Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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IV.

Die Wanderarbeiter waren in der Weizenernte beschäftigt. Das Feldstück gehörte zu den Außenschlägen des Vorwerks und lag ziemlich weit von der Kaserne entfernt. Der Aufseher hatte daher angeordnet, daß Mittags nicht heimgegangen werde. Um das Essen für die Leute auf's Feld zu bringen, wurde meist eines der Mädchen entsandt. Heute war Ernestine daran.

Als die Turmuhren der Nachbarschaft ihre zwölf Schläge thaten, warf man die Sensen hin. Jeder suchte sich ein Fleckchen im Straßengraben. Dort ruhten sie, die Männer, mit den Jacken unter dem Kopfe, die Mützen über dem Gesichte, zum Schutze gegen die Augustsonne. Die Frauen mit bloßen Armen und Füßen, in ihren bunten Kopftüchern. So lagen sie im grellen Mittagslicht und warteten auf das Mittagsbrot.

Zum Reden hatte niemand Lust. Bleierne Schläfrigkeit lastete auf den Ermatteten. Es war nichts Kleines, von früh um vier Uhr bis Mittags, mit einer Unterbrechung von nur einer halben Stunde, Getreide mähen, abraffen, binden und aufstellen.

Häschke hatte sich nicht mit in den Graben gelegt zu den anderen; unbemerkt war er bei Seite getreten. Erst langsamer, so lange er im Gesichtsfelde der Genossen war, dann mit weitausgreifenden Schritten, wie einer, der mit Eifer einem ersehnten Ziele zustrebt, eilte er in der Richtung nach der Kaserne hinab.

Nach einiger Zeit erblickte er die Gestalt, nach der er schon lange ausgeschaut hatte: Ernestine, die in zwei Henkelkörben das Essen herantrug.

Häschkekarl stieß einen Freudenschrei aus und eilte ihr in langen Sätzen auf dem Feldwege entgegen.

Sie hatte die Körbe niedergesetzt, sobald sie den bärtigen Burschen auf sich zukommen sah, erwartete ihn, die Hände auf die Hüften gestemmt. Erschreckt schien sie nicht. Im Gegenteil! Sie lachte über das ganze Gesichte, zeigte ihre Perlenzähnchen. Er umfaßte sie, hob sie, drehte sie ein paar mal um und um und raubte ihr einen Kuß, ohne daß sie, wie es den Anschein hatte, in solchem Verfahren etwas Ungewohntes erblickt hätte.

Sie zupfte sich das rote Kopftuch zurecht, das ihr zurückgerutscht war und meinte dann, er solle ihr die Körbe tragen, sie habe sich nun genug damit geschleppt. Häschkekarl war der Letzte, um solch eine Bitte zu verweigern; aber eigentlich hätte er die Hände lieber frei behalten.

Sie setzten sich in Bewegung. Das Mädchen ging mit leichten Schritten vor ihm her.

Seine Augen verschlangen ihre Gestalt. Was machte es ihm, daß ihre Füße bestaubt waren, daß ihr einfaches Kleid die Spuren der Feldarbeit an sich trug. Sein Blick durchdrang die Hüllen, erkannte das Weib, das er begehrte, so wie sie war.

Häschke, der Leichtfertige, hatte seine Meisterin gefunden.

Um Ernestines willen war er in Halbenau geblieben, um ihretwillen hatte er sich den Sachsengängern angeschlossen; nur um dieses Mädchens willen hatte er es so lange bei einer Beschäftigung ausgehalten.

Die kleine Ernestine war sich der Macht vollkommen bewußt, die sie über den Mann ausübte. Trotz ihrer siebzehn, verstand sie es, seine Wünsche im Zügel zu halten. Er hatte das Ziel seines Verlangens noch nicht erreicht.

Ernestine hatte stets ihren Kopf für sich gehabt. Eine gewisse Selbstachtung war ihr eigen, die sonst nicht ein hervorstechender Zug bei Landmädchen ist. So, wie Toni, sich wegwerfen, an den ersten besten, das sollte ihr nicht passieren! – Sie hatte ihn gern, ganz gewiß! Aber das äußerte sich nur in einer Art munteren Kameradschaftlichkeit. Auch in ihr steckte ein jungenhafter Zug, wie in vielen Mädchen, ehe die Frau zur Entfaltung gelangt ist. – Sie hatte bisher seinen Anträgen gegenüber die Besonnenheit nicht verloren.

