Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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IV.

Eines Tages, als Gustav die Dorfgasse hinabging, begegnete ihm Hauptmann Schroff zu Pferde.

»Gut, daß ich Sie treffe, Büttner!« sagte der Hauptmann. »Ich wollte eben zu Ihnen. Ich habe Nachrichten in unserer Sache. Leider keine guten! Kommen Sie ein paar Schritte mit mir. Die Stute steht nicht gerne.«

Gustav schritt neben dem Reiter her, welcher weiter berichtete:

»Der Graf will nicht! Rundweg abgelehnt meinen Vorschlag, nachdem er erst Lust gezeigt, und ich in Folge dessen unserem Rechtsanwalt schon Auftrag gegeben hatte, mit dem Kretschamwirt zu verhandeln. Nun ist auf einmal Kontreordre gekommen von Berlin, sogar auf telegraphischem Wege. Was da vorgegangen sein mag, soll der Teufel wissen! Auf lumpige zweitausend Mark kommt's dem Grafen doch sonst nicht an! Können Sie sich denken, was passiert sein kann, Büttner?«

Gustav vermochte auch keine Erklärung zu geben.

»Ich habe sofort noch einmal an den Grafen geschrieben, weil mir die Sache am Herzen lag. Er hat mir äußerst kurz geantwortet, und mich bedeutet, daß, wenn er ›nein‹ sage, das nicht ›ja‹ heiße. Dadurch ist die Sache für mich natürlich erledigt. Ich habe mich zu fügen. Traurig ist das allerdings, tieftraurig!«

Der Hauptmann blickte mit düsterem Gesicht in die Ferne, seine Miene war voll Gram. »Der Teufel verblendet den großen Herren die Augen!« sagte er, mehr für sich, und biß die Zähne aufeinander.

Die Stute begann unter ihm nervös hin und her zu tänzeln; er hatte sie in Gedanken zu fest gehalten. Er ließ, als er den Grund erkannte, ganz mechanisch die Kandarenzügel locker und zog die Trense etwas an. »Hoo, hoo!« rief er, dem Pferde zuredend, und klopfte es am Widerrist. »Ja, da ist nun nichts weiter zu machen, mein guter Büttner!« sagte er nach längerem Schweigen. »Ich wenigstens kann nichts mehr thun, mir sind die Hände gebunden. Nahe geht mir die Sache, das kann ich wohl sagen! Auf dem Laufenden können Sie mich immerhin erhalten, verstehen Sie, Büttner. – Nun, Gott befohlen!«

Damit gab er der Stute einen unmerklichen Schenkeldruck. Die krümmte den Hals, schob das Hinterteil unter und trug den Reiter in gleichmäßig wiegenden Galoppsprüngen die Dorfstraße hinab.

Gustav blickte ihm mit Wehmut nach. Er war so sehr Kavallerist geblieben, daß er selbst in diesem Augenblicke, wo ganz andere Sorgen und Kümmernisse ihm näher lagen, doch noch Raum fand für das Gefühl des Neides dem Manne gegenüber, der ein solches Pferd reiten durfte. Er verfolgte den Reiter mit seinen Blicken, bis er ihm hinter den Häusern verschwunden war. Dann wandte er sich seufzend, um nach Hause zu gehen, und dem Vater die schlechten Nachrichten zu überbringen.

Der junge Mann fühlte sich sehr niedergedrückt. Die Aussicht, die ihm Hauptmann Schroff eröffnet, war so wunderbar gewesen, daß er wirklich geglaubt hatte, es werde nun alles gut werden. Er hatte seine Pläne für die Zukunft ganz auf das Gelingen dieses Planes gestellt, und nun war in elfter Stunde alles gescheitert!

Auf den alten Bauern machte die Nachricht keinen tieferen Eindruck. Er hatte ja nicht an eine Wendung zum Besseren geglaubt.

Der alte Mann hatte sich wieder ganz in sich selbst zurückgezogen. Niemand, selbst Gustav nicht, wußte, ob er überhaupt noch etwas hoffe. Scheinbar ließ er die Dinge gehen, wie sie gehen wollten. Selbst die Nachricht vom Gericht, daß Termin zur Zwangsversteigerung angesetzt sei, schien ihn nicht merklich zu erregen.

In der Wirtschaft ging alles seinen gewohnten Gang weiter. Hier merkte man gar nicht, welches Verhängnis drohend über dem Gute hing. Die Frühjahrsbestellung wurde wie alljährlich vorbereitet. Karl fuhr Dünger auf den Kartoffelacker und Jauche auf die Wiesen. Die Frage, wer die Früchte ernten werde, stellte man nicht. Man that seine Arbeit und schwieg. Die Maschine schnurrte weiter, weil sie einmal im Gange war. Wenn nun plötzlich eine fremde Hand eingriff und sie zum Stillstand brachte, was dann? –

Der alte Bauer schien mit einem gewissen Trotz dieser Frage aus dem Wege zu gehen. Reden ließ er auch nicht mit sich darüber. Gustav bekam zu hören, daß er ein »grüner Junge« sei, als er einmal davon zu sprechen anfing, was eigentlich nach der Subhastation werden solle.

