Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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VI.

Nachdem das Manöver vorüber, hatte der Graf Urlaub genommen, um die Hochzeit seiner Schwester Wanda auszurichten. Große Vorbereitungen wurden in Schloß Saland zu diesem Feste getroffen. Der Adel der Nachbarschaft, die Magnaten der Provinz waren geladen. Aus Berlin waren Freunde des Bräutigams und Kameraden des Wirtes eingetroffen, und immer noch erschienen neue Gäste.

Es war ein Fest für die ganze Gegend. Die kleinen Leute nahmen die Gelegenheit wahr, einmal gründlich blauen Montag zu machen. Täglich gab es in Saland jetzt etwas zu sehen. Einmal hieß es, ein Wagen sei angekommen, mit sechs Pferden davor, Kutscher und Diener dazu mit feuerroten Röcken. Natürlich lief man da von der Arbeit fort, um das Wunder zu begaffen. Dann wieder gab es ein Feuerwerk. Leute in einem entfernten Dorfe sahen davon den Schein gegen den nächtlichen Himmel und glaubten, es müsse ein Schadenfeuer sein. Die Sturmglocke wurde angeschlagen, die Feuerwehr allarmiert. Die Feuerwehren der Ortschaften, durch die man kam, schlossen sich an. Und so erschien schließlich eine ganze Anzahl Spritzen vor Schluß Saland. Als man wahrnahm, daß es gar kein Feuer gab, schimpfte man weidlich.

Der Graf erfuhr von dem falschen Alarm und ließ den Leuten Bier geben aus der Schloßbrauerei, damit sie, statt des Feuers, wenigstens ihren Durst löschen möchten. –

Die fabelhaftesten Gerüchte durchschwirrten die Luft; es hieß: am Hochzeitstage solle Geld unter die Menge geworfen werden, im Schloßhofe werde am Vorabend der Trauung ein gebratener Ochse und ganze Schweine und Kälber zur allgemeinen Speisung ausgelegt werden, und dazu würde aus einem Riesenfasse Wein fließen.

Eine Art von Fieber hatte sich der Bevölkerung bemächtigt. Die Arbeit schmeckte den Entnüchterten nicht mehr; man erwartete voll Spannung außergewöhnliche Dinge.

Auch Karl Büttner war von Wörmsbach herübergelaufen, um sich das Feuerwerk mit anzusehen. Er kannte einige von der Feuerwehrmannschaft von der Truppe her. Man nahm ihn mit, als es zur Bierverteilung kam. So gelangte er zu Bier und Cigarren, er wußte nicht wie! –

Das hatte ihm gefallen! Am nächsten Vormittage lief er schon wieder nach Saland, gegen Theresens Willen. Er hoffte im Stillen auf einen ähnlich glücklichen Zufall, wie ihn der vorige Abend gebracht.

Diesmal fiel zwar nichts für ihn ab, aber er wurde Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels.

Im gräflichen Park befand sich eine Wiese, beschattet von prächtigen Eichen und Linden. Hier auf ebener Rasenfläche überraschte Karl eine wunderliche Gesellschaft. Eine Anzahl Burschen sprang da herum, wie die Müller anzusehen, von oben bis unten weiß. Auf den Köpfen trugen sie bunte Mützen, um die Hüften farbige Gürtel. Sie hielten in ihren Händen Dinger, großen Fliegenklatschen nicht unähnlich, damit warfen sie sich kleine Bälle zu, über ein Netz weg, das quer über den Rasenplatz gespannt war. Dazu schrieen sie unverständliche Worte, gestikulierten eifrig, und liefen manchmal wie besessen hin und her.

Das war sehr possierlich mit anzusehen. Die Burschen selber aber schienen die Sache mit großem Ernst und Eifer zu betreiben.

Karl hatte die Spielenden von weitem für Knaben gehalten, die sich mit dergleichen Narreteien die Zeit vertrieben. Als er näher kam, erkannte er jedoch, daß es erwachsene Männer seien. Er schloß sich einer Gruppe von Dorfleuten an, die, hinter einem Boskett stehend, dem Treiben der Vornehmen zusahen.

Auf der Parkwiese war eine größere Gesellschaft versammelt: Herren und Damen. Man saß und lag umher auf Korbstühlen und Bastmatten. Zwischen den Bäumen waren Hängematten gespannt. Eine Dame, die sich in einer solchen hin und her schaukelte, nahm sich wie ein roter Farbenklecks aus, gegen das Grün des Rasens. Man trank, rauchte, nahm Erfrischungen zu sich, stand in Gruppen bei einander, lachte und schwatzte, in nachlässiger Weise. Ein Konzert fremdartiger Formen und Farben: die Damen in hellen Toiletten, wie exotische Blumen! Ein üppiges, farbenschillerndes Bild, von niegesehener Eigenart entrollte sich vor den Augen des Landsvolkes. Karl stand da und riß große unverständige Augen auf.