So gingen die beiden auf dem Feldwege hin. Sie kehrte sich gelegentlich lachend nach ihm um. Es machte ihr Spaß, ihn unter der unwillkommenen Last der Körbe einherschreiten zu sehen.

Ernestine hatte eine Gerstenähre aus dem Felde gerauft und kitzelte ihn damit an der Nase, bis er niesen mußte. Ehe er die Körbe niedergesetzt, war sie schon zehn Schritte und mehr von ihm entfernt. Die Hitze war groß; er verspürte keine Lust zu einem Wettlaufe mit der Leichtfüßigen.

Häschke machte gute Miene zum bösen Spiel und versuchte, während sie so dahinschritten, ein Gespräch im Gange zu halten. Aber sie lachte nur zu allem, was er sagte.

So war sie nun! Wie ein Fisch: wenn er sie zu halten glaubte, entschlüpfte sie ihm glatt und geschmeidig. Eine harte Probe für den Erfolggewöhnten! –

Schon einige Male hatte er sie eingeladen, Sonntags mit ihm nach Haderbaum hinüber zu gehen, zum Tanze. Ein Tänzchen in Ehren, was war da weiter dabei! Er hatte den Vorschlag so harmlos, wie nur möglich, vorgebracht. Doch Ernestine war nicht auf den Kopf gefallen. Sie tanzte für ihr Leben gern; aber man wußte schon, daß sich das Mannsvolk damit nicht begnügte.

Auch heute war all die Beredsamkeit, mit der Häschke ihr das Parkett, die Militärmusik, die Getränke und die sonstigen Genüsse des Festes schilderte, an sie verschwendet. Sie sagte nicht ja und nicht nein, kicherte nur und summte sich ein Liedchen.

Der Bursche kochte vor Wut. Er hätte das Frauenzimmer auffressen mögen. Wenn sie nur nicht so verdammt niedlich ausgesehen hätte!

Nicht weit vom Wege standen ein paar große Roggenstrohfeimen, weit und breit in der baumlosen Gegend sichtbar. In Häschkes Kopfe blitzte beim Anblick der mächtigen Strohhaufen ein Gedanke auf.

Stehen bleibend, meinte er, hier könne man sich ein wenig im Schatten verschnaufen. Mit dem Mittagsbrot habe es keine solche Eile, die anderen würden ihnen nicht davonlaufen.

Sie traten in den Schatten der Feimen. Er stellte die Körbe bei Seite und sagte: »Hier is gut sein, Mädel!« Damit umfaßte und küßte er sie nach Herzenslust.

Sie ließ sich das eine Weile lachend gefallen, dann aber setzte sie sich zur Wehr. Er sollte sich mal seinen kratzigen Bart abnehmen lassen, meinte sie.

»Ich thu 's glei, Ernstinel!« sagte er, sie immer noch festhaltend und ihr verliebt in die Augen blickend. »Aber, Du mußt mir och was zu Gefallen thun!« –

»Was denne?«

»Du weeßt schon!« –

»Du bist ein schlechter Kerl!«

»'s is nich schlecht, wenn man sich lieb hat.«

»Laß mich!«

»'s sieht uns ja keen Mensch hier – Ernstinel!« –

Sie wehrte ihn mehr mit ihrem kühlen Blicke ab, als mit ihren Händen. Der starke Bursche konnte nichts gegen das Mädchen ausrichten. Sie hatte keine Spur von Furcht vor ihm. Er mußte die Hände von ihr lassen.

Sie lachte ihn aus. Wie ein Strahl Wasser in eine heiß lodernde Flamme wirkte das auf seine Leidenschaft.

Er warf sich ins Stroh, verzweifelnd, das Gesicht gegen den Boden, als wolle er nichts mehr sehen.

Das Mädchen stand neben dem Liegenden. Er sollte keine Faxen machen, meinte sie; die anderen würden sich wundern, wo sie blieben.

Er sagte, zu den anderen werde er nicht mehr zurückkehren; er wolle fortlaufen, sie sei zu schlecht gegen ihn. Er fand Töne echter Verzweifelung.