Und dabei lag die Notwendigkeit, daran zu denken, so nahe. Wer konnte denn wissen, wer der Ersteher des Gutes sein und was er mit Haus und Hof anfangen werde. Sie mußten gewärtig sein, ihr Heim auf dem Flecke zu verlassen; dann würden sie obdachlos auf der Straße liegen, wohl gar der Armenfürsorge anheimfallen.

Gustav geriet auch in Anderem mit dem Alten in Widerspruch. Der Büttnerbauer steckte noch immer Geld in das Gut, obgleich es bereits an allen Ecken und Enden zu mangeln begann. Der junge Mann war der Ansicht, daß jetzt keine Verbesserungen mehr vorgenommen werden dürften, da es doch feststand, daß der Besitz nicht mehr der Familie erhalten werden könne. Aber der Bauer schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, der verlorenen Sache noch möglichst viel nachzuwerfen. Er schaffte einen neuen Pflug an, besserte an den Wegen, stopfte Löcher im Fachwerk des Scheunengiebels und sprach sogar davon, den Kuhstall umdecken zu lassen. Darüber kam es zwischen Vater und Sohn zu einem heftigen Auftritt.

Die Folge war, daß der junge Mann sich mehr denn je von zu Hause wegsehnte. Jeder Tag vermehrte seine Einsicht, daß hier alles unhaltbar geworden sei. Wozu sein Geschick noch länger an das seines Vaters knüpfen, der zu alt zu sein schien, um noch Vernunft anzunehmen. Im Elternhause wurde es immer öder und trauriger. Der alte Bauer lebte ein Leben völlig für sich. Wie ein böser Hund fuhr er aus seiner Hütte, bereit, jeden zu beißen, der ihn in seiner Verdrossenheit störte. Die Bäuerin weinte viel und hatte an ihrem Leiden zu tragen. Therese zankte mit Karl. Toni sah in schwüler Gleichgültigkeit ihrer Entbindung entgegen. Bei Ernestine begannen sich unter dem Einflusse all des Widrigen, dessen das junge Ding Zeuge geworden, Eigensucht und Vorwitz in nicht gewöhnlichem Grade zu entwickeln.

Gustav hielt sich infolgedessen dem Elternhause, das ihm die Hölle auf Erden zu werden drohte, so viel wie möglich fern. Um so mehr war er bei Pauline Katschner zu finden. Sie und der Junge mußten ihm jetzt Eltern und Geschwister ersetzen.

Der Termin der Hochzeit rückte näher und näher, und Gustav hatte noch immer keine Stellung gefunden. Er dachte manchmal daran, ob es nicht das beste sei, auszuwandern. Man sah es ja: die Verwandten alle, die von Halbenau weggegangen waren, hatten es zu Vermögen und Ansehen gebracht. Im Dorfe konnte man nie und nimmer zu etwas kommen. Die Heimat war ihm vergällt und verekelt durch so viel traurige Erlebnisse. Also, nur fort! Den Staub von Halbenau von den Füßen geschüttelt und anderwärts sein Glück versucht! Aber, das war leichter gedacht als ausgeführt. Zunächst einmal: wo sollte er hingehen? In die Stadt! Wer stand ihm dafür, daß er dort Arbeit fand. Und dann mit Weib und Kind wanderte es sich nicht so leicht, als wenn einer nur den Ranzen zu schnüren und den Stab in die Hand zu nehmen brauchte. Und schließlich war Gustav auch ein zu guter Sohn, um trotz seines augenblicklichen Zerwürfnisses mit dem Vater, seine alten Eltern leichten Herzens im Stiche zu lassen. Die kränkelnde Mutter, den alten Mann, der bei seinen Jahren vom Großbauern zum obdachlosen Bettler herabsteigen sollte! Es war ein Jammer! Und Gustav erschien es oft wie Feigheit, daß er gerade jetzt die Seinen verlassen wollte.

In dieser Zeit thaten sich plötzlich für den jungen Mann ganz neue Aussichten auf.

* * *

Schon seit einiger Zeit hatte Gustav, der die Zeitungen jetzt eifrig nach Stellenangeboten durchforschte, gelesen, daß ein gewisser Zittwitz, der sich »Aufseheragent« nannte, seine Vermittelung anbot für junge Leute, welche nach dem Westen auf Sommerarbeit gehen wollten. Durch Bekannte hatte er weiter gehört, daß derselbe Agent eine Art Arbeitsvermittelungsbureau in der Stadt aufgethan habe, daß er auch die Dörfer in der Runde besuche, um Mädchen und junge Männer zu mieten.

