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Nun begannen große Umwälzungen im Bauernhofe. Baumeister und Zimmermann erschienen. Im Wohnzimmer wurden die Dielen aufgerissen, die alten erblindeten Fensterscheiben durch neue große und glänzende ersetzt. Dann kamen die Ofensetzer. Der alte Kachelherd mit Backröhre und Pfanne, der zwei Zimmer geheizt hatte, auf dem die verstorbene Bäuerin das Essen für die Familie, zugleich mit dem Angemenge für das Vieh, zubereitet hatte, wurde weggerissen und an seine Stelle ein städtischer Porzellanofen gesetzt. Die Küche kam in den Nebenraum. Maler und Tapezierer erschienen. Die Holzverkleidung ward von den Wänden gerissen, gemalt und geweißt wurde, und in die Zimmer für die zukünftige junge Frau kamen sogar Tapeten.
Der neue Herr kam öfters von der Stadt heraus, und trieb die Handwerksleute zur Eile an; er wollte bald einziehen.
Der Büttnerbauer wurde von einem Winkel in den anderen getrieben. Er war wie ein altes Tier, dem aus Gnade das Leben gelassen wird.
Überall im Hause herrschten die Handwerker. Schließlich zog sich der Alte mit einem Bündel Sachen in einen Bretterverschlag auf den Boden zurück, um dort zu hausen.
Auf dem Felde war's ein Gleiches. Überall Neuerungen! –
Die Ziegelei wuchs und dehnte sich aus. Jetzt hatten sie ein neues Lehmlager entdeckt, das noch besseres Material enthalten sollte, als das erste. Dort wurde abgegraben. Herr Berger, der neue Besitzer, ließ einen Schienenstrang von der Grube nach der Ziegelei legen.
Das ganze Gut ward verbitzelt. Die großen Schläge, einstmals des alten Bauern Stolz und Freude, waren in lauter schmale Streifen zerteilt, auf denen kleine Wirte ihre vier, fünf verschiedenen Früchte bauten.
Auch im Walde gab es Veränderungen. Schon im Herbste hatte der gräfliche Oberförster Kahlschlag machen und Hügel zur Kultur aufwerfen lassen. Kaum war der Schnee gewichen, wurde mit der Anpflanzung begonnen.
Der alte Mann haßte all das Neue, das vor seinen Augen entstand. Es lag so etwas Aufdringliches, Vorwitziges in dem, was diese jungen Leute anstellten.
Vierzig Jahre hatte er nach der Väter Weise gewirtschaftet, und nun über Nacht, plötzlich, ward alles umgestürzt, das Oberste zu unterst gekehrt, seine Arbeit verwüstet, als sei sie nichts wert.
Sein Lebenswerk wurde für nichts geachtet. Die Spuren seiner Thätigkeit waren ausgewischt. Das, was jeder Mensch als mächtigsten Trieb und Sporn zum Handeln in sich trägt, der eigentliche Erreger alles menschlichen Strebens und Schaffens, das Verlangen nach irdischer Unsterblichkeit, der Wunsch, in seinen Werken das ewige Leben zu haben – dieses Denkmal, das jeder Tüchtige sich zu errichten strebt, damit Kinder und Kindeskinder seiner gedenken, auf daß sein Wesen und Wollen nicht von der Vergessenheit Nacht verschlungen werde – dieser Abdruck seiner Persönlichkeit, der in diesem Grundstück: Haus, Hof, Feldern, Wiesen und Wald, eingeschlossen lag, war zerstört; fremde Hände hatten in wenigen Monaten das zur Unkenntlichkeit verändert, was er und seine Vorfahren im Laufe eines Zeitraumes, der nach Generationen gerechnet werden mußte, in Treue und Liebe und Frömmigkeit aufgerichtet hatten.
Die Zeit war über ihn hinweggeschritten.
Nun wurde er in die Ecke gestellt, ein verbrauchtes altmodisches Gerät. Er war ein Baumstumpf, der mit samt den Wurzeln ausgerodet ist; so lag er auf dem Boden, dem er, als er in voller Kraft und Blüte gestanden, seinen Schatten gespendet hatte. Die tausendfältigen Beziehungen, die jeden mit der Mitwelt verbinden, die unzähligen Würzelchen, mit denen wir jeden Augenblick Kräfte saugen und Kräfte zurückgeben, waren durchschnitten. Er war unnütz geworden für sich und die anderen. Er konnte aus der Welt gehen, und nirgens würde eine Lücke klaffen.
