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Vor dem Kretscham in Halbenau hielt ein Einspänner. Die Kleidung des Kutschers ließ darauf schließen, daß das Fuhrwerk aus der Stadt komme. Ein rotbärtiger Mann im grauen Überzieher und karrierten Hosen stieg aus und befahl auszuspannen. Dann begab sich der Fremde in den Gasthof.
In der Schenkstube befand sich nur Ottilie, die Tochter des Gastwirts. Harrassowitz betrachtete das Mädchen mit jenem spürenden Blicke, den er für alle Frauen hatte, mochten sie hübsch sein, oder häßlich. »Ist der Herr Papa zu Haus?« fragte er. »Denn Sie sind doch das Fräulein Tochter. Ich bin Samuel Harrassowitz aus der Stadt, Ihr Herr Vater kennt mich.«
Ottilie zog einen schiefen Mund, was sie immer that, wenn sie verlegen war, und meinte, sie werde nach dem Vater schicken. Sie begab sich in's nebenan gelegene Schnapsgewölbe, wo ihr Bruder Richard mit Umfüllen von Likören beschäftigt war, und sagte ihm, wer da sei. »Ach Sam!« meinte Richard. »Wer ist denn das?« fragte Ottilie neugierig. »Sam is Sam!« erklärte Richard. »Geh, sag mir's doch!« »Thun doch selber fragen, dumme Gans!« meinte der liebenswürdige Bruder, streckte dem Mädchen die Zunge heraus und ging, den Vater zu rufen.
Ottilie kehrte in's Gastzimmer zurück. Sie war nun doppelt neugierig geworden, wer der fremde Herr sei. Das Mädchen hatte nicht viel Besseres vor auf der Welt, als sich um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meist unbeschäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen, von denen die meisten thöricht waren.
Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem Oberkörper, flacher Brust und herausstehenden Hüftknochen. Weibliche Fülle und Rundung war ihr versagt. Aber aus ihrer Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiseite zu legen, und dabei vielsagend dreinzublicken, sprach Gefallsucht, die ihrem reizlosen Körper zum Trotze, die Blicke auf sich zu lenken trachtete. Sie hatte wenig vom Büttnerschen Blute in sich. Mit ihrer unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem fliehenden Kinn war sie eine echte Kaschel.
Ottilie machte sich hinter dem Schenktisch zu schaffen. Vielleicht würde der Fremde sie doch noch einmal anreden.
Harrassowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. »Fräulein, wollen Sie sich nicht ein bißchen zu mir setzen; ich bin hier so alleine.«
Linkisch, mit ihrem scheuen Lächeln, kam Ottilie hinter dem Schenktische vor. »Ich bin so frei!« Damit setzte sie sich an den Tisch.
Sam ließ seine Blicke in unverfrorener Weise auf ihrer Gestalt herumkreuzen, während sie mit scheinbar niedergeschlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anschielend, dasaß. »Darf ich mir wohl die Frage erlauben,« sagte er, ihr vertraulich zulächelnd: »Ihre Hand ist noch nicht vergeben?«
»Aber ich bitte sehr, mein Herr!« rief sie, von ihm wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich absehen konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unangenehm war.
»Das ist mir eigentlich erstaunlich!« meinte er. »Ein solches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernst Kaschel! Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . .«
Zu Ottiliens großem Leidwesen trat hier der Vater ein, und die Unterhaltung wurde an der interessantesten Stelle unterbrochen.
»Guten Tag, Herr Harrassowitz!«
»Guten Tag, mein lieber Herr Kaschel!«
Die beiden Männer lachten sich an, wie zwei, die einander genau kennen, und schüttelten sich kräftig die Hände.
»Recht lange nicht mehr bei uns gewesen, Herr Harrassowitz!«
Der Händler blickte dem Gastwirt in die schlauen Augen und meinte, er wolle sich hier draußen nur mal ein bißchen nach den »Ernteaussichten« umsehen. – Kaschelernst lachte über diese Bemerkung, als sei das der beste Witz, den er seit langem gehört habe.
