Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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XI.

Ernestine überbrachte eines Tages ihrem Bruder Gustav einen Brief von Häschke. Dabei erzählte sie, daß sie in der nächsten Zeit Halbenau verlassen werde, ihr Bräutigam habe eine Wohnung gemietet und wolle sie nun heiraten.

Eigentlich hatte Ernestine gewünscht, daß die Hochzeit in Halbenau stattfinden solle; aber Häschke hatte gemeint, da müsse man sich womöglich kirchlich einsegnen lassen, und »den Mumpitz« mache er nicht mit. Ernestine fand sich schließlich darein. Sie war schon so weit von der fortgeschrittenen Weltanschauung ihres Bräutigams angesteckt, daß sie sich aus solchen altmodischen Gebräuchen, wie kirchliche Trauung und Taufe, nichts mehr machte. Da sie außerdem praktisch war, sagte sie sich, daß man durch Weglassen dieser Ceremonien Geld ersparen könne, welches anderweit besser zu verwenden sei.

Häschke berichtete in seinem Briefe an Gustav, daß er in einer Maschinenfabrik Anstellung als Schlosser gefunden habe. Er setzte dem Freunde zu, daß er's ihm nachmachen solle. In der Stadt sei doch ein ganz anderes Leben, als in dem langweiligen Dorfe. Auf einen grünen Zweig werde er in Halbenau doch niemals kommen. Wenn Gustav ihm Auftrag gebe, wolle er sich für ihn um einen Dienst bemühen. Gustav solle ihm sofort seine Papiere einsenden. Er werde ihm schon etwas Passendes ausfindig machen. Gediente Unteroffiziere hätten immer Aussicht, genommen zu werden.

In Gustav rief dieser Brief geradezu eine Gährung hervor.

Seit er neulich auf dem Rückwege aus der Rübengegend das Leben der großen Stadt wieder einmal gekostet hatte, war ihm die geheime Sehnsucht danach nicht wieder aus der Seele gewichen.

Es bedurfte nicht viel Zuredens von Seiten Häschkekarls, um diese Träume und Wünsche, beunruhigend und verführerisch, wie sie nun einmal für das Landkind waren, lebendig zu machen.

Der Abend vor allem, wo er in Häschkes Gesellschaft jener großen Volksversammlungen beigewohnt, hatten sich unauslöschlich seinem Gedächtnisse eingeprägt. Die Tausende, welche in atemloser Spannung den Worten ihrer Führer gelauscht, die eindringlichen Worte, welche die schlichten Arbeiter gesprochen, der mächtige sinnberauschende Applaus, wenn einer das rechte Wort gefunden, die Disziplin, die Opferwilligkeit, der Korpsgeist – nichts von den tiefen Eindrücken, die er in jenen Tagen in sich aufgenommen, war dem jungen Manne abhanden gekommen.

Was er da gesammelt hatte an neuen Erfahrungen und Gedanken, was er damals, weil es zu viel auf einmal gewesen, nicht hatte verarbeiten können, war doch in ihm geblieben, hatte sich gesetzt und verdichtet, zu einer neuen Weltanschauung. So wie er gewesen war, konnte er nie wieder werden; er hatte in geistigem Sinne seine Unschuld verloren. Er fühlte es selbst, bei den unbedeutendsten Anlässen, daß er mit anderen Augen in die Welt sehe.

Vor allem aber war eine tiefe Sehnsucht in ihn gekommen, die ihm keine Ruhe mehr ließ, die Sehnsucht, heraus zu gelangen aus der Enge seiner bisherigen Umgebung, Neues zu sehen und zu erleben, seinen Gesichtskreis zu erweitern, teilzunehmen an dem Leben der großen Welt.

Diese Sehnsucht trieb ihn aus seiner Heimat weg, in die Stadt. Dort war das wahrhaftige Leben allein! In der Stadt fand man Anregung und Gesellschaft. Dort erfuhr man, was vorging in der weiten Welt. Da ging einem eine Ahnung auf von dem, was man selbst wollte und sollte. Da war man unter Tausenden und Abertausenden, und doch ein selbstständiger, freier Mensch.

Auf dem Lande glichen die Arbeiter dem Lasttiere, das seine Arbeit verrichtet, sein Futter vertilgt und nur erwacht, um von neuem zur Arbeit getrieben zu werden. So dämmerten die meisten Leute auf dem Dorfe dahin, stumpf und gelangweilt, ohne viel mehr nachzudenken, als das liebe Vieh.

Nein! solch ein Leben wollte er nicht weiter führen! Wenn man einmal starb, wollte man doch wenigstens sich sagen können, daß man gelebt habe.

Er hatte ja früher die Heimat geliebt – er liebte sie noch – aber, es war zu vieles vorgefallen, in den letzten Jahren, was ihm die Freude an dem Heim vergällt hatte.