In dieser Gegend war die Sachsengängerei noch unbekannt. Es war das erste Mal, daß ein Agent aus den westlichen Zuckerrübendistrikten hier gesehen wurde. Die fabelhaftesten Gerüchte gingen dem Manne voraus. Man versprach sich goldene Berge. Die Leute, welche nach Sachsen zur Rübenarbeit gingen, hieß es, könnten sich im Laufe eines Sommers dort ein Vermögen erwerben. Andere wieder sagten, diese Agenten seien nicht besser als Sklavenhändler, und die Mädchen und Burschen, welche ihrem Lockrufe folgten, sähen einem schrecklichen Lose entgegen.

Gustav hatte, als er noch bei der Truppe war, die Sachsengänger alljährlich, im Frühjahr, durch die Stadt ziehen sehen, von einem Bahnhof zum anderen, auf Möbelwagen: Weiber und Männer zusammengepfercht mit ihren Ballen und Laden, oder auch herdenweise durch die Straßen getrieben, wie Vieh. Fremdartige Gestalten waren das gewesen, Polacken, schmutzig, zerlumpt. Er hatte die Gesellschaft aus tiefster Seele verachtet, und nie bisher war ihm der Gedanke gekommen, sich diesen zuzugesellen.

Eines Tages nun fand er am Spritzenhause in Halbenau einen Anschlag, auf welchem der Aufseheragent Zittwitz mitteilte, daß er im Kretscham angekommen sei und Anmeldungen von Mädchen sowohl, wie jungen Männern, zur Sommerarbeit in Sachsen annehme.

Gustav, der eigentlich auf dem Wege zu seiner Braut begriffen war, las den Anschlag ein paarmal aufmerksam durch. Sich anbieten! Nein, das wollte er nicht. Er hätte den schön geführt, der ihm, dem gewesenen Unteroffizier, hätte zumuten wollen, unter die Runkelweiber zu gehen. Aber, anhören konnte man sich schließlich doch mal, was der Agent zu sagen hatte; das verpflichte ja zu nichts.

Vor dem Kretscham schon merkte man, daß hier etwas Besonderes heute vor sich gehe. Leute gingen und kamen. An der Thür stand ein Haufe junger Burschen, Hände in den Taschen, Cigarren im Munde, welche die Mädchen, die zahlreich in den Gasthof strömten, bekrittelten und verhöhnten. Gustav schloß sich dieser Gruppe an. Jetzt hineinzugehen, schämte er sich doch.

Er stellte sich also zu den Burschen. Es wurde viel gespuckt, bramarbasiert und geflucht. Der Kerl da drinnen mache die Mädel ganz verrückt, hieß es. Das Blaue vom Himmel löge er herunter, und einige habe er auch schon bald so weit, daß sie unterschreiben wollten. Er suche sich die jungen und hübschen aus. Verheiratete wolle er gar nicht haben. Da könne man sich ja ungefähr vorstellen, was er im Schilde führe. Es folgten düstere Andeutungen. Einer wollte in einer Zeitung gelesen haben, wohin derartige Mädchen verschwänden.

Gustav hörte sich das Gerede eine Weile mit an, dann meinte er, man solle doch lieber hineingehen und dem Burschen auf die Finger sehen bei seinem Geschäfte. Sie würden wohl noch Mannes genug sein, ihn, falls er im Trüben fische, aus dem Orte hinaus zu besorgen.

Einige von den jungen Leuten folgten ihm in den Kretscham.

Die große Gaststube war gedrängt voll Menschen. Dem Eingange gegenüber saß der Agent an seinem Tische mit Schreibzeug und Papieren. Um ihn her standen und saßen alte und junge Männer. Die Mädchen hielten sich mehr an der Wand, sie schienen verschüchtert und wollten sich nicht recht herantrauen.

Der Aufseheragent war ein Mann von behäbigem Äußeren, mit braunem Vollbart, in einem Anzug von brauner ›Jäger‹-wolle, der ihn wie ein Sack einschloß und nichts von weißer Wäsche sehen ließ. Auffällig an ihm waren die großen lebhaften schwarzen Augen.

Er war soeben im Wortwechsel mit ein Paar jungen Männern begriffen, welche Soldatenmützen trugen, und die, wie Gustav schnell erkannte, nicht aus Halbenau waren. Die jungen Leute behaupteten, das seien Schundlöhne, die jener anböte, dafür brauchte niemand die weite Reise zu machen. Verhungern könne man hier so gut wie anderwärts, umsonst.

