Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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IX.

Karl kam neuerdings nur noch nach Haus, um seine Räusche auszuschlafen.

Therese hoffte anfangs, es werde ihr gelingen, ihm im bewußtlosen Zustande das Geld abermals abzunehmen. Aber Karl war durch die früheren Erfahrungen gewitzigt. So oft sie auch seine Taschen durchstöberte, sie fand nichts darin. Jedenfalls hielt er das Geld außerhalb des Hauses verborgen.

Wenn der Trunkenbold erwachte, schwankte er zwischen Stumpfsinn und Tobsucht hin und her. Sobald er seinen Anfall bekam, mußte Therese die Kinder vor ihm verbergen, für deren Leben sie zitterte.

Im Kretscham zu Halbenau war Karl jetzt ein häufiger Gast. Richard Kaschel, sein Vetter, war neuerdings Karls Vertrauter geworden.

Richard übertraf seinen Vater wohl noch an boshafter Verschlagenheit. Den Büttners den Garaus zu machen, das war, ohne daß sie sich dazu verabredet hätten, die geheime Wollust dieser beiden.

Der alte Kaschel hatte, obgleich er eine Büttner geheiratet, ja, obgleich er seinen Wohlstand Büttnerschem Gelde verdankte, doch immer einen tiefeingewurzelten Haß gegen diese Familie gehegt. In seiner guten Zeit war Traugott Büttner dem Schwager durch jene Kraft und Würde überlegen gewesen, die den ehrlichen Mann vor dem Ränkeschmied auszeichnet.

Inzwischen war der ehemalige Büttnerbauer ruiniert worden. Nur noch eine Frage der Zeit schien es, wann der Erbe des größten Bauerngutes im Orte der Armenversorgung anheimfallen werde. An ihm noch sein Mütchen zu kühlen, war unmöglich. Ihm konnte ja nichts mehr genommen werden; er war von allem entblößt, was einem Menschen Ansehen und Bedeutung verleiht auf der Welt.

Aber auch das gute Gedeihen der Büttnerschen Kinder war stets ein Stachel in der Seele des Kretschamwirts gewesen. Er haßte vor allem Gustav. Der Mensch schien sich, allem Unglück zum Trotze, das seine Familie betroffen, wacker durch die Welt zu schlagen.

Gustav bildete auch den Gegenstand stummer Wut für Richard Kaschel. Die Prügel, die er einstmals von dem Vetter erhalten, waren unvergessen.

Aber an Gustav konnte man nicht heran; der verkehrte nicht im Kretscham. Auch von Ernestine bekam man nicht viel zu sehen; es hieß, sie habe einen Bräutigam in der Fremde und werde bald heiraten. Toni war wieder nach Berlin zurückgekehrt, nachdem sie den Ort durch ihr Auftreten in Aufregung versetzt hatte.

Nun blieb noch Karl. Der schien allerdings die schiefe Ebene ganz von selbst hinabzugleiten. An den reißenden Fortschritten, die Karls Verlotterung machte, hatte das edle Paar, Vater und Sohn Kaschel, seine helle Freude.

Richard Kaschel hatte außerdem noch einen besonderen Grund, sich für Karl zu interessieren.

In Halbenau wurde trotz der Armut seiner Bewohner viel und verhältnismäßig hoch gespielt. Ein nach dem Hofe hinaus gelegenes Hinterzimmer im Kretscham bot willkommene Gelegenheit zu jeder Art lichtscheuem Treiben. Dort flogen die bunten Blätter oft ganze Nächte hindurch. Es war bekannt, daß ein Halbenauer Bauer dort Haus und Hof und alles Hab und Gut, im Laufe weniger Jahre verspielt hatte.

Richard Kaschel gehörte zu der Spielerzunft. Der Vater wußte um das Treiben des Sohnes Bescheid. Er hatte versucht ihn abzuhalten vom Spiel. Aber das Bürschchen, das dem Alten längst über den Kopf gewachsen war, hatte geantwortet: der Vater habe ja seine Kümmelpulle; da möge er ihm gefälligst die Karten lassen.

Eines Abends, als Karl in den Kretscham kam, setzte sich Richard wie gewöhnlich zu dem Vetter an den Tisch. Nachdem Karl bereits sein zweites Fläschchen Korn geleert, fragte ihn Richard, ob er Lust habe, ein Viertel Schwein zu gewinnen.

