Ludwig Preller
Griechische Mythologie II - Heroen
Ludwig Preller

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d. Kleine Ilias und Iliu Persis.

Die kleine Ilias, welche die Vorfälle von dem Waffenstreite zwischen Aias und Odysseus bis zur Zerstörung Trojas und zur Einschiffung der Griechen behandelte, wurde verschiedenen Dichtern, aber gewöhnlich dem Lesches von Lesbos zugeschrieben. Er war beträchtlich jünger als Arktinos, von dem es gleichfalls eine Iliu Persis d. h. ein Gedicht von der Zerstörung Trojas gab. Neben diesen Gedichten, so weit wir ihren Inhalt übersehen können, sind häufige Anspielungen der Odyssee und viele Tragödien und Bildwerke zu berücksichtigen.

Nachdem die kleine Ilias den Waffenstreit und das Ende des Aias in ihrer Weise erzählt hatte, führte sie zunächst den Philoktet aufs Schlachtfeld. Odysseus war es, der in einem Hinterhalte dem troischen Wahrsager Helenos auflauerte und ihn gebunden ins Griechenlager führte, wo er überhaupt die Zukunft und namentlich dieses verkündigte daß Troja ohne Philoktet und seinen Bogen, den Bogen des Herakles nicht genommen werden könnePind. P. 1, 52 (F. vgl. oben S. 421 f. Daher der Bogen des Herakles zweimal über Troja triumphirt, Soph. Philokt. 1439, Prop. 3, 1, 32.. Philoktet mußte also von Lemnos herbeigeholt werden, eine Aufgabe welche in der kleinen Ilias Diomedes ausführte, während die drei Tragiker, denn außer Sophokles hatte auch Aeschylos und Euripides einen leidenden Philoktet gedichtet, den Odysseus auch bei diesem Acte die Hauptperson sein ließenDio Chrysost. or. 52 vgl. Nauck tr. gr. p. 62. 482. Sophokles hatte auch einen Philoktet in Troja gedichtet.. Dann wurde Philoktets Wunde durch den Asklepiaden Machaon geheilt und nun kam es zu einem Zweikampfe zwischen ihm und Paris, dessen Bogen sich durch den Tod des Achill als einen nicht weniger verhängnißvollen erwiesen hatte. Paris fiel, worauf seine Leiche von Menelaos mißhandelt, aber dann doch von den Troern bestattet wurdeDie späteren Künstler und Dichter wissen von einer letzten Begegnung mit der idaeischen Nymphe Oenone, wo diese sich ihn zu heilen weigert, hernach aber, als es zu spät ist, vor Schmerz und Reue umkommt, Apollod. 3, 12, 6, Konon 23, Qu. Smyrn. 10, 259 ff.. Helena, die ohne Liebe und Gemahl nun 444 einmal nicht zu denken war, verband sich nach seinem Tode mit dem tapfern Deiphobos, einem andern Sohne des Priamos.

Doch war auch ein Aeakide zur Erfüllung des Schicksals von Troja nothwendig, obwohl dieser eigentlich nur im Auftrage des Odysseus handelte. Dieser holt nehmlich jetzt den Neoptolemos, den jugendlichen Sohn und das Ebenbild des Achill von SkyrosPhilostr. d. J. 1, 1. Wahrscheinlich bezogen sich die Doloper des Sophokles auf diese Abholung, Welcker Gr. Tr. 140 ff. Auf dringende Bitten des Lykomedes, nicht nach Troja zu gehn, deutet Cic. Lael. 20, 75, wohl nach einer römischen Tragödie., und giebt ihm die Waffen seines Vaters, der ihn durch eine Erscheinung vollends begeisterte. Sein würdiger Gegner auf troischer Seite war Eurypylos, der Sohn des Herakliden Telephos, den seine Mutter, eine Schwester des Priamos, durch Geschenke bestochen diesem zu Hülfe gesendet hatte, schön wie Memnon und streitbar wie wenigeOd. 11, 505 ff. Die Mutter des Eurypylos, eine zweite Eriphyle, ließ sich durch das Geschenk des goldnen Weinstocks, den Zeus für Ganymed gegeben hatte (1, 392) bestimmen. Das Volk des Eurypylos heißt v. 521 Κήτειοι; das ist ein andrer Name für die Myser, Welcker ep. Cycl. 2, 137. Nach Aristot. poet. 23 gab es eine Tragödie Eurypylos. Nach der kleinen Ilias b. Paus. 3, 26, 7 war der Asklepiade Machaon vorher durch Eurypylos gefallen.. Dieser also fiel dem Neoptolemos und die Griechen waren seitdem wieder die Herren des Schlachtfeldes.