Eine Frau, die gelegentlich auf Scheuerarbeit in's Schloß kam, machte die Erklärerin. Sie wußte, welcher der Bräutigam sei: dort der kleine, mit dem schwarzen Schnurrbärtchen. – Karl hatte sich einen Prinzen bis dahin auch ganz anders vorgestellt.

Jetzt hörten sie auf zu spielen. Großes Durcheinander herrschte auf dem Platze. »Nu hat eene Parte gewunnen! Desderwegen thun se su brillen,« erklärte die Frau, sichtlich stolz, daß sie so gut über die Sitten der Großen unterrichtet sei. »Itze wern de Frauensmenscher och glei losmachen, paßt a mal uff!«

Richtig! es traten zwei Damen mit auf den Plan. »Saht ack, das is se! das is unse Wanda – das is de Braut!«

Nun sah man auch die Damen voll Eifer auf dem Rasen hüpfen. Es wurde viel gelacht und gejubelt. Das Brautpaar spielte auf einer Seite; sie verloren. Wanda tadelte den prinzlichen Partner oft genug und ließ ihn nach den verlorenen Bällen springen.

Ein kleiner Alter, mit einem Leinewandsack auf den Rücken, hatte lange wortlos dem Spiele zugesehen, aus matten rotumränderten Augen. Dann sagte er plötzlich: »die sein verrickt in Koppe!« damit ging er kopfschüttelnd von dannen.

»Racht hat 'r!« sagte ein anderer. »De Grußen sen alle verrickt, alle mitenander sen die verrickt, de Grußen! Hot ees suwas gesahn! Die mechten wos Gescheitres macha, als dohie su rimkalbern, und an lieben Herrngutt de Zeet stahlen.«

Die Frau, welche vorher Erklärungen gemacht hatte, widersprach. »Nu is 's etwan nich asu?« hieß es da. »Gabt der Art eene urndtliche Arbeet ei de Hand und 'r sollt sahn, wie se sich daderzut astellen warn!«.

Karl blieb noch eine ganze Weile dort stehen. Das Treiben gefiel ihm, wenn er den Sinn auch nicht verstand.

Auf dem Rückwege kehrte er ein. Bei dieser Gelegenheit traf er einen Bekannten, der ihm erzählte: morgen sei Jagd auf dem Herrschaftlichen, da gebe es gute Bezahlung und gewöhnlich auch Anteil am Jagdfrühstück für die Treiber; es würden noch Treiber gesucht. Karl, den besonders das Jagdfrühstück lockte, ging auf die nahe Oberförsterei und meldete sich als Treiber.

Am nächsten Morgen fand bei klarem Frühherbstwetter die Jagd statt. Es galt vor allem den Fasanen, aber auch Birkwild, Rebhühner, Rehböcke und Hasen sollten zum Abschuß kommen.

Karl Büttner ging in einer langen Reihe von Treibern, mit einem Stocke bewaffnet. Der Fasane wegen, die sich gern übergehen lassen, gingen die Treiber so eng, daß sie sich fast die Hände reichen konnten. Sie waren angewiesen, ganz langsam, schrittweise, vorzugehen, wenig Lärm zu machen und mit ihren Stöcken auf die Büsche und jungen Bäumchen zu klopfen, um das Wild locker zu machen. Von Zeit zu Zeit ertönten, von einem am Flügel marschierenden Forstbeamten geblasen, Signale; dann machte die ganze Kette Halt, um auf ein neues Signal wieder loszuschreiten.

Die Fasane waren zahlreich, da im Herbst zuvor wenig abgeschossen worden war. Bei dem warmen Wetter lagen die Vögel fest, oft flogen sie den Treibern unter den Füßen auf. In einem fort ertönte das Gackern der Hähne. Dann, sobald die Vögel über die Schützenkette strichen, Schüsse, oft ganze Kanonaden! Es war ein herzerquickendes Schauspiel für das Auge des Waidmanns, wenn der Fasanhahn in die Luft stieg, dann in gerader Linie abstrich, im Glanze seines prächtigen Gefieders, mit dem langen Stoße. Darauf ein wohlgezielter Schuß, gut vorgehalten; der königliche Vogel klappte zusammen, die ganze Pracht hatte ein jähes Ende gefunden! –

Auch der Treiber bemächtigte sich gar bald das Jagdfieber. Aller Mahnungen des Forstpersonals, sich stille zu verhalten, ungeachtet, schrien sie laut, jeden Treffschuß bejubelnd.

