Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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Zweites Buch.

I.

Eines Tages wurde dem Büttnerbauer ein Schreiben vom Amtsgericht zugestellt. Es war ein Zahlungsbefehl. Das Gesuch dazu war von Ernst Kaschel gestellt, welcher Zahlung seiner siebzehnhundert Mark nebst Zinsen und Kosten verlangte, widrigenfalls er mit Zwangsvollstreckung drohte.

Die Nachricht schlug wie ein Blitzstrahl ein. Trotz seiner mangelhaften Kenntnis von der Rechtspflege, begriff der alte Mann doch sofort, was das zu bedeuten habe. Nun stand es fest, daß Kaschelernst seinen Untergang wollte; dies hier war die Waffe, mit der er ihm auf den Leib rückte. Zwangsvollstreckung und in letzter Linie Zwangsversteigerung des Gutes, darauf hatte der Kretschamwirt es abgesehen.

Der Büttnerbauer hatte in seinem Leben mehr als ein Gut der Nachbarschaft unter dem Hammer weggehen sehen. Manchen Bauern hatte er gekannt, der als wohlhabender Mann angefangen, und schließlich mit dem weißen Stabe in der Hand aus dem Hofe geschritten war. Zwangsversteigerung! Der Gedanke daran konnte einem das Blut in den Adern gerinnen machen. Das war das Ende von allem! Der Bauer, dem das geschah, war gestrichen aus der Liste der Lebenden, losgerissen von seinem Gute, ausgerodet, hinausgeworfen auf die Landstraße, wie man ein Unkraut aus dem Acker rauft und über den Zaun wirft. –

Gustav war der einzige von der ganzen Familie, mit dem der Bauer von diesem neuesten Unglück sprach. Gustav sah sofort die Gefährlichkeit der Lage ein. Er sagte sich, daß etwas geschehen müsse, um die angedrohte Maßregel zu verhindern. Zunächst schien es immer noch das vernünftigste, mit Kaschelernst selbst Rücksprache zu nehmen. Am Ende ließ er sich doch dazu bringen, Stundung zu gewähren, vor allem wenn man ihm vorstellte, daß er sein Geld bei einer Zwangsvollstreckung kaum herausbekommen und im Falle der Versteigerung sogar gänzlich einbüßen werde. Dadurch gewann man Frist, und währenddessen gelang es vielleicht, von anderer Seite Hülfe zu schaffen.

Gustav ging also noch am selben Morgen, als die Urkunde vom Gericht eingetroffen war, nach dem Kretscham. Leicht wurde ihm der Gang nicht. Er würde bitten müssen, auf alle Fälle sich demütigen vor den Verwandten. Dabei war ihm die ganze Familie widerlich. Seinen Onkel Kaschel hatte er nie ausstehen mögen. Wenn er an seine Kousine Ottilie dachte, hätte ihm übel werden können. Und auch mit seinem Vetter Richard stand er auf gespanntem Fuße, seit er ihn, als Jungen, einmal windelweich geprügelt. Gustav hatte den Vetter nämlich dabei überrascht, wie er mit dem Pustrohre nach einem Huhn schoß, das er an einen Baum angebunden hatte, als lebendige Zielscheibe. Diese Züchtigung hatte Richard Kaschel wohl nicht so leicht vergessen.

Gustav traf in der Schenkstube seine Kousine Ottilie. Er fragte sie, ohne Umschweife, nach dem Vater. Der sei im Keller mit Richard und ziehe Bier ab, erklärte das Mädchen, verlegen kichernd. Dann bat sie den Vetter, doch ins gute Zimmer zu treten. Dieser Raum lag neben der großen Gaststube, und unterschied sich von ihr in seiner Ausstattung eigentlich nur durch ein Paar schlechte Öldrucke, welche den Kaiser und die Kaiserin darstellten.

Hier mußte Gustav Platz nehmen. Ottilie war übergeschäftig um ihn bemüht, ihm einen Stuhl zurechtzurücken und den Tisch vor ihm mit einem Tuche abzuwischen. Dabei blinzelte sie den Vetter mit vielsagendem Lächeln von der Seite an. Er sei von der Stadt her verwöhnt, zirpte sie mit erkünstelt hoher Stimme, aber er müsse eben hier vorlieb nehmen, mit dem, was er vorfände. Es sei doch recht langweilig in Halbenau. Warum sich denn der Vetter nicht öfter mal blicken lasse. Und zum Tanze sei er noch gar nicht gesehen worden im Kretscham. Die Mädchen hier seien ihm wohl nicht fein genug? –

Gustav antwortete kaum auf ihre Bemerkungen. Er witterte etwas von Eifersucht in dem Wesen der Kousine. Hübsch war sie nicht, mit ihrem Kropfansatz, der langen überbauten Figur und dem schiefen Munde, der neuerdings eine Zahnlücke aufwies. Doch dafür konnte sie schließlich nichts. Aber, was für eine Schlampe sie war! So herumzulaufen! Mit zerrissenen Strümpfen, zerschlissener Taille, und ungemachtem Haar. Und sowas wollte die reichste Erbin in Halbenau sein! Gustav stellte unwillkürlich Vergleiche an, zwischen ihrer Schmuddelei und der Sauberkeit, die stets um Pauline herrschte.

Ottilie lief plötzlich hinaus. Er glaubte es sei, um den Vater herbeizuholen. Eine ganze Weile hatte er zu warten. Dann kam das Mädchen zurück, aber ohne den Wirt. Sie brachte vielmehr ein Brett, mit Frühstück darauf. Da waren verschiedene Flaschen und Schüsseln. Freundlich lächelnd setzte sie das vor den Vetter hin.

Gustav war ärgerlich. Zwar ein Kostverächter war er nie gewesen, und bei den Eltern ging es neuerdings schmal genug her; ein Frühstück nahm er immer gern an. Aber von der hier bewirtet zu werden, das paßte ihm ganz und gar nicht. Ihr Anblick konnte ihm jeden Appetit verderben.

Ottilie schien den Widerwillen nicht zu bemerken, den sie einflößte. Sie schenkte ein, zunächst ein Glas Bier, neben das sie noch, zur Auswahl, ein kleineres Glas mit rötlichem Inhalt stellte. Dann setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch, und sah ihm zu, wie er aß und trank, mit dem Ausdrucke innigster Befriedigung in ihren Zügen.

Es entging ihm nicht, daß sie sich inzwischen eine andere Taille angezogen hatte. Er mußte unwillkürlich lächeln über soviel verlorene Mühe. Schöner sah sie in dem rot und gelb gemusterten Zeuge auch nicht aus, mit ihrer flachen Brust und der gilblichen Hautfarbe. Das Mädchen that sein Möglichstes, um den Vetter zum zulangen zu bringen. Nach jedem Schlucke, den er nahm, schenkte sie nach, so daß der Inhalt des Glases niemals abnahm.

Gustavs gesunder Appetit hatte bald den anfänglichen Widerwillen überwunden. Zudem fragte er sich, warum er die Thorheit dieses Frauenzimmers nicht ausnutzen solle. Er ließ sich seines Onkels Bier, Schnaps und Schinken gut schmecken.

Als er sich soweit gesättigt hatte, daß er nicht mehr imstande war, noch einen Bissen herunterzubringen, schob er den Teller von sich. Ottilie sprang auf, holte Zigarren und brannte ihm eigenhändig eine an.