Der Agent ließ die beiden eine Weile reden. Er saß an seinem Tische mit gelassener Miene, er schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Er gebrauchte seine Augen, indem er die einzelnen Gesichter um sich her scharf beobachtete.

Jetzt schlossen sich auch Einheimische den beiden auswärtigen Schimpfern an. Für solche Löhne könne man kaum sein Leben fristen, hieß es, geschweige denn etwas verdienen, oder zurücklegen. Da wolle man doch lieber daheim bleiben bei sicherem Brod.

Nun erhob sich der Agent von seinem Platze, er ging unter die Leute. Vor einem der Haupt-Klugredner blieb er stehen. Er solle ihm doch einmal erzählen, was er verdiene, sagte er in vertraulichem Tone. Der junge Mensch war etwas verblüfft, und wollte nicht recht mit der Sprache heraus, dann nannte er einen Satz; andere widersprachen, soviel verdiene der nicht, hieß es. Es gab darüber ein Hin und Her. Der Agent ließ die Leute ausreden, und blickte mit überlegenem Lächeln drein. Dann griff er wieder ein, den Widerspruch, in den sich der junge Mann verwickelt hatte, geschickt benutzend, machte er ihn lächerlich, so daß er bald die Lacher auf seiner Seite hatte.

Eine ernstere Miene aufsetzend, hielt er darauf eine kleine Ansprache. Die Leute sollten nur Vertrauen zu ihm fassen, sagte er. Er sei als Freund zu ihnen gekommen. Er wisse, wie es dem kleinen Manne um's Herz sei in diesen schweren Zeiten. Sei er doch selbst aus dem Arbeiterstande hervorgegangen, habe sich durch seiner Hände Werk emporgearbeitet. Aber, stolz sei er nicht geworden.

Der Mann besaß eine gewisse breite Gemütlichkeit, etwas volkstümlich Biedermännisches in Worten und Gebärden, das zum Herzen des kleinen Mannes sprach, und ihm auch hier schnell die Gemüter eroberte.

Unter den Anwesenden waren viele Tagelöhner, Dienstleute, kleine Stellenbesitzer, lauter armes Volk, das um seine Existenz rang. Auch ein paar Armenhäusler waren zur Stelle. Die meisten hatten sich wohl nur des Zeitvertreibs wegen hierher begeben, um mal zu sehen, was ein ›Aufseheragent‹ eigentlich für ein Ding sei, und »ob der Karle wos lus hatte.«

Getrunken wurde viel. Hinter dem Schenktisch stand Kaschelernst, der die Pfennige eben so gern von den Armen nahm, wie von den Reichen. »Kleinvieh macht och Mist,« pflegte er philosophisch zu sagen. Richard ging umher an den Tischen und nahm die leeren Gläser in Empfang, setzte volle auf und kassierte. An den erhitzten Gesichtern und den lauten Stimmen konnte man merken, daß einzelne schon zu viel des Guten gethan hatten.

Agent Zittwitz hatte sich inzwischen in eine abgelegenere Ecke des Raumes begeben, wo mehrere Mädchen beisammen saßen, ängstlich und ratlos, wie ein Völkchen junger Hühner. Der Aufseheragent pflanzte sich vor sie hin und suchte sie durch freundliche Blicke und Worte zu kirren. Er pries ihnen die Vorzüge seines Kontraktes. Seine Anpreisung war geschickt auf den weiblichen Sparsamkeits- und Ordnungssinn berechnet. Sie könnten ihren ganzen Lohn zurücklegen, da sie alles geliefert bekämen und keinerlei Ausgaben hätten. Die meisten Mädchen brächten im Herbst ihre dreihundert Mark zurück, er kenne auch welche, die es bis zu fünfhundert gebracht hätten. Viele Mädchen verdienten sich auf diese Weise ihre Ausstattung.

Die Mädchen sagten nicht viel, aber ihren Mienen war es leicht abzusehen, daß sie große Lust hatten, der Lockpfeife des Fremden zu folgen.

Gustav hatte sich anfangs nicht viel darum gekümmert, was in jener Ecke vorgehe. Er war darüber, den Kontrakt durchzulesen, welchen der Agent ausgelegt hatte. Es befanden sich noch keine Unterschriften darunter. Als er dann nach der Mädchenecke hinüberblickte, erkannte er zu seiner nicht geringen Verwunderung seine eigene Schwester, Ernestine, die sich in der Gruppe befand. Sie saß unter den Vordersten und folgte den Reden des Werbers mit gespannter Aufmerksamkeit. Wollte die sich etwa gar verdingen? Er trat hinter den Agenten; er wollte doch einmal genauer feststellen, was der den Mädeln eigentlich vorschwatze.

