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Mit dem Anfange des siebenjährigen Krieges, dieser wegen Glorie und Elend in Deutschland unvergeßlichen Periode, fing die schnelle Vergrößerung von Meister Antons Manufaktur und Reichtum an; und eben damals gebar Frau Sabine ihren ersten und einzigen Sohn. Meister Anton nannte ihn Anselm nach dem Doktor, seinem Schwager, gegen den er immer dankbar blieb, obgleich er ihn belohnt hatte.
Anselmino war, von seiner Geburt an, ein frisches, fettes, rundes, kurzes Kind, d'un aimable embonpoint, und ward, wie weiter unten erhellen wird, ein rundes kurzes Kerlchen, fröhlich und munter, schwatzhaft, leichtsinnig und lustig. Wie es nun zuging, daß Anselmino so fett ward, obgleich von magern Eltern entsprossen, so feurig und fröhlich, als jene ernsthaft und gesetzt, und so redselig und unbedachtsam, als sie beide das Gegenteil waren: das gehört zu den transzendentalen Dingen, worüber die Philosophen von jeher hundert Fragen aufwarfen; z. B. ob das Ding, welches du siehest, dem Dinge an sich selbst gleicht oder nicht? Ob es außer dem positiven Nichts noch ein negatives Nichts gibt; ob ein positives Unding oder ein Unnichts zweierlei sind; ob das Nichts bewegbar oder unbeweglich sei, und dergleichen gelehrte Fragen mehr. Die neueste Philosophie lehrt uns, niemand unter dem Monde könne von solchen Dingen etwas wissen oder begreifen; obgleich freilich eben diese Philosophie noch immer einiges Jucken zu haben scheint, das meiste davon zu erklären, indem sie immerfort versichert, es ließe sich gar nichts davon wissen. Wir wollen also versuchen, noch bescheidener zu sein als die so bescheidenen neuesten Philosophen, und über die obige wichtige Frage von fett und mager, lustig und still, gar nichts sagen. Könnt Ihr Euch aber ja bei unserer Bescheidenheit nicht beruhigen, so ergreift das Mittel, Euch an Herrn Doktor Grohmann zu wenden. Dieser weiß ganz genau, wie es hergehet mit der Zeugung der Söhne und der Töchter, daß sie so oder so geraten, und wie es geschieht, daß die Temperamente knochenreich oder koleurischknochenreich oder koleurisch – So nennt D. Grohmann eins von seinen neuerfundenen Temperamenten. S. Magazin zur Seelenkunde, Xten Bandes 2tes Stück, S. 26 (Anm. Nicolais). werden. Dr. Grohmann wohnt in Wittenberg. Seht aber zu, daß Ihr auf den rechten Doktor treffet; denn trefft Ihr auf einen andern Wittenbergischen Gelehrten, der Euch auslacht, so ists wenigstens unsere Schuld nicht.
Anselmino war die Freude seiner Eltern und seines Oheims Georg, der den Jungen von Kindesbeinen an liebte, als wäre es sein eigener Sohn. Wenn alle drei nebst Frau Leonoren in den langen Winterabenden des Jahres 1756 nach vollbrachter Arbeit einträchtig beisammen saßen, so ging Anselmino aus Hand in Hand, und alle freuten sich, daß er so gesund und so rund war. Diese Freude nahm zu, als er nach einem Jahr herumzulaufen anfing und so rund als gesund blieb. So wuchs das Kerlchen fort, immer mehr im Umfange als in der Höhe, und blieb so fünf Jahre lang und länger. Da hätte beinahe schon seine künftige Bestimmung unter beiden Eltern und unter Bruder Georg den ersten Zwist veranlaßt. Die Eltern besprachen sich oft darüber, ihr einziger Sohn müsse kein gemeiner Mann bleiben wie sie. Beide waren sogleich eins, er solle studieren; und so ward Anselmino schon den Musen geweihet, ehe er noch buchstabieren konnte. Wir sagen buchstabieren; denn weil damals die heilsamen neuern Lesemethoden noch nicht erfunden worden, war das gute Kind unglücklich genug, wirklich erst buchstabieren zu müssen, ehe es lesen lernte. Wer weiß, welche von den widrigen ihm zugestoßenen Begebenheiten und wie mancher von seinen Irrtümern, welche wir weiter unten erzählen werden, in dieser verkehrten Lehrmethode ihren Ursprung haben mag! Wer weiß, um wie viel unsere glücklichere philosophisch zum Lesen angeführte Jugend künftig konsequenter denken und folglich moralischer handeln wird, als wir weniger glücklichen Väter und unsere ältesten Söhne!