Er bat sie, daß sie nun den Vater aus dem Keller holen möge. Sie meinte darauf, das habe ja noch Zeit. Man habe sich doch so mancherlei zu erzählen, wenn man sich so lange nicht gesehen. Dabei wechselte sie den Platz, setzte sich an seine Seite. Das wurde ihm doch zuviel des Guten. Es bedurfte einer sehr energischen Aufforderung von seiner Seite, daß sie sich bewogen fühlte, endlich den Vater herbeizurufen.

Der Wirt erschien, wie gewöhnlich, in Pantoffeln, die Zipfelmütze auf dem Kopfe, die Hände unter der blauen Schürze. Hinter ihm sein Sohn wußte die Haltung des Vaters vortrefflich nachzuahmen. Nach Kaschelscher Art begrüßten sie Gustav mit Kichern und Grinsen, das sich bei jedem Worte, das gesprochen wurde, erneuerte.

»Ottilie! Ich nahm o eenen!« rief der Wirt. »Vun an Bierabziehn kann ens schon warm warn. Newohr Richard?«

Der Sohn feixte dummdreist, und schielte falsch verlegen nach dem Vetter hin. Er mochte an die Lektion denken, die er von dem einstmals empfangen hatte.

Gustav, um etwas zu sagen, fragte, ob Richard nicht bald zu den Soldaten müsse. Da erhellten sich die Gesichter von Vater und Sohn gleichzeitig. Der Alte meinte schmunzelnd: »Ar is frei gekummen. Ju ju! Richard is militärfrei!« Gustav sprach seine Verwunderung darüber aus, Richard habe doch seines Wissens kein Gebrechen. »Nu, mir wußten och nischt dervon, sulange. Aber, der Herr Oberstabsarzt meente, er hätte Krampfadern an linken Beene. Ju ju! Krampfadern thaten se's heeßen. Newohr Richard? Und da wurd' 'r zuricke gestellt. Nu ich ha' natirlich nischt ne dadergegen, und der Junge erscht recht ne. Newuhr Richard?« Der alte Kaschel schüttelte sich vor Lachen. Er schien es für einen besonders genialen Streich seines Sohnes anzusehen, daß er in Folge seiner Krampfadern militäruntüchtig war. Gustav hätte gern offen heraus gesagt, was ihm auf der Zunge lag, daß dem Bengel die militärische Zucht gewiß recht gut gethan haben würde, aber er unterdrückte die Bemerkung. Er hütete sich, in diesem Augenblicke, etwas zu äußern, was den Onkel hätte verdrießen können. Er war ja als Bittsteller hierhergekommen.

Er begann nunmehr mit seinem Anliegen herauszurücken. Sobald der Onkel merkte, daß von Geschäften gesprochen werden solle, schickte er Ottilien aus dem Zimmer. Zu Gustavs Verdrusse blieb aber Richard anwesend. Gustav saß an der breiten Seite des Tisches, die beiden Kaschels ihm gegenüber. In den Angesichtern von Vater und Sohn, deren Ähnlichkeit hier, wo sie so dicht bei einander waren, in unangenehmster Weise sich aufdrängte, lauerte die nämliche, unter blöder Miene verborgene, dreiste Schlauheit.

Sie ließen den Vetter reden. Lächelnd, hin und wieder mit den Augen zwinkernd, hörten sie sich seinen Bericht mit an. Gustav sprach mit Offenheit. Die mißliche Lage seines Vaters war ja doch nicht mehr zu verbergen. Er erklärte, daß, bestünde der Onkel auf seiner Forderung, der Bankrott des Bauern sicher wäre. Dann bat er den Onkel, sich noch zu gedulden. Die Zinsen seiner Forderung sollten pünktlich gezahlt werden, dafür wolle er sich persönlich verbürgen. Mit der Zeit würde man auch an ein Abzahlen des Kapitals gehen. Wenn der Onkel es aber zum äußersten treibe, dann sei das Gut verloren und damit auch seine Forderung.

Gustav hatte sich das, was er sagen wollte, vorher wohl überlegt. Aber, wie das so geht, er sagte schließlich ganz andere Dinge und brauchte ganz andere Wendung, als er beabsichtigt. Die Ruhe der beiden, die ihn nicht mit einem Worte unterbrachen, warf ihm seinen ganzen Entwurf über den Haufen. Er hatte sich vorgenommen, mit Begeisterung zu sprechen, hatte den Onkel mit warmen Worten an das Familieninteresse mahnen wollen. Sollte denn dieses Gut, das so lange im Besitze der Familie gewesen, unter dem Hammer weggehen? Sollte der Bauer, als alter Mann, von Haus und Hof getrieben werden, und mit seinem grauen Haar auf das Almosen der Gemeinde angewiesen sein? Das könne doch der Onkel nie und nimmer verantworten! Das werde er doch nicht mit ansehen wollen! Das sei man doch der Familie schuldig, solche Schmach zu verhindern! er habe ja doch eine Tochter aus dem Büttnerschen Gute zur Frau gehabt; um des Andenkens der Verstorbenen willen, möge er doch seine Hülfe nicht versagen! – So etwa hatte der junge Mann zu seinem Verwandten sprechen wollen.

Aber, er fühlte es, diesen Rattengesichtern gegenüber, mit ihrer lauernden Bosheit, war jede Begeisterung weggeworfen. Durch jedes wärmere Wort mußte er sich lächerlich machen. Er merkte, wie er immer unsicherer wurde, und wie der Widerwillen gegen das was er sagte, ihm zum Halse stieg. Was hatten denn diese beiden da in einem fort zu nicken, zu winken und mit den Augen zu zwinkern. Einer genau, wie der andere, als bestände eine geheime Verbindung zwischen Vater und Sohn, als verständen sie ihre Gedanken, ohne einander anzusehen. Sie belustigten sich wohl gar über ihn? Alles was er hier vorbrachte, diente am Ende nur ihrer anmaßenden Schadenfreude zur willkommenen Nahrung!

Ziemlich unvermittelt fragte Gustav auf einmal: was der Onkel eigentlich bezwecke mit seiner Kündigung? Ob er es etwa zur Subhastation des Bauerngutes treiben wolle, um das Gut dann selbst zu erstehen?

Kaschelernst wich dieser Frage aus, sich nach seiner Art hinter ein Lachen versteckend. Aber der Neffe ließ nicht locker, diesmal. Weshalb er das Geld gekündigt und den Zahlungsbefehl veranlaßt habe, wolle er wissen. Das müsse seinen ganz besonderen Grund haben, denn der Onkel wisse recht gut, daß der Bauer im gegenwärtigen Augenblick nicht im Stande sei, ihn zu befriedigen.

Der Onkel fragte dagegen: ob das nicht sein gutes Recht sei? Kaschelernst war jetzt selbst etwas aus seinem gewohnten Gleichmut gekommen. Gustav sah ihn zum erstenmale aus der Rolle des harmlosen Biedermannes fallen.

Man war inzwischen auf beiden Seiten aufgestanden. Der Tisch befand sich noch immer zwischen Gustav und den Kaschels.

Gustav wiederholte noch einmal seine Frage, ob der Onkel den Zahlungsantrag zurückziehen wolle.

»Ich war an Teifel tun!« rief Kaschelernst protzig. Der Sohn kicherte dazu.

Gustav fühlte, daß er seine Wut nicht länger bändigen könne. Er mußte irgendetwas thun, sich Luft zu verschaffen: die beiden beleidigen, die Kränkung vergelten.