Sie kniete neben ihn nieder und streichelte ihm den struppigen Kopf. Er drehte ihr sein rotes Gesicht halb zu und schlang die Arme um sie.

Er werde sich ein Leid anthun, schwor er, wenn sie ihn nicht erhöre.

»Was willst De denne?« fragte sie, während er sie mit starkem Arme schon halb zu sich herabgezogen hatte.

»Red' nich so dumm, Ernstinel!« flüsterte er ihr in's Ohr.

Und damit lag sie nur noch halb widerstrebend neben ihm im Schatten der Strohfeime.

* * *

Es gab unter den Wanderarbeitern mancherlei Streitigkeiten und Ränke, aber auch Zuneigung und Eifersucht.

Gustav, in seiner Stellung als Aufseher, bekam davon wenig zu merken. Die Liebeleien, die es etwa unter den jungen Leuten geben mochte, wurden vor ihm nach Möglichkeit verborgen.

Die drei männlichen Arbeiter, die nach der Flucht des Polen noch da waren, vertrugen sich untereinander leidlich. Häschke hatte durch Anlagen und Erfahrung so sehr die Oberhand, daß ein Aufkommen gegen ihn ausgeschlossen war. Welke, der gewesene Stallbursche, war eine harmlos ehrliche Haut. Von den Mädchen wurde er vielfach gehänselt. Er that ihnen den Gefallen, verlegen zu werden und sich zu ärgern, was man bei seiner hellen Hautfarbe leicht am Rotwerden erkennen konnte. Fumsack, der ehemalige Schmiedegeselle, war ein großer ungeschlachter Geselle, stark wie ein Bär, schwerfällig, wortkarg. Er war im stande einen geschlagenen Tag zuzubringen, ohne seinen Mund zu öffnen, außer zum Essen und Gähnen. Des Nachts wußte er sich um so entschiedener durch furchtbares Schnarchen Gehör zu verschaffen. Fumsack hatte eine Liebschaft. Die Sache war schon älteren Datums. Wahrscheinlich hatte er sich den Sachsengängern nur angeschlossen, um die Geliebte zu bewachen. Eine Vorsicht, die in Anbetracht der außergewöhnlichen Häßlichkeit seines Schatzes, beinahe überflüssig erscheinen konnte. Übrigens machte sich dieses Verhältnis sehr wenig bemerkbar. Sie flickte ihm seine Sachen und hob die Hälfte ihrer Lebensmittel für den starken Esser auf. Darauf schienen sich in der Woche die Beziehungen dieses Liebespaares zu beschränken. Am Sonntage führte er sie aus. Aber auch da schien der Verkehr nicht besonders lebhaft. Man sah die Beiden, wie sie hintereinander, er voran, dann sie auf seiner Spur, langsam und wortlos durch die Getreidefelder zogen.

Sonst schien es weiter keine Liebespaare zu geben. Welke hatte wohl hie und da einen Versuch gemacht, sich ein Herz zu erobern. Aber er war nur ausgelacht worden. Den Mädchen erschien er zu jung; noch keine Spur von Bart war bei diesem Kieckindiewelt zu entdecken.

Der weitaus Beliebteste und Begehrteste bei den Mädchen war Häschke. Aber er ließ sie zappeln, schien keiner seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden zu wollen.

Der Aufseher war damit sehr zufrieden. Er kannte Häschken von der Garnison her. Wenn einer Glück bei den Frauenzimmern gehabt, so war es dieser Schwerenöter gewesen. Daß ihm die Rübenmädel nicht gut genug warm, wie es schien, war ein Glück; man hätte sonst nur Abenteuer erlebt.

Übrigens schien sich Häschkekarl anderwärts schadlos zu halten. Der Aufseher fand eines Nachts beim Revidieren des Männerschlafsaales Häschkes Bett leer. Er that, als habe er nichts gesehen. Recht gut, daß dieser glänzende Kater außer dem Hause auf Liebespfaden schweifte! –

Gustav Büttner, der sich für gewöhnlich eines gesunden und festen Schlafes erfreute, lag während einer hellen Mondnacht ausnahmsweise wach im Bette. Der Junge war laut gewesen, und der Vater hatte Paulinen helfen müssen, das Kind zu beruhigen; darüber hatte er nicht wieder einschlafen können.

