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Unsers dicken Mannes Angelegenheiten nahmen nun eine ganz andere und viel günstigere Wendung. Das Kölnische Publikum, welches vorher beinahe gewiß zu sein glaubte, daß der Ratsherr Hummer von einem ketzerischen Pfuscher oder Schreiber hätte vergiftet werden sollen, redete jetzt fast von nichts als von dem neuen Doktor aus Göttingen, der die Folgen der Fischotterpasteten und des Stracchino so gut heben könnte. Nicht wenige Personen, die sich durchs Fasten Indigestionen zuzogen, verlangten seinen Rat und seine Besuche. Der Kölnische Doktor mochte es wohl hinterher bereuen, durch seine gerichtliche Klage sich in Gefahr gesetzt zu haben, den Göttingischen Doktor dort berühmt zu machen.
Frau Sophie hielt es für sich und ihren Mann unschicklich, daß ein so naher Anverwandter Kammerdiener bleiben sollte; und Frau Hummer fand es billig, daß ein wirklicher Gelehrter und ein promovierter Doktor nicht mehr als Kammerdiener in dem Vorzimmer ihrer gelehrten Versammlungen stehen sollte, wo er so gut und besser als irgend ein anderer die Ehre der Sitzung verdient hätte. Der Ratsherr willigte also gern ein (das heißt, sie willigte ein, denn ihr Wille war immer der seinige), daß Anselm sein Haus mit dem Hause seiner nächsten Anverwandtin verwechselte.
Anselm empfand lebhaft sein Unrecht gegen die Frau, welche er ehemals geliebt und leichtsinnig vergessen hatte, um so mehr, da er nun aus ihrer vertraulichen Erzählung vernahm, wie unglücklich sie war. Das edle Weib gestand ihm offenherzig, sie habe ihn innig geliebt und durch seine Veränderlichkeit sehr gelitten. Außer ihm, gestand sie, wäre ihr jede andere Mannsperson gleichgültig gewesen; und sie hätte daher, als ihr Pflegevater, Meister Anton, ihr die Hand eines Mannes reichte, sie ganz unempfindlich angenommen, ohne zu untersuchen, ob der Mann auch ein liebendes Herz habe und ob es für sie schlage. Sie hatte diese Sorglosigkeit teuer bezahlen müssen. Es war ihr sehr schwer geworden, an der Seite eines Mannes zu leben, dem es an Empfindung und Wohlwollen ganz fehlte, der nichts als Kaufhandel und Geld schätzte, außerdem nichts kannte als Spiel und Wein und, wenn er entweder von diesem zu viel zu sich genommen, oder in jenem zu viel verloren hatte, nicht der beste Gesellschafter war.
Indes hatte sich die gute Frau in ihr Schicksal gefunden. Sie tat ihre Pflicht, erleichterte ihrem Mann so viel sie konnte und mehr, als er es verdiente; sie erzog ihre Kinder treulich und unterdrückte ihren Gram. Sie konnte jetzt unter heißen Tränen unserm Anselm nicht den Gedanken verbergen, daß sie glücklicher hätte sein können; und er, indem er ihr die Hand küßte, benetzte sie mit Tränen wahrer Reue. Er empfand innig, wie sehr sein Leichtsinn nicht nur ihm selbst, sondern auch dem edlen Weibe geschadet hatte. Mit Rührung und Ehrfurcht sah er, wie sie, durch das Bewußtsein, ihre Pflicht zu tun, Standhaftigkeit gegen ihre unglückliche Lage zu finden wußte. Sich selbst fand er dagegen in seiner eigenen Achtung tief erniedrigt, wenn er bedachte, wie sehr er immer bloß nach sinnlichem Genusse getrachtet und wie wenig auf die Pflichten, die er sich selbst und andern schuldig war, Rücksicht genommen hatte. Er bezeugte Sophien den hohen Grad der Bewunderung, die nun an die Stelle ehemaliger Liebe trat; und die edle Seele konnte nicht unterlassen, mit einem Seufzer zu gestehen, ihr Herz habe ihm immer Gutes gewünscht und über die Nachricht von der unglücklichen Zerstörung seines Hauswesens sehr gelitten und ebenso sehr dadurch, daß sie seitdem von ihm gar nichts erfahren hätte, als das schreckliche Gerücht, er sei im Kriege in Holland umgekommen. Sie verhehlte ihm nicht, daß seit mehrern Jahren jetzt die erste Empfindung der Freude in ihre Seele zurückkomme, da sie ihn wiedersehe und so glücklich sei, ihm nützlich zu werden.
Anselm empfand nun den herben Kummer vergeblicher zu später Reue. Er sah sich mit Recht als die Ursache an, daß die gute Seele ihr ganzes Leben durch so bitter leiden mußte; denn von ihm hätte es ehemals abgehangen, sie glücklich zu machen. Und ebenso deutlich sah er, daß auch er durch sie glücklich geworden wäre; denn es war die Einzige, die ihn liebte. Selbst aus der Erziehung ihrer Kinder, denen Gesundheit und Wohlwollen aus dem Antlitze sahen, erkannte er, welche würdige Gattin sie war.
Er verwünschte die törichten Pläne seiner leichtsinnigen Jugend; er verwünschte sein törichtes Gefallen an äußerlicher Schönheit. Er betrachtete jetzt Sophien, da sie nicht mehr die Seinige werden konnte. Die Zeit hatte die Narben der Blattern meist verwischt, ihre holden Augen waren durch Leiden noch interessanter geworden. Aber nun war ihm körperliche Schönheit nur ein Nebending. Sophie stand vor ihm in der erhabenen Schönheit des Geistes, und ihr Angesicht schien ihm verklärt durch die Züge der Tugend, der Sanftmut und des pflichtmäßigen Duldens. Es war ihm eine süße Empfindung, bei ihr zu sein, und doch ward ihm jeder Augenblick dadurch verbittert, daß er durch eigene Schuld verfehlt hatte, diese edle Seele glücklich zu machen und selbst durch sie glücklich zu werden. Dabei gewährte ihm jede Betrachtung über ihre beiderseitige Lage die doppelte traurige Überzeugung, daß er sein Unglück verdient habe, sie aber ein besseres Glück.