Der Werber war gerade dabei, auseinanderzusetzen, welche Lebensweise ihrer in Sachsen harre. Sie wohnten gemeinsam in besonderen Häusern, auch Kasernen genannt. Ihre Betten und Kleider könnten sie sich mitbringen, für alles andere sei gesorgt. Die Lebensmittel bekämen sie geliefert. Früh, ehe es zur Arbeit ging, setze man sich seinen Topf an. Ein Mädchen bleibe zurück, um nach dem Feuer zu sehen und die Töpfe zu rücken. Den Abend hätten sie ganz für sich, ebenso den Sonntag.

Der Mann verstand es, das Leben der Sommerarbeiter in der angenehmsten Weise zu schildern. – Dann begann er von der Arbeit zu sprechen, für die sie gemietet würden. Er meinte, die sei leicht, jedenfalls ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was man in dieser Gegend von den Frauen verlange. Rüben hacken und verziehen, zur Erntezeit Getreide abraffen und binden, und im Herbste Kartoffeln ausmachen und Rüben roden. All' die schweren und unappetitlichen Verrichtungen, die sie zu Haus thun müßten, wie: misten, jauchen, graben, dreschen, melken, karren und die Egge ziehen, fielen da weg. Auch würde meist in Akkord gearbeitet, ohne Aufsicht von Seiten der Dienstherrschaft. Ganz frei sei man und ungebunden. Könne es etwas Schöneres geben! Und im Herbste kehre man dann mit dem ganzen reichen Lohne des Sommers, frohen Mutes in die Heimat zurück.

Der Werber machte eine Pause. Er hatte die Stimmung so gut vorzubereiten verstanden, daß er nur noch die Hand auszustrecken brauchte, und er hatte die Mädchen alle.

Da trat Gustav vor und sagte er wolle mal ein paar Fragen stellen. »Bitte schön!« meinte der Agent. »Dazu bin ich hier, um Rede und Antwort zu stehen. Jemehr Sie fragen, desto angenehmer ist es mir.« Er sagte das mit größter Zuvorkommenheit, betrachtete sich den jungen Mann jedoch gleichzeitig mit forschenden Blicken, die nicht frei von Argwohn waren.

»Wir haben ja hier alle gehört« begann Gustav und wandte sich mehr an die anwesenden Männer, als an die Frauen, »wie schön dort alles ist, wo der Herr uns hinbringen möchte, und wie dort alles gut ist, viel besser als hier bei uns.« Er stockte. Das freie Sprechen war ihm etwas völlig Ungewohntes. Einen Augenblick lang gingen ihm die Gedanken aus. ›Du bleibst stecken!‹ dachte er bei sich. Dann nahm er alle Willenskraft zusammen und fand das verlorene Gedankenende wieder. »Solch ein Land möchten wir wohl alle kennen lernen, wie es der Herr da beschreibt. Aber ehe ich den Kontrakt unterschreibe und mit dem Herrn Aufseheragenten dorthin gehe, da möchte ich doch vorher von ihm noch eins wissen: nämlich, warum denn die Leute dort, die Burschen und die Mädel aus dem Lande, von dem uns der Herr erzählt, warum die denn nicht auf Arbeit gehen wollen, und sich das Verdienst mitnehmen? Oder giebt's dort etwa keine Arbeiter nicht? Das glaub ich doch nicht!« –

Die Anwesenden waren diesen Worten mit Spannung gefolgt. Die Männer gaben ihren Beifall zu erkennen. Das war einleuchtend! Büttner hatte recht! Es war doch auffällig, daß die Leute in jener Gegend sich den Vorteil entgehen lassen sollten, der ihnen hier angepriesen wurde. Man war neugierig, was der Agent hierauf zu antworten haben würde.

Der zuckte die Achseln und lachte. Er schien der Sache einen harmlosen Anstrich geben zu wollen, indem er sie auf die leichte Schulter nahm. »Ihr Leute!« rief er: »Ihr müßt Euch das nicht so vorstellen, wie hier! Bei uns im Westen, das ist eben eine ganz andere Sache.« . . . Dann erzählte er von der Fruchtbarkeit des Bodens und der intensiveren Wirtschaftsweise in jenen Distrikten, welche eine große Menge von Menschenkräften erfordere, mehr als meist zur Hand seien.

Die Erklärung verfing nicht bei den Leuten. Der Mann mochte noch so schön und gelehrt sprechen, die klare Frage, welche ihm vorgelegt worden war, hatte er nicht beantworten können. Irgend einen Haken hatte die Geschichte also doch!

