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Daß Anselm der Jungfer Emerentia weiter keinen Besuch machte, ist leicht zu erachten. Es hätte sich auch nicht wohl tun lassen; denn der Herr Hofrat *** hatte ebendenselben Nachmittag die schon lange – ohne, daß unser dicker Mann es geahnt hatte – im Werke seiende Heirat der Jungfer Emerentia mit einem jungen, am Körper sehr feinen und an Geiste sehr derben Junker zu Stande gebracht. Besagter Junker hatte einen stattlichen fürstlichen Titel, ferner sechzehn volle Ahnen und wirklich mit Tuchmachern und Tuchhändlern weiter nichts zu tun, als daß er solcher Art Leuten eine ziemliche Summe schuldig war. Da aber diese Summe, nebst andern Schulden, acht Tage nach der Vermählung aus dem Vermögen der neuen gnädigen Frau bezahlt wurde, so hatte sie auf das häusliche gute Vernehmen so wenig Einfluß als der derbe Geist des Herrn von *** auf die Philosophie der Frau von ***, die sich immer noch in vielen Gesprächen zeigte. Vielleicht veranlaßte ihr Gefallen daran, daß sie nach Monatsfrist wirklich dem Herrn Dr. Anselm die Gnade tat, ihn zur Mittagstafel einladen zu lassen, welches der Starrkopf abschlug.
Unser guter dicker Mann ward ganz hypochondrisch, daß die Jungfer Emerentia nicht seine Frau geworden war. Doch ließ er sich darüber von Philipp leicht trösten; denn er sah nun selbst wohl ein, wie sehr er sich in dem Charakter dieses Frauenzimmers geirrt hatte. Aber durch den Makel seiner Geburt ward er aufs tiefste gebeugt. Er hatte auf denselben noch nie sein Auge gerichtet; auch hatte sich seine Philosophie nie vorgestellt, daß im Jahr Eintausendsiebenhundertundachtzig, wo seiner Meinung nach die Aufklärung so gewaltige Fortschritte gemacht hatte, irgendein vernünftiges Wesen solche Geburt für einen Makel halten könnte. Bisher war ihm sein Vater, der durch Fleiß und Ordnung sich selbst aus dem Staube gehoben und es bis dahin gebracht hatte, so viele Menschen zu ernähren und so vielen Menschen wohlzutun, als der verehrungswürdigste Mann vorgekommen; und er hatte geglaubt, in diesem Lichte müsse sein Vater jedermann erscheinen. Er änderte auch desfalls seine Meinung nicht; aber, aller seiner Philosophie ungeachtet, empfand er den Sinn von Philipps, ohne alle Philosophie, bloß aus Erfahrung gemachter Bemerkung, daß derjenige, der sich aus dem Stande der Gleichheit in eine untere Klasse versetzt sieht, manche Dinge anders ansehen muß, als der auf gleicher Linie oder höher steht. Fast mehr noch empfand er aber die bittere Bemerkung der JungferJungfer – Die Zeitungen haben berichtet, daß die Patrioten in Wien, aus Abscheu über den Freiheitstaumel in Frankreich, beschlossen haben, die Wörter Monsieur und Mademoiselle in deutscher Schreibart nicht mehr zu gebrauchen. Ungeachtet wir nicht eben einsehen können, daß den unhosigen Despotenstürmern dadurch sonderlicher Einhalt getan werde: so haben wir doch deswegen nicht weniger Respekt vor Abschaffung kleiner Torheiten, wenn sie auch erst aus großen Übeln hätte entstehen müssen, und wollen uns hiermit an die Wienerischen Patrioten anschließen (Anm. Nicolais). über seine Philosophie, bitterer umsomehr, da sein gesunder Verstand dunkel darin etwas Treffendes fühlte. Er ahnete einigermaßen, daß seine Philosophie nicht für die Welt sei und daß es wohl noch eine andere Philosophie geben möge, welche dient, die Dinge in der Welt richtig zu betrachten und richtig zu würdigen. Er gab sich alle Mühe, sie zu finden, aber vergeblich. Er kannte die wirkliche Welt allzuwenig, indem ihm teils seine Eitelkeit, teils seine Einbildung und seine Philosophie, durch die er die Welt nach seinen Ideen formte, noch gar zu lieb waren.