Nach dem fünften Treiben fand Frühstückspause statt. Tische und Bänke waren herbeigefahren worden. Am Feuer, das auf einem Waldwege angezündet worden war, wurden große eiserne Töpfe und kupferne Kessel mit Speisen und Getränken gewärmt. Die Schützen ließen sich nieder, einige Diener vom Schlosse bedienten.

Karl hatte unter den Jagdgästen einen ehemaligen Vorgesetzten wiedererkannt, der sein Rekrutenoffizier gewesen war. Inzwischen war der damalige Leutnant zum Major vorgerückt und nach Berlin zur Garde versetzt worden.

Karl konnte den Entschluß nicht recht finden, den Herrn anzureden. Wer weiß, ob der ihn kennen würde? Und dann wurde er womöglich ausgelacht! – Aber nach dem Frühstück wuchs sein Mut. Die Speisereste waren unter die Treiber verteilt worden; Karl hatte gierig geschlungen. Auf irgend eine Weise war auch eine Flasche starken Likörs, vom Tische der Schützen unter die Treiber geraten. Karl hatte einige Schlucke von dem ungewohnten Getränk genossen; er befand sich infolgedessen in gehobener Stimmung.

Mit mehr Freimut, als ihm für gewöhnlich eigen war, trat er vor seinen ehemaligen Vorgesetzten hin, schlug die Hacken zusammen, legte die Hand an die Kopfbedeckung, sagte seinen Namen und erzählte, daß er Rekrut beim Herrn Major gewesen sei.

Der Offizier betrachtete sich den großen ungeschlachten Burschen eine Weile, dann schien ihm die Erinnerung zu kommen.

»Waren Sie nicht anfangs rechter Flügelmann der Abteilung?« fragte er. Karl bejahte. »Aber nachher mußte ich Sie in's zweite Glied stecken, weil Sie mir die ganze Gesellschaft umschmissen. Denn Sie waren doch der Rekrut, der immer rechts und links verwechselte – nichtwahr?« Karl antwortete durch ein verlegenes Grinsen auf diese verfängliche Frage.

Der Major erzählte nun den anderen Schützen allerhand Streiche von dem Rekruten Büttner. Er that sich auf sein ausgezeichnetes Gedächtnis etwas zu gute. Dann erkundigte er sich nach Karls jetziger Beschäftigung, ob er verheiratet sei, Kinder habe, und so weiter.

Während des nächsten Treibens hatte Hauptmann Schroff, welcher Zeuge der Unterhaltung gewesen war, dem Major die Geschichte der Büttnerschen Familie berichtet. Andere Herren traten hinzu, der Fall wurde hin und her besprochen. Über den ländlichen Wucher ward manch kräftiges Wörtlein gesagt. Karl Büttner, als der älteste Sohn des ausgewucherten Bauern, wurde, ohne es zu wissen, zum Märtyrer gestempelt; auf einmal stand er im Mittelpunkte des Mitleids und der Sympathie.

Der Major veranstaltete schließlich eine Geldsammlung für seinen ehemaligen Rekruten. Es gingen ebensoviel Goldstücke ein, wie Herren da waren. Der Major drückte dem erstaunten Karl die Summe von hundert und vierzig Mark in die Hand, mit dem Wunsche, daß er sich damit ein wenig »aufrappeln« solle.

Karl vergaß das Danken, so überrascht war er.

Die anderen Treiber steckten die Köpfe zusammen. Schon regte sich der Neid. So viel Geld verdiente man auf rechtmäßige Weise ja nicht in vielen Monaten.

Hauptmann Schroff war ungehalten, daß man dem Manne das Geld so ohne weiteres ausgehändigt hatte; doch konnte er nichts mehr daran ändern. Er ermahnte Karl wenigstens, er möge keinen Unfug damit anstellen.

Aber der hörte und sah nichts mehr, starrte nur immer die Goldstücke in seiner Hand an. – War das ein Glück! Er vermochte es kaum zu fassen.