Also zogen sich die Trojaner von neuem hinter ihre Mauern zurück, die das Verhängniß jetzt auch nicht mehr aufhalten konnten. Zunächst wurde das hölzerne Pferd auf Veranlassung der Athena durch Epeios gezimmert, höchst wahrscheinlich der Nachklang eines alten Orakelspruchs (S. 377), den die Griechen durch Helenos erfahren hatten. Dann erfolgte das in der Odyssee 4, 240–264 beschriebene Wagniß des Odysseus, wie er sich durch Schläge und Wunden entstellte und in Lumpen gehüllt als Bettler in die feindliche Stadt einschlich, wo nur Helena ihn erkannte und von ihm ins Geheimniß gezogen wurde. Von Haus zu Haus kundschaftete er die Gelegenheit aus, tödtete zuletzt viele Wächter und kehrte endlich wohlbehalten ins Lager zurück. Gleich darauf folgte das neue Abenteuer des Odysseus und Diomedes, wie diese beiden sich einschlichen um das Palladion der Burggöttin, welches das Heil der Stadt verbürgte, aus Troja zu entführen. Durch eine unterirdische Wasserleitung gelangten sie in die Burg und wieder hinaus; doch wußte man von 445 einem heftigen Streit zwischen beiden über den Besitz des Palladion, da Diomedes immer für den eigentlichen Entführer und Träger des wunderbaren Bildes galt, Odysseus aber auch an dieser Ehre seinen Antheil haben wollteDaher das Sprichwort Διομήδειος ἀνάγκη, welches schon in der kleinen Ilias durch diesen Streit erklärt wurde, s. Hesych v., Zenob. 3, 8, Konon 34. Sophokles dichtete in seinen Lakonerinnen von dem Raube des Palladion, Ion in seinen Wächtern, Welcker Gr. Tr. 145 ff. 948 ff., ep. Cycl. 2, 242. Von den zahlreichen bildlichen Darstellungen, welche gleichfalls auf jenen Streit deuten, O. Jahn im Philol. 1, 46–60, Ann. d. I. 30, 228–264, Overbeck 578 ff..

Darauf beginnen die Ereignisse der eigentlichen Iliu Persis, wo es bei manchen Punkten von selbst einleuchtet, daß die des Arktinos älteren, die des Lesches jüngeren Ueberlieferungen und Ansichten folgte. Außer diesen beiden hatte auch Stesichoros eine Iliu Persis gedichtetBesonders wichtig wegen ihrer Nachricht von der Auswanderung des Aeneas nach Italien, εἰς τὴν Ἑσπερίαν, die hier zuerst vorkam, daher die tabula Iliaca auf dieses Gedicht verweist. Doch ist es bedenklich deshalb den Inhalt des alten Gedichtes nach diesem so viel jüngeren Bildwerke zu hestimmen., von älteren Künstlern Polygnot zu Delphi eine Iliu Persis gemalt, bei welcher, so weit wir darüber nach der Beschreibung des Pausanias zu urtheilen vermögen, vorzüglich die Ueberlieferungen der kleinen Ilias zu Grunde lagenWelcker in den Abh. der Akad. z. Berl. v. J. 1847, B. 1849 S. 88 ff. Von den erhaltenen Bildwerken Overbeck 607 ff..