Unser dicker Mann, nicht gewohnt widriger Begebenheiten, ward ziemlich verdrießlich, welche Gemütsstimmung er wechselweise bald für Schwermut, bald für Philosophie hielt. Und doch war sie keines von beiden, sondern bloß die Wirkung des Eigenwillens eines Männchens, das sich bisher immer selbst verzärtelt hatte und nun mit sich selbst und mit Gott und der Natur schmollte, daß nicht alles nach seinem Sinne ging. Indes zog ihn nach wenig Wochen sein jovialisches Temperament, und vielleicht eben so sehr seine Liebe zu Zerstreuungen, nach und nach aus seinem eingebildeten Tiefsinne; und mit seiner frohen Laune kehrte auch seine Neigung zum schönen Geschlechte wieder zurück. Es klebte ihm freilich nun eine gewisse Schüchternheit an, um so mehr, da das so unvermutet erhaltene Körbchen nicht ganz verborgen bleiben konnte. Er schaute zwar, wie ehedem, fleißig unter den hübschen Mädchen herum, aber etwas furchtsamer; und er wagte es sobald nicht wieder, einen Antrag zu tun, weil ihm immer bange war, es möchte ihm der Tuchmacher aufgemutzt werden.
Indem seine Blödigkeit unter den Schönen in Aachen sich nicht recht umherzuschauen traute, zog ihn mit einmal ein fremder Stern, der an dem Horizonte von Burscheid hervorstieg, aus seinem Schlummer. In einem Hause daselbst, wo er aus- und einging, hielt sich ein junges Frauenzimmer, Jungfer Mariane M., auf ihrer Durchreise nach einem etwa zwanzig Meilen entfernten Orte vierzehn Tage bei einer dort wohnenden Verwandtin auf. Ihre ausbündige Schönheit zog unsern Anselm an sich; und ihr froher Mut, ihre offenherzige Natürlichkeit und ihre angenehme Unterhaltung hielten ihn so fest, daß er, da kaum acht Tage vorbei waren, bei sich fest überzeugt war, durch sie könne ihm Jungfer Emerentia und noch mehr ersetzt werden. Sie tanzte wie ein Engel, war immer lustig und in witzigen Repartieen unerschöpflich. Es bedurfte bei ihm kaum acht Tage mehrern Umgangs, daß sich der Gedanke, eine so angenehme Gefährtin des Lebens für sich zu wählen, noch fester setzte; und er ergriff daher die erste Gelegenheit, ihr einen förmlichen Antrag zu tun. Sie nahm ihn lächelnd an; sagte, auf einen Antrag dieser Art könne sie sich hier nicht erklären, da sie fremd sei und von ihren Eltern abhänge; dabei blieb sie freundlich wie vorher. Anselm, der hierin keine abschlägige Antwort sah, wollte seiner Sache gewisser sein und wagte es, mit Vorsicht und einigem Stammeln, auch seiner Geburt zu erwähnen. Aber sie sagte mit ungezwungener Freundlichkeit, daß weder sie noch die Ihrigen sich je an einem Umstand dieser Art stoßen würden.