Er preßte die Stuhllehne vor sich zwischen seinen Fäusten. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, diesen hier seinen Haß zu verbergen. Mit bleichen Wangen und der keuchenden Stimme des aufsteigenden Zornes sagte er: »'s is schon gut so! Ich hätt' mer's eegentlich denken können. Nu weeß ich's aber, wie's steht! Ihr steckt mit dem Harrassowitz unter eener Decke. Na, Ihr seid ene schöne Sorte Verwandte. Ich komme über Eure Schwelle nich mehr, davor seid'r sicher! Pfui Luder über solches Pack. – Schämt Eich!« – Damit ging er, auf seinem Wege durch das Zimmer an verschiedene Stühle und Tischkanten anrennend.

Der Kretschamwirt lief dem Neffen nach. Von der Thür aus rief er hinter ihm drein: »Warte mal! Wart ack Kleener! Ich ha' noch a Wörtel mit D'r. Wenn d'r und 'r denkt, Ihr kennt mich lapp'g machen, da seit'r an Falschen geraten. Dei Vater is immer a Uchse gewast, ar hat keenen größern in seinen eegnen Stalle stiehn. Sicke dumme Karlen, die brauchen gar kee Pauerngutt. Ob sei Gutt untern Hammer kimmt, ob's d' Ihr alle zusammde betteln gihn mißt, das is mir ganz egal! Verreckt Ihr meintswegen! Mit Eich ha'ch kee Mitleed – ich ne!«

Gustav war schon außer Hörweite und vernahm die weiteren Schimpfreden nicht, die ihm der Onkel noch auf die Gasse nachrief.

* * *

Gustav wollte, da er bei dem Kretschamwirt nichts ausgerichtet hatte, seinen Onkel Karl Leberecht Büttner aufsuchen, und dessen Hülfe anrufen. Freilich war dazu eine Eisenbahnfahrt von mehreren Stunden nötig. Aber er meinte diese Ausgabe nicht scheuen zu dürfen, denn es blieb thatsächlich die letzte Hoffnung. Der Onkel war wohlhabend; vielleicht konnte man ihn dazu bringen, etwas für seinen leiblichen Bruder zu thun.

Ehe Gustav die Garnison verlassen, hatte er sich noch einen Anzug von dunkelblauem Stoff anfertigen lassen. Pauline fand, daß ihm die neuen Kleider ausgezeichnet stünden. Auch einen ziemlich neuen Hut besaß er, und ein Paar Stiefeln, die noch nirgends geflickt waren. So konnte er denn die Reise guten Mutes wagen. Er wollte bei den Verwandten in der Stadt nicht den Eindruck eines Bettlers machen. Sie sollten sehen, daß sie sich der in der Heimat zurückgebliebenen Familienglieder nicht zu schämen brauchten.

So trat er die Fahrt an. Angemeldet hatte er sich nicht bei den Verwandten, damit sie ihm nicht abschreiben konnten. Denn Gustav war sich dessen wohl bewußt, daß man ihm und den Seinen nicht allzu günstig gesinnt sei, von jener Seite. Das hatte sich ja auch in der plötzlichen Kündigung der Hypothek, im Frühjahre, ausgesprochen.

Der alte Bauer hegte nicht die geringste Hoffnung, daß die Reise seines Sohnes irgendwelchen Erfolg haben könne. Er hielt nicht viel von Karl Leberecht. Der Bruder war ihm im Alter am nächsten gewesen, von den Geschwistern. Sie hatten sich als Jungens stets in den Haaren gelegen. Karl Leberecht war lebhaft gewesen und geweckt, zu allerhand Streichen aufgelegt, ein »Sausewind und Würgebund«, wie ihn der Bauer noch jetzt zu bezeichnen pflegte, wenn er von dem jüngeren Bruder sprach. Gustav ließ sich jedoch durch das Abreden des Vaters nicht irre machen. Karl Leberecht mochte in der Jugend gewesen sein wie er wollte, er hatte es jedenfalls zu etwas gebracht im Leben. Und er war und blieb auf alle Fälle der Bruder des Vaters. Vielleicht schlummerte der Familiensinn doch noch in ihm, und es bedurfte nur der richtigen Ansprache, um ihn zu wecken.

Aus dem Briefe, welchen damals der Vetter – der, wie er, den Namen Gustav trug – geschrieben hatte, ersah er, daß das Materialwarengeschäft von Karl Leberecht Büttner und Sohn am Marktplatze gelegen war. Dorthin richtete Gustav also seine Schritte. Nach einigem Suchen fand er die Firma, die in goldenen Lettern auf schwarzem Untergrunde weithin leuchtend prangte.

Es war ein eigenes Gefühl für den jungen Menschen, seinen eigenen Namen auf dem prächtigen Schilde zu lesen. Gustav ging nicht sofort in den Laden hinein, eine geraume Weile betrachtete er sich erst das Geschäft von außen mit ehrfurchtsvoller Scheu. Das war ja viel größer und glänzender, als er sich's vorgestellt hatte.

Das Büttner'sche Geschäft bestand aus einem geräumigen Eckladen, der mit zwei Schaufenstern nach dem Markte hinaus blickte und außerdem noch mehrere kleinere Fenster nach einer Seitengasse hatte. Eine reiche Auswahl von Verkaufsartikeln lag da ausgestellt: Kaffee und Thee in Glasbüchsen, Seifen, Bisquits in Kästen, Lichte in Paketen, Südfrüchte, Tabak, Viktualien aller Art, Spezereien, Droguen. In dem einen der vorderen Schaufenster saß ein Chinese, der mit dem Kopfe wackelte. Auf einem Plakate, welches Karawanenthee anpries, war ein Kamel abgebildet, von einem Araber geführt, auf dem Rücken einen mächtigen Berg von Kästen und Ballen tragend.

Gustav stand da, staunend. Obgleich er als Soldat mehrere Jahre in einer größeren Stadt kaserniert gewesen, war doch das Landkind lebendig in ihm geblieben. Alles Fremde, besonders wenn es unverständlich war, imponierte ihm gewaltig. Diese Schaufenster mit den vielen fremdartigen Dingen, bestärkten ihn in der Vermutung, daß der Onkel doch sehr reich sein müsse. Und wenn man bedachte: der Mann stammte aus Halbenau! Hatte das Vieh gehütet und Mist aufgeladen, wie jeder andere Bauernjunge. Dann war er davongelaufen, weil er's daheim nicht mehr ausgehalten; wohl hauptsächlich, weil sein Vater, der alte Leberecht, ihn nicht aufkommen lassen wollte, neben dem älteren Bruder und Erben des Hofes. So war er denn in die Fremde gegangen, hatte alles Mögliche erlebt und erfahren, hatte die verschiedensten Lebensstellungen innegehabt. Markthelfer war er unter anderem gewesen. Als solcher hatte er in ein Grünwarengeschäft geheiratet und damit den Grund zu seinem Vermögen gelegt.

Ja, in der Stadt da konnte man es noch zu etwas bringen! In Gustav stieg ein bitteres Gefühl auf, als er sich hier umsah, und das Leben und Treiben ringsum betrachtete: den Marktverkehr, die Häuserreihen, die glänzenden Läden. – Wenn man damit die Öde der dörfischen Heimat verglich! Er fühlte sich etwas herabgestimmt in seinem Selbstbewußtsein, und seiner Zuversicht, trotz des neuen Anzugs. Die Verwandten würden ihn doch am Ende nicht als voll ansehen. – Nachdem er eine Weile vor dem Laden auf- und abgegangen, entschloß er sich schließlich doch, hineinzugehen.

Eine ganze Anzahl junger Leute war dort thätig. Der eine von ihnen, ein langer schmächtiger mit einer Brille, fragte den Eintretenden, was zu Diensten stünde. Gustav nannte seinen Namen und sagte, daß er mit dem Onkel zu sprechen wünsche. Der junge Herr sah sich den Fremden daraufhin genauer mit forschenden Blicken durch seine Brillengläser an. Der Vater sei leider nicht im Laden, erklärte er.