So sehr nun aber beide Eltern darin übereinstimmten, daß ihr Sohn studieren sollte, so sehr uneins waren sie über den gelehrten Stand, welchen sie für ihn zu wählen hätten. Die Mutter wollte ihn, wie leicht zu erraten, der Gottesgelahrtheit gewidmet wissen; denn welche größere Freude kann eine Mutter wohl haben, als ihren Sohn predigen zu hören! Der Vater war aber nicht so sehr aufs Geistliche gesteuert. Er stellte sich dieses Leben, wo es ihm so wohl ging, viel lebhafter vor als das künftige, über welches ihm noch so manches dunkel blieb. Er hielt daher einen Arzt für einen nicht zu verachtenden Mann. Dabei wußte er, so frugal er auch selbst lebte, sehr wohl, was in der Welt mit Geld auszurichten ist. Daß die Arzneikunde Geld bringe, sah er an einigen Ärzten in Aachen, welche in der Stadt viel gebraucht und oft auch nach benachbarten Landgütern und fürstlichen Höfen geholt wurden, ob es ihm gleich schien, dieselben wären im Heilen schwerer Krankheiten nicht ganz so glücklich, als er im Färben echter Tücher. Er beschloß also, sein Sohn sollte ein Arzt werden, und sah schon in Gedanken, wie derselbe in eigener Kutsche auf den Straßen von Aachen herumrollte und im fürstlichen Zuge von Sachsen über Land geholt wurde.
Ganz andrer Meinung war Oheim Georg. Derselbe hatte vermutlich bei den Herrnhutern, wo bekanntlich gar kein Unterschied der Stände gilt, die Begriffe von Gleichheit aller Menschen eingesogen, welche machten, daß er, beinahe wie jetzt die unhosigen und langhosigen Franzosen, jeden höhern Stand als etwas Unnatürliches ansah. Er meinte, die Familie sollte ja aus ihrem Kreise sich nicht emporheben, und der Junge dürfe daher nichts als ein Tuchmacher werden wie sein Oheim und sein Vater. Er stellte letzterm vor, was sich auch hören ließ, es werde natürlicher sein, diesen Sohn so zu erziehen, daß die schöne Manufaktur durch ihn im Flore erhalten bleibe, wodurch auch der künftige Wohlstand des jungen Menschen sicherer werde gegründet werden als durch ungewisse Hoffnungen und Aussichten. Aber diese Vorstellungen halfen wenig bei den Eltern, denen eben jene weitaussehenden Hoffnungen sehr viel Vergnügen machten. Es hätte dieser Zwist leicht zum Nachteile des häuslichen und brüderlichen Friedens ausschlagen können. Denn, so ein schlichter und verträglicher Mann auch Meister Anton war, so hatte er doch seinen kitzlichen ambitiösen Fleck und Frau Sabine ebenfalls. Dazu kam, daß, wie oben bemerkt worden, Oheim Georg gewohnt war, in der Familie am lautesten zu reden, und es fiel ihm auf, daß jetzt zum ersten Male das Gegenteil geschah.
Die übeln Folgen wurden indes durch ein Wort von Frau Leonoren glücklich gehindert. Sie bemerkte in der größten Hitze des Streits: Es sei unnötig, über das Schicksal des Knaben jetzt zu streiten, man könne ja lieber geduldig abwarten, wie es etwa mit ihm und seinen Fähigkeiten werden möchte. Dabei küßte sie den dicken Jungen und gab ihn auch dem Vater in die Arme. Die beiden Männer wunderten sich, wie ihnen ein so natürlicher Gedanke nicht selbst eingefallen wäre, und gaben einander treuherzig die Hände, obgleich jeder insgeheim wünschte, daß sein Plan zum vermeinten Glücke des Knaben ausgeführt werden möchte.
Die gute Frau Leonore hatte im Ehestande wenig Gelegenheit gehabt, Erfahrungen von Glücke zu machen, aber desto mehr Gelegenheit zur Prüfung ihrer Geduld. Kaum sah sich ihr Mann, der Doktor, wieder in guten Umständen, so fing er aufs neue an, alle Zeit, welche er nicht zu den Versuchen für die Färberei der Manufaktur brauchte, aufs Laborieren zu wenden. Er kam bald wieder in Schulden und sein ganzes Hauswesen in Unordnung. Unter diesen Umständen war Frau Leonore zum ersten Male guter Hoffnung. Sie gebar einige Monate darauf eine Tochter. Der Doktor ließ das Mädchen Sophia taufen, seine Ehrerbietung gegen die geheime himmlische Weisheit anzuzeigen, welche von seinem Schwager, seiner Meinung nach, verkannt ward. Er starb aber kurz darauf als ein Märtyrer dieser geheimen Weisheit. Soeben glaubte er, endlich die jungfräuliche Erde gefunden zu haben, in welcher er den Merkur figieren wollte. Plötzlich aber sprang das philosophische Gefäß, und er ward in Rauch und Flammen erstickt. Seine Frau, schon durch so manche Leiden geschwächt, fiel über den Schreck in eine heftige Krankheit und starb bald nach ihm.
Meister Anton sah wohl ein, daß die Begierde, Gold zu machen, eine unheilbare Krankheit ist. Er beweinte seine Schwester, bezahlte seines Schwagers Schulden und nahm die kleine Tochter in sein Haus, wo er sie als sein eigenes Kind erzog.