Der Wirt schickte Ottilie nach Gläsern, er selbst holte eine Flasche herbei. Den Getreidekümmel müsse Harrassowitz mal kosten, das sei was Extrafeines. Er schenkte ein.
Man sprach über die Feldfrüchte, über Wetter und Viehseuche. Aber das waren alles nur Plänkeleien. Die beiden kannten und würdigten sich. Kaschelernst wußte ganz genau, daß der Händler nicht um Schnickschnacks willen nach Halbenau gekommen sei. Einstweilen gefiel es aber beiden, sich mit solchem Versteckenspiel zu unterhalten.
Sam begann endlich ernsthaft zu sprechen, was er dadurch andeutete, daß er näher an den Gastwirt heranrückte und die Stimme senkte. Kaschelernst schickte die Tochter, die sich hinter den Schenktisch zurückgezogen hatte, hinaus; nun konnte ein »vernünftiges Wort« unter Männern gesprochen werden.
Der Händler erkundigte sich nach den Verhältnissen der verschiedensten Personen: Bauern, Gutsbesitzer, Handwerker. Kaschelernst kramte seine Kenntnisse aus mit der Miene eines schadenfrohen Menschen. Man konnte ihm den Hochgenuß ansehen, mit dem ihn Unglück, Fehltritte und Dummheit seiner Mitmenschen erfüllten.
Wenn er von einem Bauern erzählte, der vor dem Bankerotte stand, lächelte er. Er lächelte auch, als er berichtete, daß ein anderer Feuer an seine Scheune gelegt habe. Und ausschütten wollte er sich geradezu vor Lachen, als er dem Händler hinterbringen konnte, ein Stellenbesitzer habe sich neulich aufgehängt, weil ihm die Gläubiger die Kuh aus dem Stalle weggepfändet hatten.
Kaschelernst schien alle Leute in der Runde zu kennen und über die Verhältnisse von allen Bescheid zu wissen. Harrassowitz lauschte mit größtem Interesse, ja mit einer gewissen Andacht, als verkünde jener ein Evangelium, wenn er erklärte: der Bauer Soundso werde sich nicht länger, als höchstens noch zwei Jahre halten, oder der und der sei durchaus kreditfähig, da er einer sicheren Erbschaft entgegensehe.
Man hatte bereits mehrere Glas von dem Kümmel vertilgt, welcher dem Händler zu schmecken schien.
Endlich schien Harrassowitz genug Weisheit eingesogen zu haben, er erhob sich. Er habe noch einen kleinen Gang in's Dorf vor, erklärte er.
»So, so!« meinte Kaschelernst. »Hier in Halbenau is doch jetzt nischt zu machen für Sie.«
»Ach doch! – Ich will mir mal 'n Bauerngut ansehen.«
Kaschelernst spitzte die Ohren. Aber beileibe wollte er sich keine Neugier anmerken lassen. »Welches denne?« fragte er scheinbar nebenhin.
Sam that, als habe er die Frage überhört. »Es soll ein schönes Gut sein,« meinte er. »Felder, Wiesen, alles prima! Auch die Gebäude im Stande. Natürlich sind tüchtige Schulden drauf. Die Bauern sind ja alle verschuldet. Ich will mir's mal besehen,« damit wollte er gehen.
»Daß Sie sich nur nicht verlaufen in Halbenau, Harrassowitz!« sagte Kaschel, ihm folgend. »Hier giebt's viele Güter, große und kleene. Zu wem wollen Se denne?«
»Auf das Büttnersche!«
Kaschelernst zuckte mit keiner Wimper, als er den Namen seines Schwagers hörte. Harrassowitz fixierte ihn scharf. »Kennen Sie das Gut? Ich interessiere mich dafür.«
Der Wirt zuckte die Achseln und nahm eine geheimnisvolle Miene an. Er dürfe nichts sagen, meinte er, der Besitzer sei sein Schwager.
