wird ihn verstehen, weil er vielleicht mehr wie die vorhergegangenen ein Brief der Liebe ist.
Mit meiner Reiserolle unter dem Arm schrieb ich ihr noch ein paar flüchtige Zeilen, worin ich sie um Verzeihung bitte für alles, alles. Das ist nicht klug, wie ich sehr wohl weiß. – Ich sollte die Wirkung des bösen Briefes abwarten. Vielleicht heißt sie: ›Komme sofort! Nimm mich! Meine Natur braucht nun einmal den Zwang. Wenn ich den Herzenskampf allein auskämpfe, siegt doch die Tradition – ich; und die Revolution soll siegen – Du‹ . . . Zum Forcieren schlimmster Art, Gert, hätte ich momentan nicht mal das Geld. Ich könnte es selbstverständlich haben, ich kann ja haben, was ich will, aber ich will's aus einem ganz bestimmten Grunde nicht, den ich selbst Dir nicht mitteilen kann.
*
Also ich fahre zurück nach Europa – und zwar mit ihrem letzten Brief am Herzen. Lache nur über den Talisman! Aber alles, was von ihr kommt, wird mir immer einen bösen oder guten Zauber bedeuten. Davon mache ich mich nie los.
Die Fahrt war schön und schwermütig. Ich las den Brief wohl hundertmal und küßte heimlich das Papier wie ein sentimentaler Tertianer. Und wie ich so die vielen Stunden auf Deck saß, ganz allein mit ihr, ob auch hundert Menschen mich umdrängten, war mir das Herz bald leicht, bald beklommen. Ich denke, wie lebensmüde sie selbst nach ihrem letzten Brief sein muß, wie stumpf, und wie das wieder wechselt mit Bitterkeit und Empörung. Beneidenswert ist diese freiwillige Gefangene der Tradition wahrhaftig nicht! Und wenn sie nun in der grausten Stimmung meinen Brief von neulich bekommt und nur die Kränkungen herausliest und nicht das Weh, dann begeht sie vielleicht eine ihrer eigensinnigen Thorheiten, weil ihr die Sonne nicht mehr lieb. Sie könnte dem kranken Herzen das Unmögliche zumuten, bloß damit es von selbst aufhört mit seinem zitternden Schlag. – Nein, nur das nicht! – Ich merke, wie bei der Vorstellung das funkelnde Licht fahl wird und über das glitzernde Meer ein tückisches Grau fließt. Ich fühle, daß ich sie unendlich viel mehr liebe als mich selbst – Und wenn sie wiederum einmal glücklich, ganz glücklich wird mit ihrem Mann oder mit einem andern – auch das ist etwas Tötendes . . . Reinige Deine Gefühle von sündigen Schlacken, wenn Du stark liebst – ich kann's nicht! So verging mir die Fahrt: hochherzige Selbstlosigkeit mit heißem Egoismus innig gemischt . . . Der Kapitän hatte mir gesagt, daß ganz weit da drüben auf gleicher Höhe Biarritz läge – aber auch dem bewaffneten Auge säumt nur die See den Horizont. Wie weit mag der Kampf jetzt da drüben sein hinter jenen feinen Windwolken?
Ich werde noch ein paar Tage nach Hamburg gehen. Ich habe da oberflächliche Bekannte von meinen Reisen, denen aber mein Besuch Freude machen würde. Ich muß doch nach andern Eindrücken suchen, nach Oberflächlichkeit oder Betäubung. Denn ich bin trotz meines sehr gelebten Lebens noch immer nicht alt genug und kann vielleicht von der vagsten Hoffnung leben, aber nicht von der schönsten Erinnerung. In letzterem sollen die Frauen Meister sein. Etwas Abgeblaßtes bleibt solch thränenfeuchtes Rückwärtsschauen doch.
*
Ich war über eine Woche in Hamburg und habe mich gut amüsiert. Man ißt und trinkt nirgends besser auf der Welt. Aber die Frauen – und seien es die schönsten – taugen mir nur noch zum leichtesten Sinnenreiz oder zum verächtlichen Genuß. Sie sind mir höchstens ein Spielzeug, das man aufnimmt, um es wegzuwerfen. Der Ekel folgt dem Vergnügen auf den Hacken.
Die Aerzte raten mir von Nordseebädern dringend ab. Sie sind zu stark und züchten bei Nervösen meines Genres bedingungslose Schlaflosigkeit. Dann also die Ostsee! Wasser muß ich haben. – Nimm mir's nicht übel, Gert, daß ich so nahe bin und doch nicht zu Euch komme oder vielmehr zu Dir! Dich hebe ich mir als Letztes auf. Und so weit bin ich noch nicht. Ich traf neulich einen alten Regimentskameraden von Dir, der nicht begreifen kann, daß Du nicht geblieben bist. Mit mir ist das was andres. Vorgesetzte auf die Dauer – nein! Das gab mir Dein Freund auch lächelnd zu – und da das Hervorstechendste in meinem Charakter doch die Eitelkeit ist und der bescheidene Weihrauchskitzel, mache ich ja so auch meinen Weg viel rascher. Ich möchte aber ungern zu dem Punkte kommen, wo ich arbeite, weil ich arbeiten muß, wie ich jetzt schreibe, weil ich schreiben muß. Wenn ich erst die Arbeit brauche, um mich vor der äußersten Konsequenz meiner Lebensanschauung zu schützen, dann bin ich zu sehr ich selbst.