Während er so dalag, vernahm er an der Hauswand ein Geräusch, das ihn stutzen machte. Er setzte sich im Bette auf und lauschte hinaus. Es klang wie ein Hinabschürfen an der Mauer, dann ein Stapfen auf dem Erdboden; aber alles nur gedämpft, kaum vernehmbar.

Gustav dachte sofort an Häschke. Der Vagabund stieg wohl aus! Dann war es vielleicht besser, man untersuchte die Sache gar nicht erst, um nicht eingreifen zu müssen.

Jetzt, neues undeutliches Geräusch! Leichtes Rütteln und Knarren! Aber, diesmal kam es von einer anderen Stelle, mehr aus der Richtung, wo die Mädchen schliefen.

Die Wohnung des Aufsehers war so gelegen, daß sie die Schlafzimmer der Burschen und Mädchen trennte. Eine Verbindung mit dem übrigen Hause fand für die Mädchen nur durch die Aufseherwohnung statt. Das war alles von dem Erbauer sehr klug erdacht. –

Gustav erhob sich, schlich in gebückter Haltung an's Fenster. Draußen lag die Landschaft wie am Tage, im Vollmondlicht. Trotzdem konnte er zunächst nichts Verdächtiges erkennen. Erst als er sich soweit aufgerichtet hatte, daß er durch das Fenster, den Streifen Rasen dicht am Hause zu überblicken vermochte, sah er dort eine männliche Gestalt. Der Bursche arbeitete mit gebeugtem Rücken, wuchtete, schien etwas im Boden zu befestigen. Dann erhob er sich plötzlich und blickte am Hause in die Höhe.

Jetzt wo das Mondlicht hell auf seinem Gesichte lag, erkannte ihn Gustav deutlich: es war Häschke.

Er schien mit jemandem im ersten Stock in Unterhandlung zu stehen; denn er machte Zeichen mit der Hand nach aufwärts.

Der Aufseher war im höchsten Grade gespannt, was nun weiter erfolgen werde. Er drückte sein Gesicht ganz an die Scheiben. Jetzt erkannte er, an der Mauer hängend, einen Gegenstand, wie einen Strick, dessen unteres Ende Häschke in der Hand hielt.

Eine Strickleiter! Der Halunke wollte einsteigen! – Dem Aufseher schoß das Blut zu Kopfe. Das waren Streiche, wie man sie wohl im Manöver ausgeführt hatte. Bei Nacht in die Mägdekammer, wenn der Bauer am Abend zuvor den Schlüssel dazu abgezogen hatte. Gustav hatte mal mit Häschke zusammen auf einem Gutshofe gelegen, wo der Inspektor besonders streng war. Wie zu den Mägden kommen? Da hatte Häschke, der nie um ein Mittel verlegen war, die Kühe im Stall losgebunden, daß mitten in der Nacht alles brüllend im Hofe herumlief. Der Inspektor, in seiner Not, holte selbst die Mägde herbei, zum Anbinden des Viehes. Während dessen waren Häschke und Gustav in die Kammer gelangt, hatten sich da gut versteckt. Nun waren sie da, wo sie sein wollten. –

Während Gustav an diesen wohlgelungenen Streich aus einer vergangenen Zeit zurückdachte, stieg ihm gleichzeitig der Ärger auf, daß Häschke es nun versuchte, ihn zu hintergehen. Das ging doch wirklich zu weit! Der Aufseher beschloß, dem Burschen einmal gründlich aufs Dach zu steigen.

Er wollte nur warten und zusehen, was jener noch weiter angeben werde. Bei der Gelegenheit würde man vielleicht auch herausbekommen, wer die eigentlich sei, der seine Zeichen galten.

Da auf einmal erschien in Gustavs Gesichtsfelde eine neue Gestalt. Gegen die helle Hauswand hob sich ein schmaler Schattenriß ab. Erst sah es aus, als schwebe die Gestalt in der Luft, dann erkannte man, daß sie sich vorsichtig an den Stricken zum Boden hinabließ.