Also, das war der Vetter! Gustav maß den Mann, der seinen Namen trug, mit neugierigen Blicken. Ein ziemlich großer hagerer Mensch von gebückter Haltung stand vor ihm. Dem Manne sah man es nicht an, daß sein Vater auf dem Lande geboren, daß alle seine Vatersvorfahren durch Jahrhunderte hinter dem Pfluge hergeschritten waren. Und doch war in dieser Schulmeistererscheinung eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verwandten nicht zu verkennen. Die Kopfform, die großen Hände und Füße, der Haarwuchs erinnerte an die Büttners von Halbenau.

Zwischen den beiden Vettern gab es eine Verlegenheitspause. Sie waren durch das Gefühl bedrückt, in naher Blutsverbindung zu stehen und einander doch unendlich fremd zu sein. Man maß sich mit spähenden, mißtrauischen Blicken und wußte einander nichts zu sagen. Gustav, der Bauernsohn, verachtete im geheimen diesen dürren Bläßling, der Tag ein Tag aus hinter dem Ladentisch stehen und die Kunden bedienen mußte. Aber seine Verachtung war dabei nicht ganz frei von einem gewissen Neid, den das Landkind der Überlegenheit des Städters gegenüber selten verwindet. Und Gustav, der Mitinhaber der Firma: Karl Leberecht Büttner und Sohn, belächelte seinen Vetter vom Dorfe, mit den unbeholfenen Manieren.

Ein Paar Leute vom Markt kamen herein, die bedient sein wollten. Nachdem die Kunden abgefertigt waren, schlug der Kaufmann seinem Vetter vor, in die Wohnung des Vaters zu gehen; der »Alte« werde wohl zu Haus sein. Er gab ihm einen Lehrling mit, damit er den Weg finde. Unter Führung eines halbwüchsigen Bürschchens gelangte Gustav so zur Wohnung der Verwandten.

Mit dem Onkel fand sich Gustav schneller zurecht, als mit dem Vetter. Der Mann war wirklich sein Blutsverwandter. Der große derbknochige Alte mit bartlosem geröteten Gesicht, und buschigem grauen Haar sah dem Büttnerbauer nicht unähnlich. Wäre nicht das gestickte Käppchen auf dem Kopfe, die Safianpantoffeln und die Kleider von städtischem Schnitt gewesen, hätte man Karl Leberecht Büttner wohl für einen Halbenauer ansprechen können. In seinem Augenblinzeln und dem verschmitzten Lächeln kam die Bauernpfiffigkeit zum Ausdruck. Auch in seiner Aussprache waren noch heimatliche Anklänge zu finden. Mit derber Herzlichkeit empfing er den Sohn seines Bruders.

Der Neffe wurde zum niedersitzen aufgefordert, bekam ein Glas Wein vorgesetzt, und mußte erzählen, zunächst über die Familie, sodann von anderen Leuten aus Halbenau, auf die sich der alte Mann noch besann. Freilich über viele, nach denen der Onkel fragte, vermochte Gustav keine Auskunft zu geben; sie waren gestorben, weggezogen, verschollen.

Die Teilnahme, welche der Alte an den Tag legte für diese Dinge, stärkte Gustavs Zuversicht. Der Onkel hatte noch nicht allen Sinn verloren für die Heimat; soviel stand fest! Als der alte Mann sich nach der Lage des Gutes und der Wirtschaft erkundigte, benutzte Gustav die Gelegenheit, ihm die Not zu eröffnen, in welcher sich sein Vater befand.

Karl Leberecht Büttner war sichtlich überrascht Er schüttelte wiederholt den Kopf. »Na sowas! Na solche Sachen!« war seine Rede. Daß es mit seinem Bruder nicht glänzend stehe, hatte er sich ja gedacht, aber daß es so schlimm sei! . . . Er seufzte; sein Gesicht nahm einen trüben Ausdruck an.

Durch diese Anzeichen ermutigt, rückte Gustav mit seinem Ansinnen heraus: der Onkel solle die eingeklagten siebzehnhundert Mark an Kaschelernst auszahlen, und dafür dessen Hypothek übernehmen.

Karl Leberecht runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen in die Höhe, und blickte starr vor sich hin, die Backen aufblasend – genau wie es der Büttnerbauer machte, wenn ihm etwas überraschend kam – dann rückte er sich auf seinem Sitze zurecht, meinte die Sache sei bös; ließ sich Gustavs Plan aber doch noch einmal auseinandersetzen.

Gustav sprach mit Lebhaftigkeit und Wärme. Er redete alles, was er auf dem Herzen hatte, herunter. Dem Onkel gegenüber wurde es ihm leicht, da stockte ihm nicht das Wort auf der Zunge, wie neulich vor den Kaschels. Er bestürmte den alten Mann, er stellte ihm die Sache im günstigsten Lichte dar, und wunderte sich beim Sprechen selbst über die eindringlichen Worte, die er fand.

Der Alte kratzte sich hinter dem Ohre, sprach von den schlechten Zeiten und meinte, er habe alles Geld im Geschäfte stecken; aber er lehnte nicht völlig ab. Seine Einwendungen wurden immer schwächer. Halb und halb schien er der Sache gewonnen.

Gustav frohlockte in seinem Inneren; nun glaubte er gewonnenes Spiel zu haben. Er beschloß, die Gunst der Lage auszunutzen, und bat den Onkel, auch die Zinsen und Kosten mit zu belegen.

Der Alte sagte nicht ja und nicht nein. Die Sache schien ihm Unruhe zu bereiten. Er lief im Zimmer umher, kraute sich den Kopf, rieb die großen Bauernfäuste gegen einander, fiel beim Sprechen unwillkürlich in den Dialekt seiner Jugend zurück; der deutlichste Beweis, daß er innerlich erregt war. »Ne ne! Su schnell gieht das ne! Ihr denkt wohl uf'n Dorfe, wir hier in der Stadt, wir hätten's Geld, wie Hei. Wenn's Eich schlacht gieht, mit uns stieht's erscht recht schlacht mit'n Geschäften. Wenn de Bauern, und se kommen nich in de Stadt zum Einkaufen, das merken mir gar sehre im Handel. Geld is gar keens da. Und nu gar ich! Wenn ich auch gerne mechte, und ich wollte Traugotten helfen, kann ich denn, wie ich mechte! Unser Geschäft! – Nu ja, die Firma Büttner und Sohn kann sich sehen lassen.«

Hier machte er in seinem Rundgange Halt und fragte den Neffen, ob er sich den Laden angesehen habe. Gustav bejahte und gab seiner Bewunderung unverhohlenen Ausdruck. Dem Alten that das sichtlich wohl, er schmunzelte über das ganze Gesicht. »Und da solltest De erscht mal unser Lager sahn!« rief er. »Hernachen da wird'st De Maul und Nase ufreißen. Na Gustav mag Dr's mal zeigen 's Lager. Sowas giebt's in Halbenau freilich nich!« –