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Ein Brief von ihr. Die gute Antwort auf eine böse Frage. – Was thu' ich der Frau doch immer unrecht! – Sie ist so tief und so rein und so gut! . . . Ach, es war ein Brief, wie wohl nur sie ihn schreiben kann – einfach und schön. Es war aber auch eine Antwort mit wendender Post, ohne kühles Besinnen, ohne kleinliches Abwägen, die Antwort eines großen Herzens, das nicht verkannt sein will. Heute ist sie endlich mal sie – ganz sie. Bei allen Zerstreuungen des Modebades, den neuen Eindrücken, der neuen Umgebung hätte ein oberflächliches Herz, rasch befreit, aufgeatmet – und vergessen. Und dieses tiefe, gute Herz hat schwer schlagend sich da erst recht selbst begriffen. Das, was vorüber, das waren auch ihm in Wahrheit die besten Tage des Glücks. Ich soll's wissen, wie ich wissen soll, daß sie nicht vergessen kann, nicht vergessen will, daß, wenn sie mich je geliebt hat, sie mich gerade jetzt liebt. – ›Lebe für mich – ich lebe für Dich! Auch ewig getrennt gehören wir uns doch ewig!‹ . . . Das ist Musik, das thut wohl. Und wie damals am letzten Tag im Schlosse fühle ich beim eignen fieberhaften Schlag meines Herzens das ängstliche Pochen eines andern geliebten Herzens neben mir. Sie ist wieder bei mir. Der Raum scheidet uns nicht . . . Es ist nicht etwa ein Brief, der überschwengliche Hoffnungen weckt – kein Fanfarenstoß der siegenden Revolution – aber der Kampf liegt drin, das Ringen, der Wunsch, ganz frei zu sein, wenigstens im Gefühl.
Ach Gott, wie oft habe ich nicht diesen Brief gelesen – diesen lieben Brief, der mir alles Glück und alles Weh vergangener Tage zurückbrachte! Als er kam, da zögerte ich, ihn zu öffnen – ich fürchtete die gekränkte Antwort der Verkannten, das Mimosenhafte Erschauern der allzu Feinfühlenden. Und als ich ihn las – zum erstenmal das mutige geschriebene »Du«, was sie auch im Gespräch so ängstlich mied – zum erstenmal das warme: ›Ich habe Dich ja so lieb!‹, das sie vielleicht unter den Augen des Herzogs schrieb . . . Das war doch einer der wärmsten Tage meines Lebens. Ich glaubte an Gott, ich glaubte an das Wunder.
Und aus diesem Gefühle heraus habe ich auch geantwortet. Freilich zwischen Brief und Brief liegen uns immer fast Wochen. Natürlich kindisches Zeug, beileibe nicht für vernünftige Augen! – Ich gebe mich ganz, ich gebe mich in meiner Schwäche, was Männer nie thun sollen. Ich hoffe ja auch nur auf den Himmel, weil uns den die Erde doch nicht giebt. Wenn nicht anders – dann wenigstens da oben mit ihr! Aber so oder so will ich sie besitzen, weil ich sie doch einmal besitzen muß. Und der Himmel, an den ich nur in der Not glaube, wird sich mir nicht verschließen, wenn sie für mich bittet. – Thöricht, das alles! Ich weiß es. Aber wenn irgend etwas von oben kommt, so sind's doch die großen Gefühle und die Vorsehung wird doch ihre eignen verlorenen Kinder nicht zurückweisen, wenn sie, müde des Irdischen, zu ihr kommen, die sie einst hinunterschickte. Wenn man eine Frau gücklos liebte hier – so darf man doch wenigstens auf den Himmel hoffen mit ihr.
Seitdem sind Wochen vergangen. Vielleicht ging auch gerade dieser Unglücksbrief verloren. Der kurze Brief an Dich blieb unbeendet liegen. Ich wollte ihn nicht abschicken, weil ich ihn zu hoffnungsfreudig stilisierte und Dich damit nicht enttäuschen will. Ich warte fieberhaft auf Félicies Antwort, die aber nicht kommt. Also, bitte, keine Hoffnungen! – Ich habe sie ja auch nicht mehr. Mir liegt im Gegenteil eine schwere Enttäuschung irgend welcher Art in den Gliedern. Die Frau wartet, überlegt. Wahrscheinlich hat der Kampf da drüben in Biarritz sich zu einem verständigen Frieden mit dem Bestehenden gewandelt. Es wird wohl so sein. Wenn sie mich wenigstens in meinem Karren sitzen läßt! . . . An verlorene Briefe glaube ich nicht!
*
Oublier à tout prix et en tout cas! – Da hast Du der Herzogin wohlerwogene Antwort.