»Ihr Schwager, Herr Kaschel!« rief der Händler, mit gut geheucheltem Erstaunen. »Das ist mir ja hochinteressant zu hören! Ich habe dem Manne nämlich Geld verschafft. Das ist mir sehr lieb, daß Sie mit ihm verwandt sind; sehr lieb ist mir das! Nun ist mir der Bauer noch einmal so viel wert, denn Sie werden Ihren Schwager doch nicht sitzen lassen in der Patsche – was?«
Kaschelernst machte ein ganz dummes Gesicht. Es war so dumm, daß man die Pfiffigkeit, die sich dahinter verbarg, leicht merkte. Der Händler lachte hell heraus, und der Wirt stimmte ein. Sie hatten einander wiedermal erkannt, die beiden Biedermänner.
»Na, ich will mir's mal ansehen, das Gut Ihres Herrn Schwagers,« sagte Harrassowitz, ließ sich den Weg beschreiben und schritt dann die Dorfstraße hinab.
* * *
Sam näherte sich dem Büttnerschen Hofe. Mit prüfendem Blicke musterte er zunächst die Baulichkeiten. Wohnhaus: Fachwerkbau mit Ziegeldach, konstatierte er. Ställe und Scheune: nur Strohbedachung. Übrigens schien alles recht gut in Schuß und wohlgepflegt. Ganz heruntergekommen war der Bauer also noch nicht.
Der Händler trat durch die offene Thür in den Hausflur und klopfte, an die Wohnstubenthür. Er traf nur die Bäuerin an, die am Wiegekorbe stand und ihr jüngstes Enkelchen in den Schlaf wiegte.
Die alte Frau sah den Fremden mit offenstehendem Munde an. Sam trat mit leutseliger Miene auf sie zu und erklärte ihr, er sei ein Geschäftsfreund des Herrn Gutsbesitzers Büttner, und er habe sich immer schon die Besitzung einmal ansehen wollen.
Der Bäuerin imponierte der Aufzug des Fremden, vor allem eine blitzende Nadel in der Kravatte stach ihr in die Augen – von Similibrillanten ahnte die gute Frau freilich nichts. – Was ihr Mann doch für vornehme Bekannte hatte in der Stadt! Sie lief nach einem Stuhle, trotz ihrer rheumatischen Lähme. Aber der Händler kam ihr zuvor. Sie solle sich nur um Gotteswillen nicht bemühen um seinetwillen, wenn der Bauer auf dem Felde sei, wolle er ihn dort aufsuchen, hier im Hause möchte er um keinen Preis Störung verursachen. Es sei alles draußen erklärte die Bäuerin, die Weibsen in den Runkeln, Karl beim Kartoffelanfahren und der Bauer ganz draußen am Walde beim Säen.
Der Fremde sah sich im Zimmer um. Er meinte, sie hätten es recht hübsch und gemütlich hier. Dann untersuchte er die Holzverkleidung der Wand, indem er daran klopfte. Holztäfelung liebe er, das gäbe im Winter ein hübsch warmes Zimmer. Auch den Wandschrank mit den bunten Tellern bewunderte er, von denen er einzelne herabnahm, um sie näher zu betrachten. Es gab nichts, wofür Sam nicht Interesse gezeigt hätte.
»Sehr nett, ganz riesig nett, hier!« sagte er und lachte die Bäuerin freundlich an. »So richtig ehrwürdige, patriarchalische Verhältnisse. Ich liebe das! Sowas hat man in der Stadt nicht.«
Die Bäuerin war von solchem Lobe auf's angenehmste berührt. Sie hielt es aber für nötig, die Beschämte zu spielen. Es sei durchaus nicht schön bei ihnen, behauptete sie, und der Herr sei es gewiß ganz anders gewohnt. Harrassowitz beteuerte dagegen, daß es für ihn nichts Idealeres gäbe, als eine gemütliche Bauernstube, das gehe ihm weit über sein Comptoir.