Gustav gab dieser Stimmung Ausdruck, indem er fragte, ob etwa die jungen Leute dort sich zu fein dünkten zur Feldarbeit, daß man so weit hinausschicken müsse, bis zu ihnen, nach Arbeitern. –

Der Agent erklärte, die Leute dort seien durchschnittlich wohlhabender als hier im Osten. Viele gingen auch in die Städte und widmeten sich anderen Berufen, als gerade der Landwirtschaft.

»Da haben wir's!« rief Gustav, welcher den Mann nicht ausreden ließ. »Da hört Ihr's! Wie ich gesagt habe! Die Sache ist genau so: wir sollen eben das machen, was denen dort nicht paßt. Wozu die sich zu gut vorkommen, dazu werden wir geholt. Ne, das paßt uns auch nich – nichwahr? Wir sind nich schlechter, hier, als irgend wer andersch!«

Gustav sah sich fragend im Kreise um. Die Männer riefen ihm zu, daß er recht habe. Der Werber, welcher merkte, daß die Dinge eine ungünstige Wendung für ihn zu nehmen begannen, rief mit erhobener Stimme: man solle ihn nur anhören, er werde alles haarklein erklären. Aber schon hatte er die Aufmerksamkeit verloren. Man schwatzte laut durcheinander und murrte. Für dumm solle man die Halbenauer nicht halten, hieß es. Im Sacke wollten sie die Katze nicht kaufen. Das sei der reine Menschenfang, der hier getrieben würde, rief einer von den jungen Leuten mit Militärmütze.

So flogen die Redensarten hin und her. Jetzt redete mancher von der Leber weg, der sich's zuvor nicht getraut hatte. Der Agent gab das Spiel noch nicht verloren, er trat an einzelne heran, setzte ihnen zu, eiferte, widersprach, wollte berichtigen. Er hatte gut sich abmühen, er fand keinen Glauben mehr. In diesen einfachen Köpfen war das Mißtrauen rege geworden, und mit Engelszungen ließ sich ihnen der Argwohn nicht wieder ausreden.

Wer jetzt noch Lust hatte, den Kontrakt zu unterschreiben, wagte es nicht mehr, aus Angst, sich vor den Dorfgenossen lächerlich zu machen. Die Mädchen gingen eine nach der anderen hinaus, besorgend, es möge hier wohl noch gar zur Rauferei kommen.

Agent Zittwitz packte schließlich mit ärgerlicher Miene seine Papiere zusammen, und verschwand.

* * *

Die Männer blieben noch beisammen. Gustav Büttner war der Held des Tages. Das war etwas ganz Neues für ihn. Das Bewußtsein, von seinesgleichen anerkannt zu werden, hob sein Selbstgefühl. Er war so ganz unvorbedacht dazu gekommen; er wußte selbst nicht, wie ihm geschehen. Der blaue Dunst, den dieser Agent den Leuten vorgemacht, hatte ihn verdrossen, und da hatte er frei herausgesagt, was er für recht hielt, ohne Haschen nach Bewunderung. Der Erfolg, den er gehabt, setzte ihn selbst in Erstaunen. Die Aufmerksamkeit, deren Gegenstand er gegen seinen Willen geworden, that ihm aber doch wohl, bekam schließlich etwas Prickelndes, Berauschendes für seine wenig verwöhnte Eitelkeit.

Und die Umgebung sorgte dafür, daß dieses Gefühl sich steigerte. Man feierte den Sieg, brüstete sich damit, dem Aufseheragenten das Geschäft gründlich gelegt zu haben. »Ja, wir Halbenauer!« . . . hieß es. Die Begebenheit wurde noch einmal durcherlebt, breitgetreten, ausgeschmückt. Die Schnapsflasche machte die Runde. Bier wurde bestellt; bald gab dieser, bald jener eine neue Auflage zum besten.

Auch Gustav durfte sich nicht lumpen lasten, er ließ anfahren. Dabei machte er sich's zum besonderen Scherz, jedes Glas einzeln heranbringen zu lassen, nur um das Vergnügen zu haben, seinen Vetter Richard Kaschel auf seinen Wink springen zu sehen. Hinter dem Schenktisch erschien jetzt auch Ottilie. Sie schielte nach dem Vetter hinüber und lächelte ihm mit schiefem Munde zu. Er hob das Glas, und ihr zutrinkend, rief er: »Auf Deine Schönheit!« Ein schallendes Gelächter der Burschen antwortete. Ottilie zog sich, scheinbar gekränkt, von der Bierausgabe zurück.

Während man noch den schlechten Witz bejubelte, trat ein Fremder in's Zimmer. Seinem Aufzuge nach war er ein wandernder Handwerksbursche, auf dem Rücken den ›Berliner‹, den ›Stenz‹ in der Hand.

»Kenn Kunde!« begrüßte ihn einer von den jungen Leuten, der auch einmal auf der Walze gewesen war, und die Kundensprache beherrschte.

