Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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VI.

Der Sonntag war herangekommen, an welchem Gustavs und Paulinens Hochzeit begangen werden sollte.

Es war eine kleine und einfache Hochzeitsgesellschaft, die sich in der Kirche zu Halbenau um den Altar versammelt hatte. Die Eltern des Bräutigams fehlten. Es war ein schwerer Tag für die Büttnersche Familie. Tonis Stündlein war da. Die Wehen hatten bereits eingesetzt. Die Bäuerin wollte ihr Kind in schwerer Stunde nicht allein lassen. Der alte Bauer war, ohne ein Wort zu sagen, in früher Stunde aus dem Hof gegangen, dem Walde zu. Sein Feststaat, den ihm die Frauen für die Trauung zurechtgelegt hatten, war unberührt in der Kammer liegen geblieben. Aber Karl, Therese und Ernestine waren zur Stelle.

Unter den Freunden des Bräutigams fiel Häschkekarl auf. Er war wie ein feiner Herr angezogen, in schwarzen Sachen, mit weißem Vorhemdchen und Manschetten. Sogar einen schwarzen Hut, wenn auch nicht den neuesten, hielt er in der Hand. Woher der Vagabund sich diese Pracht verschafft hatte, wußte nur er allein.

Die Braut war in weißen Mull gekleidet. Das Kleid hatte sie sich mit Hilfe einer Freundin, die in der Stadt das Zuschneiden erlernt hatte, selbst angefertigt. Städtische Blasiertheit würde vielleicht die Nase gerümpft haben über den Staat dieser ländlichen Braut. Von Zierlichkeit und Anmut war da keine Rede. Das helle Kleid verstärkte noch die Derbheit ihrer entwickelten Gestalt. Und doch war es eine Freude, dieses Paar zu sehen. Gesund waren sie und schlicht; echte Bauernkinder!

Pauline trug keinen Brautkranz im Haar. Der alte Pfarrer hielt streng darauf, daß kein Mädchen, der es nicht zukam, mit dieser Auszeichnung vor den Altar trete. Die kranzlosen Bräute waren nicht selten in Halbenau, denn der Leichtsinn der jungen Leute war groß. Der Pastor pflegte an die Paare, welche die Freuden der ehelichen Verbindung vorausgenossen hatten, ernste Worte des Tadels zu richten. Aber heute unterließ er das; zur Verwunderung vieler, denen diese Art der öffentlichen Vermahnung immer einen angenehmen Kitzel bereitete. Der Geistliche kannte Pauline gut. Sie war einst sein Liebling gewesen unter den Konfirmanden. Er wußte, daß sie nicht leichtfertig war. Auch kannte er ihre Verschämtheit und ersparte ihr darum die öffentliche Bloßstellung ihres Fehltritts.

Frau Katschner hatte auf ihre Erscheinung so viel Putz verwendet, als es ihr bei ihren ärmlichen Verhältnissen möglich war. Sie hatte heute ganz besonderen Grund, stolz und voll Befriedigung dreinzublicken. Befand sich doch in der Hochzeitsgesellschaft niemand Geringeres, als Fräulein Bumille, die Wirtschaftsmamsell vom Schloß.

Die Bumille glich mit ihrem hochgeröteten Gesicht, dem bauschigen Seidenkleide und dem hängenden Unterkinn einem aufgeblähten Puter. Bei jeder ihrer schwerfälligen Bewegungen krachte und knitterte die umfangreiche Maschine ihrer Toilette. Auf dem wogenden Felde ihres Busens hatte eine Goldbroche in Form eines Rades Platz gefunden. Zwischen den hellen Handschuhen und den allzu eng anschließenden Ärmeln drängte sich eine Wulst rosalichen, gepreßten Fleisches hervor. So saß diese prächtige Dame, als ein rechtes Renomierstück, unter den einfachen Dorfleuten. Durch Blicke, Haltung und jene eigenartigen Geräusche, die von ihr ausgingen, schien sie jedermann einschärfen zu wollen, daß sie Fräulein Bumille, die Mamsell vom Schlosse sei, und daß der ganzen Gesellschaft durch ihre Nähe eine nicht geringe Ehre widerfahre.