Karl begriff zunächst nicht, was jener damit meine. Der Vetter erklärte ihm, im Hinterzimmer säßen zwei fremde Herren, die Lust hätten, ein Spielchen zu machen. Der eine habe eine Gans mitgebracht, der andere ein Paar Magenwürste, er selbst, Richard, wolle ein Viertel von dem eben geschlachteten Schweine setzen; es fehle ihnen aber der vierte Mann. Wenn Karl nichts anderes bei sich habe, könne er auch Geld setzen; die Herren würden das schon erlauben. Dann schilderte er die Herrlichkeiten, die man gewinnen könne, ließ Speckseiten und Würste vor den Sinnen des bereits Halbberauschten aufmarschieren.

Karl hatte beim Militär hin und wieder Karten in Händen gehabt, seitdem nicht mehr. Aber Richard versprach zu helfen; sie zwei wollten die beiden anderen tüchtig ausnehmen, raunte er dem Vetter ins Ohr.

Der Gedanke an den fetten Einsatz erschien verlockend. Karl taumelte in's Hinterzimmer. Die beiden Fremden saßen bereits da. Über dem ganzen Zimmer, das von einer Hängelampe beleuchtet wurde, schwebte es wie bläulicher Dunst.

Karl wußte, daß er betrunken sei. Aber er befand sich in jenem Stadium des Rausches, wo alles selbstverständlich erscheint, wo alle Bedenken leicht wie Rauch verfliegen. ›Du wirst diesen Kerlen mal zeigen! Du wirst ihnen mal zeigen . . .‹ dachte er bei sich.

Dann saß er am Tisch, die Faust voll Karten; das war der Schellenkönig und das die rote Zehne! – O, er kannte sie noch ganz genau die Karten, wußte auch ihre Namen! –

Ihm gegenüber der Fremde hatte einen schwarzen Bart, in den sich, auf der einen Gesichtsseite, ein dunkelrotes Muttermal verlief. Karl wurde ganz zerstreut durch dieses Abzeichen; er mußte unausgesetzt darauf starren.

»Karle, Du bist am Ausspielen!« mahnte der Vetter.

»Gegen solche Karten ist nicht aufzukommen,« sagte der andere Fremde, ein kleiner bartloser Mann, dessen Kopf, wie mit Mehlstaub bestreut erschien. ›Das ist also ein Müller!‹ dachte Karl. Aber als der Mann seinen Kopf in's Licht vorbeugte, sah man, daß sein Haar von Natur so grau sei.

»Herr Büttner hat die Partie gewonnen,« hieß es.

Richard zeigte eine Magenwurst vor, die hatte Karl gewonnen. Der lachte vor Vergnügen über das ganze Gesicht. Er hatte es ja gleich gesagt, daß er die Kerle reinlegen würde.

»Jetzt woll'n mer um de Knöppe spielen!« rief Richard.

Der mit dem Muttermale griff in die Tasche und legte eine Hand voll Silber auf den Tisch. Ein gleiches that der Graukopf. »Ich bin auch versehen« erklärte Richard Kaschel und klopfte protzig auf seine Tasche.

Karl brachte das Ledertäschchen mit dem Stahlbügel hervor. Er lächelte verächtlich. Jetzt sollten die Fremden mal sehen, was er für ein Kerl war! Mit ungeschickten Fingern holte er die einzelnen Goldstücke heraus. Es waren noch fünfzig Mark; das übrige war vergeudet.

»Noch 'nen Nordhäuser vorher!« sagte Richard, »den gebe ich.« Er holte aus dem Wandschranke ein Flasche hervor, schenkte die Gläser voll und stellte die Flasche auf den Tisch.

Das Spiel begann von neuem. »Der guckt durch a Astloch!« sagte jemand. Karl lachte über die Bemerkung, weil er die anderen lachen sah. Diesmal hatte er verloren.

»Immer glei bezahlen! Da giebt's nich lange Qualen!« meinte der Gewinner. Fünf Mark hieß es, habe Karl auszuzahlen. Richard wechselte ihm ein Goldstück gegen Silbergeld ein.

Nachdem Karl mehrere Male hintereinander verloren hatte, kam eine Art Besinnung über ihn. Er erhob sich, wollte nichts von weiterem Spielen wissen. Aber Richard ließ ihn nicht fort. »Die lachen iber Dich, wenn De weglefst. Bleib ack hier, Karle! Ich werd' D'r schon helfen. Diesmal schmier'n mer se an; paß a mal uff!«

Karl ließ sich bereden und blieb. »Noch einen Nordhäuser, meine Herren?« fragte Richard. »Auf einem Beine steht nur der Storch!« Karl wollte zeigen, daß er sich nicht lumpen lasse und rief dem Vetter zu: »Schenk ei! Eemal rim! Den gab' ich!« –

»Aber richtig bedienen müssen Sie, Herr Büttner! Sonst is es keen Spiel nich!« meinte der Graukopf.