»Kenn Kunde!« kam es aus dem Munde des Wandersmanns zurück.

»Na, Kunde, wie is der Talf gewesen?«

»Denkst De, ich wer' Klinken putzen! Ne, dazu is meinen Ollen sei Sohn zu nobel.«

»Na, Kunde, nobel siehst De grade nich aus. Du wirst wohl schmal gemacht han! Oder bist De gar verschütt gegangen?«

»Ich und verschütt gehn! Nich mal Knast gemacht ha' 'ch. Mei Lebtag nich! Ich hab' freilich meine Flebben in Ordnung. Willst se sehn?«

»Ich bin keen Teckel nich! Laß Deine Flebben, wo se sind. Willst' en Soruff, Kunde?«

»Freilich mecht'ch ä Nordlicht putzen. Hier is aber, weeß der Hole, ene dufte Winde.«

»Hast wohl lange Leg' um kauen müssen?«

»Pikus machen kann mer nich alle Tage auf der Walze. Meine Kluft is och mieß, die Trittchen hier sind ganz verrissen und ne reine Staude hab' ich vor drei Wochen angehabt.«

»Na, laß Dich vom Bruder schmieren, Kunde!«

»Wenn ich man Messume hätte.«

»Hier, trink mal!«

»Prost, edler Menschenfreund!«

Gustav hatte sich den Mann, der eben das Glas zum Munde führte, inzwischen mit Aufmerksamkeit betrachtet. Den mußte er doch kennen. Himmeldonnerwetter! war das nicht . . . Wenn das nicht Häschke war, wollte er sich hängen lassen! Häschke, mit dem er zusammen eingetreten war bei der zweiten Schwadron. Freilich, der Vollbart veränderte ihn, und die Vagabundenkleidung. Aber, an den lebhaften Augen, der Stimme und den Bewegungen, erkannte er den ehemaligen Kameraden wieder.

»Häschkekorl!« rief Gustav und unterbrach damit die Unterhaltung der beiden Kunden.

Der Handwerksbursche fuhr herum. »Büttner! Hol' mich der Teufel. Büttnergust!«

»Gleich, noch ein Bier für meinen Kameraden!« rief Gustav nach dem Schenktisch hinüber.

Nun ging ein eifriges Fragen los von beiden Seiten. Drei Jahre und ein halbes war es jetzt her, daß sie einander nicht gesehen hatten. Denn Häschke war nach beendeter Dienstzeit herausgegangen, während Büttner kapituliert hatte.

Häschke hatte sich neben Gustav setzen müssen. Nun mußte er von seinen Erlebnissen berichten. Er war von der Truppe aus zunächst in seine Heimat, das Königreich Sachsen, zurückgekehrt. Von Profession war er Schlosser und hatte für's erste bei einem Meister seines Handwerks Arbeit genommen. Dort war seines Bleibens aber nicht lange gewesen. Er hatte Krach bekommen mit dem Meister. Nun war er gewandert, hatte dabei einen guten Teil Deutschlands gesehen. Im Westfälischen war er hängen geblieben, eines Mädels wegen, sagte er. Dort hatte er sich in eine Maschinenwerkzeugfabrik verdungen. Bald darauf war Strike ausgebrochen, und er hatte seinen Stab weitersetzen müssen. Einige Monate lang hatte er beim Nordostseekanalbau Arbeit gefunden. Nachdem er den Winter über in einer posenschen Zuckerfabrik als Heizer Verwendung und Unterschlupf gefunden, lag er jetzt wieder auf der Landstraße.

Gustav Büttner war mit diesem Häschke besonders befreundet gewesen. Sie hatten zusammen die Leiden der Rekrutenzeit durchgemacht. Waren auf derselben Stube und in dem nämlichen Beritt gewesen. Daß Büttner bald zum Gefreiten befördert wurde, während Häschke Gemeiner blieb, hatte keine eigentliche Scheidewand zwischen ihnen aufgerichtet. Häschke war und blieb einer der beliebtesten und angesehensten Kameraden, obgleich ihm die Vorgesetzten nicht wohl wollten, seines losen Maules und seiner Leichtfertigkeit wegen. Mutterwitz und Gewandtheit brachten ihn bei seinesgleichen desto mehr zur Geltung.

Jetzt wurden alle diese Erinnerungen wieder aufgefrischt. Vom schnauzigen Wachtmeister und vom schneidigen Herrn Rittmeister erzählte man sich, und mancher lustige Streich aus dem Manöver und dem Garnisonsleben wurde an's Tageslicht gezogen.

Häschke war natürlich Gustavs Gast. Als er erfahren hatte, daß der Weitgereiste heute noch nichts Ordentliches in den Magen bekommen, bestellte Gustav Butterbrot und Wurst für ihn.