Mein Brief wird demnach wohl kein Diplomatenbrief gewesen sein . . . Ja, Gert, wenn einem so eine Freudenbotschaft dienstfertig noch bei der Table d'hôte überreicht wird, weil man die Post ja nie erwarten kann – und wenn man das Couvert mit nervöser Hand aufreißt und zu lesen beginnt, und wenn man dann noch wenigstens die Selbstbeherrschung besitzt, zwischen den blutlosen Lippen zu murmeln: »Pardon, meine Herrschaften. Diese dummen Geschäftsbriefe! Den hier muß ich auf der Stelle beantworten« . . . Bei mir langte es grade so weit – Aber dann die Stunden im Zimmer bei verriegelter Thür, auf der Bettkante, mit dem mechanisch immer wiederholten: ›Herrgott, wie ertrag ich's!‹
Und man erträgt alles, alles, alles! Man ist selbst zu schlapp zum Krepieren. – Eine Frau quittiert ganz vernünftig über unser Schicksal! Wie gefällt Dir das, Gert? . . . Ich weiß nicht, was in Biarritz während der letzten vier Wochen vorgegangen ist, welche Kämpfe sie hinter sich hat, welchem Druck sie erlegen ist. Sie schreibt auch davon kein Wort – Gut – sie mag müde sein des doch vergeblichen Ringens gegen einen Strom, dessen anerkannte Stärke ihr erst jetzt klar wird; sie mag dumpf verzweifelt zusammengebrochen sein; sie mag einen Kampf gegen sich und andre gekämpft haben, wie keine andre vor ihr . . . ich lasse ihr alles, alles, was sie entschuldigen kann – Und dann sollte gerade diese Frau nur das Banale: ›Vergiß mich!‹ aller Frauen gefunden haben? Den härtesten Ton des Herzens – den würde ich verstehen; das ruhige Wort der Vernunft – das verstehe ich nach allem, was gewesen, nicht. Sobald in die Liebe die Vernunft kommt, dann heißt sie besser Ehe, und dann ist sie das Grab der Gefühle. Und erst, wenn man das Grab gut zugeschaufelt und mit Epheu bepflanzt hat, entschließt man sich zu dem bequemen Oublier – das immer aus dem Kopfe kommt und nicht vom Herzen. Die Vernunft hat gesiegt – eh bien! Die Tradition hat ihr verirrtes, bestes Kind wieder . . .
Aber warum denn nur dieser Brief vorher, diese beiden Briefe vorher? – Ist es so edel, aus einer blutenden Wunde eine eiternde zu machen? . . . Das kann ich nicht verstehen, weil ich's nicht verstehen will. Wo ist selbst das großherzige Mitleid dieser Frau geblieben bei dem ganz unmotivierten: ›Vergiß mich!‹? – Mein Brief gefiel ihr nicht – wer will ihr das verargen? Es war ein Brief des Gefühls an das Gefühl, der Brief eines Unglücklichen an eine Unglückliche. Es sollte beileibe keine Erpressung sein . . . Wenn sie allerdings erst jetzt ganz begriffen hat, wie ich sie liebte, und wenn ihr das zu viel ist, wenn sie das jetzt als Last Empfundene um jeden Preis abschütteln will und sich dabei weismacht, sie opfere sich großherzig für mich – dann allerdings hat nicht der Gläubige recht, sondern der Zweifler.
Ich lese den Brief durch und lese ihn wieder durch und sage mir: ›Etwas mehr warst du doch wert!‹ – Ich gehöre sonst wahrhaftig nicht zu den Leuten, die über ein Komma stolpern, ich verstehe auch zwischen den Zeilen zu lesen, oder ich verstand es, oder ich glaubte es wenigstens zu verstehen – aber daß sie jetzt auf einmal fast beleidigt sagen kann: ›Ich wollte Ihnen nur Sonnenschein geben und weiter nichts, weil Ihr Leben so düster und inhaltlos vorher.‹ – Hat sie denn alles Feingefühl absichtlich verloren? Versteht sie die ungeheure Demütigung nicht, wenn eine Frau selbst sagt, daß sie nur Almosen einem Armen geben wollte? Gerade das hat sie doch früher so leidenschaftlich bestritten! – Gut, ich bin und war arm. Aber habe ich sie um Almosen gebeten? – Daß ich selbst manchmal wußte, daß ich welche nahm – bon! Aber daß sie es mir selbst sagen muß, gewissermaßen um mich in die Schranke zurückzuweisen?
Sie will eben das Ende um jeden Preis . . . Sie braucht aber nicht so zu drängen. Sie braucht keine Angst zu haben, daß ich urplötzlich als ungeladener Gast in Biarritz zur Hochzeit erscheine oder in ihrem flandrischen Schlosse zur Billardpartie. Bin ich, der Edelmann, denn über Nacht ein zudringlicher Plebejer geworden? Es scheint! – Es scheint auch, daß sie die Befürchtung hat, ich könne sie einmal droben in ihrem Prinzessinnenhimmel anreden. Ich habe ihr das nie zugetraut . . . Jetzt auf einmal: ›Vergiß mich à tout prix!‹ Und das nicht mal verbissen, hart, wo man geflissentlich nach dem gefühllosesten Wort sucht, daß es die brennend sickernde Thräne decke – sondern das gefühlvoll vernünftige Wort, das die Wahrheit endlich gepackt hat und sie eigensinnig festhält . . . Was nutzt mir nach der Vorrede, daß ihre Gefühle noch immer ungewandelt? – Wer mit der Aeußerung des Gefühls so haushält, der weiß nicht nur, daß es bald zu Ende ist damit, der möchte, daß es zu Ende wäre endlich.