Die Jagd ging weiter. Karl Büttner wurde jetzt auch von den Treibern ganz besonders beachtet. Er hatte selbst keine Schnapsflasche mitgebracht; dafür beeilten sich die anderen ihm ihre ›Neegen‹ anzubieten. Es war gut für Karl, daß die Dämmerung herankam und damit das Ende der Jagd, denn er war so berauscht, daß er sich kaum noch auf den Füßen zu erhalten vermochte.

Es gehörte nicht viel dazu, um Karl betrunken zu machen. Heute hatte das ungewöhnliche Glück, das ihm so unversehens in den Schoß gefallen war, dazu beigetragen, ihn zu berauschen. In der seligsten Laune trat er mit den anderen Treibern den Heimweg an.

Als man an einem Gasthof vorüber kam, hieß es: Büttnerkarl müsse etwas zum besten geben. Karl zögerte. Eine Stimme warnte ihn, die Gaststube zu betreten. Er sehnte sich eigentlich nach Haus, um seiner Frau das Geld auf den Tisch zu legen. Was die für Augen machen würde!

Therese hatte ihn zwar in der letzten Zeit schlechter denn je behandelt; dumm und faul und einen Freßsack hatte sie ihn genannt, der nichts weiter könne, als fressen, saufen, und sie belästigen. – Nun wollte er ihr's mal zeigen! Er konnte doch noch was anderes! Soviel Geld, wie er heute mitbrachte, hatte sie wahrscheinlich noch niemals beisammen gesehen. Es drängte ihn, zu Theresen zurückzukehren, an deren Überraschung er sich weiden wollte.

Aber die anderen setzten ihm zu. Da waren verschiedene lustige Brüder darunter, die er gut leiden mochte. Man warf ihm vor, er sei ein Geizkragen. Mit einer ganzen Tasche voll Gold wolle er nicht mal ein paar Groschen für Branntwein springen lassen, das sei einfach ruppig. Karl glaubte, diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen zu dürfen; er trat in die Schenkstube, schlug auf den Tisch und verlangte Korn für die ganze Gesellschaft.

Als er nach einigen Stunden die Schenke verließ, war Karl zwölf Mark losgeworden. Er war schwer betrunken, lallte und heulte wie ein Kind. Von zwei Leuten mußte er geführt werden, die ihn bis nach Wörmsbach, vor sein Haus, brachten. Die beiden Führer klopften an die Hausthür, bis Therese den Kopf zum Fenster hinaussteckte und ärgerlich fragte: wer da sei. Die Männer setzten den Besinnungslosen auf die Thürschwelle und entfernten sich schnell. Sie verspürten nicht die geringste Lust nach einem Zusammentreffen mit der bösen Sieben.

Therese schleifte den Betrunkenen in's Zimmer. Sie war außer sich. Nun fing Karl noch an, zu saufen. Das hatte wirklich gefehlt zu allem Unglück!

Sie entkleidete ihn, um ihn in's Bett zu schaffen. Als sie ihm die Beinkleider herunterzog, hörte sie ein Klirren und Klappern. Sie untersuchte die Taschen. Dabei fiel ihr das Geld in die Hände. Sie suchte alles zusammen, legte es auf den Tisch, und zählte: hundert und achtundzwanzig Mark.

Zunächst war Therese erschrocken. Wie kam Karl zu dem Gelde? –

Sie schrie ihn an, er solle ihr antworten. Er hatte nur ein unverständliches Grunzen. Noch einmal zählte sie das Geld durch; es blieb dabei.

Einstweilen mußte sie sich damit beruhigen, bis er nüchtern sein würde.

Ob er's gefunden hatte? – Daß er es verdient habe, war nicht anzunehmen. Oder war es geschenkt? – geborgt? – oder . . . Nein! Das war undenkbar! Anders, als ehrlich, hatte sie ihn nie gekannt.

Auf alle Fälle mußte soviel Geld gut aufgehoben werden! Therese dachte lange nach, über einen sicheren Ort. Dann fiel ihr etwas ein: am Ofen war eine Kachel locker geworden, man konnte sie herausnehmen und wieder hineinsetzen; das hatte sie neulich entdeckt. Dort würde schwerlich jemand suchen. – Sie stieg auf einen Stuhl, hob die Kachel aus, legte das Geld sorgfältig eingewickelt in das Loch und setzte die Kachel wieder an ihre Stelle.

Karl erwachte erst im Laufe des Vormittags von seinem schweren Rausche. Noch länger als gewöhnlich brauchte er heute zum Überlegen. Wo war er gestern gewesen? was war ihm zugestoßen? wie war er nach Haus gekommen? – Er sann und sann. Die letzte feststehende Thatsache, die aus dem Nebel auftauchte, war die Jagd. Nach und nach kamen ihm einzelne Momente ins Gedächtnis zurück: das Frühstück, als ein besonderer Lichtpunkt, der Major, und damit das Geldgeschenk.