Karl Leberecht hegte noch die naive Freude des Emporkömmlings an seinem Glücke. Es war ihm ein Genuß, sich dem armen Verwandten gegenüber in seinem Wohlstande und Überflusse zu zeigen. Er sprach von dem Umsatze, den er jährlich habe, von den Leuten, die er beschäftige und den Löhnen, welche er zahle, er brüstete sich mit seinen Geschäftsverbindungen. Dann erzählte er, wie er von ganz klein angefangen, mit nichts. Er rühmte sich seiner armseligen Herkunft, und kargte nicht mit Selbstlob. Seiner Tüchtigkeit allein verdanke er es, daß er jetzt so dastehe. Er wolle dem Neffen mal auseinandersetzen, warum der Büttnerbauer und der ganze in Halbenau zurückgebliebene Teil der Familie es zu nichts gebracht habe. Dabei stellte er sich protzig vor Gustav hin, und legte ihm die Hände auf die Schultern: »Siehste! Ihr Pauern megt noch so sehr schuften und würgen, Ihr megt frih ufstehn und den ganzen Tag uf'n Flecke sein, Ihr megt sparen und jeden Pfeng umdrehn, wie Dei Vater 's macht, das nutzt Eich alles nischt! Ihr bringt's doch zu nischt, Ihr Pauern! Vorwärts kommt Ihr im Leben nich, eher rückwärts! Und das will ich Dir sagen, woran das liegt: das liegt daran, daß Ihr nich rechnen kennt. Was a richtger Pauer is, der kann nich rechnen. Und wer nich rechnen kann, der versteht och von Gelde nischt, und zu'n Geschäfte taugt er dann schon gar nischt. Heitzutage muß eener rechnen kennen; das is die Hauptsache. Sieh mich a mal an! Ich bi in Halbenau uf de Schule gegangen. Ich ha' och nich mehr gelernt, als dei Vater. Ich war a rechter Nichtsnutz als Junge, das kannst De globen! Aber, siehst De, rechnen hab' ich immer gekunnt. Da war ich immer a Lumich! Siehst De! Und dadermit ha ich's gemacht. Damit ha' ich mich durch de Welt gefunden. Und wer bin ich jetzt, und was seid Ihr! – Darum werd't Ihr Pauern 's och nie nich zu was bringen, weil, daß Ihr nich ordentlich rechnen kennt.« –

Gustav, für den diese Auseinandersetzung nicht gerade schmeichelhaft war, fühlte doch keine Veranlassung, dem Onkel zu widersprechen. Er kannte nur einen Wunsch, die Zusage von dem Alten zu erlangen; darum mußte man ihn bei guter Laune zu erhalten suchen. Er kam wieder auf sein Verlangen zurück.

Der Onkel klopfte ihm auf die Schulter, und lächelte ihn freundlich an. Er wolle sehen, was sich thun lasse, meinte er, und er sei nicht so einer, der seine Blutsverwandten im Stiche lasse; aber eine bindende Zusage gab er nicht. Er könne nichts Bestimmtes versprechen, erklärte er schließlich, von Gustav gedrängt; da hätten noch andere ein Wort mitzusprechen.

Im Nebenzimmer hatte Gustav zwischendurch Stimmen gehört; wie es ihm klang: weibliche Stimmen. Und zwar schien sich eine ältere mit einer jüngeren Frauensperson zu unterhalten. Schließlich that sich die Thür auf, und in's Zimmer trat eine alte Frau, die Tante, wie Gustav richtig vermutete.

Sie war um einige Jahre älter als ihr Gatte. Die grauen Haare trug sie unter einer Morgenhaube mit lila Bändern. Sie musterte den fremden jungen Mann aus kleinen Maulwurfsaugen neugierig spähend. Ihr altes verwelktes Gesicht nahm sofort einen beleidigten Ausdruck an, als sie vernahm, daß er ein Büttner aus Halbenau sei. Mit diesen Bauersleuten hatte sie nie etwas zu thun haben wollen. Sie würdigte den Neffen keiner Anrede, nahm den Gatten bei Seite und redete in ihn hinein, wispernd und hastig, mit einer Stimme, welche durch die Zahnlosigkeit so gut wie unverständlich wurde. Gustav konnte nicht verstehen, was sie sagte, er merkte nur an ihrem ganzen Benehmen, daß die Tante wenig zufrieden mit seiner Anwesenheit sei. Der Onkel schien sich vor ihr zu entschuldigen. Sein Wesen machte nicht mehr den zuversichtlichen Eindruck, wie zuvor. In ihrer Gegenwart erschien er minder selbstbewußt, ja geradezu kleinlaut.

›Pfeift der Wind aus der Ecke!‹ dachte Gustav bei sich. Also, der Onkel war nicht Herr im eigenen Hause! Da mußte er freilich für das Gelingen seiner Pläne zittern.

Bald kamen auch noch die anderen Mitglieder der Familie herbei: der Vetter, welchen Gustav vom Laden her kannte, und eine Cousine. Eine Anzahl anderer Kinder hatte geheiratet und befand sich außer dem Hause. Die Cousine war das jüngste Kind der Ehe, und stand im Anfang der zwanzig. Sie hätte können hübsch sein, wenn sie nicht die kleinen versteckten Augen der Mutter geerbt hätte. Auch sie hatte kaum einen Gruß für den Vetter übrig. Das war die richtige Stadtdame! Mit ihrer engen Taille, der hohen Frisur, und den wohlgepflegten Händen. Wenn Gustav damit seine Schwester verglich – und das war doch Geschwisterkind!

Es wurde ihm plötzlich sehr unbehaglich zu Mute. Mit diesen Leuten hatte er kaum etwas mehr gemein, als den Namen. Die ganze Umgebung mutete ihn fremd an: die polierten Tische, die Spiegel, die Sammetpolster. Überall Decken und Teppiche, als schäme man sich des einfachen Holzes. Dort stand sogar ein Piano, und auf einem Tischchen lagen Bücher in bunten Einbänden. Wie konnten sich die Leute nur wohlfühlen, umgeben von solchem Krimskrams! Man mußte sich ja fürchten, hier einen Schritt zu thun, oder sich zu setzen, aus Angst, etwas dabei zu verderben. Das war doch ganz etwas anderes, daheim, in der Familienstube. Da hatte jedes Ding seinen Zweck. Und auch mit den Leuten war man da besser daran, so wollte es Gustav scheinen; weniger fein waren sie allerdings als diese, aber sie waren offen und einfach, und nicht geziert und heimlich, wie die Sippe hier!

Es wurde zu Tisch gegangen. Gustav saß neben dem Onkel. Das war sein Glück; denn der hatte doch hin und wieder ein freundliches Wort für ihn. Die Tante ließ es bei mißgünstigen Blicken bewenden. Vetter und Cousine unterhielten sich die meiste Zeit über mit einem Eifer, als bekämen sie sich sonst niemals zu sehen. Dem Tone ihrer Unterhaltung merkte man die Schadenfreude an, darüber, daß der dumme Bauer doch nichts von dem verstehen könne, wovon sie sprachen.

Gustav dachte im Stillen, daß die Teller wohl nicht so oft gewechselt zu werden brauchten, aber, daß es dafür lieber etwas Handfesteres zu beißen geben möchte. Ein Mädchen ging herum, mit weißen Zwirnhandschuhen und einer Schürze angethan. Sie trug die Speisen vor sich auf einem Brette. So oft sie anbot, sagte sie: »Bitte schön!« Gustav fand alles das äußerst sinnlos. Von der Kaserne und dem Elternhause her, war er gewöhnt, daß man, ohne viele Umstände zu machen, aus einem Napfe aß, und sich setzte und aufstand nach Belieben. Aber hier war man an seinen Stuhl gebannt, mußte warten und schließlich mit kleinen, zugemessenen Portionen seinen Hunger stillen. Die Cousine rümpfte überlegen die Nase, als er während des Essens um ein Stück Brod bat, und zwar um ein großes, weil das seine schon alle geworden sei.