Es wurde viel geweint von Seiten der Frauen; wie meist bei Trauungen. Der alte Pfarrer machte es aber heute auch ganz besonders schön. Auf das Schneuztuch, welches Pauline über dem Gebetbuch gebreitet hielt, fiel manche Thräne. Auch Gustav war ergriffen, und, weil er diese weiche Stimmung eigentlich verächtlich fand, schließlich mehr ärgerlich, als erhoben.

Nach der Trauung ging man zu Fuße nach Frau Katschners kleinem Hause. Wie immer auf dem Lande, wurde viel Zeit vertrödelt mit Herumstehen und Schwatzen. Einzelne junge Leute gingen wohl auch noch in den Kretscham, ehe sie sich in das Hochzeitshaus begaben.

Dort gab es den ganzen Nachmittag über zu essen und zu trinken für die Hochzeitsgäste, die Freunde und Nachbarn, welche aus Neugier und auch um der guten Bissen willen auf ein Stündchen eintraten.

Da das Häuschen die Fülle der Gevattern nicht zu fassen vermochte, traten viele hinaus in den Garten. Die bevorzugten Gäste saßen drinnen im Zimmer um den runden Tisch

Hier war es, wo Fräulein Bumille den andachtsvoll lauschenden Dorfweibern von dem neuesten freudigen Ereignisse im gräflichen Hause berichtete: Komtesse Wanda hatte sich in Berlin verlobt, im Sommer sollte die Hochzeit sein. Da würde die Gegend etwas zu sehen bekommen! Denn der Graf wollte der Schwester die Hochzeit ausrichten. Der Bräutigam sei Offizier und Prinz und noch dazu ein schwer reicher. »Ja, unsere Wanda!« sagte Fräulein Bumille und ließ ihre geheimnisvolle Maschinerie krachen und knistern, »unsere Wanda! die hat's inwendig! Die macht's garnich unter'n Prinzen, habe ich immer gesagt. Die Wanda, die war schon als Kind was ganz Appart's. Wie sie noch ganz klein war, da kam sie immer zu mir in die Küche gelaufen. »Mamdell«, sagte sie, »Mamdell!« so sprach sie nämlich. »Gieb mir ein Stückchen Kuchen; aber groß muß es sein.« Das sagte sie, und da war sie noch ein ganz kleines Ding. Paßt ä mal auf, habe ich da gleich gesagt, die macht's nich unter'n Prinzen.«

Frau Katschner bestätigte jedes Wort durch ein Kopfnicken, und die Frauen von Halbenau lauschten offenen Mundes den mancherlei Heimlichkeiten, welche die Mamsell aus dem Leben ihrer Herrschaft mitzuteilen, sich herabließ.

Gegen Abend ging Fräulein Bumille. Damit verlor das Fest seine eigentliche Weihestimmung. Die Lustigkeit trat ungehindert in ihre Rechte.

Häschkekarl hatte nun freies Feld. Wo er auftrat, gab es Ausgelassenheit und Gelächter. Er hatte sich bereits den ganzen Nachmittag über mit einem Schwarm Burschen und Mädchen in Haus und Garten umhergetrieben. Jetzt saß er draußen im Apfelbaume, eine alte Militärmütze schief auf dem Kopfe, mit einer falschen Nase im Gesichte, sang Lieder und gab Schnurren zum besten. Mancher derbe Witz mochte da mit unterlaufen, nach dem Wiehern und Gröhlen der Burschen und dem unterdrückten Gekicher der Mädchen zu schließen.