Der Aufseher wollte seinen Augen nicht trauen. Das war . . . ja, wahrhaftiger Gott! das war: seine eigene Schwester! –

Gustav war so bestürzt, daß er zunächst gar nichts that. Wie festgebannt harrte er auf seinem Platze aus. Ernestine und Häschke! – War denn das zu glauben! Ernestine, die er kaum als etwas anderes angesehen, als ein Kind. – Und Häschke! –

Er sah sie behende an der Strickleiter hinabklettern. Jetzt schwebte sie frei über dem Boden, ließ los, der Mann fing sie auf, in seine ausgebreiteten Arme, trug sie ein paar Schritte fort, ehe er sie frei gab. Gustav konnte deutlich ein Kichern von unten vernehmen.

Der Bruder starrte regunglos auf die beiden. Daß er das nicht zeitiger gemerkt hatte! Merkwürdigerweise bildete das zunächst sein größtes Ärgernis. Höchstwahrscheinlich war es eine alte Geschichte, stammte womöglich schon von Halbenau her. Die beiden trieben es schon lange hinter seinem Rücken. Und er hatte nichts gemerkt! Das erboste ihn geradezu. – Denen wollte er den Spaß versalzen und das gehörig!

Und nun mußte er sehen, wie sie sich im Mondschein umarmten und küßten. Ernestine warf dem bärtigen Häschke die Arme um den Nacken und drückte sich an ihn. Das kleine Ding schien sich auf die Kunst zu verstehen! Wie sie schnäbelten. – Hol sie der Teufel! –

Gustavs Gefühle waren äußerst geteilte und verwirrte. So etwas, wie Eifersucht, regte sich bei ihm. Dann stiegen aus der Ferne Erinnerungen an verbotenes Liebesglück auf. Was die da unten thaten, war ja so begreiflich!

Aber, auch der Bruder regte sich in Gustav. Hatte er nicht für seine Schwester einzustehen? – Sie war kaum siebzehn Jahre alt, und Häschke war ein alter Sünder! Hol sie der Teufel alle beide! Sie hatten ihn schön an der Nase herumgeführt! Lachten wohl gar da unten über seine Dummheit und machten ihm lange Nasen, womöglich!

Er sah die beiden jetzt Arm in Arm den Weg nach den Feldern einschlagen.

Jetzt war es höchste Zeit, etwas zu thun! Gustav erwachte aus seiner Erstarrung. Er warf sich schnell ein Paar Sachen über und fuhr in die Stiefeln. Darüber erwachte Pauline.

Sie fragte ihn, wohin er wolle, jetzt, mitten in der Nacht? Gustav antwortete ihr in barschem Tone, daß jemand ausgestiegen sei. Mit erschreckter Miene, fragte sie: wer?

Er wollte ihr nicht sagen, daß es Ernestine sei, aus einer Art von Schamgefühl für seine Schwester. Er habe das Mädchen nicht genau erkennen können, sagte er, aber Häschke sei dabei gewesen.

Pauline hatte Licht gemacht. Sie stand vor ihm. In ihren Zügen spiegelten sich Bestürzung und Angst. Sie bat ihn zu bleiben, versuchte es sogar, ihn zu halten. Er stieß sie von sich. Es sei seine Pflicht, als Aufseher, so etwas nicht durchzulassen, sagte er rauh. Damit ging er. Sie lief ihm nach bis zur Thür. »Thu ock 'n Ernstinel nischt ne!« das waren die letzten Worte, die er hörte.

Er lief die Treppe hinab. Die Hausthür war nur angelehnt. Dabei war der Aufseher der einzige, der einen Hausschlüssel führte, und er hatte am Abend abgeschlossen. Aber, natürlich Häschke hatte da mit dem Nachschlüssel gearbeitet! Alle hintergingen ihn. Seine eigene Frau wußte von der Liebschaft. –

Namenlose Wut überkam ihn. Wenn er die beiden jetzt traf! . . . Er stürmte blindlings in der Richtung vorwärts, wo er sie hatte verschwinden sehen. Aber er hatte zuviel Zeit vertrödelt; sie waren bereits verschwunden. Trotz der tageshellen Beleuchtung konnte er das Paar nirgends entdecken. Er nahm auf gut Glück einen Feldweg an, auf dem er sie vermutete.