Nach Tisch, als man beim ›Stippkaffee‹ beisammen saß, kam noch ein junger Mann hinzu, der Bräutigam der Cousine. Ein geschniegeltes Herrchen, um einen Kopf kleiner als die Braut, welcher die Büttnersche Körperlänge eigen war. Der wohlpomadisierte junge Mann, mit einer bunten Weste über dem Schmerbauche, riß äußerst verwunderte Augen auf, als er einen Fremden in der Familie vorfand. Er beruhigte sich jedoch, nachdem er in einer Fensternische von seiner Braut genügende Aufklärung über Gustavs Persönlichkeit erhalten hatte.

Später zogen sich die Frauen zurück, damit die Männer von Geschäften sprechen könnten. Frau Büttner hatte zuvor noch ihrem Gatten mit wispernder Stimme Verhaltungsmaßregeln gegeben.

Gustav befand sich allein mit Onkel, Vetter und dem korpulenten Bräutigam. Man schien zu erwarten, daß er sprechen solle. Er merkte sehr bald, daß es ganz etwas anderes sei, vor diesen hier sein Anliegen vorzutragen, als am Morgen, wo er den Onkel allein hatte. Er fing einen Blick auf, den sich Vetter und Bräutigam zuwarfen.

Nachdem Gustav eine Weile gesprochen, nahm der Vetter das Wort. Gustav möge sich nur nicht weiter bemühen, sagte er, man werde auf seinen Plan nicht eingehen. Dann setzte er auseinander, warum das Geld nicht gegeben werden könne, ja, daß es ein »sträflicher Leichtsinn« sein würde, wenn man es geben wolle. Er sprach in Ausdrücken, die der Bauernsohn kaum verstehen konnte. Das Geld würde »à fond perdu« gegeben sein; von »non valeurs« und »Damnen Hypotheken« sprach er; man dürfe nicht »Lebendiges auf Totes legen,« erklärte er mit wichtiger Miene.

Der fette Bräutigam nickte Beistimmung, und Karl Leberecht lauschte mit einer gewissen Bewunderung den Auseinandersetzungen seines Sohnes. Er war stolz auf den Jungen, der so gelehrt sprechen konnte. Der war freilich auch auf der Handelsschule gewesen; von dort stammten seine schlechten Augen und die fremden Ausdrücke.

Das Ende war, daß Gustavs Anliegen im Familienrate abgeschlagen wurde. »Wir können es nicht verantworten, soviel Geld aus dem Geschäfte zu ziehen und in einer verlorenen Sache anzulegen,« so redete Karl Leberecht schließlich seinem Sohne nach.

Gustav zog unverrichteter Sache ab. Im letzten Augenblicke, als er sich schon verabschiedet hatte, im Halbdunkel des Flurs, steckte ihm der Onkel noch hastig etwas zu, ohne daß es die anderen bemerkt hätten. Es war, wie sich später, bei näherer Besichtigung, ergab: ein Kistchen extrafeiner Havannacigarren.

* * *

Nach solchen Erfahrungen sagte sich Gustav, daß an eine Erhaltung des Bauerngutes nicht mehr zu denken sei. Er war auf den väterlichen Hof zurückgekehrt, und half dem alten Manne nach wie vor in der Wirtschaft, aber im Stillen war er mit sich selbst ins reine gekommen, daß er sein Geschick von dem der Familie trennen müsse. Er stand nicht allein da, es gab Personen, die ihm noch näher standen als Eltern, Bruder und Schwestern; er mußte vor allen Dingen für die sorgen, die auf ihn als ihren alleinigen Ernährer blicken durften: für Pauline und den Jungen. Er war bereits beim Standesbeamten und beim Pastor gewesen und hatte gemeldet, daß er im Frühjahr seine Braut zu ehelichen beabsichtige.

Aber als Eheleute brauchten sie ein Heim. Auf dem Bauerngute konnte er mit Frau und Kind nicht leben, das war klar. Der Versorger einer Familie mußte einen festen Beruf haben. Das Gefühl wachsender Verantwortung lastete schwer auf dem jungen Mann, machte ihn unsicher in seinen Gefühlen und unstät in seinen Handlungen. Er ging viel in der Nachbarschaft umher, fragte, horchte hierhin und dahin, blickte auch in die Zeitungen, immer in der Erwartung, daß er etwas finden möchte, was ihm zusagte. Er wollte einen Dienst annehmen; welcher Art, das wußte er nicht einmal bestimmt. Mit allerhand abenteuerlichen Plänen trug er sich; sogar an's Auswandern dachte er.

Pauline hörte ihm ruhig zu, wenn er seine Zukunftspläne entwickelte. Sie wußte ihn zu trösten und aufzuheitern, durch die nie versiegende Güte ihres Wesens. Das Mädchen ließ sich von seinen Sorgen nicht anstecken. Seit sie seiner sicher geworden, war große Ruhe über ihr Gemüt gekommen. Als echte Frau vergaß sie in unsicherer Zeit nicht die Besorgung des Nächstliegenden. Jetzt galt ihr ganzes Sinnen und Trachten der Beschaffung ihrer Ausstattung. Wo sie wohnen und leben würde, das wußte noch niemand; aber, das war auch beinahe nebensächlich! Das eine stand fest, – das war das große Ereignis ihres Lebens, der köstliche Preis ihrer Liebe und Treue durch soviele Jahre – daß sie ein Paar wurden. Sie war ihm von ganzem Herzen dankbar dafür, daß er ihr doch die Treue gehalten. Wenn er jetzt auch manchmal unwirsch war und schlechte Laune zeigte, das beachtete sie kaum; dergleichen konnte sie nicht einen Augenblick an ihm irre machen. Sie liebte nicht mehr mit jener jungen, heiß aufwallenden und leicht gekränkten ersten Leidenschaft; ihre Liebe war die gesättigte, bewährte des befriedigten Weibes, das nur noch eine Sorge kennt, den Vater ihres Kindes dauernd als ihr Eigentum zu halten. Sie hatte ihren geheimen Ehrgeiz. Sie wollte nicht, daß Gustav sie ganz ohne Aussteuer nehmen solle. Wenn bei ihrer Armut das Brautfuder auch nur klein sein konnte, ganz mit leeren Händen wollte sie nicht kommen. Man sah sie in jener Zeit viel mit Schere, Zwirn und Elle beschäftigt, und Leinwand und bunte Stoffe lagen in ihrer bescheidenen Kammer ausgebreitet. –

Die Kunde war zu Gustav gedrungen, daß auf dem Rittergute die Stelle eines ersten Kutschers frei geworden sei. Er ging sofort hinüber, um sich darum zu bewerben. Die Nachricht erwies sich als ein falsches Gerücht. Der jetzige Kutscher dachte nicht daran, seinen gut bezahlten Posten aufzugeben. Bei dieser Gelegenheit lernte Gustav den gräflichen Güterdirektor, Hauptmann Schroff, kennen.

Gustav hatte den Namen dieses Mannes mehr als einmal nennen hören. Der alte Bauer pflegte seine grimmigste Miene aufzusetzen, wenn er von ihm sprach. Der treibe seinem Herrn die kleinen Leute vor's Gewehr, wie die Hasen, behauptete er. Von anderer Seite wieder hatte Gustav günstigere Urteile über den Hauptmann gehört. Er sei menschenfreundlich und vertrete seine Arbeiter der Herrschaft gegenüber, hieß es. Eine Anzahl neuer Arbeiterwohnungen, die erst kürzlich an Stelle der bisherigen elenden Baracken errichtet worden waren, redeten das Lob des Güterdirektors.

»Sind Sie etwa ein Sohn des alten Büttnerbauern?« fragte der Hauptmann.