Hatte er das alles etwa geträumt? – Aber er glaubte sich noch ganz genau der einzelnen Geldstücke zu entsinnen; er hatte sie ja in seiner Hand gefühlt. Es fiel ihm auch ein, daß er sie in seinen Tabaksbeutel gethan und in die Tasche gesteckt habe.

Er griff nach seinen Hosen, sie lagen mit seinen übrigen Sachen am Bette. Der Beutel war da, auch ein Rest von Tabak darin, aber das Geld fehlte!

Therese war inzwischen in Haus und Stall thätig gewesen. Sie that die Arbeit für zweie. Erst hatte sie Karls Kleider gereinigt, die Kinder versorgt, und schließlich das Vieh gefüttert.

Sie besaßen zwei Ziegen, außerdem standen ein paar Kühe im Stalle. Harrassowitz hatte sie eingestellt, damit sie für den Fleischer fett gemacht werden sollten. Wahrscheinlich hatte Sam die Tiere zum Pfande für eine Schuld angenommen; nun ließ er sie hier mästen.

Nachdem Therese noch eine Karre mit Krautblättern für das Vieh hereingebracht, wollte sie daran gehen, das Mittagbrot anzusetzen. Als sie in das große Zimmer trat, hörte sie nebenan in der Kammer schluchzen. Sie riß die Thür auf; da saß Karl auf seinem Bette, halbangezogen und heulte.

Therese stemmte die Hände auf die Hüften und wollte eben anfangen, loszuwettern. War der Mensch denn verrückt geworden? Da saß er und plärrte wie ein kleiner Junge! –

Auf einmal aber mußte sie lachen. Er sah zu dumm aus mit seinem roten Kopfe, dem offenen Hemde, aus dem die haarige Brust hervorsah, wie er so auf der Bettkante saß, der große Kerl, und mit schief verzogenem Munde die Thränen laufen ließ. Dazu barmte er: »Mei Geld! mei Geld! Se han mersch gestohlen!«

Therese trat an ihn heran, stieß ihn nicht gerade sanft gegen die Schulter. »Dummer Kerl! her uff, zu natschen!«

Karl sah sie unverständig an. »Ich hatt' se dohie in Tobaksbeitel, ane ganze Hansel Goldsticke. Nu sen se weg! Die schlachten Karlen han's genummen!« Er wollte von neuem aufheulen.

»Halt's Maul! Dei Geld is gutt uffgehoben.«

»Soi mer ach wu's is?«

Therese antwortete nicht auf seine Frage. Nach einiger Zeit meinte sie: »Soi Du mer lieber, wie's Du zu suvills Geld gekummen bist?«

Karl erzählte ihr darauf mit vielen Wiederholungen und Unterbrechungen den Verlauf des gestrigen Tages. Von dem Augenblicke an freilich, wo er zum zweiten Male Schnaps für die ganze Gesellschaft bestellt hatte, konnte er sich auf nichts mehr besinnen.

Therese ärgerte sich, daß so viel von der Summe bereits draufgegangen war. Nun war sie erst recht entschlossen, ihn nicht wissen zu lassen, wo das übrige sich befinde; sonst würde das am Ende auch desselben Weges gehen.

Sie war längst mit sich im Reinen, was von dem Gelde angeschafft werden solle: Ein Paar Ferkel zur Mast, für die Kinder neue Kleider; die liefen in Lumpen herum, daß es eine Schande war. Dieser Goldsegen kam ihr wie gerufen in's Haus.

Als Karl in Erfahrung gebracht hatte, daß sie das Geld an sich genommen, verlangte er Herausgabe. Sie fuhr ihn an, er sollte aufstehen und machen, daß er zur Arbeit komme, alles andere werde sich später finden.

Karl war zu schwach, um seinem Willen Geltung zu verschaffen. Hände und Kniee zitterten ihm. Er mußte froh sein, daß Therese ihm etwas zu essen vorsetzte. Nachdem er gegessen, saß er am Tische und brütete. Sein Geld wollte er wieder haben! Ihm war es geschenkt, folglich war es sein, und sie hatte kein Recht darauf! –

Sie veranlaßte ihn, aufzustehen, drückte ihm eine Hacke in die Hand und gab ihm einen Schubkarren mit; er solle Kartoffeln graben gehen auf dem Felde. Karl gehorchte stumm.