Er hätte es sehen müssen, längst! Sogar Pauline wußte ja darum, schien sogar unter einer Decke mit den beiden zu stecken; das wurmte ihn am meisten. Wer weiß, wer da alles noch eingeweiht war! Er war der einzige, der nichts gemerkt hatte, er war der Dumme! – Ein schöner Aufseher war er! – Wo hatte er denn seine Augen gehabt?

Er stürmte auf dem Feldwege immer weiter. Bei einer Wegekreuzung wurde er zum Stillstehen und Überlegen gezwungen. Er mußte sich sagen, daß er der beiden auf diese Weise schwerlich habhaft werden würde. Wo konnten sie hin sein? Er sann nach. Wo gab es denn in dieser Gegend ein passendes Versteck? – Halt, das war's: Der Schuppen! – Dort waren sie und nirgends anders! Daß ihm das nicht gleich eingefallen war!

Der Schuppen war ein alter baufälliger Kasten, mitten im Felde gelegen. Er diente dazu, allerhand Ackergeräte zu bergen, und den Feldarbeitern, wenn sie plötzlich von Unwetter überrascht wurden, Obdach zu gewähren.

Gustav war seiner Sache sicher. Er glaubte bestimmt, die beiden dort anzutreffen, und spornte seine Schritte zur größten Eile an. Bald lag der Schuppen vor ihm, hell vom Mondlicht beleuchtet; ungesehen heranzukommen, war unmöglich.

Er war nur noch wenige Schritte von dem Gebäude entfernt, als sich die Thür öffnete. Ein bärtiger Kopf erschien für einen Augenblick und fuhr blitzschnell zurück.

Mit einem Satze war der Aufseher an der Thür, und wollte sie aufreißen. Er stieß auf Widerstand. Von drinnen wurde zugehalten. Gustav legte sich gegen die Thür. Umsonst! Er rief: man solle ihm aufmachen. Drinnen wurde geflüstert, aber eine Antwort kam nicht, und geöffnet wurde auch nicht.

Da überkam ihn der Zorn. Er trat einige Schritte zurück, nahm Anlauf, warf sich mit der ganzen Wucht seines Körpers gegen die Thür. Die Haspen sprangen aus dem dünnen Mauerwerk, das morsche Holz barst, die ganze Thür fiel in Stücken zusammen. Der Aufseher war im Schuppen.

Die drei Menschen standen einander gegenüber, keuchend, die Männer kampfbereit, jeder den Angriff des anderen erwartend, das Mädchen erschrocken sich an den Geliebten klammernd.

Es kam auf eine Kleinigkeit an, und hier wäre Blut geflossen. Gustav befand sich in wilder Erregung. Eine drohende Bewegung des Gegners, ein Wort des Widerspruchs, und er hätte zugeschlagen.

Aber Häschke, der die Lage schnell erkannte, hütete sich wohl, den anderen zu reizen. Mit Ernestinens Bruder in Frieden auszukommen, war jedenfalls rätlicher, als es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Er ließ Kopf und Arme sinken, stand vor dem Aufseher mit der Miene des ertappten Sünders.

Der Schlaukopf hatte richtig gerechnet; Gustav war durch die nachgiebige Haltung entwaffnet.

Aber, irgend etwas mußte geschehen, das fühlte Gustav deutlich. Er fing an zu fluchen; die beiden standen wie unter einem Hagel. Der Geist seines Vaters war über den jungen Menschen gekommen; er stieß Schimpfreden und Flüche aus, die er als Kind, wie oft, aus dem Munde des Alten vernommen hatte.

Das Mädchen fand zuerst Worte der Erwiderung. Sie wären nicht schlecht, und sie hätten nichts Böses gethan; sie seien »ordentliche Liebesleute«. – Die Worte flossen dem kleinen Dinge auf einmal äußerst beredt von den Lippen. Häschke brauchte gar nichts zu sagen; er hörte mit Staunen, wie sie seine eigenen Gründe, die sie noch vor kurzem bestritten, jetzt mit Eifer gegen den Bruder ins Feld führte. Wie schnell diese Frauenzimmer lernten! –

Gustav rief ihr zu, sie sei ein dummes Mädel! und die Liebesgedanken werde er ihr schon austreiben.