Dann näherte er sich dem Kinde im Korbe, schäkerte mit dem Kleinen, indem er es unter dem Kinn kitzelte und »Kss, Kss!« dazu machte, bis das Würmchen vor Vergnügen lachte und das dicke Oberbett von sich strampelte. Er lobte das gesunde Aussehen des Kindes, und erzählte, daß er kürzlich eine Tochter verheiratet habe.
Die Bäuerin war völlig gefangen genommen durch das vertrauliche Wesen des Fremden. Daß man so vornehm und gleichzeitig so liebenswürdig sein könne, war ihr unfaßlich.
Als Sam schließlich erklärte, nunmehr auf's Feld hinaus zu wollen, bat sie ihn, doch ja wieder zu kommen, und geleitete ihn humpelnd bis vor's Hofthor, um ihm den Weg zu weisen.
Er traf zunächst auf die Frauen in den Rüben. Sie standen in der Furche und behackten die Pflanzen. Die Hacken flogen nur so in den fleißigen Händen. Von hinten sah man die drei gebückten Rücken und unter den kurzen Röcken die sechs bloßen Waden. So standen sie in einer Reihe, wie ausgerichtet, nebeneinander.
Sam war auf weichem Wiesenpfade, ungehört, bis dicht an die Frauen heran gekommen. Jetzt blieb er stehen und versenkte sich in den Anblick. Er nahm alles mit. –
Endlich räusperte er sich. Sofort standen die drei Hacken still, die drei Köpfe wandten sich nach ihm um. Sam stand lächelnd vor den Frauen, breitbeinig, mit vorgestrecktem Leibe, auf seinen kurzen krummen Beinen. »Guten Tag meine Damen!« sagte er. Es sei heute recht warm und sie sollten sich nur nicht überanstrengen.
Therese, die älteste und redefertigste von den Dreien, meinte, er solle lieber selber die Hacke zur Hand nehmen, dann würde er vielleicht etwas von seinem Fette kommen; aber von ordentlicher Arbeit verstehe er wahrscheinlich nichts. –
Die beiden Mädchen, Toni und Ernestine, kicherten zu der schlagfertigen Rede der Schwägerin. Sam nahm die Bemerkung scheinbar nicht krumm; lächelnd erwiederte er, er habe einen anderen Beruf als Rübenhacken erwählt. Dann fragte er nach dem Büttnerbauer.
Die Frauen musterten den Aufzug des Fremden mit beobachtenden Blicken. Im hellen Tageslichte besehen, zeigte es sich, daß sein Hemdkragen nicht vom reinsten, und daß auf seiner hellen Weste verschiedene Fettflecke seien. Toni war ein harmloses Geschöpf und viel zu phlegmatisch, um sich mit Kritisieren abzugeben. Aber Therese und die kleine Ernestine waren um so scharfäugiger. Kaum war er außer Hörweite, so hielten sie sich über seinen häßlichen Mund, den der rote Bart nicht genügend deckte, auf, über seine Dachsbeine, ja selbst die versteckte Lüsternheit seines Wesens war ihrem weiblichen Scharfblicke nicht entgangen.
Inzwischen kam Karl Büttner, der nebenan die Kartoffeln anfuhr, herbeigelaufen. Der Vater sei draußen am Büschelgewende, erklärte er dem Fremden, und wies mit dem Peitschenstiele in die Richtung nach dem Walde. Sam betrachtete sich den hochgewachsenen jungen Mann, fragte, ob er der Sohn sei, und verlangte schließlich, über die Felder geführt zu werden.
Karl rief seiner Frau zu, sie solle auf die Pferde aufpassen, dann folgte er dem Händler.
Sam umschritt die einzelnen Schläge, hie und da untersuchte er den Boden mit seinem Stocke, an dessen Ende sich eine lange metallne Zwinge befand. Zwischendurch richtete er Fragen an seinen Begleiter über die Grenzen des Gutes, über benachbarte Grundstücke, Wege, Fruchtfolge, Bewässerung, Aussaat und Erträge. Auch die Verhältnisse in der Familie schienen ihn zu interessieren. Karl wunderte sich zwar über die vielen Fragen des Fremden, aber, auf den Gedanken, etwas zurückzuhalten, kam er nicht. Treuherzig gab er auf alle Fragen Antwort, so gut er es eben wußte.