Er begann zu hacken, aber bald wurde ihm die Arbeit sauer. Der Rücken schmerzte. Seine Gliedmaßen waren schwer von der nächtlichen Schlemmerei. Ihm war gar nicht wie Arbeiten zu Mute heute. An dem Bummelleben der letzten Tage hatte er Gefallen gefunden; er wollte heute nochmal blau machen. Wozu nutzte das schlechte Leben! Besaß er denn nicht außerdem jetzt einen ganzen Haufen Geld, wenn Therese 's ihm auch nicht herausrücken wollte. Sein war's doch! Mochte die sich ihre Kartoffeln selber ausmachen!

Er warf die Hacke in den Karren, wandte dem Felde den Rücken und ging querfeldein auf Saland zu. Dort war heute gewiß wieder was Extraes los.

Als er an den herrschaftlichen Parke kam, traf er eine Anzahl Leute, die gleich ihm das Hochzeitsfest der Komtesse zum Vorwande nahmen, nichts zu thun, und auf Außergewöhnliches erpicht, in der Nähe des Schlosses umherlungerten. Auch einige von Karls Saufbrüdern von der vorigen Nacht waren darunter. Sie begrüßten ihn mit Hallo, schlossen sich ihm an, in der Annahme, daß er Geld bei sich habe.

Dann traten Männer mit Soldatenmützen und Denkmünzen auf. Einer von ihnen fragte Karl Büttner, ob er sich nicht am Fackelzuge beteiligen werde. Karl hatte davon noch nichts gehört. Man erklärte ihm, die Militärvereine der Umgegend würden dem Brautpaare Abends einen Fackelzug bringen. Karl, aufgefordert, mitzumachen, sagte nicht: nein!

Die Fackelträger stellten sich in einer entlegenen Ecke des Parkes auf. Der Ehrenvorsitzende des Kriegerbundes, Hauptmann Schroff, ordnete den Zug. Karl bekam eine Fackel in die Hand gedrückt. Es solle am Schlosse vorübergezogen werden, hieß es.

Der ganze Bau war bis zum dritten Stockwerk hinauf taghell erleuchtet. Mächtige Holzstöße brannten zu beiden Seiten. In Pfannen und Becken loderte Pech. Die mächtige Fassade, der klobige Eckturm, die Fensterreihen und Erker lagen in rote Glut getaucht. Das Ganze schien eine große Feuersbrunst und war doch nur ein Freudenspiel. Nun brach der Fackelzug aus den Gebüschen und Baumgruppen des Parkes hervor; wie eine feurige Schlange näherte sich's dem Schlosse.

Von der breiten steinernen Freitreppe, die vom erhöhten Parterre des Schlosses in den Park hinabführte, sah die Hochzeitsgesellschaft dem Schauspiele zu. Herren mit Epauletten und Ordenssternen, Damen mit Spitzen, Brillanten, weißen Pelzkragen und Mantillen. Greise Häupter, liebliche Mädchengesichter! Ein Flor von hellen duftigen Toiletten! Dazwischen der Ernst des Frackes, und das Blitzen der Uniformen. –

Karl war es, als träume er. Wie eine Erscheinung aus anderer Welt, ein Wunder, nie gesehen, von ungeahntem, unbegreiflichem Glanz, stand dieses Bild auf einmal vor den erstaunten Augen des Dorfkindes. Als wär ein Vorhang weggerissen und er dürfe einen Blick thun in den Himmel, war ihm zu Mute. Er konnte nur starren und starren. Das Bild stand da, lebendig, in tagheller Beleuchtung; ringsherum war Nacht.

Der Zug machte Halt. Jemand sprach. Der Bräutigam verneigte sich und schüttelte einigen Deputierten die Hände. Die Braut winkte mit ihrem weißen Arme. Dann schrie eine Stimme: »Hoch!« Hunderte fielen ein und schwenkten die Hüte. Karl schrie aus Leibeskräften mit. Ihn hatte es auf einmal wie Begeisterung erfaßt. Feierlich war ihm zu Mute; er mußte gegen das Weinen ankämpfen. Kommandoruf! Die Spitze setzte sich in Bewegung. Die einzelnen Rotten marschierten im Gleichtritt vorüber, den Kopf stramm nach rechts gewandt, wie bei der Parade. Noch einmal sah Karl das Bild, jetzt zum Greifen nahe. Die einzelnen Gesichter ganz deutlich, den bloßen Arm einer Dame, die Bärte der Männer. Wie sie da standen, lächelten, sich unterhielten, kaum zu ihnen hinabblickten.