Und ich mache noch kein Ende, Gert! Ich kann meinen Karren nun einmal nicht verlassen, aus dem man mich mit Vernunft und Liebenswürdigkeit hinauskomplimentieren will . . . Ich werde mir vierundzwanzig Stunden später doch wieder sagen: ›Thust du ihr nicht bitter unrecht? – Und was liegt zwischen dem letzten und dem vorletzten Brief an Kämpfen und Entschlüssen, die sie mir nicht sagen darf?‹ . . . Du würdest mir natürlich raten: zu warten oder auch ganz zu schweigen, und wenn sie auch schweigt, zu denken: ›Das ist Antwort genug.‹ – Warten werde ich. Aber schreiben werde ich doch. Wie's nun auch zusammenhängt: ich will sie nicht fallen lassen, wie sie mich vielleicht fallen läßt . . . Gert, das sind seelische Vorgänge, über die wir uns nur persönlich auseinandersetzen könnten. Und wenn bei der Gelegenheit ich auch Dir zudringlich und dumm erscheine, so denke, bitte, daß auf Erden weder die Vernunft noch die Bescheidenheit eine genügende Folie hätten ohne Narrheit oder Frechheit. – Vielleicht schreibt sie auch selbst und findet sich selbst wieder, wie sie sich selbst verloren. Den Glauben an diese Frau tötest Du doch nur mit mir selbst. Wäre sie nicht ganz anders als andre Frauen, so liebte ich sie doch nicht so ganz anders als andre Frauen! Die Medizin, die mich heilt, muß noch bitterer sein – und diese Heilung heißt dann Tod.
NB. Bin ich eigentlich so überschwenglich, daß ich eine Frau abstoßen muß? – Oder thue ich einer herzkranken Frau etwas Böses, daß ich sie von einer Lebensanschauung abzubringen suche, die ihr Heil ist? – ›Vergessen Sie mich!‹ – Das werde ich nicht los. Wenn ich nur wüßte, ob das Herz zu dieser eigensinnigen Vernunft taktmäßig schlägt, während die weiße Hand das niederschreibt! . . . Freilich dann . . . Dann hätten wir uns eben geirrt, mein lieber Bruder – Ich bin Egoist. Ich will mich nicht geirrt haben. Sie soll mir bleiben, was sie mir war, auch wenn sie nicht will.
*
Ich habe gewartet – ich habe geschrieben. Ich habe gebettelt – ich habe Almosen bekommen . . . Was in meinem Brief stand? – Sicherlich sehr viel oder sehr wenig, je nachdem man es mit einem matten oder leuchtenden Auge liest. Ich habe ihr wohl noch einmal gesagt, wie sehr ich sie geliebt habe, und wie unsinnig schwer darum das Vergessen sei. Auch daß ich innerlich mich doch nie von ihr losmachen könnte. Das ist auch nur die Wahrheit. Aber schreiben solle sie mir nicht mehr, weil ich den definitiven Bruch doch nicht ertrüge, und weil ich weiterleben müsse und doch nur von ihr leben könne . . . Im Grunde weiter nichts als eine gemeine Bettelei um Liebe. Es ist dumm, es ist deplaciert, und auf dem Punkte, wo die Herzogin jetzt angekommen, facht Bettelei derart das erloschene Gefühl höchstens zum großherzigen Mitleid an. Aber Ekel und Abneigung folgen diesem Mitleid auf den Fersen. Und ich weiß das sehr wohl. Man schreibt mit solchem Brief sich selbst das Todesurteil in den Augen einer Frau. Vielleicht habe ich auch nichts andres gewollt.
Ich habe auch die Antwort bekommen. »Ein unbedingt letzter Brief« – ihr eigner Satz. Ein Brief genau wie der vorige, derselbe Sinn in andern Worten. Vornehm bleibt Félicie auch da. Sie schickt mir ein letztes Andenken: ein kleines, kleines Pastellgemälde von ihr, René auf dem Arm, fein wie ein Meissonier, den man mit einer Hand bequem bedeckt. Sie ist so reizend darauf, ganz der holde Zauber, der sie im Leben umfließt. Vielleicht darum kann ich's nicht lang ansehen – der Traum war zu schön! – Solch ein Bild giebt man nicht jedem, das reißt man sich vom Herzen los, das soll heißen: »Ich habe dich mal lieb gehabt!« . . . Warum muß sie mir dazu schreiben, daß sie sich erst nach langen Kämpfen dazu entschlossen habe, weil sie nicht wisse, ob es mir gut sei? – Das heißt einer Blume den Duft nehmen . . . Sie hätte doch ebensogut in diesem »letzten Brief« schreiben können: »Ich schicke Dir das Beste, was ich habe, freiwillig, gern, weil ich Dich noch immer liebe, wenn's auch für ewig vorbei ist!« . . . Wozu der Skrupel auf Papier fixiert – wozu durchaus dem Bettler das Almosen? – Sie hat eben den Kampf hinter sich und das Gefühl auch. Sie ist der Tradition so treu wie je . . . Und mein Brief hat sie natürlich nur gekränkt. Die Gründe kenne ich nicht; sie läßt sich auf Einzelheiten nicht ein. Sie wird eben über ein Komma gestolpert sein, weil sie über ein Komma stolpern wollte. Das ist das Ende des Verständnisses, der Schluß überhaupt. Ich bin der Frau lästig geworden – und ich fühle, daß ich ihr lästig werden mußte.