So kam man in die Nähe des Waldes. Schon von weitem konnte man den alten Bauern erblicken, auf lehnan gelegenem Feldstücke, wie er, einen grauen, bauschigen Sack vorgebunden, den Samen mit gemessenem Wurfe ausstreute, den Acker hinab und hinauf schreitend.
Der verwilderte Zustand dieses Schlages, der Nähe des Waldes wegen, das Büschelgewende benamst, das zwei Jahre lang brach gelegen, hatte dem alten Manne keine Ruhe mehr gelassen. Sowie die Bestellung des übrigen Gutes beendet, war er daran gegangen, dieses Stück wieder urbar zu machen. Eigenhändig hatte er es umgepflügt und einen Teil davon für die Aussaat vorbereitet. Da es zu spät war im Jahre, um hier noch etwas anderes zu erbauen, säete er jetzt wenigstens noch Gemenge aus.
Im ersten Augenblicke erkannte der Büttnerbauer den Händler gar nicht. Harrassowitz mußte sich ihm in's Gedächtnis rufen. Nun dämmerte es in den verdutzten Mienen des Alten. Er schüttelte dem Händler kräftig die Hand. »Herr Harrassowitz, ich hätt' Se, weeß der Hole, bale ne derkennt. Das is schene vun Sie, daß Sie och mal zu uns nauskumma – das is racht!«
In der Freude des Bauern lag nichts Erheucheltes. Er rechnete es dem Städter hoch an, daß er ihn auf dem Dorfe aufsuchte, und war sogar, bis zu einem gewissen Grade, stolz auf diesen Besuch.
Der Bauer band sich den Sack ab und gab ihn Karl zum Tragen. Dann schritt man zu Dreien langsam auf dem Wiesenpfade dem Gehöfte zu. Karl ging in respektvoller Entfernung hinter dem Vater und dem fremden Herrn drein.
Harrassowitz lobte alles, was er sah. Nach seinem Urteil war der Boden ausgezeichnet, die Wiesen in bester Kultur und der Stand der Feldfrüchte ließ nichts zu wünschen übrig. Dem alten Bauern mundeten die Lobeserhebungen des Händlers wie Honigseim. Er schmunzelte vergnügt in sich hinein.
»Sie werden eine glänzende Ernte machen, mein guter Herr Büttner!« sagte Harrassowitz. »Ich gönne es Ihnen von Herzen; denn hier in dem Boden steckt Arbeit, das sieht man.«
»Gab's Gott! Gab's dar liebe Gott!« erwiderte der Alte und bekreuzigte sich dabei. Es war ihm eigentlich nicht recht, daß der andere eine solche Prophezeiung ausgesprochen hatte. Man durfte nichts berufen. »Gebraucha kennten mer schun ane gute Ernte. Aber, da kann Sie nuch mancherlei für sich giehn, bis dohie.« Er seufzte.
Der Büttnerbauer hatte gerade in den letzten Tagen wieder schwere Sorgen durchzumachen gehabt.
Sein Schwager Kaschel hatte ihm, durch eingeschriebenen Brief, seine Hypothek von siebzehnhundert Mark gekündigt. Das hatte wie ein Blitz aus heiterem Himmel gewirkt. Woher das Geld herbeischaffen für diese an letzter Stelle eingetragene Hypothek! Mehr noch aber als die Kündigung hatte den Büttnerbauer ihre Form geärgert, ja geradezu in helle Wut versetzt. Ein eingeschriebener Brief! War so etwas erhört! Darin erblickte er eine ganz besondere Niederträchtigkeit von Seiten seines Schwagers. Ein eingeschriebener Brief! Er hatte da dem Postboten sogar noch etwas unterschreiben müssen. Und dabei wohnte sein Schwager einige hundert Schritte von ihm. Man konnte sich vom Büttnerschen Gute zum Kretscham mit einigermaßen lauter Stimme etwas zurufen.