Dann war der Traum vorüber, der Vorhang wieder gefallen. –

Der Zug marschierte um das Schloß herum, über die steinerne Brücke, bog von hinten in den Schloßhof ein. Die Fackeln wurden in den Wallgraben zusammengeworfen.

Auch in dem steingepflasterten Schloßhofe brannten Pechpfannen und Holzstöße. Tische und Bänke waren hier in langen Reihen aufgestellt. Der Graf ließ die Fackelträger bewirten.

Karl war bereits berauscht, nur vom Sehen. Nun hätten die größten Wunder geschehen können, es hätte ihn nicht sonderlich in Erstaunen gesetzt.

Sie bekamen zu essen: Braten, dazu wurde Wein kredenzt. Karl dachte bei sich, so ungefähr müsse es im Himmel zugehen. –

Ein Mann mit einem Jägerhute auf dem Kopfe und einer breiten farbigen Schärpe um den Leib, hielt eine Ansprache, an die »Kameraden«. Andere Reden, Hochs und Hurras folgten. Später erschien der Graf, gefolgt von Offizieren und Herren mit Ordenssternen. Der Schloßherr sprach einige Worte des Dankes. Wiederum Hochs und Hurras und noch mehr Wein.

Karl hatte nur noch das Gefühl unaussprechlich seligen Wohlbehagens. So etwas hatte er noch nie erlebt und würde er nie wieder erleben.

Von da ab kam er nur noch augenblicksweise zum Bewußtsein. Auf einmal stand er mit anderen Leuten zusammen im Parke, vor der steinernen Freitreppe, die jetzt leer war. Die hohen Fenster des ersten Stockes waren erleuchtet. Man hörte Musik von drinnen. An den Fenstern vorüber huschten Schatten; sie tanzten.

Nun saß er auf einmal in einem rauchigen Zimmer. Vor Tabaksqualm vermochte er seinen Nachbar kaum zu erkennen. Auf dem Holztische vor ihm stand ein Schnapsglas, daneben ein Fläschchen. Rings um ihn her Gesichter, und vor jedem eben solch ein Gläschen und Fläschchen. »Büttner bezahlt de Zeche, der hat's grüße Gald,« hieß es. »Ich – ich – ha nischt ne mih, de Frau hat's!« Ein lautes Gelächter erscholl.

Karl stand auf, schlug auf den Tisch, und wollte den Freunden erzählen, wie ihn Therese um sein Geld gebracht hätte; da schwanden ihm die Sinne, er stürzte hin.

Als er erwachte, lag er im Straßengraben, über und über mit Tau bedeckt. Am Himmel zeigten sich rötliche Streifen. War es Abend oder Morgen? Er befühlte seine Glieder. Der Kopf schmerzte ihm.

Einige Zeit darauf befand sich Karl Büttner auf dem Wege nach Haus. Die Mütze fehlte ihm, er hinkte, über die Backe lief ihm eine blutunterlaufene Strieme. So humpelte er weiter, die Zähne auf einander gebissen, die Fäuste geballt. Sein Hirn war noch umnebelt; kaum daß er begriff, wo er sei.

Aber er hatte einen Gedanken, der sich seines gesamten Sinnens und Denkens bemächtigt hatte, ein Ziel auf das er mit der stieren Wut des Betrunkenen losging: sein Geld!

Er wollte das Geld zurück haben. Seine Frau hatte es ihm weggenommen. Es gehörte ihm. Heraus damit! –

So kam er mit blutunterlaufenen Augen heran. Er schwankte und torkelte, aber er näherte sich seinem Ziele.

Es war bereits heller Tag, als er vor das Haus kam. Die Thür war verschlossen. Er donnerte mit schwerer Faust dagegen. Therese steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Bist De's? – Schwein!« Damit warf sie den Flügel wieder zu. Er lehnte da eine ganze Weile, rüttelte an der Thür, brüllte um Einlaß.

Endlich öffnete sie. Er stürzte ihr halb in die Arme. Sie fing seine schwere Last auf, bewahrte ihn so vor sicherem Sturze. »Wo hast De gesteckt, de ganze Nacht? – De stinkst nach Schnapse!« Damit stieß sie ihn durch den Gang, vor sich her. Er strebte, die Thür zum großen Zimmer zu gewinnen. »Nich hiernei giehst De! Daß D'ch de Kinder sahn, besuffen wie's De bist!«

Sie wollte ihn in die Kammer stoßen, aber er stemmte sich zwischen die Thürpfosten. Es entstand ein Ringen zwischen den Ehegatten. Sie glaubte, seiner leicht Herr werden zu können, wie bereits manch liebes Mal, in früherer Zeit; sich zur Wehr zu setzen, hatte er noch nie gewagt.