Ich könnte hierauf einen freundlichen Dankesbrief schreiben – oder ich könnte auch nicht schreiben. Ich könnte auch wieder warten, wie Du mir immer rätst. Trotzdem muß ich auf der Stelle schreiben. Es besteht nämlich noch etwas andres zwischen uns – oder es war im Begriff zu bestehen. Etwas, das nur zwischen zwei Menschen bestehen darf, die sich bedingungslos lieb haben, vollständig verstehen – und dann ist es köstlich. Sonst ist es eine Erniedrigung für den Mann, ein häßlicher Stachel für die Frau – nach einem »unbedingt letzten Brief« ganz undenkbar! Ich müßte auch das letzte Atom von Ehre nicht mehr besitzen – und ich bin schon beinah ehrlos, daß sie das in einem »unbedingt letzten Brief« überhaupt erwähnen kann. Ich kann Dir nicht sagen, was es ist, Gert, aber ich kann Dir sagen, daß es in der Form die schlimmste Demütigung heißt, die eine Frau einem Mann anthun kann! Sie denkt sich sicher nichts Böses dabei, aber eben weil sie sich nichts dabei denkt, ist es um so schlimmer . . . Vielleicht meint sie es auch gerade durch diesen Passus gut mit mir. Sie will mir die Möglichkeit eines anständigen Rückzugs lassen. Und ich trete diesen Rückzug ohne Besinnen an – ›Die Frau, die mir das im »unbedingt letzten Brief« zumutet, die hat mich freilich nie geliebt‹ . . . Mag sie gekränkt sein – aber auch ich bin am Ende meiner Kraft.
Die Briefe, die wir vielleicht noch im Leben wechseln, die sind Form und nicht Inhalt fürderhin. Sie will's so – und mir ist's recht . . . Ich habe Dir vorausgesagt, daß ich das Schlachtfeld als Flüchtling verlassen würde, nachdem der letzte Atemzug sinnlos vergeudet. Ich verlasse das Schlachtfeld jetzt . . . Ich werde wieder ich selbst sein – und das wird sie so freuen!
Uebrigens, der Prinzbruder ist glücklicher Ehemann. Ich hätte gratulieren sollen, wenigstens Félicie gratulieren sollen, deren Herzenswunsch damit erfüllt ist. Ich kann's nicht. Ob unhöflich oder nicht, ob herzlos oder nicht – ich kann bei solchem fremden Glück nur den bitteren, bitteren Geschmack des eignen Unglücks empfinden. Zu der greisenhaften Selbstlosigkeit habe ich mich noch nicht durchgerungen. Und sage mir, was Du willst: Die Liebe, die im Verzicht das Höchste sieht, die ist nicht mehr Liebe zwischen Mann und Weib, die ist die entsagungsvolle Freundschaft Geschlechtsloser . . . Der Graf ist in den Seealpen neulich abgestürzt. Ich las nur die Zeitungsnotiz. Hat er bewußt den einen Schritt vorwärts gethan, weil ihm der ewige Schritt rückwärts zu langweilig wurde – oder ist's wirklich nur ein Unglücksfall? Auch Spielschulden oder so etwas könnten ihn in den Tod getrieben haben. Er war fraglos eine pathologische Erscheinung, aber trotzdem oder vielleicht grade deshalb der klarste und vornehmste aller dieser Köpfe. Den Mann beneide ich wirklich – aber nur, weil er tot ist.
*
Wir haben jetzt bereits August. Auch die kriechende Zeit kommt zum Ziel. Und ich bin noch immer in dem kleinen Ostseebade . . . Wie's in mir aussieht, kannst Du Dir ungefähr vorstellen.
Vor der Arbeit habe ich einen positiven Ekel, den ich aber doch überwinden muß. Rate Du mir, wo ich hingehen soll? – Ich bin des Reisens so müde und möchte mich auch wiederum nirgends festsetzen. Ich wollte, ich hätte Félicie das damals nicht versprochen; und ich hoffe zu Gott, daß sie bald glücklich wird . . . Warum soll sie's schließlich auch nicht werden? Der Gedanke an mich kann ihr nicht hinderlich sein. Ihre Versprechen hat sie ja peinlich bis zum letzten Moment gehalten – und wie wenige Frauen thun das! . . . Wir hatten übrigens mal ernsthaft untereinander abgemacht, wenn der letzte Funke des Gefühls für mich (Mitleid oder Güte natürlich ausgeschlossen) geschwunden, würde sie mir das unauffällig mitteilen. Sie wird es aber wohl nicht thun, eben aus dieser Güte heraus, die ich von ihr nicht verlangt habe. Sie kann's ruhig thun. Viel unglücklicher wird sie mich dadurch auch nicht machen.