Wäre Kaschelernst an jenem Tage dem Schwager in den Wurf gekommen, es hätte wohl ein Unglück gegeben.
Und das war noch nicht einmal alles. An verschiedenen Stellen drückte den Bauern der Schuh. Der Viehhändler, dem die Kuh immer noch nicht ganz bezahlt war, hatte gemahnt. Die Gemeindeanlagen waren fällig für mehrere Termine. Der Büttnerbauer hatte sein Bargeld immer und immer wieder überzählt und seinen Kopf angestrengt. Er wußte keine Hilfsquellen mehr. Er würde schuldig bleiben müssen, und in der Ferne drohte das Schreckgespenst der Pfändung.
»Ist es nicht ein wahrer Segen Gottes!« rief Sam und blieb vor dem großen Kornfelde stehen, dicht am Hofe. »Hier wächst doch wirklich das reine Gold aus dem Boden!«
Das Wort löste dem Büttnerbauer die Zunge. Natürlich fiel er nicht mit der Thür ins Haus. Nach seiner bäuerisch verschlossenen, mißtrauischen Art fing er an ganz entlegener Stelle an, und kam dann allmählich seinem Gegenstande vorsichtig näher.
Der Händler ließ sich erzählen. Mit teilnahmsvollem Gesichte hörte er zu. Als der Bauer schließlich soweit war, daß er ihm rückhaltslos seine mißliche Lage eröffnete, nahm Sam eine ernstlich betrübte Miene an. Das thue ihm von Herzen leid, sagte er. »Ja, was wird denn da werden, mein guter Büttner? Die Gläubiger werden sich mit bloßen Versprechungen wohl nicht beruhigen. Was wird denn da werden?«
»Ja, wißten Sie nich an Rat, Herr Harrassowitz?«
»Ich! – Ich bitte Sie mein Bester, wie könnte ich Ihnen da einen Rat geben; ich bin Kaufmann. In diesen ländlichen Dingen weiß ich gar keinen Bescheid.«
»Ich meente – ob Se nich vielleicht – wegen an Gelde . . .«
»Aber mein verehrter Freund! Wofür halten Sie mich denn?«
»Ich dachte ack – weil Sie mer duch schun eemal, und Se han mir dunnemals su freindlich gehulfa!«
»Ach Sie meinen damals mit Schönberger! Ja, sehen Sie, da lag die Sache günstiger. Da war einfach eine todsichere Hypothek zu besetzen – aber hier . . . nein, das sind Sachen, mit denen sich ein reeller Geschäftsmann nicht gern abgiebt.«
Man ging fortan schweigend neben einander her. Der alte Bauer in stummer Verzweiflung. Er hatte bei all den Sorgen der letzten Tage im Stillen immer auf Harrassowitz gehofft. Wenn alle Stränge rissen, wollte er sich an den wenden, der würde schon einspringen. Nun war es damit auch nichts!
Schon war man an das Gehöfte herangekommen und ging an der hinteren Wand der Scheune entlang, da machte der Händler plötzlich Halt. »Büttner!« sagte er, »ich habe mir die Sache überlegt: Ihnen muß geholfen werden. Einen Mann wie Sie, der sich so redlich müht, in der Klemme sitzen zu lassen, das bringe ein anderer übers Herz, ich nicht! Ich werde Ihnen das Geld verschaffen, obgleich ich selbst noch nicht weiß, wo hernehmen. Denn ich habe alles im Geschäfte festgelegt. Unsereiner kann auch nicht immer so, wie er gern möchte. Aber geschafft muß es werden. Erst mal Ihre laufenden Schulden! die müssen Ihnen zunächst vom Halse geschafft werden. Später wird dann auch für die Hypothek Rat werden. Sagen Sie mir, wieviel die Läpperschulden ausmachen.«
Dem alten Manne zitterten die Hände vor freudigem Schreck. Das Glück kam so überraschend, daß es ihm für Augenblicke das Denkvermögen völlig benahm. Er rechnete, nannte einige Zahlen, widersprach gleich darauf, faselte unsicher zwischen seinen eigenen Angaben hin und her.