»Ihr wart mich wuhl 's Kartenspielen lahren, Rotzleffel, die d' 'r seid!« rief Karl den Mitspielern zu.

Die beiden Fremden wollten etwas erwidern, aber Richard winkte ihnen mit den Augen ab.

Wiederum hatte Karl verloren. Da schlug er auf den Tisch und brüllte: »Betrogne Karlen seid 'r, daß d'r's wißt! Betrogen hat 'r mich! Gaht mer mei Gald raus, Hunde!«

Die Fremden waren aufgestanden. Karl fuhr fort, auf den Tisch zu hämmern und sein Geld zu fordern. Sein Vetter trat auf ihn zu. »Halt 's Maul! Schrei nich su laut! Se hieren's sunst vorne.«

»Du hast mer an Dreck zu befehlen!« Damit hatte Richard auch schon einen Schlag von Karls Riesenhand in's Gesicht, daß er sich aufheulend die Backe hielt.

Die beiden anderen Männer sprangen auf Karl zu, ihm in den Arm zu fallen. Er schleuderte sie gegen die Wand, ergriff einen Stuhl und schlug blindlings drauf los. Die Hängelampe, von einem Stuhlbeine getroffen, riß vom Flaschenzuge ab, fiel auf den Tisch, wo sie zerbrach.

Inzwischen waren Leute durch den Lärm herbeigerufen in's Zimmer gedrungen: der Hausknecht, Gäste, der alte Kaschel. Man umringte Karl, der noch immer um sich schlug, wie ein Wilder.

Die neu hinzugekommenen hatten keine Ahnung, um was es sich eigentlich handle. Man sah nur, daß es eine Rauferei gab; das erweckte sofort die Lust, mitzuthun. Richard hatte sich aus Karls gefährlicher Nähe zu retten gewußt und spornte nun die anderen vom Hintergrunde aus an, zuzugreifen und es ›dem Hunde‹ mal ordentlich zu geben.

Es wurde gerungen. Der Tisch fiel um, Gläser zerbrachen. Plötzlich dröhnte und krachte es. Karl hatte sich Platz geschafft, drang durch den schmalen Gang in die Hausflur. Dort standen auch schon Leute, die sich ihm entgegenwarfen. So von allen Seiten umringt, an Armen und Beinen von einem Dutzend Fäusten gepackt, ward er endlich wehrlos gemacht.

Man wußte nicht recht, was mit ihm anfangen! Die meisten ahnten nicht, was eigentlich der Anlaß zu dem Krakeel gewesen sei. Jemand riet, ihn vor die Thür zu schaffen. Der Vorschlag fand Beifall. Karl wurde zur vorderen Thür geschleppt. Hier gelang es ihm, ein Bein frei zu bekommen, das er gegen den Thürflügel einstemmte. Man drängte und drückte, aber der große Körper war nicht freizubekommen.

Richard Kaschel wußte Rat. Der Thürflügel wurde durch eine eiserne Stange abgehalten, die hob Richard aus; sofort gab die Thür nach. Karl stürzte mit samt seinen Angreifern die Stufen hinab auf die Straße.

In dem allgemeinen Durcheinander, das nun in der Dunkelheit entstand, wurde ein Schlag und der Fall eines schweren Körpers so gut wie überhört.

Man lief in's Gastzimmer zurück, erzählte sich gegenseitig, unter Geschrei und Gelächter, die Heldenthat, die man verübt. Kaschelernst lief umher zetternd und klagend, über den Schaden, der ihm am Mobiliar angerichtet worden sei. Um das Schicksal des Hinausgeworfenen kümmerte sich niemand.

Nach einiger Zeit brannte einer der Gäste seine Laterne an und machte sich auf den Heimweg. Gleich darauf kam er mit verstörtem Gesichte wieder in's Zimmer zurück. Draußen liege einer in einer Pfütze Blut, berichtete der Mann.

Man eilte hinaus. Karl Büttner lag da einige Schritte von den Stufen. Der Schnee um ihn her war dunkel gefärbt.

Man untersuchte ihn; er war bewußtlos. Das Blut floß aus einer Wunde am Kopfe.

Ein Messerstich war es nicht. Es sah mehr aus, als habe ihn ein Hieb mit einem stumpfen Instrumente über den Schädel getroffen.



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