Die Schwester lachte ihm in's Gesicht. Kein Mensch könne ihnen verbieten, sich lieb zu haben, am wenigsten er; er habe es ihnen ja vorgemacht.

Gustav war starr über die Unverfrorenheit des siebzehnjährigen Dinges. Er fühlte, daß er mit solchem Mundwerke schwerlich fertig werden würde. Ohne sich auf eine Widerlegung einzulassen schrie er sie an: »Jetzt kommst Du mit mir! Marsch! Ich wer' Dich« . . . Damit nahm er sie am Arme und führte sie zur Thür, wie eine Gefangene. Häschke folgte. So schlugen sie den Heimweg ein.

»Laß mich ack gihn, Gustav!« sagte Ernestine nach einiger Zeit; der Bruder hielt ihr Handgelenk in seine Faust gepreßt, wie in einen Schraubstock. »Ich lof Der nich dervon. Ich ha' ja nischt Unrecht's nich gethan!«

Er ließ ihren Arm fahren. Sie schritten weiter neben einander her. Gesprochen wurde lange Zeit nichts zwischen den dreien.

Gustavs Zorn war längst verraucht. Die natürliche Gutmütigkeit hatte die Oberhand gewonnen. War es denn wirklich so schlimm, was die beiden gethan hatten? –

Häschke mochte etwas von der Wandlung ahnen, die in dem Sinne des anderen vor sich gegangen. Er nahm das Wort, erklärte, daß er Ernestinens Bräutigam sei und daß sie sich heiraten wollten.

Gustav meinte darauf nur: Das kenne er schon! Wer weiß, wie vielen Mädeln Häschke bereits die Ehe versprochen habe. Er müsse doch verrückt sein, wenn er seine Schwester einem solchen Vagabunden zum Weibe gebe.

Man war inzwischen in die Nähe der Kaserne gekommen. Möglichst geräuschlos stiegen sie die Treppe hinauf. Häschke schlich sich in die Männerkammer. Gustav nahm die Schwester mit sich in die Aufseherwohnung. Dort wartete ihrer Pauline, mit besorgter Miene.

Der Aufseher war unwirsch, er gab seiner Frau keine Antwort auf ihre Fragen.

Die beiden Frauen wechselten einen Blick des Einverständnisses, den der Mann nicht bemerkte.

* * *

Die Verstimmung dauerte ein Paar Tage; Gustav sprach nicht mit Häschke, die Schwester behandelte er wie die schlechteste seiner Arbeiterinnen. Des Nachts stand er zwei- dreimal auf, untersuchte den Männerschlafsaal, horchte an der Thür der Mädchen.

Am meisten hatte Pauline unter seiner Laune zu leiden. Sie sei mit den beiden im Bunde, behauptete er. Von irgend welchen Erklärungen und Entschuldigungen wollte er nichts wissen. Wenn man ihm sagte, Häschke meine es ehrlich und werde Ernestinen heiraten, bekam er einen roten Kopf und schrie die Leute an: er kenne Häschkekarln, er habe drei Jahre mit ihm gedient; auf weiteres ließ er sich nicht ein.

Mitten in diese Erregung fiel ein Brief aus der Heimat, von Frau Katschner an Pauline.

Die Witwe schrieb:

»Liebe Tochter!