Sam klopfte ihm beschwichtigend auf den Rücken. »Nun, nun, mein Guter! Nur keine Aufregung! Wir werden uns das nachher in aller Ruhe berechnen. Jetzt will ich mir mal Ihre Gebäude von innen ansehen.«
Man trat in die Ställe. Mit Kennerblick prüfte der Händler den Viehstand. Eine Kuh hatte die Trommelsucht. Sam gab gute Ratschläge für ihre Behandlung. Auch die Scheune besah er sich, prüfte das Gebälk. Selbst in den Schuppen warf er einen Blick. Er untersuchte, ob die Düngerstätte auch die Jauche halte. Dann betrat er den Garten, pflückte sich im Vorbeigehen eine Narzisse, die er in's Knopfloch steckte, ließ sich einen Augenblick auf der Holzbank nieder, die um den alten großen Apfelbaum gegenüber dem Westgiebel des Wohnhauses angebracht war.
Nichts gehe ihm über die Traulichkeit des Landlebens, erklärte er, und musterte das alte, freundliche Haus mit empfindsamen Blicken; am liebsten gäbe er sein Geschäft auf und würde selbst ein Bauer.
Inzwischen hatte die Bäuerin drinnen einen Kaffee zurecht gemacht, wie er im Büttnerschen Hause noch nicht getrunken worden war. Die wohlbeleibte Frau erschien dann selbst im Garten und bat mit ihrem schönsten Knix den Herrn zum Vesper.
Es gab Butter, Quark und Honig zum Schwarzbrot. Sam kostete von allem. Er schmeichelte sich dadurch, daß er so gar nicht wählerisch war, nur noch mehr im Herzen der Wirtin ein.
Nachdem er sich satt gegessen und getrunken, lehnte er sich zurück und entnahm seiner Brusttasche ein Cigarrenetui. »Es ist doch gestattet, zu rauchen?« fragte er lächelnd. »Nach einer guten Tasse Kaffee gehört sich eine Cigarre!« Dann holte er aus seinem Rocke eine gewichtige Brieftasche hervor, die er vor sich auf den Tisch legte.
»Nun vielleicht zum Geschäftlichen, Herr Büttner, wenn's recht ist?«
Der Bauer hatte inzwischen in einer Ecke des Zimmers sein Wesen für sich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide schrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wischte er die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem Händler. »A Märker dreihundert wer'ch brauchen,« sagte er mit gedämpfter Stimme, »was blußig de Handschulden sen.«
Der Händler klappte die Brieftasche auf und blätterte darin.
»De Weibsen megen a mal nausgihn!« fügte der Bauer, als er bemerkte, daß Ernestine und Therese lange Hälse machten und die Köpfe zusammensteckten. »Mutter, Du kannst bleba und Karle och!« Die drei jüngeren Frauen entfernten sich darauf schleunigst.
Sam hatte der Tasche ein Paket blauer Scheine entnommen. »Ein glücklicher Zufall!« fügte er, »daß ich gerade heute Geld einkassiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht soviel bei mir zu tragen.« Er legte drei Hundertmarkscheine neben einander auf den Tisch und behielt die übrigen in der Hand. »Hier wäre das Gewünschte, lieber Büttner! Soll ich Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's einmal hier habe?«
Der Bauer starrte mit großen Augen auf das Geld, rührte aber keinen Finger und sagte auch nichts.
»Ihnen gebe ich Kredit, soviel Sie wollen, Büttner. Ein so tüchtiger Wirt wie Sie, mit solch einer Ernte auf dem Felde! Ihre Unterschrift ist mir so gut wie bar Geld.«
Dem alten Manne drehte sich alles vor den Augen. Er sah bald den Händler, bald seine Frau an, die neben ihm stand. Durfte er denn seinen Sinnen trauen! war das nicht etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch mehr, auf der Tischplatte, so viel, um ihn aus allen seinen Nöten zu reißen. Hier saß einer, der ihm die Hilfe geradezu aufnötigte. Was sollte man davon denken?