»Zu Befehl Herr Hauptmann!«

»Giebt es denn auf dem Gute Ihres Vaters nichts für Sie zu thun?«

Das läge so in den Familienverhältnissen, gab Gustav ausweichend zur Antwort. Er schämte sich nämlich, daß er, der Sohn des Büttnerbauern, sich um einen Dienst bewerben mußte.

Hauptmann Schroff betrachtete sich den jungen Menschen genauer. Seine geweckten Züge und die stramme Haltung bestachen den ehemaligen Offizier.

»Von Ihnen könnte man am Ende mal was Genaueres erfahren, wie es mit der Büttnerschen Sache eigentlich steht – was?«

Gustav meinte: mit seinem Vater stehe es schlecht, und wenn ihm niemand zu Hilfe käme, würde er sich wohl nicht halten können.

»Genau, was ich Ihrem Vater vor einem halben Jahre gesagt habe! Aber, wer nicht hören wollte, war er,« rief der Hauptmann.

Die Unterhaltung hatte bis dahin auf dem Wirtschaftshofe des Rittergutes stattgefunden. Der Hauptmann hatte zwischendurch einige jüngere Gutsbeamte abgefertigt. Jetzt meinte er, Gustav möge ihn in seine Wohnung begleiten, es liege ihm daran, Näheres über die Angelegenheit zu erfahren.

Man ging auf einem gepflasterten Gange am Stalle entlang. Der Hof bestand aus einem länglichen Viereck. Auf der einen Langseite standen die Stallungen für Kühe und Zugvieh, gegenüber waren Schweine und Schafe untergebracht. Quer vor stand die mächtige Scheune mit vielen Tennen. In der Mitte des Hofes lag die Düngerstätte, von einem Ziegelwall umgeben, eine Schwemme für das Vieh daneben. Ein eingezäunter Raum war zum Fohlengarten bestimmt. Das geräumige Viereck wurde abgeschlossen durch ein stattliches Haus mit Walmdach, die Meierei, in welcher sich das gräfliche Rentamt befand. Hier wohnte auch der Güterdirektor. Die neuen Arbeiterwohnungen bildeten eine Kolonie für sich, umgeben von Deputatland, das durch den Fleiß der angesetzten Leute bereits in freundliche Gärten umgewandelt worden war. Vom Schlosse sah man von hier aus so gut wie gar nichts. Das lag hinter den dichten Kronen seines Parkes verborgen, als wolle es von dieser Stätte der Arbeit nichts sehen.

Hauptmann Schroff bewohnte im ersten Stockwerk des Meiereigebäudes zwei Zimmer. Die Einrichtung war einfach: lederbezogene Möbel, einige Rohrstühle, ein Bücherbrett, ein Sekretär. Alles was zum Rauchen gehört, war reichlich vertreten. Die Luft schon verriet, daß hier ein leidenschaftlicher Raucher sein Quartier aufgeschlagen habe. An den Wänden waren militärische Enbleme zwischen Jagdtrophäen zu erblicken. Über dem Schreibtisch hing das einzige Bild, welches das Zimmer schmückte. Es war ein sorgfältig gemaltes Ölbild, und stellte einen Landsitz dar. Ein wohnliches Haus, mit einer Bermuda davor. In dem bärtigen Manne, der dort inmitten seiner Familie saß, war der Hauptmann leicht wieder zu erkennen. Eine Frau in hellem Sommerkleide schien die Mutter der drei Blondköpfe zu sein. Das Bild hing wohl nicht ohne Grund an dieser Stelle. Vom Sofa aus, vom Sorgenstuhl, vom Schreibsessel – wo immer der Bewohner dieses Zimmers sitzen mochte der Ruhe pflegend, oder bei der Arbeit, – wenn er den Blick erhob, mußte er auf dieses Bild fallen.

Hauptmann Schroff war Witwer, schon seit einigen Jahren. Die Blondköpfe des Bildes waren jetzt erwachsene Menschen, und mußten gleich ihm die Füße unter fremder Leute Tischen wärmen.

Der Hauptmann bot Gustav Platz an. Dann holte er sich eine Pfeife aus der Ecke, die bereits gestopft war, und auf ihn dort gewartet zu haben schien. Mit Hilfe von Streichholz und Fidibus zündete er sie an und begann mächtige Dampfwolken zu entwickeln. Darauf warf er seine lange Gestalt in den Sorgenstuhl, schlug die Beine übereinander und meinte: »Na, nu erzählen Sie mir mal, Büttner! Ihr Vater ist ein alter Brummbär. Wenn man dem Manne was Gutes thun will, schnappt er womöglich noch nach einem. Sie sehen mir aus, als ob Sie vernünftiger wären – he!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Der Mann hatte sofort Gustavs ganzes Herz gewonnen. Er nahm kein Blatt vor den Mund, berichtete das Familienunglück, wie es gekommen war, von Anfang an, soviel er davon wußte: die Erbteilungsangelegenheit, die Überschuldung des Gutes, der Kampf des Vaters mit der Ungunst der Verhältnisse, Unglücksfälle, notwendige Anschaffungen, wachsende Ausgaben, schließlich völlige Verstrickung in die Netze der Gläubiger.

Hauptmann Schroff strich sich mit der Hand über den Bart, rückte unruhig in seinem Stuhle hin und her, wechselte die Beine, und stieß Wolke auf Wolke in die Luft, zwischendurch seufzte er; es schien, als ob ihn der Bericht keineswegs gleichgültig lasse.

Schließlich warf er die Pfeife weg und sprang auf. Fluchend lief er im Zimmer auf und ab. »Hatte ich mir's doch gedacht! Heiliges Kreuzdonner . . . Einem ehrlichen Menschen, der ihm helfen will, traut der Bauer ja niemals! Aber, wenn die Sorte kommt: Harrassowitz, Samuel Harrassowitz! Wo hat denn Ihr Vater seinen Verstand gelassen, als er dem Teufel den kleinen Finger gab! Weiß denn Ihr Alter nicht, daß dieser Jude drüben in Wörmsbach das halbe Dorf besitzt. Alles aufgekauft und in Parzellen zerschlachtet! Nun haben wir den Blutigel glücklich auch in Halbenau! der Marder im Hühnerstall ist nichts dagegen! Binnen Jahresfrist ist so einem alles tributpflichtig. Es ist um . . . Was soll denn nun werden, was soll geschehen?« Er blieb vor Gustav stehen; der zuckte mit trüber Miene die Achseln.

»Da seht Ihrs mal, Ihr Bauern, daß Ihr an Eurem Elend allein schuld seid! Euch ist nicht zu helfen! Wie die Schafe rennen sie ins Feuer hinein. – Ihr Vater ist nun ein Graukopf; man sollte denken, er hätte sich Weisheit kaufen können, bei allem, was er erlebt hat. Und so einer geht hin auf seine alten Tage und unterschreibt einen Wechsel beim Juden. Es ist um toll zu werden! Immer wieder die alte Geschichte! Bei Großen wie bei Kleinen. Daß einer mal vom Unglücke des anderen lernte – nein! Jeder muß die Erfahrung von vorn an wieder durchmachen, ehe er klug wird. Dann wenn's zu spät ist, kommen die Thränen – die Selbstanklagen – wenn's zu spät ist.«

Der Hauptmann war während der letzten Worte stehen geblieben, seinem Schreibtische gegenüber. Sein Blick war auf das Bild darüber gerichtet. Die verwitterten Züge des Mannes nahmen für einen Augenblick einen tief schmerzlichen Ausdruck an. Mit einer Handbewegung schien er das alles von sich schleudern zu wollen. Dann setzte er seinen Rundgang fort.