Ich ergreife die Feder, um Dir zu schreiben. Hier ist es jetzt sehr einsam ohne Euch und gehen allerhand Dinge vor sich. Die gnädige Herrschaft aus Berlin sind wieder auf dem Schlosse mit den gnädigen Kontessen und Fräulein Bumille habe ich auch besucht und läßt Dich schön grüßen. Kontesse Wanda ist nun richtig versprochen mit ihrem Bräutigam neulich ist er auch schon in Saland gewesen bei ihr. Er ist ein kleiner Mann der Bräutigam, die Wanda ist nicht hübsch mit ihm, sagt Fräulein Bumille, wir freuen uns aber sehr daß es ein Prinz ist. Die Hochzeit soll allerdings großartig und sehr fein werden, sagt Fräulein Bumille, mit Essen und Trinken natürlich da soll nichts abgehen und Herrschaften aus Berlin und die hohen prinzlichen Verwandten und Freundschaft. Wir werden da etwas zu sehen bekommen und das ganze Dorf wartet schon darauf im Herbst soll es sein. Nun muß ich Dir noch etwas anderes sagen, nämlich dem Traugott Büttner haben sie doch den Hof weggenommen und das ganze Gut, was die Gläubiger sind. Und die alten Leute sind nun ganz alleine, weil daß doch die Toni weg is, nach Berlin sagen sie, aber kein Mensch weiß was von der Toni schreiben thut se nich. Die Leute reden alles Mögliche! Ihren kleinen Jungen hat sie zur Therese gegeben was auch nich schön is die Leute haben sich alle gewundert. Karl und Therese sind nämlich jetzt in Wörmsbach, die haben's doch auch nicht dazu. Den alten Leuten natürlich geht es gar nicht gut Traugott Büttner is so stille und simeliert in einer Dur die Leute sagen es wäre nicht richtig mit ihm, sprechen sie. Allerdings hat er viel Kummer und Herzeleid erlebt und ärgern hat er sich auch sehr müssen. Die Bäuerin ist sehr geringe geworden, so geringe, wie die Frau is! Ich sagte über Buschlobeln am Sonntag sagte ich: Die löscht aus wie ein Licht, habe ich gesagt. Sie hat schon das Wasser in den Beinen und zu beißen und zu brechen haben sie allerdings auch nichts auf dem Bauerngute, weil ihnen doch Herr Harrassowitz alles weggepfändt hat. Überhaupt die Ochsen hat der auch weggenommen, das kannst Du Gustaven sagen. Die Not ist groß wenn nicht gute Menschen helfen, wissen wir nicht was der liebe Gott noch verhängen mag über die armen Menschenkinder. Die Büttners was die alten Leute sind waren doch immer so fleißige und ordentliche Leute, das sagt ein jeds und nu sowas zu erleben! Die Leute sagen auch hier im Dorfe, daß sich Kaschelernst schämen müßte denn der soll doch bloß den Bauern reingebracht haben und kein anderer. Ich schließe hiermit und wünsche daß es Euch immerdar gut gehen möge und alle gesund bleiben wie es mir auch geht Deine liebe Mutter.

Clementine Katschner.«

Der Brief machte Eindruck auf alle, die ihn lasen. Die Nachrichten aus der Heimat waren spärlich geflossen. Der Büttnerbauer nahm die Feder ungern zur Hand, zu allerletzt, gewiß zu einem Briefe.

So hatte man denn von den wichtigen Ereignissen der letzten Zeit höchstens von weitem etwas vernommen, durch Briefe, die an andere Sachsengänger aus der gemeinsamen Heimat kamen.

Gustav hatte sich viel mit geheimen Sorgen um den Vater und seine Angelegenheiten getragen. Die letzten Ereignisse waren von ihm ja vorausgesehen worden. Aber nun kam die schwere Erkrankung der Mutter noch zu allem Jammer hinzu.

Der Vater um Haus und Hof gebracht! Die alten Leute gänzlich allein in ihrer Not! – Es war ein Elend, wie es größer nicht sein konnte!

Frau Katschners beredter Brief machte die Runde bei den Familienmitgliedern. Man sprach über die Vorgänge in der Heimat und beriet, was geschehen solle. So wurden die Zwistigkeiten, die eben noch geherrscht hatten, in den Hintergrund gerückt.

Man kam zu dem Schlusse, daß es das Beste sei, den Eltern eine Summe Geldes zu schicken. Sie legten zusammen von ihren Ersparnissen. Auch Häschkekarl bat, beisteuern zu dürfen. Sein Geldstück wurde nicht abgewiesen.

Gustav erlebte noch eine besondere Genugthuung: als unter den Mädchen bekannt geworden war, wie schlecht es den Eltern ihres Aufsehers gehe, sammelten auch sie, ganz im Stillen, unter sich und brachten ihm eines Tages ein ganz stattliches Sümmchen, das er mit nach Halbenau an die alten Leute schicken möge.

Eine Versöhnung fand nicht statt zwischen Gustav und Häschke. Aber mit der Zeit sprach der Aufseher doch wieder mit dem Geliebten seiner Schwester.



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