Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Vierzigster Abschnitt

Versuch zu einem Vergleiche, welcher fruchtlos abläuft, und fernere Folgen davon

Dem Ratsherrn Hummer ging doch die Geschichte mit dem Testamente sehr durch den Kopf. Er hatte dabei die Ehre seiner juristischen Einsicht für einen so korpulenten Mann etwas vorschnell aufs Spiel gesetzt; denn er hatte mit einem Paar seiner Kollegen darüber gesprochen, daß er schon ausfinden wolle, wie dem Testamente beizukommen sei, und Hiffer, dem nichts verborgen blieb, lächelte ihn an, sooft er ihn sah und ließ einige versteckte Fragen fliegen. Dies verdroß den guten Ratsherrn nicht wenig; er setzte daher noch einmal an, erkundigte sich beinahe einen Monat lang nach allen Umständen, schrieb sogar nach dem Orte, wo das zweite Testament niedergelegt war, um mancherlei Dinge zu erforschen, die ihm verdächtig schienen, und etwas zu finden, worauf Hiffer nicht möchte gedacht haben. Doch, was konnte das helfen! Der Mann wollte nur seinen Willen haben und las das zweite Testament fast täglich sorgfältig durch; umsonst! Es blieb, wie es gewesen war, so verklausuliert, daß ihm auch die schlauste Rechtskenntnis nichts anhaben konnte.

Dergleichen alte Rechtsgelehrte sind eigensinnig. Wenn sie sich einmal vorgenommen haben, etwas durchzusetzen: so lassen sie nichts unversucht.

Als Anselm einen Nachmittag der gelehrten Versammlung bei der Frau Hummer beigewohnt hatte und abends da speisete, sagte ihm der Ratsherr: Dem Testamente sei freilich, was seine Förmlichkeit betreffe, nicht beizukommen; indes, wenn Frau Sophie es genehmige, wäre er willens zu versuchen, ob Hiffer nicht zu einem Vergleiche zu bringen sei. Frau Sophie war es leicht zufrieden, ungeachtet ihr eigener Rechtsbeistand ihr voraussagte, es werde vergebens sein; denn Hiffer würde ja von einem Testamente, das so deutlich zu seinem Vorteile spreche, nicht abgehen. Indes war der Vorschlag eines Mannes wie der Ratsherr nicht ganz von der Hand zu weisen.

Es ward also in des Ratsherrn Hummer Behausung ein Tag angesetzt, wo der Vergleich sollte versucht werden. Alle Personen, die es betraf, erschienen dabei; aber aus Dr. Hiffers lachender und satirischer Miene stand gleich abzusehen, daß nicht viel zu erhalten sein würde. Auf die verschiedenen Vorschläge des Ratsherrn antwortete er kurz und trocken: Er halte sich im Gewissen verbunden, den Willen seines sel. Freundes pünktlich zu erfüllen, und dessen Witwe wäre es auch schuldig; wolle sie nicht, so hätte sie die Folgen sich selbst zuzuschreiben. Ein Vergleich ließe sich nicht denken bei einer Sache, die so klar sei.