Bei anbrechender Dunkelheit hatte sich Pauline aus der Hochzeitsgesellschaft zurückgezogen. Flink ward in der Kammer das Kleid gewechselt und nach dem Jungen gesehen. Dann lief sie, ohne jemandem ein Wort davon zu sagen, nach dem Büttnerschen Hofe.

Die Alten waren nicht zur Hochzeit gekommen, darum wollte sich die junge Frau ihnen selbst vorstellen, als ihre Tochter.

Sie trat in die große Stube. Niemand schien zu Haus zu sein, alles war dunkel. Schon wollte sie wieder hinausgehen, als sie gegen das lichte Fenster einen Kopf und ein paar Schultern erblickte. Sie erkannte an den Umrissen den alten Bauern.

Pauline war heute in erregter und gerührter Stimmung, darum wagte sie etwas für ihre sonstige Scheu Außerordentliches. Sie ging auf den alten Mann zu und sagte ihm, daß sie nun mit Gustav getraut sei. Dabei umarmte und küßte sie ihn. Im Augenblicke selbst, wo sie das that, erschrak sie über ihre Kühnheit.

Als sie die Wange des Alten berührt, hatte sie dort ganz deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! –

Pauline fühlte es wie einen Stich in der Brust. Hier saß der alte Mann, von allen verlassen, in seinem Kummer. Wie lange mochte er schon so gesessen haben!

Sie hätte ihm so gern etwas Liebes gesagt; denn sie liebte und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit sie sein Herz hätte erfreuen können.

Schließlich fragte sie mit stockender Stimme nach der Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das Weibsvolk sei oben in der Kammer.

Pauline zündete erst noch die Lampe an, damit er doch wenigstens nicht im Dunklen sitzen solle, und lief dann die Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni zu begrüßen.

Auf der obersten Stufe der Holzstiege angelangt, hörte sie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben. Sie blieb mit zitternden Knieen stehen und lauschte atemlos: dünnes, quäkendes Geschrei.

Tonis Kind war angekommen.

* * *

Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die Sachsengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reise nach dem Westen. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte Sonnenblicke, wie verschlafen, durch grämliche Nebel.

Auf einem Leiterwagen kauerten sie bei einander, Männer und Weiber, mit ihren Habseligkeiten. Die Mädchen saßen auf Laden und Federbetten, die Burschen hatten leichtere Bündel zwischen den Knieen. Vorn beim Kutscher, auf einem bevorzugten Platze, saß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Ernestine.

Gustav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt besorgt Umschau. Drei von seinen Mädchen fehlten ihm; sie waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrscheinlich hielten sie sich versteckt. Der Entschluß, in die Fremde zu gehen, mochte sie nachträglich gereut haben. Von einer hieß es, daß sie sich einem anderen Trupp angeschlossen habe, der bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern angetreten hatte. Der Aufseheragent hatte also Recht behalten: es brannten immer einige durch.

Gut, daß Gustav noch den fünften Mann gefunden hatte in der Person eines polnischen Arbeiters. Rogalla, so hieß er, saß jetzt mit unzufriedener Polenmiene in einen Schafpelz gehüllt, mit langem, schwarzem Haupthaar und Schnurrbart, wie ein fremder Vogel unter den blonden Halbenauerinnen, und kaute Tabak.

Der frühen Stunde zum Trotze, hatte sich doch eine ganze Anzahl Leute aus dem Dorfe zusammengefunden, um Abschied von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augenblicke noch alles mögliche herbeigeschleppt: Kleidungsstücke, Bettzeug, Eßwaren. Auch einige junge Burschen hatten sich einfunden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.

Den meisten wurde der Abschied schwerer, als sie es sich anmerken lassen wollten. Wer konnte wissen, was ihrer da draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das Herz schwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Geliebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reise gegeben, ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.