Zweck- und ziellos ging er umher, im Dorfe, über die Felder, durch den Wald. Wann wäre das früher jemals vorgekommen! Da hatte jeder Gang sein Ziel, da wurde er, außer Feiertags, niemals unbeschäftigt angetroffen. Aber, was sollte er jetzt anfangen? Wofür seine Hände rühren?
Die Leute redeten ihn an, einzelne aus Mitleid, die meisten aus Neugier; sein Wesen war allen ein Rätsel.
Aber, da man fast nie eine Antwort von ihm erhielt, unterblieb das Anreden mit der Zeit. Die Kinder lachten wohl über die struppige Erscheinung des Alten, liefen ihm nach; auch Erwachsene wagten hie und da eine Spottrede hinter seinem Rücken. Aber in's Gesicht ihn zu höhnen, wagte niemand; das Elend hatte noch nicht ganz die Ehrfurcht gebietende Würde aus der Erscheinung des Greises gelöscht.
Der Pfarrer stellte den alten Mann auf der Straße und ging eine Strecke mit ihm. Da gab es zarte Vorwürfe zu hören, daß Büttner nicht mehr zur Predigt und zum Tische des Herrn komme. Der Bauer zuckte verdrossen die Achseln, blieb dem Seelsorger die Antwort schuldig.
Ein andermal traf Büttner mit dem Güterdirektor des Grafen zusammen. Hauptmann Schroff hielt sein Pferd an und begrüßte den alten Mann. Der Hauptmann beklagte, daß alles so gekommen wäre. Nun das Bauerngut nicht mehr für ihn zu haben sei, habe der Graf seinen Sinn geändert. Er bereue jetzt, den Juden hineingelassen zu haben. Die neue Nachbarschaft sei dem Herrn Grafen ein Greuel. –
Der Hauptmann sah wohl selbst ein, daß solche Reden zu spät kamen und niemanden etwas nützen konnten. Er drückte dem Alten die Hand, überließ ihn seiner Einsamkeit.
Was wollten die Leute von ihm? Der Alte verachtete sie im Grunde seiner Seele alle. Alles Reden war sinnlos, alles Mitleid verschwendet! Jedes Wort der Teilnahme bedeutete eine Erniedrigung für ihn. Nur in Ruhe sollten sie ihn lassen, das war das einzige, was er noch von ihnen verlangte.
* * *
Auch dem Sohne eröffnete sich der alte Mann nicht. Der gehörte ja auch zu den Jungen, zu dieser neuen Generation, die keck über ihn hinweggewachsen war.
Gustav war ja auch diesem Boden entstammt, aber er war nicht so fest mit ihm verwachsen, daß er das Verpflanztwerden nicht überstanden hätte. Er stand jetzt im Begriffe, sich in neuen Verhältnissen ein neues Heim aufzurichten für sich und die Seinen.
Soeben war von Häschke eine Antwort eingetroffen. Er hatte eine Stelle für den Freund gefunden. Gustav sollte in einem großen Hause der inneren Stadt die Vizewirtsstelle übernehmen.
Es war ein verantwortungsreicher Posten. Im Hinterhause befand sich eine Kartonagenfabrik, die über hundert Leute beschäftigte. Im Parterre des Vorderhauses war ein Bankgeschäft, im ersten Stock eine Versicherungsgesellschaft; alles in allem wohnten in dem weitläufigen Gebäude einige zwanzig verschiedene Parteien.
Gustavs ausgezeichnete Militärpapiere hatten den Ausschlag gegeben, als er zu dieser Stellung gewählt wurde. Häschke riet, daß er sofort annehmen solle; es gäbe eine ganze Anzahl anderer Bewerber für den Posten.
Für Gustav war es nichts Kleines, sich hier zu entscheiden. Vieles daran war verlockend: die feste Anstellung, das auskömmliche Gehalt; übergroße Anstrengung war mit einem solchen Posten auch nicht verbunden und man behielt Zeit übrig für sich und die Seinen.
Auf der anderen Seite gab es mancherlei Unerquickliches an einer solchen Stellung. Man brachte mit seiner Arbeit nichts Bleibendes vor sich, woran man seine Freude hätte haben können. Die Aussicht, Höheres zu erreichen, sich selbst vorwärts zu bringen, war ausgeschlossen. Man war der Diener von tausend beliebigen Leuten. Und was Gustav als das Schwerste erschien: er wurde herausgerissen aus dem von Jugend auf gewohnten Leben. Vom Acker weg wurde er in ein städtisches Souterrain verpflanzt, in das vielleicht die Sonne nicht einmal am Tage drang. Wie würde er, wie würde Pauline, das ertragen?
Erst jetzt, wo er vor die Entscheidung gestellt war, merkte er, was er vorhatte: daß er einen Strich mache unter seine eigene Vergangenheit, daß er mit der vielhundertjährigen Überlieferung seiner Familie breche, daß er im Begriff stehe, aus einem Landmann ein Städter zu werden.