Wer war froher als Anselm? Als er nach Hause kam, erzählte er ungesäumt seinem Freunde Philipp: Er habe einen Antrag getan und seine zweite Braut vernünftiger gefunden wie die erste; er verlangte, Philipps Meinung zu hören, und sagte ihm zugleich, er habe die größte Hoffnung, daß die Sache gewiß zu Stande kommen werde. »Was hilft«, sagte Philipp, »meine Meinung zu einer Sache, die schon geschehen ist?«
»Mißbilligst du meinen Antrag? Oder was sagst du dazu?«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn billigen oder mißbilligen soll. Sehr schnell ists von beiden Seiten; und du hattest dir vorher vorgenommen, nicht wieder schnell zuzufahren!«
Aber, dieses schon vergessenen Vorsatzes ungeachtet, war es gerade diese Geschwindigkeit, was Anselm nicht tadelhaft finden konnte; denn der Leser wird schon bemerkt haben, daß unser dicker Mann das, was er wollte, ganz wollte und seine Wünsche immer schleunigst in Gedanken erfüllt sah. Er schritt also auch jetzt zur Sache, entwarf ungesäumt einige Briefe an die Eltern seiner Braut und nahm sich vor, mit ihr über diese Korrespondenz zu sprechen. Er besuchte sie daher schon den folgenden Vormittag; aber, siehe da, es war ihr ein Wagen geschickt worden, mit welchem sie noch denselben Mittag abreisen sollte. Es war zu viel Gesellschaft und Unruhe im Hause, als daß Anselm mit ihr allein sein, sie wegen dieser Sache, die ihnen beiden so wichtig war, sprechen und ihr die Entwürfe der Briefe zeigen konnte, ob sie ihren Beifall hätten. Er blieb da, bis man sich zu Tische setzte; denn er konnte das Gesicht nicht von ihr verwenden. Sie nahm zwar von ihm den freundlichsten Abschied und versicherte, sie hoffe nächstens zurückzukommen und dann vielleicht mehr seiner angenehmen Gesellschaft zu genießen. Aber das war ihm nicht genug. Er konnte den Gedanken, von seiner Braut zu scheiden, gar nicht ertragen. Er ließ also, ohne Philipp oder sonst jemand ein Wort zu sagen, ein Reitpferd kommen; und als der Wagen kaum hundert Schritte aus Burscheid heraus war, zeigte er sich schon am Wagen seiner Geliebten. Sie nahm diese Galanterie sehr wohl auf, war außerordentlich munter und unterhielt sich mit ihm vom Wagen aus. Dies war in der Tat für sie etwas angenehmer als für ihn; denn er mußte neben dem Wagen hertraben, und der Nachmittag war sehr heiß. Aber diese Ungemächlichkeit fühlte der verliebte Anselm nicht, sondern nur das Vergnügen, in die Augen der Schönen zu sehen; und er spornte seinen Witz an so wie sein Pferd, sie und ihre im Wagen sitzende Gesellschafterin in beständiger Fröhlichkeit zu erhalten. Die Stadt, wo das erste Nachtlager sein sollte, war an drei Meilen entfernt. Anselm fühlte sich so glücklich, daß er sogleich den Entschluß faßte, bis dahin mitzureiten. Es schien ihm nichts natürlicher, als in eben dem Gasthofe einzukehren und beim Abendessen ihr Gesellschaft zu leisten. Er versprach sich mit dieser muntern Schönen den angenehmsten Abend. Da er, wie man schon weiß, etwas in Anlegung von Plänen getan hatte, so hielt er es heimlich für eine Möglichkeit, sie noch weiter zu begleiten, besonders wenn er, wie er zu veranlassen hoffte, eine Einladung bekäme, einen noch leeren Rücksitz im Wagen einzunehmen, den er aus verschiedenen Ursachen jetzt schon gern eingenommen hätte. Seine lebhafte Einbildungskraft stellte ihm vor, wie schön es sein würde, auf diese Art zwei oder drei Tage in ihrer Gesellschaft zuzubringen, sich in ihre Gunst noch fester zu setzen, vielleicht wegen seiner Hauptsache noch eine nähere Zusage von ihr zu erhalten, vielleicht bis zu ihren Eltern mitzureisen und seinen Antrag mündlich bei denselben auszurichten. Dabei schmeichelte er sich dann ganz heimlich, daß der Anblick seiner werten Person ihm bei den Eltern eben nicht schaden würde, zumal da er in der Gunst der Tochter schon so weit vorwärts gekommen zu sein deutlich vermerkte. Dieser angenehme Gedanke ließ ihn manche kleinen Beschwerlichkeiten seines Rittes nicht achten, so daß Wagen und Reiter unter beständiger gegenseitiger Unterhaltung ganz unvermerkt bis etwa eine halbe Meile vor der