Aber sie fand einen ganz anderen in ihm, heute. Er drang auf sie ein. Den wuchtigen Hieben seiner schweren Fäuste vermochte sie nicht Stand zu halten. Sie versuchte loszukommen von ihm, er hielt sie wie in eiserner Umklammerung. Sie schrie und wehrte sich, wie eine Verzweifelte. Aber, es gab kein Entkommen. Er hielt sie mit einer Hand und gebrauchte die andere wie einen Hammer. »Mei Geld!« gröhlte er, zwischen den einzelnen Schlägen: »Mei Geld! Gieb mei Geld raus?«

»'s Geld kriegst De ne!« sagte sie mit weißem Gesicht.

Der Kampf ging weiter. Therese war keine schwächliche Frau; sie brachte ihn mehrfach zum Wanken. Aber gegen seine ungeschlachten Kräfte konnte sie auf die Dauer doch nichts ausrichten.

Karl Büttner glich einem wilden Tiere in seiner Wut. Niemand hatte ihn je so gesehen: das Gesicht gänzlich verzerrt, mit geiferndem Munde, und funkelnden Augen. Das war nicht mehr der vom Vater ererbte trotzige Bauerngrimm – zum Tiere war der alte Traugott Büttner nie geworden, auch im Zorne nicht. – Das mußte von weiter her kommen. Zurückgedämmte Wildheit brach hier durch, niedere Triebe stiegen aus einem dunklen lang verdeckten Abgrunde ursprünglicher Verwilderung auf. –

Therese hielt sich tapfer. Bleich wie Leinewand, stöhnte sie mit versagender Stimme: »s Geld kriegst De ne! Und wenn De mich tutschlägst!«

Er raufte ihr das Haar, riß ihr die Kleider in Stücke. Dann faßte er sie plötzlich mit beiden Armen um den Leib, hob sie aus und warf sie zu Boden, wie ein Bündel. Er stolperte dabei, fiel über sie hin, lag auf ihr und schrie ihr in's Ohr: »Mei Geld! giebst De mei Geld raus?«

Sie lag da mit geschlossenen Augen. Schon griff er nach ihrem Hals, um die Ohnmächtige zu würgen, als er sah, daß Blut unter dem Haar hervordrang: ein dünner roter Faden, der über die Stirn, an der Nase hin, nach dem Munde zu eilte.

Da hielt er inne; hiervor erschrak selbst die bestialische Wut. Er erhob sich, betrachtete sie. Die Frau sah schrecklich aus, mit ihrem zerfetzten Haar und dem entblößten Busen.

Er zog sich unwillkürlich vor dem zurück, was er angerichtet hatte. Ihm ward schwül; die Beine versagten ihm plötzlich den Dienst. Er schlug auf das Bett hin. In wenigen Minuten schnarchte er, die Glieder weit von sich streckend.

Nach einer Weile fing Therese an, sich zu regen. Sie öffnete die Augen, bewegte die Arme, richtete sich mühsam auf. Nach dem Kopfe tastend, entdeckte sie das Blut. Sie wischte es ab, so gut sie konnte.

Dann erhob sie sich ganz, befühlte ihre Gliedmaßen. Sie konnte noch stehen und gehen, wenn auch mit argen Schmerzen.

Nebenan heulten die Kinder. Therese öffnete die Thür zur Hälfte und rief ihnen zu: sie sollten stille sein, gleich würde sie kommen.

Dann fiel ihr Blick auf den schlafenden Karl. Der Kopf war ihm über die Bettlehne gesunken. Sein Gesicht war bereits blaurot. Er röchelte.

Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann griff sie unwillkürlich zu, um ihn aus der gefährlichen Lage zu befreien. Sie hob seinen schweren Kopf und schob ihm ein Kissen unter. Nicht gerade mit zarter Hand, aber doch in sorgender Frauenweise, that sie das.

Dann untersuchte sie ihren Leib und ihre Kleidung. Beschunden war sie und zerfetzt, ein ganzes Büschel Haare hatte er ihr ausgerauft, aber totgeschlagen hatte er sie doch nicht.

Und das Geld hatte er auch nicht, und sollte es auch nicht bekommen; nun erst recht nicht!

Ein Lächeln des Triumphes flog über das Gesicht des tapferen Weibes.



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