Er besprach die Sache mit Pauline. Sie überließ ihm, wie in allen wichtigen Fragen, auch diesmal die Entscheidung. Ihr genügte, bei ihm bleiben zu dürfen, alles andere solle ihr recht sein.
Schließlich erkannte Gustav, daß es eine Wahl für ihn gar nicht mehr gebe; er mußte annehmen. Der Winter hatte die Ersparnisse des vorigen Sommers verschlungen. Als Aufseher wieder in die Rübengegend zu gehen, hatte er verschworen. In der Heimat gab es keine Beschäftigung für ihn, wenn er nicht tagelöhnern wollte. Er mußte also nach dem greifen, was sich ihm bot, um sich und die Seinen vor Mangel zu bewahren.
Die Stelle war durch Todesfall erledigt, und Häschke hatte geschrieben, daß Gustav so bald wie möglich antreten müsse. Es hieß also, in wenigen Tagen packen und Abschied nehmen.
Ein Plan war in Gustav gereift: er wollte den Vater auffordern, mit ihnen in die Stadt zu ziehen.
Gustav war sich nicht im Unklaren, was er damit auf sich nehme. Es würde nichts Leichtes sein für alle Teile; der alte Mann war schwierig, würde kein bequemer Hausgast sein. Besonders in der Stadt war das nichts Kleines, wo man enge aufeinander saß, wo alle die mannigfaltigen Abziehungen des ländlichen Berufes fehlten.
Aber es mußte sein! Pauline sowohl, wie Gustav, waren sich klar darüber, daß sie den Vater nicht in seinem Elend allein lassen durften. Was sollte aus ihm werden in Halbenau, wenn sie nun auch fortgingen? Wenn es niemanden mehr gab, der sich um die Notdurft des Alten kümmerte! Das Armenhaus war der wahrscheinliche Abschluß.
Eine solche Schande wollte man nicht auf sich laden. Der Familiensinn, der bei Gustav nicht völlig untergegangen war, sprach mit. Soweit war es mit den Büttners doch noch nicht gekommen, daß man das Familienoberhaupt hätte in Schmutz und Armut verkommen lassen mögen, ohne eine Hand zu rühren. Die Leute würden mit Fingern auf solch' unnatürliche Kinder gewiesen haben. Diese Schmach wollte Gustav seinem Namen nicht anthun.
Als sie jedoch mit dem Vater davon sprachen, stießen sie auf Widerstand. Er wolle nicht in die Stadt, erklärte er.
Sie hielten ihm vor, was seiner in Zukunft in Halbenau warte: das Einliegerelend, die Abhängigkeit von wildfremden Menschen, die ihn als ihren Knecht behandeln und ihm, wenn es ihnen paßte, den Stuhl vor die Thür setzen würden. Und was, wenn er krank würde! Wer würde ihn pflegen?
All das hielten sie ihm vor. Ob es Eindruck auf ihn mache, oder nicht, war nicht zu ersehen. Er sagte nicht: ja und nicht: nein, trug seine gewöhnliche mürrisch verschlossene Miene zur Schau.
Gustav machte einen Versuch, ihn beim Ehrgefühl zu packen. Sollte er sich bei seinen Jahren noch als Tagelöhner verdingen? Wollte er wirklich in die Ziegelei gehen auf Arbeit? Er, der ehemalige Großbauer: Ziegelstreicher! Oder wollte er gar der Gemeinde zur Last fallen? –
Aber auch hierauf zeichnete er nicht. Er schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Es schien fast, als hege er einen wohlüberlegten Plan, einen Entschluß in seinem Innern, den er niemandem verraten wollte.
Seine Kinder drangen noch einmal in ihn. Sie stellten ihm dar, wie schön er es bei ihnen haben werde. Man wolle ihm ein Stübchen ganz für sich lassen. Häschke habe von einem Gärtchen geschrieben, das Gustav mit im Stand zu halten hätte; diese Arbeit solle er übernehmen, damit er doch seine Beschäftigung habe. – Es verschlug alles nichts. Man konnte zweifelhaft werden, ob er überhaupt die Worte höre; seine Züge waren leer, seine Augen schienen auf etwas gerichtet: weit, weit in der Ferne, das nur er sah.
Gustav gab es schließlich auf, dem Vater noch länger zuzureden. Wenn der nicht wollte, dann brachten ihn zehn Pferde nicht von der Stelle. Er war eben ein Büttner! –
Aber Pauline ließ die Hoffnung noch nicht fahren, den alten Mann zu überreden. Sie war, seit sie Gustav geheiratet, der besondere Liebling des Alten geworden. Ihr gegenüber hatte er hie und da sogar etwas von seinem Kummer blicken lassen.