Stadt ankamen, wo die Gesellschaft heute bleiben sollte. Da begegnete ihnen ein einspänniges Fuhr werk. Aus demselben sprang ganz behende eine lange Figur, für einen jungen Mann fast zu ernsthaft, aber von schönem Wuchs und mit feurigen Augen. Der Wagen hielt an. Der Ernsthafte öffnete die Tür, und die fröhliche Jungfer Mariane flog in seine Arme, heitere ungekünstelte Freude auf ihrem Gesicht. Unserm Anselm, der eben ein Bonmot sagen wollte, erstarb es auf den Lippen. Er fühlte sich verlegen. Wer war der lange Mann, der so herzlich empfangen ward? Ein Bruder doch wohl; denn für einen Vetter war der Empfang zu vertraut, da die Umarmung selbst für einen Bruder beinahe allzu feurig hätte scheinen mögen. Nach einigen Minuten riß die schöne Mariane unsern dicken Mann selbst aus seiner Ungewißheit. Sie redete den langen Mann an: »Hier sehen Sie, mein Lieber, den Herrn Doktor Redlich, einen geschickten Arzt und gefälligen Mann. Er ist so gütig gewesen, uns bis hierher zu begleiten. Ich und meine Cousine haben ihm viel Verbindlichkeit, daß er uns diese Reise über fünf Stunden lang durch seine Unterhaltung so angenehm gemacht hat.« – »Herr Doktor«, fuhr sie fort, indem sie den langen Mann an die Hand nahm und ihn küßte, »hier sehen Sie – damit Sie sich über meinen vertraulichen Empfang nicht etwa wundern – meinen Bräutigam! Ich hätte Ihnen eher sagen können« – fuhr sie mit der unbefangensten Miene fort – »daß ich einen Bräutigam habe; aber es war in Burscheid meinen Verwandten noch nicht deklariert – und dann«, setzte sie noch mit einigem Lächeln hinzu, »will ich nicht hoffen, daß allenfalls diese Nachricht, wenn ich sie dort hätte geben können, Ihre angenehme Begleitung bis hierher würde verhindert haben.«
Der lange Mann zu Fuße machte dem dicken Manne zu Pferde bei diesen Worten zwar eine höfliche Verbeugung; aber es schien beinahe, als ob sein ernsthafter Blick dabei noch ernsthafter ward. Er half indes seiner Braut in den Wagen und nahm ohne weitere Frage den Rücksitz ein, auf den der arme Anselm schon so ausführlich gerechnet hatte. Des Bräutigams Kutscher setzte sich ins Kariol, und so fuhren sie fort. Aber unser armes dickes Männchen sah kaum etwas von allem, was vorging. Es flimmerte ihm vor den Augen, und er fühlte nun mit einmal nichts als alle Beschwerden seines unbequemen Rittes. Wäre das Pferd nicht mechanisch den schnell fortfahrenden Wagen nachgetrabt, so hätte er vielleicht einige Zeit, ohne sich zu besinnen, auf der Landstraße gehalten. Indes, als er sich ein wenig besann, setzte er sein Pferd in Schritt und ließ die Wagen fahren. Als er vors Tor kam, erinnerte er sich erst, daß er vergessen hatte zu fragen, wo seine gewesene Gesellschaft abtreten wollte; denn jetzt wünschte er, sie zu vermeiden. Er war aber so glücklich, den Gasthof zu treffen, wo sie nicht eingekehrt waren. Er ließ sich vom Pferde heben, denn absteigen konnte er nicht, und legte sich unverzüglich zu Bette. Er konnte aber wenig schlafen, teils wegen körperlicher Müdigkeit und Schmerzen, teils wegen der unruhigen Gedanken, die ihn unaufhörlich verfolgten. Den andern Morgen setzte er sich, ohne jemand zu sprechen, auf seinen Gaul und ließ sich so langsam als möglich nach Hause tragen. Unser armer dicker Mann, der zwar an Geiste sehr stark, aber körperliche Beschwerden zu ertragen nicht eben eingerichtet war, mußte sich auf seinem Hofe wieder vom Pferde heben lassen; denn er empfand sehr viel Schmerzen einige Zolle unter einem Beine, welches die Anatomiker vielleicht deswegen das heilige genannt haben, um dicke Leute, die nicht reiten können, zu erinnern, es an heißen Tagen zu schonen. Solch kleines körperliches Ungemach war die einzige Folge seiner allzu schnellen Liebe.
Diesmal erfuhr niemand als der treue Philipp etwas von der wahren Beschaffenheit der Sache. Als sich Anselm nach einigen Tagen erholt hatte, sagte er zu ihm: »Aber gesteh mir ein, es war doch ein Unstern bei der Sache!«
»Gar nicht!« sagte Philipp lächelnd: »Auch nicht einmal beim heiligen Beine; du hättest nur nicht zu schnell freien und zu schnell traben sollen.«