Alle Anwesenden erstaunten, als der Ratsherr Hummer nun mit einer ihm ungewöhnlichen Lebhaftigkeit und mit ernsthafter Amtsmiene und starker Stimme sagte: »Noch ist die Sache nicht klar, Herr Doktor, aber ich hoffe, sie soll bald ganz klar sein. Desto besser für die Witwe, daß Sie keinen Vergleich eingehen wollen; denn ich behaupte, das Testament ist null und nichtig! Es ist dabei mehr als ein Falsum vorgegangen! Der Verstorbene war zu der Zeit, als das sogenannte Testament gemacht worden ist, seiner Sinne nicht mächtig und also den Rechten nach ganz unfähig, auch nur seine letzte Willensmeinung zu erklären. Darüber wollen wir gleich unverwerfliche Zeugen hören!« Hiermit befahl er einem Bedienten, die Türe eines Nebenzimmers zu öffnen. Aus demselben traten einige Personen hervor, bei deren Anblick Dr. Hiffer erblaßte. Diese vorher bestellten Zeugen wiesen aus, daß der Ratsherr Hummer, der nicht gemeint war, seine Einsicht in Dingen dieser Art ungestraft necken zu lassen, während der Zeit, da er untätig und in Verlegenheit schien, nichts weniger als untätig gewesen war, sondern vielmehr die ganze Sache bis auf den Grund ausgekundschaftet hatte. Das Testament war von dem Orte datiert, wo es niedergelegt sein sollte; der Tag, da es gerichtlich niedergelegt, und die Stunde des Tages, abends um sieben Uhr, war darauf bemerkt. Hier ward nun zuerst ein Beweis geführt, daß der Richter und die Gerichtspersonen, welche das Testament angenommen und die Annahme durch ihre Unterschrift bekräftigt hatten, zu der Stunde nicht an diesem Orte gewesen waren. Denn es trat ein Fuhrmann aus einem benachbarten Dorfe nebst seinem Knechte auf, welcher bezeugte, sie an diesem Tage nachmittags von da abgeholt und abends um sechs Uhr in einem Hause in Köln, das er benannte, abgesetzt zu haben. Ferner war ein ebenso sicherer Beweis da, daß der Verstorbene zu dieser Stunde nicht an dem Orte gewesen war, wo das Testament sollte gemacht worden sein, und zugleich war damit der Beweis verknüpft, daß er zu dieser Stunde seines Verstandes nicht mächtig und folglich auch unfähig gewesen wäre, seine letzte Willensmeinung zu erklären. Denn der Wirt des Hauses nebst zwei von seinen Leuten bezeugten, daß Hiffer bei ihm auf denselben Nachmittag eine besondere Stube verlangt, wo er auch mit dem Verstorbenen und mit einer ziemlichen Anzahl Weinflaschen seit vier Uhr allein gewesen sei. Alle drei bezeugten, daß Sophiens Mann, als er gegen sechs Uhr auf den Hof gehen wollen, getaumelt und stammelnd geredet habe, und gegen neun Uhr habe er ganz betrunken müssen nach Hause gebracht werden. Ferner bezeugte der Wirt, es sei um sieben Uhr Siegellack von ihm verlangt worden. Dies habe er selbst gebracht und gesehen, daß der Richter ein großes Siegel herausgezogen und es auf ein gefaltetes Papier gedrückt habe. Nachdem abends alle ziemlich bezecht weggegangen wären, habe sich das Testament, das er an dem äußern Ansehen und der Aufschrift erkannt, unter dem Tische gefunden, weil es der Richter vermutlich unvermerkt aus der Tasche hätte fallen lassen. Derselbe wäre den andern Morgen, vor seiner Zurückreise, sehr bestürzt zu ihm gekommen, hätte es daselbst gesucht und gefunden und, nachdem er es von ihm zurückerhalten, ihn gebeten, niemand etwas davon zu sagen.

Dies war genug zum Triumphe des Ratsherrn Hummer, welcher nun der Frau Sophie lebhaftesten Dank erhielt und mit sich selbst zufrieden war, daß er seine Geschicklichkeit gezeigt und nebenher auch einen nichtswürdigen Menschen entlarvt hatte. Das Testament ward bald darauf gerichtlich für ungültig erklärt und Frau Sophie in den Besitz ihres rechtlichen Vermögens gesetzt, dessen sie durch Leiden und Tugend doppelt würdig geworden war. Dies machte umso weniger Schwierigkeit, da der Richter, der das Testament autorisiert hatte, für gut fand, das Weite zu suchen, und da Doktor Hiffer, der sonderlich, was Schikanen anbelangt, nie etwas auszuführen unternahm, was nicht auszuführen war, einen Vorwand fand, sich mit seiner Barschaft und besten Sachen auf eine Reise nach Lüttich zu begeben. Von da muß er weiter nach Frankreich gegangen sein; denn man hat Nachricht, daß er im Jahre 1791 in Avignon mit vielem Beifalle Friedensrichter gewesen und jetzt im Elsasse einer der tätigsten Kommissarien des Nationalkonvents ist.


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