Geschrieben hat sie mir nicht mehr und wird mir auch nicht mehr schreiben. Sie ist aufs tiefste beleidigt. Ich kann ihr nicht helfen. Von Anfang bis zu Ende habe ich im Bösen und im Guten der Frau gegeben, was ein Mann auf Erden einer Frau geben kann. Der Verschwender war ich doch! Sie wird das Gegenteil behaupten. – Sie ist mich endgültig los, los auf eine Weise, daß sie von ihrem Standpunkt aus mit Recht sagen kann: ihre besten Absichten seien nicht verstanden worden. Das ist eben die andre Weltanschauung. Und wenn sie noch zuweilen an mich denkt, so thut das ein mitleidig bedauerndes oder, wenn Du willst, auch ein die herbste Kränkung groß verzeihendes Herz – aber das Herz, das sich um einen Menschen sorgt, nicht um einen Mann. Sie würde darum ehrlich glücklich sein, wenn ich mich heute glücklich verheiratete . . . Sie hat das Weh der Revolution an sich erfahren und weiß jetzt die Segnungen der Tradition zu schätzen. Dabei hat sie doch ein großes, gutes Herz – aber es ist die andre Anschauung von Pflicht und Gefühl. Wir verstanden uns nur so lange, als wir uns sahen. Nachher brach sie selbst die Brücke des Verständnisses ab . . . Ja, zuweilen habe ich ganz bestimmt das häßliche Gefühl, als ob ich jetzt, ohne es zu wollen, ihr nicht allein lästig, sondern auch lächerlich geworden wäre. Komische Figuren, auch im Gefühl, sind weder meine noch ihre Lieblinge; man bemitleidet sie nicht, sie können einem nur leid thun.
*
Ich bin also wieder wohlbehalten in meiner Wüste angelangt. Ich trinke wie sonst, esse wie sonst, schlafe wie sonst. Ich danke für die drei Genüsse. – Zuweilen aber ist's mir, als wenn ich meinen Karren von den Schienen gehoben und schweißtriefend durch den grundlosen Sand schiebe, weil ich nun einmal ohne den Karren nicht leben kann. Es war ja auch einmal ein Sonnenwagen. – Ich lebe äußerlich, wie ich immer lebte. Ich bin wieder lustig, ich mache die Cour – es sind hübsche Mädchen da und Frauen, die gar nicht so zimperlich, wenn man's drauf anlegte. Es giebt Augenblicke, wo ich leichtfertig denke: »I, Unsinn! Frau bleibt Frau. Und wenn sich ein hübscher Mund nach dem Küssen sehnt, so soll man ihm auch den Gefallen thun.« – Aber ich thue ihm den Gefallen nicht. Ich sinke immer direkt vom Rausch solcher Wünsche in meinen Stumpfsinn zurück und bin stundenlang in einen Fauteuil vergraben, für niemand zu sprechen. Andre Frauen sind andre Frauen. Mein Gefühl bleibt der Herzogin treu, ich bin noch immer ihr Vasall, obgleich ich selbst frei sein möchte, obgleich auch sie nichts sehnlicher wünscht . . . Dann gehe ich zum Portier und frage nach der Post. Ich denke doch noch immer an einen Brief von ihr und weiß doch so genau, daß er nie kommt. Es ist ein alter Satz, daß wenn Frauen dem Mann das zähneknirschende »Adieu für immer« schweigend beantworten, sie über ihre Gefühle klar sind, das heißt fertig mit dem Mann. Verglommene Glut facht sich nie wieder an – es ist zu viel Asche da . . . Es ist bei mir der sehr seltene Fall eingetreten, daß eine gute Frau Gott von Herzen bittet, ein Mann, den sie nicht gern hatte, möge sie vergessen, während doch sonst die Frauen beten, der Mann möge sie nie vergessen. Félicie wünscht mir ja das große, große Glück – und ich kann dazu nur lächeln.
Gegen Sonnenuntergang bin ich immer allein oder mit den andern auf der Düne. Es ist mir noch immer ein Reiz, die blutige Kugel ins Meer sinken zu sehen. Es ist zwar eine andre Sonne und ein andres Meer, und es sind andre Gefühle wie damals – aber es soll auch etwas andres sein. Das leuchtende Mittelmeer ertrüge ich noch immer nicht. – Der Strandhafer knirscht, und der Sand rieselt – und wenn ich die Vorsehung genug gelästert habe, dann frage ich mich allabendlich angesichts der sinkenden Sonne: »Was ist nun eigentlich Glück? Ich sage nicht mehr wie früher: es ist Anlage – ich sage: es ist Oberflächlichkeit, weiter nichts. Die es ernst nehmen mit dem Glück, die merken nach manch thörichtem Versuch, daß es wie das Schlaraffenland drei Meilen hinter Weihnachten liegt. In solcher Leben giebt es vielleicht sehr kleine, sehr helle Punkte, die verlorenen Inseln in einem grauen oder schwarzen Meer von Schatten – aber mehr nicht!« . . . Die Sonne ist hinunter. Es weht kühl, in den Gräsern beginnt's zu säuseln. Wieder ein Tag vorbei: doch wenigstens etwas . . . Dann lachen wir wieder und scherzen wir wieder. Manchmal bin ich auch zur Abwechslung wieder stundenlang stumpfsinnig. Das letztere halten die guten Leute bei meinem Schmiertalent für sehr undankbar gegen ein gütiges Schicksal.