In seiner Ratlosigkeit wollte er schon den ältesten Sohn um seine Meinung befragen. Aber Karl sah dem ganzen Vorgange mit einer so völlig verständnisleeren Miene zu, daß der Alte diesen Gedanken schnell wieder fallen ließ. Er blickte fragend nach seiner Lebensgefährtin hinüber.
Die Bäuerin nickte ihm zu, ermutigte ihn: »Nimm's ack, Mann! nimm's ack an! Der Herr meent's gutt mit uns – newohr?«
Der Bauer streckte die Hand aus und wollte nach dem Gelde greifen.
»Halt! Noch eine kleine Formalität!« meinte Harrassowitz lächelnd, und legte schnell sein Taschenbuch auf die Scheine. »Nur der Ordnung wegen! Wir stehen allezeit in Gottes Hand und wissen nicht, wie schnell wir abgerufen werden können. Dann fehlt es nachher an einem Belege. Das wollen wir doch nicht! Nichtwahr?«
Er hatte dem Taschenbuche einen schmalen, bedruckten Zettel entnommen. »Tinte und Feder ist wohl im Hause?« Karl wurde beauftragt, das Gewünschte zu schaffen. »Ordnung muß sein in allem. Das ist man sich als reeller Geschäftsmann schuldig.« Sam füllte das Formular mit einigen Federzügen aus. »Also, ich schreibe Mark vierhundert. Es ist doch recht so?« Niemand antwortete; der Bauer atmete so schwer, daß man es durch das ganze Zimmer vernahm. »Dann bitte ich nur hier zu unterschreiben,« sagte der Händler, stand auf und reichte dem Alten die Feder.
Der Büttnerbauer stand eine Weile da, den Zettel drehend und wendend; mit hülflosen Blicken sah er Frau, Sohn und den Händler an. »Lesen Sie nur erst, Herr Büttner!« mahnte Harrassowitz. »Ungelesen soll man nichts unterschreiben.« Der Bauer hielt das Papier mit zitternden Händen weit von sich ab und studierte lange. »Nur keine Sorge, mein Guter; es ist alles drin, was drin sein muß,« witzelte Sam. »Die ganze Geschichte ist in bester Ordnung. Bequemer kann ich's Ihnen nicht machen. Hier, das Geld! Sie bekennen: Wert in Bar empfangen zu haben und mir die Summe am ersten Oktober dieses Jahres zurückerstatten zu wollen. Da fällt die Ernte dazwischen, bedenken Sie das! Kulantere Bedingungen kann ich nicht stellen. Das Papier hier brauche ich zu meiner Sicherung. Eine leere Formalität weiter nichts, aber sie ist nun mal nötig. Also, bitte!« Der Alte überlegte noch immer. Seine arbeitenden Züge ließen auf den schwersten Seelenkampf schließen.
Sam nahm eine finstere Miene an. »Ich glaube gar, Herr Büttner traut mir nicht!« sagte er zu der Bäuerin. »In diesem Falle nehme ich mein Geld lieber zurück. Aufdrängen will ich mich nicht, nein! Ich dachte nur, ich könnte dem Herrn eine Gefälligkeit erweisen. Aber, wenn er nicht will.« . . . Mit seiner rotbehaarten Hand griff er bereits nach den Scheinen.
»Traugott!« rief die Bäuerin und stieß ihren Mann in die Seite. »Bis ne verrickt! Unterschreib ack das Briefel!« Dann zog sie ihn am Ärmel, und raunte ihm zu: »Ar wird glei biese warn, wenn De no lange machst.«
Sie reichte ihm selbst die Feder.
»Hier bitte, an dieser Stelle, Herr Büttner! – Weiter rechts! . . . Hier! . . . Bloß den Namen.« Der Händler wies mit dem Finger genau auf den Fleck.
Und so unterschrieb der Büttnerbauer den Wechsel.