Zunächst wurde erzählt, wie die besten Helden unter der Anführung des Odysseus (Od. 8, 492 ff.) in das hölzerne Pferd stiegen, die Uebrigen ihr Zeltlager verbrannten und nach Tenedos schifften. Die Troer finden dann das seltsame Pferd und beratschlagen was damit zu thun sei. Einige, darunter Aeneas und der Apollonspriester Laokoon, ein Bruder des Anchises, rathen es ins Meer zu stürzen oder zu verbrennen, Andere bestehen darauf daß man es auf die Burg bringe und der Schutzgöttin Athena weiheSo die kleine Ilias. In der Odyssee und wahrscheinlich auch bei Arktinos wurde das Pferd gleich auf die Burg gezogen und darauf dort berathen. Λαοκόων oder Λαϝοκόϝων, wie Priscian auf einem alten Dreifuß zu Constantinopel las, d. i. der Volkszünder, Priester, von κόω, wie Πύρκων und πυρκόος.. Diese dringen durch, man zieht das Pferd durch die Mauer (denn die Thore waren zu klein) in die Stadt und überläßt sich darauf ganz der Freude beim Schmause und bei jubelnden Klängen, als ob nun alle Noth des Krieges überwunden wäre. 446 Da ereignet sich das bedenkliche Zeichen daß Laokoon und der eine von seinen Söhnen durch zwei plötzlich erscheinende Schlangen erwürgt wirdBeim Opfer des Poseidon am Strande. Man glaubte daß er den Zorn des Apollon gereizt habe. Bakchylides und Euphorion hatten davon gedichtet und von Sophokles gab es eine Tragödie Laokoon, Welcker 151 ff. Die bekannte Gruppe ist nach den Inspirationen der Tragödie gedacht., was die Gläubigen in ihrem Wahne noch bestärkt, aber den Aeneas zur schleunigen Auswanderung nach Dardania bestimmt, von wo aus Troja früher gegründet worden war und wo das Geschlecht des Aeneas nach sichern Nachrichten noch längere Zeit nach der Zerstörung Trojas blühteSchon die Ilias deutet darauf 13, 459; 20, 306. Nach Arktinos nahm Aeneas auch das ächte Palladion mit sich, Dionys. H. 1, 69. Die Flucht des Aeneas auf Vasen und andern Bildwerken Overbeck 655 ff., Roulez choix de vases t. 15. 16 p. 62.. Die griechischen Helden aber im hölzernen Pferde hatten noch manche Anfechtungen zu bestehn (Od. 4, 271 ff.; 11, 524 ff.), bis endlich Sinon in der Nacht die verabredeten Feuerzeichen gab und die Flotte schnell von Tenedos zurückkehrteΝὺξ μὲν ἔην μέσση, λαμπρὴ δ' ἐπέτελλε σελήνη nach der kleinen Ilias und zwar im Thargelion ὀγδόη φϑίνοντος, nach Andern ὀγδόη ἱσταμένου, Dionys. H. 1, 63, Clem. Al. Str. 1 p. 381 P., Tzetz. Lyk. 344, Schol. Eur. Hek. 892.. Darauf ergossen sich die Griechen aus dem Pferde und aus den Schiffen in die noch vom Freudenrausche trunkene Stadt und es begann ein Morden und Plündern, in welchem endlich die Rache ihre volle Sättigung fand, aber auch das Unheil vorbereitet wurde, welches die triumphirenden Sieger auf ihrer Rückkehr treffen sollte. Bei der Wohnung des Priamos und bei der des Deiphobos wüthete die nächtliche Schlacht am heftigsten. Dort kämpfte Neoptolemos, von dem auch Priamos getödtet wurde, nachdem er umsonst seine Zuflucht an den Altar des Zeus Herkeios der Dardaniden genommen hatte. Beim Hause des Deiphobos kämpften und siegten Menelaos und Odysseus, so daß jener zuletzt eindringen und den verhaßten Nebenbuhler tödten konnteOd. 8, 517 vgl. Virg. A. 6, 494 ff., wo Helena das Zeichen giebt und ihren ersten Gatten Menelaos in die Kammer des schlafenden Deiphobos führt. Vielleicht nach Lesches.. Auch Helena wäre seinem Schwerdte gefallen, wenn ihre siegreiche Schönheit nicht alle Vorsätze der Rache und Strafe zu nichte gemacht hätte, daher Menelaos sie zu den Schiffen führteMenelaos im Begriff die Helena zu ermorden am Kasten des Kypselos, Paus. 5, 18, 1. Nach der gewöhnlichen Ueberlieferung besiegte sie ihn durch Entblößung ihres Busens, Aristoph. Lysistr. 