»Ja, was soll denn nun werden, Büttner?«

»Wenn der Herr Hauptmann keinen Rat wissen« . . .

»Wenn Ihr Vater damals vernünftig gewesen wäre, als ich ihn aufsuchte; damals war er noch frei, da hätten wir einen Handel abschließen können. Aber jetzt, wo ihn der Jude bereits im Sacke hat! – Mein Graf würde mich schön auslachen, wenn ich ihm mit dem Ansinnen käme, das Büttnersche Gut freihändig zu erstehen. Es ist ja nicht die Schulden wert, die drauf sind. Wir brauchen ja nur die Subhastation abzuwarten; denn dazu kommt's ja doch schließlich. Wollen wir's haben, dann bieten wir eben mit. Ihr Vater hat unter allen Umständen das Nachsehen. Wir wollen nur den Wald, das sagte ich ihm schon damals. Uns mit einem Bauernhofe belasten, dazu liegt gar kein Anlaß vor. So steht die Sache. Sie sehen, Büttner, ich kann ihnen nicht helfen.«

»Ich habe gehört, daß Harrassowitz eine Dampfziegelei anlegen will, auf unserem Gute« sagte Gustav. »So eine gute Gelegenheit, hat Harrassowitz gesagt, zu einer Ziegelei, wie bei uns, gäbe es bald gar keine wieder.«

Gustav hatte das ohne Hintergedanken gesagt. Der Hauptmann stutzte bei dieser Bemerkung. »Eine Ziegelei!« rief er. »Habt Ihr denn Lehm?«

»Freilich, is Lehm da! Das haben die Leute schon oft über meinen Vater gesagt, er wäre ein Esel, daß er keine Ziegeln brennen thäte.«

»Und das hat mein Harrassowitz natürlich sofort herausgefunden!« rief der Hauptmann in unverkennbarem Ärger über die Entdeckung. »Setzt uns da womöglich eine Dampfziegelei direkt vor die Nase hin. Das fehlte wirklich noch zu allem!«

Jetzt fiel es Gustav auf einmal ein, daß die Herrschaft vor kurzem eine Ziegelei angelegt hatte. Nun begriff er den Ärger des Hauptmanns. Er war klug genug zu erfassen, daß dieser Umstand günstig sei, und daß man ihn ausnutzen könne. Plötzlich leuchteten neue Möglichkeiten vor ihm auf, an die er nie zuvor gedacht hatte.

Die Laune des gräflichen Güterdirektors hatte sich in den letzten Minuten wesentlich verschlechtert. Er versetzte einem Stuhle, der ihm in den Weg kam, einen Fußtritt, daß er in die äußerste Ecke flog. »Nun haben wir die Bescherung! Alles wittert so einer aus! alles unterbietet so ein Schuft! verdirbt uns die Preise, zieht uns die Leute ab, und macht uns die Kunden abspenstig – verdirbt die ganze Bevölkerung! Mit der Ziegelei fängt es an, dann kommt eine Stärkemühle, oder chemische Bleiche – was weiß ich! Schließlich ist die Fabrik am Orte. Und dann Prosit Mahlzeit! Dann können wir mit der Landwirtschaft einpacken. Wie ist's denn drüben in Heigelsdorf! Esse an Esse! Die Wässer verdorben, kein Mensch mehr als Feldarbeiter zu haben; alles läuft in die Fabrik. So wird's hier auch noch kommen. Ich sehe schon die infamen Industriespargel am Horizonte. Alles Rauch und Kohlendunst dann! Na, da kann sich der Graf ja gratulieren, dann hat er einen Landsitz gehabt!« –

Gustav sagte zu alledem nichts. Im Stillen war er nicht unzufrieden mit dem Gange der Dinge. Besser konnte es ja gar nicht kommen. Wenn Herrschaft und Händler sich schließlich noch um das Bauerngut rissen, dann konnte ja nur sein Vater dabei gewinnen.

Der Hauptmann blieb abermals vor dem jungen Menschen stehen, legte ihm vertraulich eine Hand auf die Schulter. »Nun, sagen Sie mal Büttner! Sie sind doch Unteroffizier gewesen, und wie mir scheint, ein anständiger Kerl. Soll denn nun wirklich Ihr alter Vater vom Gute runter, und der Jude rein?« –

Gustav meinte, mit seinem Willen geschehe das gewiß nicht. Er fing an, jenen zu durchschauen. Ganz so selbstlos und großmütig, wie der Herr sich anstellte, war er wohl auch nicht. Es war schon so, wie der alte Bauer neulich in seinem Ärger gesagt hatte: den Bauern liebten die Großen, wie die Katze die Maus. –

»Das darf nicht zugelassen werden!« rief der Hauptmann. »Das Gut ist schon lange in den Händen Ihrer Familie, wie ich höre – nicht wahr? – Was soll denn werden, wenn so unter dem alten bäuerlichen Grundbesitze aufgeräumt wird! Und wenn erst so einer, wie Harrassowitz einen Fuß drinne hat, dann ist er bald Alleinherrscher. – Was Sie mir da von der Ziegelei erzählt haben, Büttner, gefällt mir gar nicht.«

Gustav hatte bei sich beschlossen, den Mann, der so eifrige Besorgnis für seinen Vater an den Tag legte, beim Worte zu nehmen. Er erklärte, mit einigen tausend Mark sei alles gut zu machen. Dann setzte er denselben Plan auseinander, den er neulich seinem Onkel, Karl Leberecht, vorgetragen hatte. Der Herr Hauptmann möge doch die vom Kretschamwirt, Ernst Kaschel, eingeklagte Hypothek übernehmen, bat er schließlich.

»Ich, mein Lieber!« rief Hauptmann Schroff. »Ich bin ein armer Teufel, wie Sie. Nur noch schlimmer dran, weil ich bessere Tage gesehen habe, – Na, lassen wir das! . . . Jeder hat so sein Teil zu tragen. Nein, von mir erwarten Sie, um Gotteswillen, nichts! Ich bin nur der Vertreter meiner Herrschaft; darf nichts anderes sein.«

Aber, vielleicht könne sich der Hauptmann beim Herrn Grafen verwenden, meinte Gustav. Hauptmann Schroff runzelte die Stirn und strich sich mißmutig den Bart. »Der Graf! Der ist in Berlin. Der nimmt auch lieber bar Geld ein, als daß er es ausleiht. Wir haben's auch nicht zum Wegwerfen, wie Ihr Leute Euch einbilden mögt. Die Ansprüche an so einen Herrn wachsen jährlich, und die Einnahmen verringern sich. In jetziger Zeit eine schlechte Hypothek übernehmen . . . Ich kann meinem Herrn mit gutem Gewissen nicht zureden.«

Er hatte sich wieder in seinen Stuhl geworfen und sann.

»Ihr Vater hängt wohl sehr an seinem Besitze – was?« fragte er nach einiger Zeit.

Gustav meinte, der Alte würde den Verlust schwerlich überleben.

»Ja, ja, das kann ich begreifen!« sagte der Hauptmann.

Schließlich sprang er auf von seinem Sitze. »Ich will Ihnen mal was sagen, Büttner! Ich werde die Sache machen! Ich will dem Grafen schreiben. Versprechen kann ich nichts, aber ich kann wohl sagen, der Graf thut im allgemeinen, was ich ihm empfehle. Die Verantwortung ist nicht klein, die ich auf mich nehme; aber ich will's thun, weil . . . Um der Sache willen will ich's thun.« –

Gustav ging vom Rittergutshofe mit viel leichterem Herzen, als er gekommen.



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