Neulich, als ich eines Sonnabends mit einem großen Schwarm landeinwärts spazieren ging – über dem silbrigen Korn ballten sich gerade frühe Abendnebel wie Qualm –, da flog eine verspätete Schwalbe immer unermüdlich dicht an meinem Kopf vorbei. Es war wirklich sonderbar. Als wenn der kleine Luftsegler mir Nachricht bringen wollte von irgend wem. Die andern lachten. Aber ein junges Mädchen erklärte mir, daß so etwas selten sei, aber sicher Glück bringe. Irgend jemand, dem ich lieb, müsse sehr intensiv an mich denken oder ihm müsse etwas zugestoßen sein. – Vielleicht . . . Warum auch nicht! Ich denke jede Stunde des Tages und der Nacht an Félicie; sie könnte doch diese eine Stunde intensiv an mich gedacht haben. Gut ist und bleibt sie! Ich ging bald nach Haus. Auf meinem Zimmer lag ein Brief – ein ganz gleichgültiger Brief.
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Ich habe die Arbeit wieder angefangen. Ich mußte. Das quälende Auf und Nieder der Stimmungen läßt sich bei mir nur mit Nikotin und Arbeit zwingen. Ich arbeite sehr scharf, fast unsinnig. Brecht doch zusammen, ihr Nerven, wenn ihr's nicht aushalten könnt! Mir ist's recht . . . Aber sie ertragen's, um sich kleinlich später zu rächen.
Das Malen geht wirklich wieder. Aber wenn ich jemand sagen würde, daß diese schöne Arbeit mich nur vor dem Aeußersten rettet, daß sie mir nicht die geringste Befriedigung gewährt, so würde er mich für einen Lügner oder einen Narren halten. – »Die Liebe« habe ich neulich für schweres Geld nach Amerika verkauft. Ich habe sie nicht mal mehr gesehen. Ich hatte mir wieder ein großes Ziel gesetzt und machte gerade Vorstudien zu einem Bilde »Glück«, wozu mich Félicie einmal inspiriert. Es hätte etwas ganz Großes werden können, aber nur unter ihren Augen. Die Opalaugen mit den aufgebogenen schwarzen Wimpern brauchte ich unbedingt zum »Glück«. Darum habe ich den Gedanken nach vergeblichem Bemühen wieder fallen lassen. Ich habe etwas andres vor. – Auch in dem neuen Bild soll »sie« die Hauptfigur sein, aber in einem ganz andern scharfen Lichte gesehen. Ich will in diesem Bilde die Gesellschaft mit Skorpionen züchtigen. Vielleicht gelingt's.
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Es gelingt, Gert, und es gelingt nicht. Ich kann Dir das technisch nicht recht klar machen. Jedes Bild wächst im guten oder schlechten Sinn über uns hinaus oder bleibt hinter uns zurück. Die Idee verhält sich zur Ausführung höchstens wie das Original zur Kopie. Auch die genialste Kopie wird dem Original nie völlig gerecht. – Jedes Bild ist ein Kampf zwischen Idee und Ausführung, zumal mein neues Bild, wo ich eine Frau verherrlichen möchte, und in dieser Frau doch wiederum die Gesellschaft aufs empfindlichste treffen. Nach dieser Richtung hin entgleitet mir entschieden der Stoff. Du kannst das begreifen. Ich möchte der Hauptgestalt die schärfsten, härtesten Dürer-Linien geben, die Charakteristik poussieren auf Kosten der Schönheit – weil die Gesellschaft meine Todfeindin geworden ist; und ich möchte der Frau andrerseits in Farbe und Licht all die weiche, große Poesie verleihen, die den Verzauberten noch immer bannt. Verbinde so etwas glücklich, wenn Du's vermagst! Verwünsche die Gesellschaft und bete die Frau an in demselben Bilde, in derselben Gestalt! Ich ringe ehrlich nach Objektivität und weiß doch, daß gerade die sprühende ungerechte Subjektivität den Hauptreiz solchen Bildes ausmachen muß. – Meine Arbeit jetzt ist das qualvollste Aufreißen eiternder Wunden und das empörte Zusammenpressen brandiger Wundränder zugleich . . . Ein Mord der Nerven. Was thut das? – Und vielleicht vermag ich mich auch nur malend mit der Frau endgültig auseinanderzusetzen; vielleicht ist auch dieser bald brennende, bald dumpfe Schmerz, den ich mir bewußt bereite, mit seinen mitleidlosen Qualen die einzige Lebensmöglichkeit für eine gewisse Zeit. Ich verwünsche die Frau und hasse sie – und seufze doch nach ihr und spreche sie heilig. Das geht so ohn' Unterlaß seit ihrem letzten Lebenszeichen . . . Wenn sie aber nun schon tot wäre oder schwer krank? – Ich lese wenig Zeitungen, und deutsche Zeitungen kümmern sich nicht um eine halbfranzösische Herzogin. Denk, Gert: sie ist tot! – Sie – verlieren! Sie, die ich als Tote vielleicht mehr besitze wie als Lebende. Aber wer sie besitzt und verliert – schrecklich! Wär' ich der Herzog, und liebte ich sie auch nicht, über den Verlust eines solchen Geschöpfes käme ich doch nie, nie hinweg.