Ja, wenn er's so hätte haben können, wie sein Großvater Leberecht – dem er, wie die Menschen behaupteten, in vielen Stücken ähnelte – wenn er auf freiem Gute hätte selbständig schalten und walten dürfen, als sein eigner Herr, da hätte er wohl jede Arbeit auf sich nehmen wollen, wäre sicher gewesen, etwas Rechtes vor sich zu bringen. Aber so, wo das Glück der Familie vernichtet war! Wo einer hätte wieder ganz von vorn anfangen müssen! wo ihm, dem Bauernsohne, nichts übrig blieb, als sich als Tagelöhner oder Knecht zu verdingen! –

Nein! da wollte er doch lieber ganz von dem Orte weg gehen, wo er und seine Vorfahren einstmals bessere Tage gesehen hatten. In der Stadt kannte ihn wenigstens keiner! Da konnte ihn niemand verhöhnen, daß er hatte herabsteigen müssen, daß er, der einstmals kommandiert hatte, nun selbst dienen mußte.

Was er früher nicht für möglich gehalten haben würde, der Abschied von der Heimat, wurde ihm jetzt nicht einmal schwer. Die Wurzeln, die ihn einstmals so fest mit diesem Boden verbunden hatten, waren eben eine nach der anderen durchschnitten worden; er war jetzt auch so ein loser Baum, den man leicht ausheben und verpflanzen kann.

Mehr und mehr fing er an, seiner dörfischen Umgebung überdrüssig zu werden, ja sie im Grunde seines Herzens zu verachten. Auf dem Dorfe war man wie in einem dunklen, engen, dumpfen Zimmer, in welches das Licht höchstens durch Ritzen und Klinzen eindringt. Da draußen, in der Welt, in der Stadt, da winkte das große rauschende Glück, das Vergnügen, die Freiheit, die Selbständigkeit! –

So gab er denn seiner Schwester Ernestine, als sie Halbenau verließ, seine Papiere mit, die sie Häschke übergeben sollte.

Das Mädchen ging der Zukunft leichten Herzens entgegen. Sie hatte bereits der vorige Sommer der Heimat entfremdet. Sie lebte längst mit ihren Gedanken und Plänen in einer neuen Welt, die mit dem ländlichen Heim wenig gemein hatte. Ein Vaterhaus, von dem sie hätten Abschied nehmen müssen, gab es ja für die Büttnerschen Kinder nicht mehr.

Um die Zukunft machte sich die leichtherzige Ernestine wenig Sorge. Häschke verdiente jetzt zwanzig Mark in der Woche. Mit der Zeit hatte er Aussicht, Monteur zu werden, so schrieb er selbst. Außerdem konnte man zur Verbesserung des Einkommens ja auch Kostgänger und Schlafburschen aufnehmen. Ein größeres Quartier war darauflos schon gemietet worden.

Das Mädchen würde vielleicht nicht einmal vom Vater Abschied genommen haben, wenn nicht Gustav es ausdrücklich von ihr verlangt hätte.

Der Abschied war kühl und steif. Ernestine, die doch sonst nicht gerade auf den Mund gefallen war, wußte dem Vater kein liebes Wort zu sagen.

Der alte Mann brachte es auch zu keiner herzlichen Äußerung dem letzten Kinde gegenüber, das nun von ihm ging.

* * *

Karl war, nachdem man seine Wunde im Kretscham notdürftig gewaschen und verbunden hatte, in seine Behausung nach Wörmsbach geschafft worden.

Nachdem ihm der Arzt das dichte Haar rings um die Wunde abgeschnitten hatte, fand sich, daß die Schädeldecke stark verletzt war. Es mußte geradezu ein Wunder genannt werden, daß er mit dem Leben davon gekommen war. Die Heilung ging langsam von statten.

Seine Frau leistete in dieser Zeit Übermenschliches. Der Kranke war trotz seine Schwäche nicht leicht zu pflegen, er delirierte stark. Die Nahrung mußte ihm auf künstlichem Wege zugeführt werden.

Therese hatte sich bis dahin nie sonderlich um die Krankenpflege gekümmert; jetzt ließ die Not sie auch diese Dienste erlernen.

Sie mußte dazu die Kinder versorgen, das Hauswesen im Gange erhalten, dabei kein Geld im Hause! Denn Karl hatte in der Periode seiner Liederlichkeit alles bis auf einen kleinen Rest verthan.

Und nun kam das Frühjahr heran; da hätte das Feld bestellt werden mögen. Wovon sollte man denn die Pacht an Harrassowitz bezahlen?

Sam war schon einmal dagewesen. Er zeigte sich sehr ungehalten. Wenn es nicht besser werde, müsse er sie heraussetzen. Säufer und Nichtsthuer könne er nicht gebrauchen.

Was blieb für Therese da anderes übrig, als selbst das Feld zu bestellen! Die Kühe hatte Harrassowitz inzwischen weggenommen. Sie spannte sich also vor die Egge. Der älteste Junge, kaum sechs Jahre alt, mußte mit Hacke und Schaufel hantieren.