Die junge Frau sprach den Schwiegervater noch einmal unter vier Augen, mit jener innigen, schlichten Herzlichkeit, die ihr zu Gebote stand, meinte sie: sie wollten's ihm auch so gut machen, als er sich's nur denken könne.
Sie hoffte, ihn vielleicht mit der Kost locken zu können. Sie wolle ihm so kochen, wie er's gewohnt sei, von der Mutter her, und wie sie wisse, daß er's gern habe.
Da traten dem Alten plötzlich die Thränen in die Augen; mit einer Weichheit, die man sonst nicht an ihm gewohnt war, sagte er: »Ne, ne! Pauline, laß ack! Du bist gutt! – Ich weeß, Ihr meent's gutt mit mir alen Manne. Aber, laß ack!« . . .
Dann versank er in Nachdenken.
Sie wagte es, seine Hände zu ergreifen und sie zu streicheln. Noch einmal stellte sie ihm dann vor, wie viel besser er's haben könne, wenn er bei seinen eigenen Leuten bliebe, als unter Fremden.
»'s is alles eens, Pauline!« war seine Antwort. »Mit mir is eemal nischt nich! Mir nutzt nischt nich mih! Ich were bale ganz alle sen!«
Sie meinte dagegen: er werde noch manches Jahr erleben; er sei ja rüstig und nehme es noch mit manchem Jungen auf.
»Ne, ne! ich ha's 'n dicke! Ich ha's 'n schun ganz dicke! – De Mutter is nu och tut. 's is ne schiene su alleene ei der Welt.«
Er schnäuzte sich und wischte die Augen; beides mit der Hand. Dann fuhr er fort: »Gieht Ihr ack! und laßt mich Ales in Frieden. Ihr sed jung! Ihr wißt ne, wie's unsereenem zu Mute is. Ihr kennt's ne wissen. Das kann niemand nich verstiehn, wie's unsereenem um's Harze is. – Su manchmal, Nächtens – su alleene – und an Tage och, su verlassen! Mer mechte sich winschen, daß de Sunne gar ne nich scheinen thate. Alles is eenem zuwider! Ne, ne! das verstieht niemand ne, der's ne derlabt hat! – Laßt mich ack! Ich wer' schun a Platzel finden; is ne ei der Welt, dann is am Ende, kann sen, haußen.«
Pauline schluchzte laut auf, als sie den alten Mann so sprechen hörte.
»Ju, ju! Su is! Ich glob', ich wer mich ne lange mih zu schinden han. – Ich will Der och noch was mitgahn, Pauline, zum Adenken, eh' daß 'r gieht.«
Damit ging er nach seinem Bretterverschlag auf den Boden und kam nach einiger Zeit, den Arm voll Kleidungsstücken, zurück.
Da war eine wattierte Puffjacke der Bäuerin, eine seidene Schürze, die er mal seiner Braut zum Geschenk gemacht hatte, etwas Leibwäsche der Verstorbenen und noch Kleinigkeiten aus dem Nachlasse der Bäuerin, mit denen er Paulinen beschenkte.
Auch Gustav sollte bedacht werden. Der Alte schleppte seinen Schafwollpelz herbei, den er seit dreißig und mehr Jahren führte.
Pauline weigerte sich, den Pelz für ihren Mann anzunehmen; den müsse der Vater behalten, damit er im Winter was Warmes habe.
»Ich wer' keenen Winter mehr sahn!« sagte der Bauer.
Da er böse zu werden drohte über ihre Weigerung, nahm sie den Pelz schließlich an, zum Schein. Sie wollte ihn der eigenen Mutter übergeben, die ihn einstweilen aufbewahren und dem Alten bei beginnender Winterszeit zurückstellen sollte. –
An einem Sonntag Morgen in der Frühe nahmen Gustav und Pauline Abschied von Halbenau. Ihre Abreise hatte manchen Freund und manche Freundin herbeigelockt. Frau Katschner schwamm in Thränen. Sie mußte der Tochter heilig versprechen, daß sie nach dem alten Büttner sehen werde.
Die Witwe hatte im Stillen noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß ihr noch ein zweites Mal die Freuden des Ehestandes zu teil werden möchten. Im geheimsten Kämmerchen ihres Herzens regierte kein anderer, als Traugott Büttner allein.
Der alte Mann war nicht erschienen, um von seinen Kindern Abschied zu nehmen. Die Leute sagten, er sei auf dem Wege nach der Kirche gesehen worden.