Es ist gut, daß sie so etwas nicht liest, um dabei Mitleid zu empfinden, was ich nicht will, oder Gewissensskrupel, die sie nicht nötig hat, oder um zu denken: »Ja, ja, das ist alles recht schön! Aber wo nichts mehr ist, da hat selbst der Kaiser sein Recht verloren, und das müßte der Mensch eigentlich längst begriffen haben« – Nein, Gert, wir haben uns gegenseitig weder etwas vorzuwerfen noch etwas zu verzeihen . . . Und trotz alledem arbeite ich unsinnig, mit einem unheimlichen Verbrauch von Nikotin, nur, weil ich mich vor den Bettelanwandlungen meines Herzens fürchte, und weil ich nicht um eine Welt noch einmal betteln möchte . . . So viel ist mir allerdings klar geworden bei der Arbeit, daß der höchste Reiz einer Frau weder im Geist, noch im Gemüt, noch im Körper liegt, sondern daß er der ganzen Persönlichkeit eigen, sie umströmend wie ein Fluidum, das nur ein Einziger voll empfinden kann. – Und klar geworden ist mir wiederum an dieser Frau, daß unbedingt nur die That Sinn auf Erden hat, daß alles wirklich Schaffende gut – ganz gleichgültig, ob gut oder böse. Nur die That macht frei und nur die Arbeit glücklich.
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Lange kann mein Seelenzustand nicht dauern. Dazu ist er zu intensiv. Meine Hoffnung besteht darin, daß sich so etwas rasch aufbrauchen muß oder urplötzlich aufhört.
Ich kann doch nicht mehr zu Ende malen. Die Nerven streiken kleinlich. Ich gehe auf den Rat meines Berliner Arztes in ein Sanatorium – aber aus Opposition in das Modesanatorium vorigen Jahres, das er gar nicht liebt.
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Ich bin also hier bis zu Weihnachten geblieben, und habe auch dieselbe Betrachtung über luftundurchlässige blaue Anzüge hören müssen. Die Farbe der Treue! Erinnerst Du Dich noch meiner albernen Witzelei, daß ich nur in Tuch treu zu sein vermöchte? Jetzt trage ich gehorsam helle Anzüge. Aber die unerwünschte Treue für diese Frau bewahre ich . . . Genutzt hat mir die Kur wenig. Ich werde wieder nach dem Süden gehen, diesmal an die andre Riviera. Das Opfer möchte in thörichter Verblendung wenigstens seinen Schafottplatz bei klarem Wetter jenseits des blauen Meeres zu Füßen der weißen Seealpen schimmern sehen. Ich bin in einem kleinen Nest untergekrochen, und habe da ganz unerwartet einige nette Menschen gefunden, sogar liebenswürdige und vorurteilsfreie Frauen der besten Gesellschaft, die ich aus alter Gewohnheit und ihrer Formen wegen noch immer vorziehe. Ich bin sogar wochenlang mit der liebenswürdigsten Frau zusammen gewesen, die mir je begegnet. Auch eine Frau von Herz, auch reizend. Sie täuschte mich beinahe über die »verlorene Félicie« hinweg. Ich habe sogar mit ihr über Félicie gesprochen, wie man über eine schöne Freundin spricht, die nur den Künstler reizte. Und doch wurde ich wohl ein wenig durchschaut und darum besonders gütig behandelt.
Jetzt bin ich wieder allein. Es waren doch angenehme Wochen. – Ich fühle wohl darum meine Einsamkeit stärker. Félicie ist keineswegs tot! – Das wäre ein Wahn gewesen . . . Ich müßte mich ja auch selbst verachten, wenn sie meinem Herzen je sterben könnte.
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Die Nervendepression ist zurückgekehrt und zwar schlimmer als je! Ich kann das blaue Meer und die balsamische Rivieraluft absolut nicht mehr ertragen. Gerade was Félicie mir so herzlichst wünscht: das Vergessen – und was ich in den letzten Wochen beinahe fertig gebracht hätte, ist nicht durchzusetzen. Die Nerven sammelten wohl auch nur Kraft zur neuen Attacke. Jetzt komme ich wirklich zu Dir. Ich bin so weit . . . Ich reise aber über den Brenner und Wien . . . Ich darf die alte Straße nicht mehr benutzen . . . Ich telegraphiere noch. Auf Wiedersehen!