Es galt die größten Anstrengungen, denn wenn Harrassowitz sein Wort wahrmachte, dann blieb ihnen nichts, als das Armenhaus.

Daß Karl jemals wieder zu vollen Kräften kommen werde, war unwahrscheinlich. Auch nachdem die Kopfwunde verheilt war und das Fieber nachgelassen hatte, blieb ein allgemeiner Schwächezustand zurück. Die Sprache hatte gelitten; bestimmte Laute vermochte die Zunge überhaupt nicht mehr zu bilden, Das Gedächtnis war geschwächt. Karl, der sich niemals durch besondere Geistesgaben ausgezeichnet hatte, war völlig zum Trottel geworden.

Eines Tages, als Therese vom Felde heimkehrte, fand sie den Kretschamwirt von Halbenau bei Karl sitzen. Kaschelernst schien bereits eine ganze Weile mit ihm gewesen zu sein. Was die beiden zusammen gesprochen, erfuhr Therese nicht.

Der alte Kaschel machte einen durchaus vergnügten Eindruck.

Er spielte sich ganz auf den Unbefangenen; meinte, er sei nur im Vorübergehen mal eingetreten, um zu sehen, wie sie eigentlich lebten. Was zu essen hatte er mitgebracht – auch ganz zufällig, wie er behauptete – einige Würste und einen Schinken. Die ließ er da, damit Karl davon esse und wieder zu Kräften kommen möge.

»Er is wie a Bissel dumm in Koppe!« sagte Kaschelernst zu Theresen, als er in sein Korbwägelchen gestiegen war. »Er meent, er kann sich uf nischt nich mehr besinnen, meent er.« Dabei beobachtete er, durch sein verschmitztes Lächeln hindurch, Theresens Miene genau. »Weeß er denne gar nischt mehr, wie er damals hingefallen is, in der Besoffenheet und sich das Luch in Kupp geschlagen hat? – he!«

»Ar is ne gefallen!« erwiderte Therese. »Ibern Kupp ha'n se'n gehaun.«

»Soit Karl su?«

»Ne! ar soit's ne, weil daß er vun nischt ne mih was weeß.«

»Wer soit's denne?«

»Nu, was de Leite sen, die soin's alle, 's hätt' 'n eener ibern Kupp gehaun.«

Kaschelernst schnalzte mit der Zunge. »De Leute raden vill, was ne wahr is. – Desderwegen!« . . . Vergnügt schmunzelnd fuhr er von dannen.

Wenige Tage darauf erschienen zwei Herren vom Gericht bei Karl Büttner. Es handelte sich um die Voruntersuchung gegen Richard Kaschel.

Karl wurde aufs eingehendste vernommen. Viel war freilich nicht aus ihm herauszubekommen. Er wußte nur noch wenig von jenem für ihn so verhängnisvollen Abend im Kretscham zu Halbenau. Darüber, wie er zu der Wunde am Kopfe gekommen, vermochte er nichts Stichhaltiges anzugeben.

Immerhin belasteten die Aussagen anderer Zeugen den jungen Kaschel soweit, daß es zur Verhandlung kam.

Es ward festgestellt, daß es Streit gegeben habe, zwischen Karl und seinem Vetter. Ferner wurde ausgesagt, daß Richard Kaschel es gewesen, der die Leute aufgefordert habe, den Betrunkenen hinauszuwerfen. Das Gravierendste aber war, daß mehrere Zeugen sich besinnnen konnten, die eiserne Stange, die zum Festhalten der Thür diente, in der Hand des Angeklagten gesehen zu haben. Daß aber Richard den Schlag geführt habe, der Karl verletzt haben sollte, wollte niemand beschwören.

Der Angeklagte selbst behauptete, er sei nicht mit draußen gewesen vor dem Kretscham, habe vielmehr die eiserne Stange, auf Befehl seines Vaters, sofort wieder eingelegt.

Der alte Kaschel, der unbeeidigt vernommen wurde, bestätigte die Aussagen seines Sohnes.

Der Angeklagte wurde freigesprochen.

Die öffentliche Meinung schrieb trotzdem dem Gastwirtssohne die That zu.

Man schimpfte weidlich auf die Kaschels, und verwünschte sie. Erst hatten sie den alten Büttner ruiniert, ihn von Haus und Hof gebracht, und nun hatten sie ihm auch noch den Sohn für Lebzeiten elend gemacht.

Aber solche Worte fielen nur hinter dem Rücken der Kaschels. Ihnen etwas in's Gesicht zu sagen, wagte niemand; sie waren zu gefährlich.

Richard Kaschel zeigte sich, nachdem er hier mit einem blauen Auge davon gekommen, anmaßender und übermütiger denn je. Das Spielen setzte er fort. Er ging oft weit über Land, oder fuhr in die Stadt, um seiner Leidenschaft zu fröhnen.

Dem alten Kaschel wurde unheimlich zu Mute dabei. Mehr als einmal schon hatte er ein Loch zustopfen müssen für den hoffnungsvollen Sprößling.



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