Der einzige von der ganzen Gesellschaft, dem es leicht um's Herz zu sein schien, war Häschkekarl. Heute hatte er wieder seinen buntscheckigen Vagabundenanzug angelegt. Den Hut verwegen auf einem Ohre, ein rotes Halstuch statt eines Kragens, sah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jetzt wo es auf die Reise ging, fühlte er sich erst wieder wohl, und behaglich. Und diesmal sollte er noch dazu in guter Gesellschaft walzen. Eine ganze Mandel »Schicksen« waren mit – so nannte er die Mädchen – da würde sich's schon leben lassen. Er summte ein Wanderlied vor sich hin. Als der kleine Gustav auf Paulinens Schoß unruhig wurde, und zu schreien anfing, brachte er die ›Quarre‹ durch eine seiner drolligen Grimassen schnell wieder zur Ruhe.

Die Büttnerbäuerin war auch herausgehumpelt, ihrer Lähme zum Trotze. Zwei von ihren Kindern gingen ja mit hinaus in die Fremde. Gustav, ihr bester Sohn, und Ernstinel, ihre Jüngstgeborene.

Die alte Frau hatte es bisher gar nicht recht glauben wollen, daß aus diesem abenteuerlichen Plane etwas werden solle. Zu so vielen Sorgen und Kümmernissen der letzten Zeit kam nun auch noch die Zersplitterung der Familie! Das war zu viel! Als sie den Wagen sah mit den Wanderern und dem Gepäck, drohten sie die Kräfte zu verlassen. Zum Abschied hatte sie nur ein sinnloses Gestammel: »Ne, ach Gutt! Gustav! Ne, ach Gutt, Pauline! Paßt ack auf´s Ernstinel uff. Ne, ach Gutt – ach Du lieber Herr Gutt! – Nene – was wern mer ack alles noch derlaben!«

Gustav mußte es den Frauen überlassen, von der Mutter zärtlichen Abschied zu nehmen. Er war ganz von der neuen Pflicht in Anspruch genommen, die schon wie eine schwere Verantwortung auf ihm lastete, und ihn hart und ungesellig erscheinen ließ.

Er glaubte, daß sie nun nicht länger warten dürften, wenn sie den Zug nicht versäumen wollten. Er schwang sich auf den Wagen und gab den Befehl zur Abfahrt.

Die Peitsche des Kutschers hob sich, die Pferde zogen an. Noch ein Händedruck, ein Schluchzen, ein Winken, ein Mützenschwenken. Im Trabe ging's durch's Dorf. Vor den Häusern standen Leute, welche den Wanderern ein freundliches Wort zuriefen. Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, der Büttnersche Hof, seine Giebelseite. Gustav blickte noch einmal dort hinüber. Er hatte den Vater nicht gesehen vor der Abreise. Ganz in der Frühe heute wollte er noch zu ihm gehen; aber, dann hatte er's doch gelassen. Als Vorwand war ihm die Geburt von Tonis Kind gerade recht.

Er trieb den Kutscher zur Eile an. Jetzt auf einmal war es ihm, als könne er nicht schnell genug von der Heimat wegkommen.

An bekannten Feldern ging's vorbei, an Bäumen, Steinen und Wasserläufen. Nun zog sich der Weg ein Stück durch den gräflichen Wald. Dann hatte man die Halbenauer Flur verlassen.

Eine Stunde darauf saßen sie eng zusammengepfercht in einem Wagen vierter Klasse, mit fremdem Volk, Sachsengänger gleich ihnen, die schon weither kamen aus dem Osten. Unheimliches Gesindel mit braunen Gesichtern, das unter einander eine unverständliche Sprache redete.

Als Pauline mit einem dieser schmutzstarrenden, kraushaarigen Frauenzimmer den schmalen Sitz teilen mußte, verlor sie alle Fassung, nachdem sie vorher tapfer mit dem Heimweh gekämpft hatte. Sie nahm ihren Jungen dicht an sich, und haschte nach Gustavs Hand.

Das war fürwahr eine traurige Nachfeier ihrer Hochzeit!



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