155 Schol. Nach Stesichoros wollten die Griechen sie steinigen, ließen aber bei ihrem Anblick die Steine fallen. Auch Polygnot hatte auf seinem Gemälde die siegreiche Schönheit der Helena sehr in den Vordergrund gestellt. Die Vasenbilder drücken die erst sehr gewaltsame, dann schnell veränderte Stimmung des Menelaos gleichfalls sehr lebendig aus, Overbeck 626 ff.. 447 Kassandra flüchtete sich in das Heiligthum der Burgpallas, welches der lokrische Aias so wenig achtete, daß er sie mit Gewalt von dem Bilde der Göttin riß und dabei dieses mit umstürzte: ein Frevel der Alle empörte, aber doch ungerochen bliebNach Arktinos wollten die Griechen ihn steinigen, aber Aias floh an den Altar der Göttin und wurde darüber gerettet. Nach Paus. 10, 31, 1 in der Beschreibung des Polygnotischen Gemäldes trieb Odysseus die Griechen zur Steinigung des Aias, vgl. 1, 15, 3. Ein Bild der Gewaltthat des Aias auf dem Kypseloskasten P. 5, 19, 1, auch sind Vasenbilder und andre Darstellungen häufig, Overbeck 635 ff. Von der Schändung der Kassandra im T. der jungfräulichen Göttin, deren Xoanon (nehmlich das in dem T. der Athena befindliche) deshalb die Augen nach der Decke emporgeschlagen habe, wissen erst die späteren Dichter, Kallimachos b. Schol. Il. 13, 66 und Lykophr. 1141 ff., weshalb der Zorn der mächtigen Göttin ihn und so viele Andere auf der Heimkehr um so schrecklicher traf. Andromache wurde dem Neoptolemos als Ehrenpreis gegeben; die Aermste mußte auch noch ihren Astyanax hergeben, damit er nach dem Rathe des Odysseus von der Mauer geschleudert würdeΝήπιος ὃς πατέρα κτείνας παῖδας καταλείπει, Worte des Odysseus in der Iliu Persis des Arktinos. Nach der kleinen Ilias tödtete ihn Neoptolemos auf eigne Hand und so stellen es auch die Bildwerke dar, Overbeck 622 ff.. Demophon und Akamas, die Söhne des Theseus, fanden dessen Mutter wieder und durften sie mit Erlaubniß der Helena nach Athen zurückführen. Hekabe, die Unglückselige, mußte es noch erleben daß ihre Tochter Polyxena auf dem Grabe des Achill und ihr Sohn Polydoros, den Priamos mit vielem Gelde dem Thrakerkönige Polymestor anvertraut hatte, von diesem ermordet am Strande gefunden wurde. Sie nahm schreckliche Rache dafür und wurde darauf in einen Hund verwandelt, dessen Bild man am thrakischen Strande sahNach Euripides in der Hekabe, vgl. Ovid M. 13, 569, Str. 7, 331, 56 u. A. Nach Stesichoros wurde sie von Apoll nach Lykien entrückt. Außer jenem Stücke des Euripides geben seine Troerinnen ein lebhaftes Bild der Iliu Persis, welchem Kreise auch Sophokles den Stoff zu verschiedenen Tragödien entlehnt hatte. Vgl. die Titel Σίνων (wahrscheinlich identisch mit dem Laokoon), Πρίαμος, Αἴας Λοκρὸς (wahrscheinlich sein Frevel und das Gericht der Griechen), Ἀντηνορίδαι. Auch von den römischen Tragikern gab es Stücke entsprechenden Inhalts.. Troja wurde den Flammen übergeben und 448 ganz zerstört, bei welcher Zerstörung die feindlichen Götter selbst mit Hand anlegen (Virg. A. 2, 608). Gerettet wurden außer Aeneas und den Seinigen nur Antenor und die Antenoriden, die den Griechen durch alte Gastfreundschaft Verbundenen, nach Einigen auch bei dem Verrathe der Stadt BetheiligtenAuf dem Gemälde des Polygnot zu Delphi und bei Sophokles war das Haus des Antenor durch ein ausgehängtes Pardelfell den Griechen kenntlich, Paus. 10, 27, 2, Str. 13, 608, nach den Späteren half sein Verrath zur Zerstörung der Stadt, Lykophr. 340–47 Tz., Dionys. H. 1, 46. Unter seinen Söhnen wurde Helikaon ausgezeichnet, der mit Laodike der T. des Priamos Vermählte, Il. 3, 123, Paus. 10, 26, 3.. Man ließ sie sich bald dem Menelaos anschließen und bei dieser Fahrt nach Libyen und Kyrene verschlagen werdenPind. P. 5, 83, Schol. v. 108. Die andre Ueberlieferung b. Virg. A. 1, 242 Serv., Liv. 1, 1, Str. 13, 608, Stiehle im Philol. 15, 593 ff., bald, und dieses war später die gewöhnliche Ueberlieferung, mit den Henetern über Thrakien an das adriatische Meer und von dort nach Italien an die Pomündung gelangen, wo Padua bekanntlich für eine Gründung Antenors galt.


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