Auf diese Weise war der Nachmittag vergangen. Die hereinbrechende Dunkelheit mahnte zum Aufbruch. Gustav dachte mit geheimer Besorgnis an die hohe Zeche, die er gemacht hatte. Aber er hütete sich wohl, davon etwas merken zu lassen. Im Gegenteil! Den Kaschels wollte er grade mal zeigen, daß es ihm auf ein paar Mark nicht ankomme. Und er bestellte für die ganze Gesellschaft noch einen Korn zum »Rachenputzen!«

Als man den Kretscham verließ, schloß Häschke sich Gustav an. Sobald sie ohne Zeugen waren, begann der Handwerksbursche zu klagen, wie schlecht es ihm gehe. Seit vierzehn Tagen sei er in kein vernünftiges Bett gekommen. Die letzten Sparpfennige waren in den Pennen draufgegangen. Die Kleider fingen an zu zerreißen und die Füße schmerzten in dem elenden Schuhwerk. Er sah in der That abgerissen genug aus. Er fragte Gustav, ob er ihm nicht aus alter Kameradschaft etwas vorschießen könne. Dann wolle er die Eisenbahn benutzen oder – wie er sich in der Kundensprache ausdrückte – »mit dem Feurigen walzen«, und ihm von seiner Heimat aus das Erborgte zurückerstatten.

Gustav hatte das Gewissen bereits gepeinigt wegen der heutigen Zeche. Das war von den Ersparnissen gegangen, die er für die Hochzeit bestimmt hatte. Es wurde ihm schwer, dem alten Kameraden die Bitte abzuschlagen, aber, es ging nicht anders! Er war nicht mehr ganz nüchtern, wie er jetzt erst merkte, wo er sich in freier Luft befand, aber er fand noch soviel Überlegung, dem anderen zu erklären, daß er nichts ausleihen könne, er sei selbst nicht in der besten Lage und wolle nächstens heiraten.

Häschke bat, daß er ihm dann wenigstens Unterkunft für ein paar Tage verschaffen möge. Er wolle sich seine Sachen in Stand setzen und seine Füße ausheilen lassen. Wenn er sich wieder etwas herausgemacht haben würde, werde er seine Straße weiterziehen.

Diese Bitte konnte Gustav unmöglich abschlagen. Er überlegte: bei den Eltern war ja Platz. Häschke behauptete, mit jedem Fleckchen, und sei es auf dem Boden oder im Schuppen, zufrieden zu sein, und wenn es nur eine Bucht wäre von Heu. Gustav erklärte, es werde sich wohl noch ein Bett für ihn finden.

Er brachte also den Fremden mit nach Haus. Dort saß die Familie bereits beim Abendbrot. Die Angetrunkenheit löste Gustavs Zunge. Mit größerem Wortreichtum, als man sonst an ihm gewohnt war, stellte er den Fremdling als einen ehemaligen Kameraden und Freund vor, dem man Obdach gewähren müsse.

Die Frauen blickten verdutzt auf den bärtigen Wanderburschen, der in der trüben Beleuchtung des schwachen Öllämpchens nicht grade vertrauenerweckend sich ausnahm. Der alte Bauer sagte nichts; ihn brachte jetzt nicht so leicht mehr etwas aus seiner verstockten Gelassenheit. In früheren Zeiten würde er dem schön gekommen sein, der ihm solch' einen Strolch in's Haus gebracht hätte. Aber, jetzt nahm er auch das mit in den Kauf zu dem übrigen. Die Bäuerin war gewiß nicht erbaut über den Gast; doch wagte sie nichts zu äußern, aus Furcht, Gustav zu reizen. Therese war die erste, welche Worte fand. Als Gustav fragte, wo ein Lager für den Fremden zu finden sei, meinte sie trocken, drüben bei den Schweinen stehe noch ein Koben leer. Eine Bemerkung, welche ihr Gatte Karl, nachdem er den Sinn erst begriffen, so ausgezeichnet fand, daß er in ein Gelächter ausbrach, welches an diesem Abende nicht mehr enden zu wollen schien.

Gustav erbleichte vor Zorn. »Dann wird Häschke eben in meinem Bette schlafen!« sagte er. »Mir soll keiner nachsagen, daß ich einen Kameraden auf der Straße hatte liegen lassen. Komm, mei Häschke!«

»Und wu wirst Du denne schlafen alsdann, Gustav?« fragte die Mutter besorgt, da sie sah, daß der Sohn ernst machen wollte mit seinem Vorhaben.

»Mutter, ich weeß schon an Fleck für mich!« sagte Gustav.

Und in der That, es gab in Halbenau einen Platz für ihn, wo er freudige Aufnahme fand, zu Tages- und Nachtzeit.



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